Bereits im Mai fragte der kreuzer den Ostbeauftragten und sächsichen Spitzenkandidaten Marco Wanderwitz (CDU) für ein Interview an. Damals hatte er gerade in einem Podcast gesagt, die Ostdeutschen seien teilweise diktatursozialisert – und wurde dafür viel kritisiert. Den geplanten Termin mit dem kreuzer musste er mehrmals verschieben, nun kam es doch noch zustande. Im Teil 1 des Interviews spricht er über den Wahlkampf der CDU sowie eine Abgrenzung zum rechten und linken Rand innerhalb seiner Partei.
Hier geht es zum Teil 2 des Interviews über Ostdeutschland und die Corona-Maßnahmen.
kreuzer: Wenn man auf die Umfragen der letzten Wochen blickt, sieht es für die CDU eher schlecht aus. Die SPD liegt bei 26, die CDU hingegen bei 22 Prozent.
Wanderwitz: Natürlich sind wir nicht zufrieden. Das wäre das historisch schlechteste Ergebnis der CDU. Insofern kämpfen wir dafür, dass es nicht so ausgeht. Auch weil das ein Ergebnis wäre, mit dem wir wahrscheinlich eine sehr langwierige, schwierige Regierungsbildung vor uns hätten, weil mindestens drei Parteien miteinander koalieren müssen. Wir haben ja schon beim letzten Mal gesehen, wie schwer das ist: Wir haben drei Monate über Jamaika verhandelt und am Ende ist es doch schiefgegangen.
kreuzer: Waren Sie denn überrascht von den Umfragewerten der SPD?
Wanderwitz: Jein. Die SPD hat einen großen Vorteil, nämlich dass sie sich viel früher als wir auf die Personalie des Kanzlerkandidaten festgelegt hat. Wir haben das sehr spät und in einer strittigen Auseinandersetzung getan. Das war sicherlich keine besonders kluge Entscheidung. Da müssen wir einen besseren Modus zwischen CDU und CSU für die Zukunft finden. Auf der anderen Seite ist es ja offensichtlich eine bewusste strategische Entscheidung, dass Olaf Scholz aus der Position des Vizekanzlers heraus versucht, ein bisschen Erbschleicherei zu betreiben. Er sagt jetzt, er ist der Teilerbe von Angela Merkel. Klar ist natürlich eins: Die Wählerinnen und Wähler, die uns beim letzten Mal wegen Angela Merkel gewählt haben, sind derzeit auf dem Markt, und wir wissen noch nicht so genau, wo die ankommen. Unser Anspruch ist aber auch, dass wir sagen, unser Kanzlerkandidat ist der Erbe von Angela Merkel, wissend, dass nicht alle Leute im Land die Ära Merkel nur gut finden.
kreuzer: Sie haben vor einigen Wochen den Wahlkampf der CDU in den Tagesthemen kritisiert und gesagt, dass Sie sich intensiv »hinterfragen müssen, ob die Antworten, die wir geben und wie wir sie geben, wirklich überzeugend sind.« Sind Sie in der Frage schon zu einem Fazit gekommen?
Wanderwitz: Ich hatte das Gefühl, das hat sich irgendwie so ein bisschen eingeschlichen, dass wir als Union mit diesen Ergebnissen zufrieden wären. Dann kamen das Team von Armin Laschet und ergänzende Papiere. Also ich glaube schon, dass wir unsere Themen jetzt, auch in den Triellen, besser herausgearbeitet haben. Was mir natürlich immer noch nicht gefällt, ist, wie es dann in den Umfragen bei den Leuten ankommt. Aber jetzt würde ich sagen, momentan laufen wir noch unter Wert, aber wir haben uns schon besser präsentiert, als es damals mein Empfinden war. Auch weil meine Partei den Hintern erst nicht hochgekriegt hat: Am Anfang war das auch für uns Wahlkämpfer ziemlich zäh, man war ziemlich allein, aber mittlerweile ist die Unterstützung durch die Parteibasis größer.
kreuzer: Es gibt also keine Themen im Wahlprogramm der CDU, bei denen Sie sich vielleicht andere Antworten wünschen?
Wanderwitz: Ich habe das Wahlprogramm ja mit beschlossen. Wenn ich es allein geschrieben hätte, wäre es wahrscheinlich an einigen Stellen ein bisschen anders. Ich persönlich habe zum Beispiel in meiner Partei eine nicht mehrheitsfähige Position zum Thema Erbschaftsteuer. Da sollten wir ein bisschen mehr hinlangen, nicht beim kleinen Häuslebauer, auch nicht beim Familienunternehmer, aber da, wo wirklich große Vermögen vorhanden sind, die es nun mal mehr in den alten Ländern als in den neuen gibt, weil diese Vermögensbildung auch nach 30 Jahren noch nicht so stark ist. Da sollte der Staat ein bisschen korrigierender einwirken, um dieses Geld dann beispielsweise in Zukunftsthemen investieren zu können. Im Großen und Ganzen habe ich aber an unserem Wahlprogramm nicht nur nichts auszusetzen, sondern finde es ziemlich gut.
kreuzer: Sie bezeichnen die CDU als einzige verbliebene Volkspartei der Mitte. Was macht diese denn heute noch aus?
Wanderwitz: Ich sage mal so, eine Volkspartei braucht Volk. Die klassische Definition von Volkspartei ist: Es ist eine Mitglieder- und keine Honoratioren-Partei. Armin Laschet hat neulich gesagt: Unter Kurt Biedenkopf als Generalsekretär ist die Union erst richtig Volkspartei geworden, weil sie von einer Honoratioren- zur Mitgliederpartei wurde. Die haben wir immer noch, auch wenn es uns wie allen Vereinen, Gewerkschaften, Kirchen und den meisten Parteien zunehmend schwerer fällt, die Altersabgänge zu kompensieren. Die andere klassische Definition von Volkspartei ist, über 30 Prozentpunkte zu haben. Mitte definiere ich eben als Mitte links und rechts vom politischen Spektrum. Da gibt es so die klassischen Skalen, wo man sich einordnen kann. Da finde ich, dass wir als klassische Mitte-rechts-Partei die Definition erfüllen.
kreuzer: In Sachsen regiert die CDU bereits seit über drei Jahrzehnten, also noch viel länger als auf Bundesebene. Finden Sie nicht, dass es langsam Zeit für frischen Wind ist?
Wanderwitz: Am Anfang haben wir allein regiert, dann in verschiedenen Koalitionsregierungen, jetzt in der Kenia-Variante. Wir haben jetzt mittlerweile den vierten Ministerpräsidenten, es hat mehrmals Generationswechsel gegeben, Michael Kretschmer ist einer der jüngsten Ministerpräsidenten in Deutschland. Insofern glaube ich schon daran, dass eine Partei sich auch immer wieder aus sich selbst heraus erneuern kann. Ich kann den demokratietheoretischen Ansatz verstehen, der ist auch nicht grundsätzlich falsch. Aber am Ende des Tages sollten wir das den Wählerinnen und Wähler überlassen.
kreuzer: Das Ziel wäre schon, dass die CDU mal wieder eine Mehrheit schafft, die ohne weitere Parteien auskommt?
Wanderwitz: Ich wünsche mir immer ein möglichst gutes Ergebnis. Eine Koalition mit mehreren Partnern ist immer schwieriger und kompromissbeladener. Was mich in Sachsen derzeit am meisten bedrückt – und die Situation hat sich in Sachsen-Anhalt zum Beispiel jetzt aufgelöst –, ist, dass es denktheoretisch gar keine andere Koalition mehr gegeben hat als die jetzige, und das ist nicht gut für die Demokratie. Wenn es die einzige unzweifelhaft demokratische Koalition im Landtag ist, ist das keine gute Situation. Je weniger miteinander koalieren müssen, desto mehr können die Koalitionäre ihre Wahlprogramme umsetzen. Ich persönlich glaube, dass ein Teil der Politikverdrossenheit auch damit zu tun hat, dass der Koalitionsvertrag schon der erste Kompromiss ist. Da sagen ganz viele Anhänger aller beteiligten Parteien immer: nicht schön, frustrierend, dass nun fast die Hälfte von unserem Wahlprogramm hiermit für Makulatur erklärt wurde. Der Wunsch, sozusagen die reine Lehre zu machen, der ist natürlich schon immer ausgeprägt. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass es eben nicht geht.
kreuzer: Sie haben gerade gesagt, dass sich die Partei auch aus sich selbst heraus weiterentwickeln kann. Wie würden Sie denn beschreiben, wie sich die CDU in Sachsen verändert hat? Für welche zentralen Punkte steht sie?
Wanderwitz: Ich glaube, wir haben unser Gründungstafelsilber immer schön blank gehalten, und da unterscheidet sich die CDU Sachsen nicht von anderen Landesverbänden. Wir sind eine christdemokratische Partei, das heißt die Basis ist das christliche Menschenbild, die Gottesebenbildlichkeit jedes Einzelnen. Es gibt die drei Wurzeln, die konservative, liberale und die christlich-soziale. In Sachsen waren die Konservativen immer etwas stärker ausgeprägt als in anderen Landesverbänden. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich das wesentlich verändert hat, auch wenn uns Mitbewerber das geradezu jeden Tag vorwerfen. Ansonsten finde ich, haben wir einen gewissen Wandel in der Gesellschaft mitvollzogen, zum Beispiel eben auch im Bereich Kohleausstieg. Sachsen ist ein klassisches Braunkohleland, in der Lausitz, aber auch im mitteldeutschen Revier ist das auch eine besonders strukturprägende Industrie, die Menschen gute Arbeit gibt. Das Thema in diesem Zusammenhang ist eben nicht nur das Klima. Deswegen haben wir gesagt, der Kohlekompromiss war wichtig und richtig, aber jetzt müssen wir ihn eben auch so durchziehen, wie wir ihn gefunden haben. Wir brauchen begleitenden Strukturwandel in den Regionen. Wir wollen nicht schon wieder über einen noch früheren Ausstieg reden, sondern darüber, wie wir den Strukturwandel zum Fliegen kriegen, zum Beispiel, indem wir was dafür tun müssen, dass Infrastruktur ertüchtigt wird und es nicht wieder zehn Jahre lang Planungsverfahren gibt.
kreuzer: Wofür stehen Sie, vielleicht auch im Vergleich zu Ihren sächsischen Parteikolleginnen und -kollegen?
Wanderwitz: Ich bin einer von denen, der die liberale Wurzel besonders lebt. Ich bin außerdem einer, der eine sehr klare Abgrenzung zu den Rändern hin hat, besonders intensiv zu dem, den ich persönlich für die größere Bedrohung halte.
kreuzer: Sie meinen eine Bedrohung von rechts?
Wanderwitz: Ja, natürlich. Das sagt ja auch unser Ministerpräsident regelmäßig. Wobei wir ja gerade eben am Wochenende wieder gesehen haben, dass wir es auch am linksextremistischen Rand nicht mit Puppenstube zu tun haben.
kreuzer: Was meinen Sie genau?
Wanderwitz: Soweit ich mir die Bilder angeschaut habe, war das eine offenkundig gewaltaffine Demonstration. Ich finde es zum Beispiel nicht normal, nicht akzeptabel, dass man Flaschen, Steine und Pyrotechnik gegen Polizeigebäude und Polizistinnen und Polizisten wirft, dass Autos entglast werden und es hinterher aussieht wie nach dem Krieg. Das sind alles Sachen, die normale Menschen nicht machen. Auch nicht, Prokuristinnen von Baufirmen zu Hause aufzusuchen und die Nase zu brechen.
kreuzer: Das war allerdings nicht Teil der Demonstration …
Wanderwitz: Nein, aber das gabs in der Vergangenheit. Genauso, wie Baukräne angezündet wurden, oder die ganze Thematik um das Black Triangle. Das sind alles so Sachen, wo ich sage, auch das geht nicht. Gleichwohl ist eben die größere Bedrohung aktuell in Sachsen definitiv der Rechtsextremismus. Eine Volkspartei der Mitte tut gut daran, sich zu beiden abzugrenzen, beide politisch zu bekämpfen. Das ist mir ein wichtiges Anliegen, weil ich einfach die Demokratie gefährdet sehe, wenn wir insbesondere in ländlichen Regionen teilweise in Kreistagen AfD-Mehrheitsfraktionen haben.
kreuzer: Innerhalb der sächsischen CDU sind Sie dafür bekannt, dass Sie sich klar zur AfD abgrenzen. Das sieht bei anderen Parteikolleginnen und Parteikollegen ein bisschen anders aus. Wie gehen Sie mit diesem Ungleichgewicht innerhalb der Partei um?
Wanderwitz: Wir haben eine klare Grundlinie, nämlich den Unvereinbarkeitsbeschluss des Bundesverbands. Ich kenne niemanden in der CDU Sachsen, der eine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit der AfD will. Allerdings ist natürlich die Frage: Wie dialogisch gestaltet man das Ganze? Meine persönliche Schmerzgrenze ist einfach niedriger als die von manch anderem, zum Beispiel auch von Michael Kretschmer. Ich sage bereits früher, mit gewissen Leuten habe ich momentan nichts zu besprechen. Das bringt einem den Vorwurf ein, man gebe Leute auf. Ich fürchte, nur ehrlich gesagt, bei gewissen Leuten ist es eben schlicht so. Also die Gesichter, in die ich letzte Woche in Oelsnitz bei den Freien Sachsen geschaut habe: Da ist keine und keiner davon mittelfristig mit einem vertretbaren Aufwand für die Demokratie zurückzugewinnen. Ich treffe auch ganz oft auf Leute, die hier in diesem Land die Mehrheitsgesellschaft sind, die sagen, kümmert ihr euch eigentlich noch um uns oder guckt ihr nur noch wie ein Kaninchen auf die Schlange auf die AfD-Leute. Lasst uns doch gemeinsam mit klaren Mehrheiten, die wir haben, weiter am guten Gelingen dieses Landes bauen. Dieser größere Teil interessiert mich deutlich mehr, als mit AfD-Leuten Diskussionen zu führen.
kreuzer: Hans-Georg Maaßen fährt eine etwas andere Strategie im Umgang mit der AfD. Björn Höcke sagt, er sei der Stachel im Fleisch der CDU. Welche Strategie ist eigentlich erfolgreicher?
Wanderwitz: Das werden wir nach der Bundestagswahl sehen. Aber ich hoffe sehr, dass es in Südthüringen nicht zu einer Situation kommt, in der die AfD ein von der Zweitstimme deutlich abweichendes Erststimmverhalten hat und diese Erststimmen erkennbar bei uns angekommen sind. Wenn dort Neonazis wie Tommy Frenck zur Wahl von Hans-Georg Maaßen aufrufen, dann kann die Reaktion des Christdemokraten nur sein, laut und deutlich zu sagen, diese Stimme will ich unter keinen Umständen haben. Am Ende kann man das nicht verhindern, dass man sie kriegt. Aber ich bin mir ziemlich sicher, man kann im Vorfeld was dafür tun, dass man sich so aufstellt, dass es nicht passiert, dass es zum Wahlaufruf kommt oder dabei bleibt. Man kann nie verhindern, dass AfDler strategisch wählen, aber man sollte es unter keinen Umständen darauf anlegen. Dann lieber mit Anstand nicht gewinnen oder in die Opposition, als sich von AfD-Leuten wählen zu lassen.