Die Krankheitswelle in den letzten Wochen des Jahres traf auch die städtische Kinderbetreuung hart – Leipziger Eltern fordern Verbesserungen von der Stadt
Was passiert, wenn eine Grippewelle auf ein chronisch unterbesetztes Kitasystem prallt, konnte Ende vergangenen Jahres in Leipzig beobachtet werden: »Wir hatten in Hochzeiten eine Ausfallquote von bis zu 40 Prozent bei Erziehern in kommunalen Kitas«, sagt Felix Sauerbrey, Abteilungsleiter Kindertagesstätten der Stadt Leipzig. Vor der Pandemie habe der Standard bei Ausfällen um die 20 Prozent gelegen, dabei seien jene aufgrund von Urlaub und Fortbildungen aber schon mit eingerechnet. »Insbesondere in den Wochen vor Weihnachten ist es schwer gewesen, in allen Kitas die normalen Öffnungszeiten aufrechtzuerhalten«, sagt Sauerbrey. »Komplett schließen mussten wir eine Einrichtung allerdings nur einmal. Zur Einschränkung der Öffnungszeiten ist es jedoch durchaus in einer gewissen Größenordnung gekommen.« Allen betroffenen Eltern sei eine Ersatzbetreuung angeboten worden.
Wie sich die Situation in den Kitas auf Eltern auswirkt, berichten Maria Bauhofer und Henriette Gödde. Beide engagieren sich im Elternrat der Kindertagestätte Paul-Küstner-Straße. »Man will sein Kind morgens abgeben und sieht bereits, dass sich ein Erzieher um viel zu viele Kinder kümmern muss«, erzählt Gödde. Eigentlich soll ein Leitfaden der Stadt genau das verhindern. Dienstpläne können umgestellt, Kita-Gruppen zusammengelegt oder die Leitung der Einrichtung mit in die Betreuung eingeteilt werden. Notfalls kann auch Personal aus benachbarten Kitas einspringen. »Das sind insgesamt elf Punkte, die wir befolgen. Eine Kitaschließung steht da wirklich ganz am Ende«, sagt Sauerbrey.
Allerdings gehen Krankmeldungen oft erst am Morgen bei den Einrichtungen ein. Bis für Ersatz gesorgt ist, kann es dauern. Erzieherinnen und Erzieher würden Eltern bitten, ihre Kinder zu Hause zu betreuen, berichten Bauhofer und Gödde: »Dann steht man vor der Entscheidung: Nimmt man sein Kind wieder mit? Kann man das überhaupt?« Da viele Eltern sich auch aus Mitleid mit den Erzieherinnen und Erziehern dafür entscheiden, ihre Kinder selbst zu betreuen, komme es nur selten zur Eskalation. »Diese Entscheidung ist jedoch eine freiwillige«, sagt Sauerbrey. »Als Versorger sind wir vertraglich dazu verpflichtet, die Betreuung zu gewährleisten. Dadurch liegt die Verantwortung erst mal bei uns.«
Bereits im Sommer forderten Bauhofer und Gödde in einer Petition, das Kitasystem fit für die Krankheitswelle zu machen. Ein verbessertes Backup-System für kranke Erzieher und Erzieherinnen, das sie damals vorschlugen, baut die Stadt gerade auf. In aktuellen Ausschreibungen werden pädagogische Fachkräfte gesucht, ein Pool aus sogenannten Springern soll zukünftig kurzfristige Ausfälle kompensieren können. Allerdings trifft dieses Projekt auf einen Bereich, der ohnehin chronisch unterbesetzt ist. Nach einem Ländermonitoring von Bertelsmann könnten 2025 bereits 179.000 Erzieher und Erzieherinnen deutschlandweit fehlen – konservativen Schätzungen zufolge. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnten vergangenes Jahr bereits vor einem Kollaps der Kitaversorgung.
Schon heute weichen Personalschlüssel weit von den Empfehlungen aus der Wissenschaft ab. Besonders Sachsen hinkt im Ländervergleich hinterher. Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass sich in der Kinderkrippe ein Erzieher oder eine Erzieherin höchstens um fünf, im Kindergarten um zwölf Kinder kümmern darf. Zum Vergleich: Wissenschaftlich empfohlen ist ein Schlüssel von 1:3 in Krippen und 1:6 in Kitas. Die Einhaltung dieser Personalschlüssel ist ausschlaggebend dafür, ob Kitas offen bleiben. »Die Stadt hat natürlich ein Interesse daran, die Kindergärten so lange wie möglich offen zu halten«, sagt Bauhofer. »Ob das dann noch pädagogischen Ansprüchen genügt, ist zweitrangig.« Eine besondere Belastung ergibt sich daraus auch für die Erzieherinnen und Erzieher. Im Kindergarten Paul-Küstner-Straße haben laut Gödde zum Jahresende zwei von ihnen aufgrund der Zustände gekündigt: »Ziel unserer Petition war zu erreichen, dass die Betreuer unserer Kinder unter guten Verhältnissen arbeiten können.«
Felix Sauerbrey weiß um die Situation. Die Verwaltung versucht dem Personalmangel mit einem Programm entgegenzusteuern, bei dem die Stadt die Kosten für die Ausbildung übernimmt und die Erzieherinnen und Erzieher im Anschluss für zwei Jahre an Leipziger Kitas bindet. Allerdings könne man nicht alles am Personalschlüssel festmachen, sagt Sauerbrey. Im Vergleich zu anderen Bundesländern habe Sachsen pädagogisch sehr gut ausgebildete Fachkräfte. »Außerdem arbeitet die Stadt stets daran, den Erzieherberuf attraktiver zu machen«, sagt Sauerbrey. »Einen zentralen Handlungsleitfaden stellt hierfür die Integrierte Kinder- und Jugendhilfeplanung der Stadt Leipzig dar, welche wichtige Qualitätsstandards im Bereich der frühkindlichen Erziehung und Bildung setzt.« 2021 verabschiedete der Stadtrat das Programm, durch das Anforderungen an verschiedene Sozialräume in Leipzig erfasst und Ziele für die Kindererziehung in einer modernen Welt festgelegt wurden.
Bauhofer und Gödde bestätigen, dass die Stadt bemüht sei. Allerdings fordern sie eine Verbesserung der Kommunikation. »Die Verwaltung weiß schon früher um Engpässe in den Kitas, allerdings wird das zu spät an die Eltern weitergegeben«, sagt Gödde. »Außerdem fordern nur wenige Eltern die Betreuungsgelder zurück, wenn sie ihre Kinder mit nach Hause nehmen müssen. Da braucht es mehr Transparenz.« Entscheiden sich Eltern freiwillig, etwa auf Bitten von Erzieherinnen und Erziehern, ihre Kinder selbst zu betreuen, haben sie keinen Anspruch auf Rückerstattung. Von Oktober bis Dezember seien insgesamt 35 Anträge für Rückzahlungen eingegangen, teilt die Stadt auf Anfrage des kreuzer mit.
Titelbild: Chris Schneider