Die von der Stadt Leipzig präsentierten Klimaziele seien zu unkonkret, bemängeln Klimagruppen. In der Stadtverwaltung verweist man auf fehlende belastbare Grundlagen für die Berechnung von Sektorenzielen.
Weitgehend unbemerkt ging die 4. Klimakonferenz der Stadt Leipzig am Montag, den 29. November, in einem Online-Format über die Bühne. Fridays for Future Leipzig schätzte die Zahl der Teilnehmenden in einem Tweet auf etwa 130. Neben der fehlenden öffentlichkeitswirksamen Ankündigung richtet sich die Kritik von Fridays for Future Vertreter Tom Richter auch gegen die Beschlüsse.
»Das wirkliche Feeling einer Klimakonferenz ist leider nicht aufgekommen. Klar ist das schwer unter Pandemiebedingungen. Aber in dieser Art ist es nicht möglich, ins Gespräch zu kommen«, erzählt Richter am Telefon. Dem Vorwurf, die Klimakonferenz sei nicht adäquat angekündigt worden, widerspricht die Stadt. »Die Veranstaltungseinladung wurde mit 14-tägigem Vorlauf an über 200 Akteure und Interessierte direkt versendet sowie im Amtsblatt und auf den Social-Media-Kanälen der Stadt Leipzig angekündigt«, schreibt Simone Ariane Pflaum, Leiterin des Referates Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz, auf Anfrage des kreuzer. Das breite Spektrum der Teilnehmenden belege die allgemeine Bekanntheit der Konferenz, fügt Pflaum hinzu. Zudem gebe man zu bedenken, dass eine Online-Veranstaltung mit interaktiven Elementen ab 150 Teilnehmenden schwierig zu moderieren sei.
Dennoch stellt die Möglichkeit der Interaktion nicht alle Anwesenden zufrieden. »Uns kam es so vor, als wäre das Ziel gewesen, Menschen anzusprechenm die sich ohnehin schon mit klimapolitischen Fragen beschäftigen. Dafür waren die Mitbestimmungsmöglichkeiten aber zu gering«, kritisiert Richter.
Die Stadt stellte die Anpassungen im Energie- und Klimaschutzprogramm (EKSP) vor, das die notwendigen Maßnahmen beinhalten soll, die Leipzig zur Erreichung des in Paris 2015 beschlossenen 1,5-Grad-Ziels ergreifen muss. Die Änderungen zum Programm von 2018 wurden im Rahmen von Vorträgen und Workshops präsentiert. Das Problem: An welchem Berechnungsmodell die Stadt ihre Einsparungen ausrichtet, bleibt unklar, was Richter ärgert: »Welches Modell angewandt wird, entscheidet darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Ziele eingehalten werden können.« Zudem fehlen die konkreten Maßnahmen zur CO2-Einsparung. »Daher ging die Konferenz leider am Thema vorbei«, bedauert Richter. »Kein Punkt des EKSP ist aktuell ausreichend formuliert, um Leipzig auf einen pariskonformen Pfad zu bringen.«
An welchem Modell die Stadt ihre Berechnungen ausrichtet, gibt sie auch auf Nachfrage nicht bekannt. Allerdings verweist sie auf darauf, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens auf kommunaler Ebene einhalten zu wollen. Daraus ergebe sich auch, dass Leipzig sich nicht an den Zielen der Bundesregierung orientieren könne. Diese seien auch nach Anpassung infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mit den Pariser Zielen vereinbar.
Der erweiterte Beirat des Forums nachhaltiges Leipzig übte ebenfalls Kritik an der Erarbeitung des neuen EKSP. In einer Petition fordern verschiedene umweltpolitische Akteure der Stadt, darunter Vertreter von Fridays for Future, Greenpeace und der Universität Leipzig, den erweiterten Beirat durch einen echten Klimabeirat zu ersetzen und somit Einflussmöglichkeiten zu erhöhen. Die Initiatoren schreiben in einer Presseerklärung, die Stadtverwaltung habe durch fehlende Maßnahmen bewiesen, dass sie mit der Aufgabe des Klimaschutzes allein überfordert sei: »Leipzig ist darauf angewiesen, dass auch die Zivilgesellschaft mit ihrer Expertise und ihren kreativen Ideen bei der Gemeinschaftsaufgabe Klimaschutz vollständig eingebunden wird.« Ob die Stadt diese Petition unterstützt, ließ sie noch offen. Man verweist auf den noch laufenden internen Abstimmungsprozess.
Seit Ende vergangenen Jahres fehlte der Stadt ein festgeschriebenes Klimaschutzprogramm für die kommenden Jahrzehnte. Das neue EKSP wird voraussichtlich erst Mitte 2022 verabschiedet werden. Im Mittelpunkt des Programms steht die Ausrichtung an einem CO2-Gesamtbudget, das der Stadt zur Einhaltung ihrer Ziele noch zur Verfügung steht. 2014 wurde beschlossen, die Treibhausgasemissionen alle fünf Jahre um zehn Prozent zu reduzieren, was bis dato nicht gelang. Nun wurde das Ziel bekanntgegeben, dass jeder Leipziger Bürger bis 2030 jährlich nur noch 1,69 Tonnen emittiert.
Genaue Zahlen, in welchen Sektoren wie viel CO2 künftig eingespart werden soll, fehlen und müssen bis zur Verabschiedung des EKSP formuliert werden. Sonst steht die Stadt erneut vor dem Problem: Das Ziel ist bekannt, fehlende konkrete Maßnahmen erschweren allerdings die Überprüfbarkeit der Forderungen. Laut Pflaum ist eine Festlegung konkreter Sektorziele allerdings nicht möglich: »Das aus dem Pariser Klimaschutzabkommen abgeleitete Restbudget lässt sich nicht stringent auf kommunale Sektoren aufteilen, da für diese Betrachtung keine belastbare Grundlage hinsichtlich der Realisierbarkeit unter Beachtung sozialer, ökologischer und technologischer Aspekte vorliegt.«
Laut Richter sollte die Stadt nicht länger kleinteilig denken, sondern weitreichende Umbrüche anschieben. »Damit die Stadt Leipzig das ihr zustehende CO2-Budget einhalten kann, muss eine Wende in Wärme-, Energie- und Verkehrspolitik eintreten«, fordert Richter. Maßnahmen müssten groß gedacht werden und sich nicht bloß an der Verantwortung individuellen Handelns ausrichten, bemerkt Richter und ergänzt: »Es ist zwar richtig zu betonen, dass alle Bürger*innen mitgenommen werden sollen. Aber zu oft nimmt sich die Stadt dadurch selbst aus der Verantwortung und versteckt sich vor ihren Aufgaben.«
Greifbare, systematische Maßnahmen liegen laut Fridays for Future auf der Hand: Im Zuge der Ausrufung des Klimanotstandes 2019 beschloss die Stadt, bis spätestens 2025 keine Fernwärme mehr aus dem Kraftwerk Lippendorf zu beziehen. Nach Richter sei dies die Chance, Energie- und Wärmeversorgung künftig konsequent dezentral zu organisieren und dabei massiv auf erneuerbare Energie zu setzen. Wärmepumpen könnten künftig Gasheizungen ersetzen, Fotovoltaikanlagen auf Leipzigs Dächern der Solarenergie den notwendigen Schub geben. Im Verkehrsbereich müssten Radwege und das Netz des Öffentlichen Nachverkehrs massiv ausgebaut werden. »Damit die Attraktivität des ÖPNV steigt, muss dieser zukünftig solidarisch finanziert werden«, sagt Richter. »Außerde msollte die Nutzung der Straße überdacht werden. Die zur Verfügung stehende Fläche bietet das Potenzial eines gemeinsamen Lebensraums.« Die Einführung eines allgemeinen Tempo 30 in der Stadt biete zudem die Chance, Emissionen schnell einzusparen.
Zukünftig will die Stadt auch weiterhin am Format der Klimakonferenz festhalten. Diese sei neben diversen anderen Beteiligungsformaten maßgeblich für die Fortschreibung des EKSP, äußert sich Pflaum. Die Beiträge und Wortmeldungen aus der zurückliegenden Klimakonferenz würden nun im Nachgang gesichtet und hinsichtlich von Potential und Umsetzbarkeit bewertet.
LEON HEYDE