Nach den Protesten fordert Ministerpräsident Kretschmer den Schulterschluss gegen »Linksextremismus«. Statt das Menschenrecht auf Wohnraum zu thematisieren, werden die Proteste als Krawalllaune abgetan. »Ein Skandal, dass es nur so wenige öffentliche Stimmen der Kritik gibt«, kommentiert Tobias Prüwer.
»Wir sagen diesen Menschen den Kampf an.« Als Mann so eindeutiger Worte kennt man Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer eigentlich nicht. Als klaren politischen Analytiker auch nicht. Dennoch sagte er: »Diesen Leuten geht es nicht um dieses Thema.« Und wann hat er jemals Menschen abgesprochen, hinter einer ablehnungswürdigen Tat nicht doch ein ernsthaftes Anliegen oder Ängste zu artikulieren? Da waren selbst tausende randalierende Hooligans in Chemnitz gesunder Ausdruck der kochenden Volksseele. Anders als es sonst seine Art ist, mochte Kretschmer aber nach den Hausbesetzungen in Leipzig, den Demonstrationen und den gewaltförmigen Auseinandersetzungen mit der Polizei keine besorgten Bewohner, Mietkritiker oder Eigentumsleugner erkennen.
Der Feind steht links, das macht Kretschmer stets aufs Neue klar. Dass »mit Rechten reden« die Quintessenz seiner Politik bildet, ist schon lange deutlich – nur dass Kretschmer das als »Bürgersorgen ernst nehmen« verklausuliert. Mit Demonstranten gegen die Corona-Bestimmungen sprach er schon mal auf einer Versammlung, die legal so gar nicht hätte stattfinden dürfen. Er traf sich mit Vertretern eines Vereins, der Covid-Infektionen verharmlost, weil »er grundsätzlich mit allen Menschen spricht, die an einem sachlichen Austausch und ernsthaften Diskussionen interessiert sind«. Das machte Kretschmer auch noch wahr, als er am Montag am Rande einer Wahlkampfveranstaltung mit einem Stadtrat der extrem rechten Partei Pro Chemnitz redete. Der Unteilbar-Demo vor einem Jahr in Dresden allerdings blieb er explizit fern, weil er dort auch »die Antifa« vermutete.
Greifen mehrere Dutzend Nazis bei einer Männertagsparty mit Wurfgeschossen und Eisenstangen die Polizei an, bleibt der Ministerpräsident stumm. Demonstrieren Linke für Wohnraum, und ja: greifen zum Teil auch die Polizei an und verüben Sachbeschädigung, kennt Kretschmer keine Gnade. Seine Verfolgungsbehörden sind in Sachen links ohnehin aktiver als bei der Ahndung rechter Straftaten. Allen, die drei Abende gegen Verdrängung und Gentrifizierung in die Häuser und auf die Straße gingen, das politische Anliegen abzusprechen, ist nur konsequent von Kretschmer. Nur muss er mit den Konsequenzen, die er damit heraufbeschwört, leben. Die Nichtrepräsentierten, die Unvernommenen, bleiben ja deshalb nicht leise oder artig, weil man sie verdrängt.
Es ist klar, dass Kretschmer von dieser Position nicht abrücken wird, einerseits die Extremismus-Formel von Hufeisen und guter Mitte bedient, während er eigentlich vorrangig unter Rechten fischt. Nur darf man ihm das nicht durchgehen lassen. Dass vor allem so viele Medienvertreterinnen da mitziehen, ihrerseits nichts als Krawalllaune und Militanzmackertum in den Leipziger Ereignissen sehen wollen, ist das Problem. Ja, man kann beklagen, dass die Bengalos und Steine für Bilder gesorgt haben, die Diskussionen über den Wohnungsmarkt überdecken. Doch haben viele diese gar nicht ernsthaft geführt, die CDU schon gar nicht – Eigentum sticht hier Menschenrecht auf Wohnraum. Dass Kretschmer damit durchkommt, dass es nur wenige öffentliche Stimmen der Kritik gibt, ist der viel dramatischere Skandal. Das ist das immer wiederkehrende Muster in Sachsen, alles zu kriminalisieren, was links ist. (Ja: Steinewerfer machen ihnen das umso leichter.) Darum kann auf Kretschmers Forderung nach einem Schulterschluss gegen »Linksextremismus« – letztlich alles Linke – als angemessene Antwort nur der Schulterschluss gegen sächsische Verhältnisse geübt werden.