anzeige
anzeige
Kultur

»Ich träume von einem dauerhaften Austausch zwischen Ideen, Sprachen und Menschen«

Die Kiewer Autorin und Dramatikerin Julia Gonchar über ihre Arbeit im Dresdner Exil

  »Ich träume von einem dauerhaften Austausch zwischen Ideen, Sprachen und Menschen« | Die Kiewer Autorin und Dramatikerin Julia Gonchar über ihre Arbeit im Dresdner Exil

Seit Ende März ist die Kiewerin in Dresden, in einer Stipendiatinnenwohnung der Sächsischen Kulturstiftung. Wir treffen uns einige Tage später als gedacht in einer abgelaufenen Zoomsitzung – Julia Gonchars Auge hatte sich entzündet und ist noch längst nicht verheilt, auf unser Gespräch wollte sie aber nicht verzichten. Denn Arbeit gibt ihr gerade viel Kraft.

kreuzer: Julia, wie geht es Ihnen heute?

Julia Gonchar: Ich checke täglich Nachrichten aus der Ukraine, und das, was gerade in Mariupol passiert beunruhigt mich sehr, ich fühle mich sehr hilflos. Aber durch die Arbeit habe ich eine Funktion, die mir jetzt Halt gibt im Leben.
 

Seit Ende März sind Sie nun in Dresden, wie sieht Ihr Alltag aus?

Ich genieße es gerade sehr, dass ich eine Wohnung für mich allein habe, wo ich Yoga machen und meditieren kann. Ich habe hier auch einen Fernseher, den mag ich sehr – guilty pleasure zum Ablenken. Es ist alles sehr schön und jetzt wohnen auch einige Künstlerkolleginnen gleich in der Nähe.
 

Sie sind Teil eines Autorinnenkollektivs, dass sich in vor einigen Jahren in Kiew gegründet hat und eben dabei war, ein neues Theater das »театр драматургів« –  Theater der Dramatikerinnen – zu eröffnen, das sich jetzt im Exil befindet.

Wir sind derzeit tatsächlich überall zerstreut, nicht nur im Exil, sondern auch in der Ukraine, manche sind in Kiew, manche aber auch in Cherson, das derzeit von der russischen Armee besetzt ist.

Wir sind damals als Gruppe digital entstanden, da hatten wir noch kein Gebäude, haben uns von Anfang an unterstützt, ausgetauscht, besprochen. Und das machen wir weiter, wir sprechen jeden Tag miteinander und versuchen uns zu unterstützen. Wir haben zwei Produzenten, der eine ist in Lettland, der andere in den USA und die helfen uns dabei, Projekte zu realisieren – wie zum Beispiel »Das Gefühl des Krieges«, das gerade in Zusammenarbeit mit Theatern in Deutschland und Österreich läuft.
 

Dieses Netzwerk organisiert szenische Lesung mit Texten Ihres Ensembles, viele haben Sie selbst ins Deutsche übertragen, zum Beispiel Ihren eigenen Text, der dem ganzen Projekt den Namen gab.

Ich habe anfangs einiges übersetzt, aber natürlich arbeiten auch viele Häuser mit professionellen Theaterübersetzerinnen zusammen. Meinen Text habe ich damals für das Theater Basel übersetzt, wo es sehr schnell gehen musste.
 

Was passiert mit Ihrem Text, wenn Sie ihn ins Deutsche übertragen, wenn Sie Ihre Gedanken auf Deutsch aufschreiben?

Ich würde sagen, es ist dann schon ein anderer Text. Es gibt andere Instrumente, die man verwendet. Die ukrainische Sprache ist viel chaotischer, auf Deutsch muss ich immer schon das Ende des Satzes im Kopf haben. Ukrainisch ist wie Wasser, das fließt, wohin es will. Aber Deutsch ist ein Fluss, der genau weiß, wohin er fließt – eine ganz andere Struktur, aber es ist auch sehr interessant, mit ihr zu arbeiten.
 

»Der Krieg verändert das Vokabular«, schrieb Serhij Zhadan nach dem Ausbruch des Krieges in der Ostukraine 2014. Wie nehmen Sie die Sprache jetzt wahr – was macht der Krieg mit den Worten?

Was ich vor allem gemerkt habe, ist die Zunahme von Schimpfwörtern, man flucht jetzt viel mehr. Das erlebe ich auch in der Kommunikation mit meinen Kolleginnen – es ist so eine Art Katharsis für diese Spannung, die wir in uns tragen. Das Wort kann diese Spannung und Ungewissheit lösen, das Fluchen bringt die Menschen einander näher.
 

In der Zusammenarbeit mit der Schaubühne Lindenfels organisieren Sie monatliche Lesungen mit aktuellen Texten aus der Ukraine.

Unser Format ist sehr flexibel, genreübergreifend – wir laden auch Musikerinnen oder Videokünstlerinnen ein – da ist die Struktur der Schaubühne ideal. Wir müssen spontan sein, schauen, welche Künstlerinnen kommen können. Und das funktioniert wunderbar – das Theater wird eben zum Instrument, wie wir auf Dinge direkt reagieren können. Ich wünsche mir natürlich, dass viele Menschen kommen, bei der Premiere waren nicht sehr viele da, aber mit allen bin ich seitdem in einem sehr produktiven Austausch. Und diese Netzwerke sind super wichtig. Was ich bei all den Lesungen merke, ist, dass sie eher kurzfristig sind. Ich wünsche mir etwas mit mehr Nachhaltigkeit. Auf Dauer etwas aufbauen, damit es einen Austausch zwischen Ideen, Kulturen, Sprachen und Menschen gibt. Auch deswegen ist die Zusammenarbeit mit der Schaubühne so wichtig, da wir weitere Koproduktionen planen.
 

Was gibt Ihnen Kraft, in dieser Situation weiterzuarbeiten?

Es sind vor allem die Menschen um mich herum. Es hilft mir sehr, im Austausch mit anderen zu sein. Aber manchmal brauche ich auch meine Ruhe. Es ist unglaublich toll, dass ich hier diese Wohnung habe, wo ich mir Zeit für mich nehme, meditiere, Ressourcen aufbaue, um wieder etwas weitergeben zu können. Ich dolmetsche jetzt für eine therapeutische Gruppe und das gibt mir viel Kraft, weil ich nützlich bin. Oder, wenn ich irgendetwas entdecke, was mich an Kiew erinnert – die gleichen Bäume zum Beispiel, oder den Flieder vor meinem Balkon.

Aber emotional bin ich schon sehr erschöpft. Meinen Freund habe ich seit März nicht mehr gesehen. Wir waren am Anfang des Krieges zusammen in Ägypten und er hat sich entschieden, zurückzugehen. Wir waren noch nie so lange auseinander, ich vermisse ihn sehr, er ist meine Familie, mein Nest. Aber ich versuche, diese Zeit hier auch für mich zu nutzen, um mich zu beweisen, um allein stark zu sein.
 

Finden Sie auch Zeit zum Schreiben?

Ich schreibe jeden Tag Tagebuch und es hilft mir. Ich schreibe meine Träume auf und will unbedingt ein Buch schreiben über diese Zeit.

Und ich bin in einer Gruppe von drei Autorinnen, in der wir zusammen an einer Serie über den Krieg schreiben. Es ist sehr spannend, aber auch eine Auftragsarbeit und da ist es manchmal schwierig, einen Kompromiss zu finden. Ich merke daran auch, wie der Krieg im Westen ganz anders wahrgenommen wird, dass es da ein Bild gibt, das sie sehen wollen. Eine Art Klankonflikt innerhalb einer Familie, deswegen würden sie am liebsten eine moderne Romeo-und-Julia-Geschichte haben. Als würde das reichen, um uns wieder zusammenzubringen. Aber wir versuchen trotzdem, unsere Message durchzukriegen.

 

Informationen zu Veranstaltung in der Schaubühne Lindenfels finden Sie hier

Titelbild: Alexandra Meißner.


Kommentieren


0 Kommentar(e)