Auf Party und Polonaise mussten die Demonstranten aus dem Umfeld der »Querdenker« bei ihrem erneuten Aufzug in Leipzig verzichten. Der Demotag endete für sie im Polizeikessel. Trotzdem konnte die Gruppe an ihren Erfolg zwei Wochen davor anknüpfen.
Deutlich kleiner war die Menge am 21. November, die gegen eine vermeintliche »DDR 2.0« protestieren wollte, wie es in einem Aufruf hieß. Zwei Wochen zuvor hatten noch Zehntausende dicht an dicht auf dem Augustusplatz gestanden, bevor sie sich von Neonazis und Hooligans den Weg über den Ring frei kämpfen ließen. Diesmal war der Ring zwar wieder das erklärte Ziel, den Augustusplatz hatte sich aber bereits das Aktionsnetzwerk »Leipzig nimmt Platz« als Versammlungsfläche gesichert, wo laut Stadt rund tausend Menschen zusammen kamen.
Die aus dem »Querdenken«-Lager angemeldete Demonstration musste deshalb auf den Kurt-Masur-Platz hinter der Universität ausweichen, den die Polizei mit Gittern abgegrenzt hatte. Der Platz war voll, bevor die Kundgebung angefangen hatte, zu der maximal 500 Personen zugelassen waren. Durch die Einlässe kam nur, wer einen Mund-Nasen-Schutz trug oder ein Attest vorweisen konnte. Das Problem: Laut der Versammlungsbehörde hatte der Anmelder selbst weder ein gültiges Attest noch eine Maske auf, weshalb die Veranstaltung schon vor Beginn beendet war.
Bis dahin war es der Polizei noch weitgehend gelungen, die gegnerischen Gruppen auseinanderzuhalten, auch wenn es zu einzelnen Übergriffen kam – so traf zum Beispiel einen jungen Mann mit Reichsadler auf dem Pullover ein Schlag ins Gesicht. Doch gegen halb vier verloren die Einsatzkräfte langsam die Kontrolle. An mehreren Stellen trafen Neonazis und Teilnehmende der Gegendemos aufeinander. Am Hauptbahnhof warfen Neonazis Steine auf die Polizei, die am Augustusplatz zwischenzeitlich Wasserwerfer und Pferde aufgestellt hatte.
Zwei Stunden im Polizeikessel
Währenddessen sammelte sich völlig unbehelligt eine »Querdenken«-Gruppe vor der Nikolaikirche, die genau wie der Ring ein Schauplatz der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 war. Ein Mann forderte per Megafon, Richtung Rathaus zu gehen. Ein anderer Mann mit »Jesus lebt«-Transparent ging vor, der Rest folgte – ganz vorne mit dabei: Die rechte Szenegröße Nikolai Nerling, alias »Der Volkslehrer«. Auf halber Strecke zum Markt schloss sich eine weitere Gruppe Maskenverweigernder an, die über die Reichsstraße kam und mit Jubel empfangen wurde; direkt dahinter der Gegenprotest. Erst am Markt stellte sich hektisch eine Polizeikette zwischen die Lager.
[caption id="attachment_119413" align="alignright" width="320"] Die Menge kommt in der Fleischergasse zum Stehen Foto: David Muschenich[/caption]
Von denen, die davor auf dem Kurt-Masur-Platz gewesen waren, interessierte sich so gut wie niemand mehr für Maskenpflicht und Abstandsgebot, geschweige denn dafür, dass die sächsische Corona-Schutz-Verordnung laufende Demonstrationen verbietet. Als Jurist müsste das AfD-Bundestagsabgeordneter Jens Maier eigentlich wissen, der genau wie Parteikollege Hans-Thomas Tillschneider vor Ort war. Nachdem ein Teil der Menge die deutsche Nationalhymne angestimmt hatte, bewegte sich der Tross durch das Barfußgässchen, musste aber in der Großen Fleischergasse anhalten, weil Gegenprotest und Polizei den Weg versperrten.
Über zwei Stunden lang ging es nicht vor und nicht zurück. Weil die Versammlungsbehörde keine spontanen Versammlungen mehr zuließ, rief die Polizei zum Gehen auf. Die »Querdenker« folgten dem nicht und forderten: »Macht die Straße frei!« Die Polizei setzte Pfefferspray ein, nachdem einige auf die Polizeikette zu drängten und versuchten, diese zu durchbrechen. Auch Journalistinnen und Journalisten berichteten von Übergriffen gegen sie. Holger Mann, Vorsitzender der SPD Leipzig und Landtagsabgeordneter, teilte ein Video auf Twitter, in dem zu sehen ist, wie ihn ein Mann angeht. Polizistinnen oder Polizisten sind nicht zu sehen.
»Komplettes Chaos in der Stadt«
Insgesamt hätten Polizei und Versammlungsbehörde diesmal aber konsequenter agiert als am 7. November, sagte Mann dem kreuzer. »Es ist komplettes Chaos in der Stadt«, fasste dagegen Linken-Stadträtin Franziska Riekewald den Tag zusammen. Und auch Katharina Krefft von den Grünen »kann nicht verstehen, wie man das wieder zulassen kann«, dass so ein Aufzug durch die Innenstadt läuft. Dabei wirkte die Polizei besser vorbereitet als beim letzten Mal. Sie hatte einen Kontrollbereich eingerichtet, Absperrungen aufgebaut und unter anderem mit einem halben Dutzend Wasserwerfern Präsenz gezeigt.
Nach dem 7. November drehte sich die politische Debatte vor allem um die Frage, wer schuld am Kontrollverlust war. Innenminister Roland Wöller (CDU) kritisierte die Leipziger Versammlungsbehörde, die wiederum Probleme in der Zusammenarbeit mit der Polizei feststellte. Diesmal versicherte zumindest Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze: »Wir haben uns im Vorfeld wieder sehr gut abgestimmt.«