Der Chef des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz, Dirk-Martin Christian, hat in einem Interview rechte Demonstrationen gegen die Energiekrise verharmlost. Das ist traditionsbewusst – ein Kommentar.
»Es ist mir zu einfach, die Proteste nur zu kritisieren und für verfassungsfeindlich zu erklären, wenn die Zivilgesellschaft gleichzeitig in einer gewissen Passivität verharrt.« Diese Sätze des sächsischen Verfassungsschutzchefs sind schlecht gealtert. Nur wenige Stunden nachdem das Interview mit Dirk-Martin Christian in der LVZ erschien), griffen Teilnehmer einer rechten Demonstration in Leipzig Gegendemonstranten an. Sie verletzten sieben junge Menschen zum Teil schwer, vier mussten im Krankenhaus behandelt werden. Dass das nicht schon bei früheren Demonstrationen passierte, muss man Zufall nennen. Mal wieder sah sich die Polizei nicht in der Lage, gegen gewaltbereite Neonazis vorzugehen. Man muss politischen Willen unterstellen, denn die Verharmlosung von rechten Bewegungen und Einstellungen hat in Sachsen einige Tradition.
Man muss dazu gar nicht den Biedenkopf-Klassiker bemühen, die Sachsen seien gegen die extreme Rechte immun. Spätestens seit Aufkommen von Pegida Ende 2014 ist diese Verharmlosung als »bürgerlich« beziehungsweise »besorgte Bürger« das übliche Verfahren. In Leipzig ging der Legida-Ableger aus Teilen jener Montagsmahnwachen des Frühjahrs 2014 hervor. Bereits die war vom Querfrontcharakter geprägt. Hier erschallten die ersten »Lügenpresse«-Rufe, wurden Stimmen verkürzter Kapitalismuskritik laut, waren Reichsbürgerverschnitte, Verschwörungsmythen und trotziges »Menno«-Aufstampfen zu vernehmen. (https://kreuzer-leipzig.de/2014/04/22/ein-bisschen-frieden) Die Gemengelage aus Ideologemen, Ressentiments, Wut und Bauchgefühl wurde seit den Gidas geschürt, mit Querdenken und Corona-Leugnern kam noch einmal neue Schubkraft. Nun eben noch die »Freien Sachsen«, die auch aus alten Bekannten wie Ex-NPD und Co. Besteht. Längst müsste allen klar sein, wie der Hase läuft. Man konnte sehen, dass auch Papis in Camp-David-Kledage gewalttätig sein können. Dass Eltern ihre Kinder als Schutzschilde einsetzen, Rentner rassistische Vergewaltigungsfantasien äußern und Frauen mit lilafarbener Dauerwelle Regenschirme gegen Kameraobjektive schwingen können.
Und dennoch relativiert VS-Chef Dirk-Martin Christian: »Wenn Menschen mit den Freien Sachsen laufen, sollte man sie dafür nicht gleich verurteilen.« Das hätte man vielleicht noch 2015 durchgehen lassen, wo man sehen konnte, wie sehr sich Teile von Politik und Medien in ihrem eigenen Bild von »Bürgerlichkeit« und »Mitte der Gesellschaft« verrannt hatten. Da waren nicht nur Stiefel-Nazis und Stiernacken auf den Straßen, sondern »normale Menschen«, also können die nicht rechts sein. Journalisten hielten verwundert ihre Mikros hin. Besonders CDU-Politiker meinten, hier ihr Wählervolk zu erkennen und streichelten deren Gemüter. Sie zeigten viel Verständnis und ermutigten damit nolens volens die Proteste. Man denke an Auftritte wie jenen von Ministerpräsident Michael Kretschmer, der in Dresden mundschutzlos auf Querdenker zuging.
Will man also unbedingt am Bild einer ominösen gesellschaftlichen Mitte festhalten, muss man einsehen, dass Teile davon Einstellungen teilen, die klassisch als »rechts« gelten. So sind 40 Prozent der Sachsen der Meinung, der Freistaat sei in »gefährlichem Maße überfremdet«, zehn Prozent fühlen sich anderen Ethnien und Nationen überlegen (Quelle: Sachsenmonitor 2022). Solche Einstellungen artikulieren sich regelmäßig auf den einschlägigen Demonstrationen, die jetzt angesichts von russischem Angriffskrieg und Energiekrise auf Montagsdemonstration von rechts machen. Und doch werden sie von einigen politischen Akteuren verharmlost.
Für den 3. Oktober ist eine weitere dieser Demonstrationen für die Leipziger Innenstadt angekündigt. Die Zivilgesellschaft ist auf sich gestellt, wenn sie sich gegen die extrem Rechte engagiert und ihr nicht die Straße und Köpfe überlassen will. Auch das ist keine Neuigkeit.
Foto: SMI / I. Starruß