anzeige
anzeige
Politik

»Nicht die Lösungen der letzten 30 Jahre«

Autor Lukas Rietzschel übers Stück »Widerstand« und den Reiz des Ostens

  »Nicht die Lösungen der letzten 30 Jahre« | Autor Lukas Rietzschel übers Stück »Widerstand« und den Reiz des Ostens

Vor drei Jahren feierte das Feuilleton »Mit der Faust in die Welt schlagen«. Seinen Autor Lukas Rietzschel stilisierte es zum Ostdeutschlandversteher. Nun hat er ein Auftragswerk fürs Schauspiel Leipzig geschrieben. Darüber und die Macken des Feuilletons sprach Rietzschel mit dem kreuzer.

kreuzer: Warum heißt das Stück »Widerstand«, nicht der Zeit angemessener »Ignoranz« oder »Dummheit«? Lukas Rietzschel: Der Text ist älter als das, was wir jetzt erleben. Der Titel stand 2019 schon fest und geht auf eine Kurzgeschichte von 2016 zurück. Es geht um das, was wir permanent erleben, um Menschen, die aus der Gesellschaft fallen, sich auch gegen diese stellen. Egal, was die Anlässe sind, da ist eine Radikalisierung spürbar. Ich saß am Text, da sind Halle und Hanau passiert, ausgeführt von Menschen, die sich komplett von der Gesellschaft entfernt haben. Und da ist die Frage: Wie gehen wir damit um? Es handelt aber auch von den kleinen Widerständen im Alltag. Und nimmt man es ganz abstrakt, geht es auch um die elektrischen Widerstände, die es sogar braucht, um die Spannung aufrechtzuerhalten.

kreuzer: Wie ist das Stück dramaturgisch konzipiert? Rietzschel: Letztlich ist es eine Dorfgesellschaft. Im Zentrum steht ein Familienvater als die Figur, die aus dieser Gruppe rausrutscht; auch politisch. Es geht ganz banal um seine Liebschaft, die das mitbekommt. Und um seine Tochter, die eigentlich in Leipzig wohnt, aber rausfährt in die Peripherie, weil dort etwas ins Rutschen geraten ist. Wir entdecken mit ihr dieses Dorf und den Konflikt. Es ist ein klassischer Aufbau, wir haben Figuren, keine Textsäulen. Es ist handlungsgetrieben.

kreuzer: Also das Große im Kleinen entdecken, was ja auch Ihr Romandebüt ausmachte? Rietzschel: Das ist letztlich, was ich kenne, das ist nicht die Großstadt, sondern was abseits der Zentren stattfindet. Es ist aber nicht ausdrücklich ostdeutsch.

kreuzer: Wie haben Sie gedacht, als das Schauspiel Sie anfragte? Rietzschel: Einerseits war ich geschmeichelt, dass man mir das zutraut. Aber ich spürte auch eine Überforderung. Ich hätte es nicht gemacht, wenn ich nicht bei der Stückbearbeitung meines Romans in Dresden mitgearbeitet hätte. Da bin ich intensiv mit Theater in Berührung gekommen jenseits der Zuschauerposition.

kreuzer: Die Dresdner Uraufführung war aber sehr undramatisch, textflächig und illustrativ... Rietzschel: Ja, klar, weil es die Adaption eines Romans ist. Das war bei dem Text wirklich schwierig gewesen, diese Zeitkomponenten hineinzubringen. Atmosphäre zu erzeugen gelingt normalerweise über die Dialoge, die waren aber hier nicht da. Daher haben wir eine erklärende Sprecherrolle eingebracht, dadurch kann so ein Abend aber auch zerfasern. Das habe ich auch gelernt, das muss zwischen den Figuren entstehen.

[caption id="attachment_125082" align="alignright" width="243"] Lukas Rietzschel; Foto: Christine Fenzl[/caption]

kreuzer: Wie fühlte es sich damals an, als Ihr Roman erschien und Sie, Jahrgang 1994, plötzlich als Ossi- und sogar Wendeversteher galten? Rietzschel: Diese Labels sind fürs Feuilleton und auch den Buchmarkt extrem wichtig. Ich war relativ gelassen, weil ich weiß, dass sie recht schnell wieder verblassen können. Aber es macht es natürlich schwer, dagegen an zu arbeiten. Ich kann daran mitarbeiten, dann bleibt der Stempel. Oder ich entscheide mich dagegen und dann liest mich vielleicht niemand mehr. Das dringt auf mich von außen ein und ich muss lernen, damit umzugehen. Damals dachte ich, das ist kein Problem. Jetzt merke ich, dass alles, was ich schreibe, in diese Richtung gedreht wurde. Ich weiß nicht, ob ich mir einen Gefallen tue, das weiter zu bedienen. Aber ich kann auch nicht so viel anderes und nicht viel anderes interessiert mich. Wenn mich das nicht mehr interessiert, ändere ich es. Daran mögen sich dann einige Medien abarbeiten. Das zeugt ja auch von einer Debatten- und Quotenarmut und Unwissen in der öffentlichen Wahrnehmung von Ostdeutschen, wenn das Buch so gefeiert wurde. Und auch von Unwissen.

kreuzer: Was sagen Sie zu der Kritik, dass Sie zu viel aufs Gefühl gesetzt haben im Roman und die ideologische Seite der extremen Rechten zu wenig ausgeleuchtet haben? So als Kurzschluss: Das sind Verlierertypen, die müssen ja Nazis werden. Rietzschel: So wurde von außen drauf geblickt. Ich habe die ja gar nicht so als Verlierertypen gesehen. Sie sehen sich auch selbst nicht als Verlierertypen. Ich wollte aufschreiben, was da so los ist. Ich habe ganz bewusst versucht, keine Lesart unterzubringen. Also zu sagen: Das ist der Grund, warum die so geworden sind. Das hängt nicht von einer ökonomischen Situation ab, sondern auch von einer Kommunikationssituation. Da ist auch die Ebene der Familie, die ich jetzt wieder aufgreife. Da gibt es viel mehr Probleme, die nicht nur in dieser wirtschaftlichen Abgehängtheit liegen. Das ist ja Quatsch und es gibt zum Glück genügend Leuten drum herum, die das Gegenteil beweisen. Wenn es so einfach wäre, hätten wir den Rechtsradikalismus doch längst besiegt.

kreuzer: Woher rührt Ihr Interesse an der Peripherie? Rietzschel: Ich glaube, das die ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die wir wahrnehmen, im Osten beschleunigt stattfinden: die Auflösung der Mittelstandsgesellschaft, die Aufarbeitung der Geschichte, auch der eigenen, der Umgang mit Schrumpfung. Das bestimmt die Gegenwart und daher ist für mich der Osten, vor allem die ländlichen Gebiete so reizvoll.

kreuzer: Der Soziologe Wolfgang Engler hat die Ostdeutschen vor 20 Jahren zur Avantgarde erklärt. Weil hier die Transformation schneller laufen, sie eher Widerstandserfahrung hätten, würden sie zu Vorbildern. Hat sich das erfüllt? Rietzschel: Absolut nicht. Denn dieses vermeintlich Avantgardistische wurde ja hernieder gerungen durch westdeutsche Lösungsansätze. Das ist eine Ideenlosigkeit, die ich anspreche. Die Lösungen können nicht die der letzten 30 Jahre sein, wie »Wir brauchen einen Investor, der auf der grünen Wiese was baut« oder eine Umgehungsstraße und schon läuft es. Da werden immer die gleichen Ideen aus der Kiste gezogen. Da bin ich längst davon weg zu sagen, wir sind hier Projektregion mit Vorbildcharakter.


Kommentieren


0 Kommentar(e)