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Stadtleben

Endlich zeitgemäß gedenken

Kommentar: Leipzig braucht kein weiteres Einheitsdenkmal

  Endlich zeitgemäß gedenken | Kommentar: Leipzig braucht kein weiteres Einheitsdenkmal

Auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz soll das Freiheits- und Einheitsdenkmal errichtet werden, das an die Friedliche Revolution erinnert. Das hat der Stadtrat vergangenen Donnerstag beschlossen. Es ist bereits der zweite Anlauf für ein solches Denkmal. kreuzer-Autorin Britt Schlehahn findet die Idee absurd und plädiert dafür, das Geld zu nutzen, angemessene Räume für die Kunstwerke der damaligen Zeit zu schaffen.

Am 3. Oktober soll aller Voraussicht nach das Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal eingeweiht werden. 2011 setzte sich im Wettbewerb eine überdimensionale goldene Wippe durch, auf den das Auf und Ab leiblich zu spüren ist. Im Schatten des Humboldtforums gelegen, schweifen die Gedanken vielleicht zum Verhältnis von Wende und Kolonialismus.

Leipzig plante damals ebenfalls ein Denkmal. Die Siegerentwürfe von Platz eins bis drei – Statistikhocker, Tortendiagramm und Apfelwiese – konnten selbst nach Überarbeitung und aufwendiger Bürgerkommunikation nicht überzeugen. Fast 420.000 Euro kostete der Spaß damals. Es schien daher sehr weise von der Stadtspitze, den Gedanken an ein Einheitsdenkmal einfach ruhen zu lassen. Einzig die Haltestelle »Platz der Friedlichen Revolution« kündete noch von der geplanten Eröffnung am 9. Oktober 2014. So hätte das Kapitel ein souveränes Ende finden können. Wer unbedingt Kränze ablegen will, für den stehen einige zentral gelegene Orte zur Verfügung.

Zur Wiederbelebung des Denkmalprojektes gab der Freistaat 50.000 Euro. Angeblich wollen achtzig Prozent der Leipzigerinnen solch ein Denkmal. Unter Federführung der Stiftung Friedliche Revolution tagten Anfang des Jahres drei Expertinnen. Eine Zeichnung auf der Website fasst das Treffen so zusammen: Ein Kleinkind sitzt am Boden mit dem Spruch »Vor zehn Jahren waren wir noch nicht so weit«. An seiner Seite sitzt ein älterer Mensch, dem »Heute Position der Stärke« in den Mund gelegt wird. Allein diese Darstellung lässt schlimme Befürchtungen aufkommen. Angefangen bei der Frage: »Wer ist wir?« Und was bedeutet Stärke?

Wenn der Stadtrat mitspielt, werden im Sommer 12 Einladungen an Denkmalserrichtungsexpertinnen verschickt und 24 weitere dürfen sich so an einem internationalen Wettbewerb beteiligen. Aber jetzt mal ehrlich: 33 Jahre nach den Demonstrationen kann die Stadt nicht mehr ohne Denkmal?

Gibt es nicht viel dringendere Probleme, wenn es um die Jahre 1989 ff. geht? Was passiert mit den Kunstwerken der unterschiedlichen Gattungen, die in der Zeit entstanden, wenn Ankaufsbudgets von Institutionen fast nicht mehr existieren? Was passiert mit den bereits in den städtischen Häusern gelagerten Arbeiten? Wie werden sie aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt? Sie erzählen viele Geschichten aus der Zeit, von den Menschen und der Stadt. Sie zu sichern und Räume zu finden, damit sie dem öffentlichen Bewusstsein nicht verloren gehen – das wäre eine zeitgemäße Erinnerungskultur. Alles andere ist formalistischer Schnickschnack.

Dieser Kommentar erschien in der April-Ausgabe 2022 des kreuzer.


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1 Kommentar(e)

Chris J 18.06.2022 | um 05:53 Uhr

Ich stimme Ihrer Meinung zu. Das Denkmal wird den Leipziger:innen jetzt zum zweiten Mal (mit hohen Kosten verbunden) aufgedrängt. Es gibt weit wichtigere Projekte, und das von Ihnen vorgeschlagene finde ich sehr passend!