Die Sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG) und ihr Service- und Koordinierungsbüro in Leipzig erhalten ab 2023 keine Förderung als landesweites Fachnetzwerk.
Werner Seelenbinder – der kommunistische Ringer, ermordet am 24. Oktober 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden, Namensgeber des 1956 eingeweihten Glockenturms an der Festwiese – schaute am vergangenen Samstag bei der Choreo vor dem Bundesligaspiel von RB gegen Bayer Leverkusen überdimensional auf das Spielfeld. Ein Schriftzug erinnert zudem an seine Herkunft: »Arbeiter - Ringer - Antifaschist«. Die Organisatoren von den Rasenballisten und der Fraktion Red Pride baten in dem Zusammenhang um eine Spende für die Sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG) und das nicht ohne Grund.
Mitte September teilte das sächsische Sozialministerium ohne Nennung von inhaltlichen Gründen mit, dass die sLAG keine weitere Förderung im Bereich landesweite Fachnetzwerke der Initiative Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz (WOS) ab Januar 2023 erhält. Anzeichen, dass die Förderung für die nächsten drei Jahre nicht mehr sicher sei, haben die Beratungsgespräche im Zusammenhang mit den neuen Fördersäulen vor der Antragsstellung nicht angedeutet, sagen Mitarbeiter der sLAG. Die vom Fachbeirat des Landesprogrammes verweigerte Förderung bedeutet ganz konkret, dass ab dem 1. Januar 2023 keine finanzielle Grundlage zur Fortführung der Service- und Beratungsstelle vorhanden ist. Eine Spendenaktion soll dies abfedern, andere Förderanträge laufen.
Die sLAG entstand 2018. Sie setzt sich aus 90 ganz unterschiedlichen geschichtspolitischen Akteuren aus dem Freistaat zusammen, von Vereinen über Verbände zu Initiativen und Geschichtswerkstätten oder Einzelpersonen, die Veranstaltungen wie Stadtrundgänge, Workshops zu Biografien, Audio Walks oder Erinnerungswerkstätten organisieren. Die sLAG leistet in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Wirkweisen sowie Akteuren einen wichtigen Beitrag in der Erinnerungskultur und stärkt so die Demokratie.
Seit dem 1. Mai 2020 gibt es die Service- und Beratungsstelle im Umfang von zwei halben Stellen in der Torgauer Straße. Von hier aus kümmern sich Jane Wegewitz und Jonas Kühne um Beratung, Vernetzung, Organisation von Veranstaltungen, Weiterbildungen – etwa zum Umgang mit Nazis in Gedenkstätten – und stellen Öffentlichkeit her. Finanziert wird das Unternehmen im Rahmen der Förderung landesweiter Fachnetzwerke der Initiative Weltoffenes Sachsen. Zuletzt fand Ende September der Erinnerungspolitische Fachtag zu »Diverse Geschichte(n)? Erinnerungskulturen Ost und Migrationsgesellschaft« statt.
Im Mai organisierte die sLAG in Chemnitz ein Symposium zum Umgang mit Tat- und Täterorten. Im Mittelpunkt stand der Internationale Wettbewerb um die Kommandantenvilla im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenburg. Das KZ entstand im Mai 1933 und gehört zu den wenigen heute noch fast vollständig erhaltenen, frühen Lagern. Bis zur Auflösung 1937 waren 10.000 Menschen inhaftiert, etwa der Leipziger Kommunist Bruno Apitz oder die Leipziger Pfarrer der Bekennenden Kirche. Aktuell wird die Kommandantenvilla abgerissen (mehr dazu im kreuzer 12/2022). Die Stadt Frankenberg hatte das Gebäude 2015 von einem Investor übernommen und damals bereits den Abriss beschlossen. Daher wurden auch keine Sicherungsmaßnahmen getroffen, wie die Abdichtung des Daches. Nach Protesten fand 2020 ein Wettbewerb (siehe kreuzer 9/2020) statt. Die Jury prämierte im Juni 2021 fünf Siegerentwürfe. An dieser demokratischen Entscheidung vorbei wählte die Stadt Frankenberg für den Antrag zur Gedenkstättenförderung bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien einen ganz anderen Beitrag aus. Das Symposium gab den Prämierten die Möglichkeit, ihre Herangehensweise und Entwürfe einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Im Ergebnis formulierten sie zudem einen zweiten Widerspruch zum Wettbewerb in Richtung Landesregierung.
Raum für Debatten und Erfahrungsaustausch zu geben, stellt dabei eine große Stärke des Netzwerkes dar. Dass dies organisiert werden muss, um die vielen Initiativen, die oftmals ehrenamtlich agieren, in Verbindung zu bringen, zeigt nicht nur das Beispiel Sachsenburg. Aber hier wird auch die besondere Aktualität deutlich. Der Abriss des Täterortes bis zur Kellerdecke gegen die zahlreichen Proteste aus der Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft verweisen auf eine große Amnesie und Desensibilisierung im Umgang mit dem Nationalsozialismus, die immer noch im Freistaat anzutreffen ist.
Laut Definition von WOS sind landesweite Fachnetzwerke »Projekte, welche die Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Initiativen zum Ziel haben oder der Bündelung sowie dem Transfer fachlicher Expertise und wirkungsfeldbezogener Informationen« dienen. Oder mit den Worten von Sachsens Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Petra Köpping: »Mit dem Landesprogramm ›Weltoffenes Sachsen‹ leisten wir einen Beitrag zur Sicherung von Strukturen und Expertise im Bereich der demokratischen Bildungsarbeit in Sachsen. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, Engagement nachhaltig zu fördern.«