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Der Star ist die Mannschaft

Interdisziplinäre Teamarbeit bestimmt die Forschung am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie – Besuch bei zwei »Vize-Nobelpreisträgern«

  Der Star ist die Mannschaft | Interdisziplinäre Teamarbeit bestimmt die Forschung am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie – Besuch bei zwei »Vize-Nobelpreisträgern«

Schlicht mutet der Kubus aus schwarzer und grauer Plastikverschalung an, er wirkt so aufregend wie eine Kopiermaschine mit großem Monitor. »HISeq 4000« steht auf dem Gerät. Der dezenten Optik zum Trotz ist der Apparat ein wesentlicher Baustein für die Neandertaler-Forschung. Denn mit dem Sequenzierautomat lässt sich DNA auslesen. »Das ist das Kernstück, ein Mikroarray«, sagt Evolutionsgenetiker Matthias Meyer. Der enge Mitarbeiter von Svante Pääbo hält ein rechteckiges Glasplättchen mit hauchdünnen schwarzen Linien zwischen den Fingern. »Hier wird das Probematerial aufgetragen, dann fährt der Laser darüber.« Man kann sich das wie einen Objektträger unterm Mikroskop vorstellen, allerdings ermöglicht der Biochip die parallele Analyse vieler Einzelnachweise – bis zu sieben Milliarden DNA-Segmente pro Tag.

Der unauffällige Automat steht in einem ebenso unauffälligen dämmrigen Labor im Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie am Deutschen Platz. Unspektakulär sei auch der Forschungsalltag, so Matthias Meyer beim Gespräch in einem lichteren Konferenzraum. »Der Alltag besteht zu achtzig Prozent aus Dingen, die die meisten Leute langweilig finden.« Der Genetiker leitet in Svante Pääbos Abteilung für Evolutionäre Genetik die Forschungsgruppe für Hochentwickelte DNA-Sequenzier-Technologie. Die technologische Entwicklung der letzten Jahre hat die Paläogenetik erst möglich gemacht, erklärt er. Und damit den Wissenssprung in Sachen Frühmensch und Neandertaler. Seine Kollegin Janet Kelso ergänzt: »Als wir mit der Forschung anfingen, war die Technologie noch gar nicht so weit. Wir planten das Projekt mit der Annahme, dass sie sich schnell verbessert und wir weniger Knochenmaterial benötigen, exaktere Methoden finden.« Es war also eine Spekulation auf den Fortschritt, als sie sich gemeinsam an die später nobelpreisverdächtige Arbeit machten.

Das war im Jahr 2005. Svante Pääbos Idee, mit molekularbiologischen Mitteln die archäologische Forschung zu erweitern, bekam eine neue Wendung. Der schwedische Biologe hatte 1984 zum ersten Mal damit Erfolg gehabt, als er die DNA einer Mumie isolierte.
Damals operierte er noch mit dem Mikroskop. Mit neueren Methoden kamen er und sein Team 1997 dem Erbgut des Neandertalers auf die Spur. Nun ging es am Leipziger Max-Planck-Institut um Vergleiche mit dem menschlichen Genom, Verbindungen zum modernen Menschen (s. S. 30) und die mögliche Existenz einer bis dato unbekannten Homo-Population. »Die meisten im Team haben damals nicht daran geglaubt, dass wir etwas finden«, sagt Janet Kelso, die die Arbeitsgruppe für Computergestützte Genomik der Urgeschichte leitet. Aber Zweifel kann auch Ansporn sein. Außerdem schritt die technische Entwicklung rasant voran, konnten sie in nie gekannter Geschwindigkeit DNA entschlüsseln – und identifizierten 2010 den sogenannten Denisova-Menschen (s. Kasten).

Die dem Institut eigene Gruppenarbeit nennt Kelso einen Schlüssel zu dessen Erfolg. Derzeit forschen circa vierzig Menschen in vier Gruppen hier. »Wir alle profitieren vom engen Austausch, haben die Möglichkeit zu sagen: Das ist ein interessantes Problem.« Als Direktor am Institut strukturiert Pääbo die Arbeitsgruppen und koordiniert ihre Zusammenarbeit. Diese modulare Arbeitsweise erlaubt ein flexibles Forschen, etwa mit Pandemieausbruch das Ausweiten des Fokus auf das Corona-Virus. Denn auch hier mischen Neandertaler-Gene mit, wie man am Institut herausfand. Einige Menschen tragen auf einem Chromosom eine Neandertaler-Variante, die das Risiko einer schweren Covid-Erkrankung verdoppelt.

Meyers Gruppe aus Molekularbiologen entwickelt die Methoden, die DNA überhaupt zu gewinnen. »Wir beschäftigen uns damit, aus archäologischen Materialien DNA zu isolieren. Das können Knochen sein oder Zähne, in jüngerer Zeit auch Sedimente. Und es geht darum, effiziente Verfahren zu finden, wie wir möglichst viele DNA-Fragmente analysieren und Daten generieren können, die uns etwas über die menschliche Vorgeschichte erklären.« Die Basis seiner Arbeit ist die Molekularbiologie. »Ich nenne das Lego-Spielen im Labor. Wir fügen verschiedene Methoden zusammen, um neue Werkzeuge zu entwickeln, damit wir die Analyse von stark degradierter DNA verbessern. Das ist harte Molekularbiologie, da wird diskutiert, warum ein bestimmtes Enzym in einer Reaktion ein Nebenprodukt entwickelt hat und wie man das entfernen kann.« Das macht ihm am meisten Spaß. Der kleinere Teil seiner Arbeit besteht aus der Anwendung dieser Methoden.

Die Bioinfomatikerin Janet Kelso leitet die Gruppe, die sich um die Auswertung der herausgelösten Erbgutdaten kümmert. »Wir schauen, was wir damit anstellen können. Das Worst-Case-Szenario wäre, dass wir nichts mit dem Material anfangen können, das Matthias extrahiert hat.« Ihre Gruppe identifiziert Methoden, mit denen man aus extrem kurzen DNA-Fragmenten ein Genom zusammensetzen kann, also das gesamte Erbgut eines Lebewesens. Das ist kompliziert, weil die Länge der DNA-Ketten im Laufe der Zeit abnimmt. Während ein Chromosom in einer Zelle zu Lebzeiten aus mehreren Millionen Basenpaaren besteht, sind Fragmente einer guten Probe 50 bis 60 Basenpaare lang, schlechte nur 15 bis 20. Bildlich könnte man sagen, dass Meyers Gruppe die Puzzleteile sucht, die Kelsos Team dann zum Puzzle fügt. Auch ihre Arbeit besteht aus vielen kleinen Schritten, aus Programmieren und Datenanalysen. »Wir sitzen ganze Nachmittage zusammen und diskutieren merkwürdige Signale.«

Am Anfang von Erkenntnissen steht oft der Eindruck, dass etwas nicht stimmt, so Kelso. »›Etwas ist seltsam‹, damit beginnt es oft. Und dann schauen wir, ob wir technische Fehler gemacht haben. Erst wenn wir alle Fehler ausgeschlossen haben, können wir sagen, dass unser Ergebnis der Wahrheit entspricht.« »Du traust nie dem ersten Ergebnis«, ergänzt der Kollege. »Eigentlich suchen wir immer nach der Superprobe, also einer möglichst wenig von Mikroorganismen verunreinigten Probe«, sagt Meyer. Dazu erhalten sie Material von Archäologinnen und Archäologen und betreiben mitunter Feldforschung. Mal kommen die Archäologen und bitten um Hilfe. Sie beobachten aber ebenfalls, was aktuell ausgegraben wird. Fruchtbaren Austausch bieten Kongresse, auf denen häufig neue Forschungsprojekte angestoßen werden. »Das macht diese Arbeit so spannend, weil man ständig zwischen den Disziplinen arbeitet. Wir bringen unser Wissen zusammen und versuchen die Sprache des anderen zu verstehen«, so Meyer.

Durch den Nobelpreis habe das ganze Forschungsfeld Anerkennung erfahren, sagen beide. Damit ist für sie die Botschaft verbunden, dass diese Arbeit wichtig ist. »Ich war kürzlich in Spanien im Feld«, sagt Matthias Meyer, »und die Archäologen dort sahen den Preis als Anerkennung für die Forschung im gesamten Bereich der menschlichen Vergangenheit.« Überrascht seien sie gewesen, als sie erfuhren, dass der Nobelpreis nach Leipzig geht. Und »aufgeregt«, so Janet Kelso. Sie erfuhren davon aus den Medien, in Chatgruppen verbreitete sich die Nachricht schnell – es war ja Feiertag und niemand auf Arbeit. »Wir sind dann zum Feiern im Institut zusammengekommen«, sagt Meyer, »ich habe dafür meinen Weinkeller geleert. Erstaunt war ich persönlich, wie viel Wahrnehmung mit dem Preis verbunden ist. An einem runden Geburtstag hätte ich weniger Anrufe und Nachrichten bekommen. Dabei habe ich den Preis gar nicht gewonnen. Er hat Gemeinschaft gestiftet, Menschen verbunden. Ich habe jetzt wieder zu alten Schulfreunden Kontakt. Und das geht vielen so.« Auch mit Menschen, die früher im Leipziger Max-Planck-Institut gearbeitet haben, gibt es wieder Verbindung. »Den Teamaspekt unserer Arbeit hat Svante immer betont«, so Meyer. »Ich habe aus Spaß gesagt: ›Ich bin Vize-Nobelpreisträger.‹ So fühlt sich das für einige von uns an.«


Titelfoto: Christiane Gundlach.


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