Titelbild: Die Hausmeisterin, aus der Ausstellung »Unabhängigkeit! Fotografien aus der Ukraine 1991-2022« im Zeitgeschichtlichen Forum, von Volodymyr Petrov
Als im vergangenen August das ukrainisch-deutsche Künstlerkollektiv Óstov in der ODP-Galerie zeitgenössische Kunst aus der Ukraine zeigte, fanden sich keine Bilder von zerstörten Städten. Stattdessen waren Arbeiten zu sehen, die sich mit den mentalen Auswirkungen des Krieges auseinandersetzten, mit Heimatlosigkeit und den Fragen nach den Wurzeln des Selbst. Zuvor im April hatte Óstov eine Soundinstallation organisiert, die aus dem Aufruf an Ukrainerinnen und Ukrainer entstanden war, sich dazu zu äußern, wie sie die Zeit nach dem 24. Februar wahrnehmen. Aus Anlass des ersten Jahrestages des Überfalls Russlands auf die Ukraine sind aktuell Ausstellungen zu sehen, die sich vor allem mit der Zerstörung auseinandersetzen.
Dokumente der Unabhängigkeit
Die Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine nimmt unterschiedliche Formen an. Das Zeitgeschichtliche Forum entschloss sich dazu, eine Fotoausstellung zu zeigen, die sich mit der Entwicklung seit den 1990er Jahren beschäftigt. »Fotografien aus der Ukraine 1991-2022« beginnt mit einem schwarz-weißen Foto. Es zeigt, wie die ukrainische Flagge 1991 auf dem Parlamentsgebäude gehisst wird. Farbfotografien bebildern den weiteren Verlauf der Unabhängigkeit und der Konflikte – vom Fall einer überdimensionalen Lenin-Skulptur über Barrikaden 2014 oder die erschöpfte Hausmeisterin einer völlig zerstörten Schule bei Donezk im Jahr 2017 bis in die Gegenwart mit Fotografien von der Parade zerstörter russischer Militärfahrzeuge aus Anlass des ukrainischen Nationalfeiertages am 24. August, Verwundete, Hochzeit in Trümmern oder Kinder mit Holzwaffen. Ganz am Ende hängt ein Tarnnetz, geknüpft aus Fußball-, Handball- und Volleyballnetzen in einer Kyjiwer Schule. Nach Leipzig gelangte es über Alina Artamina, die eigentlich in Leipzig lebt, sich nach dem Angriff in der ukrainischen Hauptstadt aber dort um ihre kranke Mutter kümmerte. Sie berichtet von ihren Erfahrungen während eines Erzählcafés am 28. März um 16 Uhr.
Insgesamt 45 Fotografien geben Einblicke in die ukrainische Geschichte der letzten 30 Jahre bis zur Gegenwart, verbunden mit ausgewählten Objekten zur aktuellen Situation – sei es die Ausrüstung eines Fotografen oder Kinderzeichnungen, die versuchen, das Erlebte zu beschreiben. Die Ausstellung soll die blinden Flecke gegenüber der Geschichte der Ukraine schließen, sagt Harald Biermann, der Präsident der Stiftung des Hauses der Geschichte, zur Eröffnung, verbunden auch mit der Frage: »Was sind wir bereit zu tun, um unsere Freiheit zu verteidigen?«
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Points of View
Dokumentarisch in einem erweiterten Sinn ist die Filmarbeit »Bakhmut« von Clemens von Wedemeyer. Er leitet an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig die Klasse »Expanded Cinema«. Das Berliner Haus am Lützowplatz zeigt diese Arbeit, die im Januar 2023 entstand, in der Ausstellung »Früchte des Zorns«, die sich mit dem Ukraine-Krieg beschäftigt.
In der knapp zwölf Minuten langen Filmarbeit benutzt von Wedemeyer Filmaufnahmen des Zweiten Weltkrieges aus der Stadt über von ihm gefilmte Aufnahmen anlässlich seiner Ausstellung mit dem Titel »P.O.V.« im Herbst 2021 verbunden mit bewegten Bildern von den Zerstörungen aus den vergangenen Monaten.
Bei »P.O.V.« – Point of View – verwendete von Wedemeyer bereits 2016 in einer Ausstellung Filmmaterial seines Großvaters. Er filmte als Amateur in schwarz-weiß und Farbe auf 16 Millimeter während des Krieges, so auch bei seiner Stationierung in der Ukraine und im Speziellen in Bakhmut im Winter 1941/42. Von Wedemeyer suchte 80 Jahre später die Orte auf und erkundete die Blickpunktorte. Ein Orientierungspunkt bildete das Denkmal für Artem, dem Namensgeber für Artemovsk, wie die Stadt von 1924 bis 2016 hieß. Dabei handelte es sich um eine überdimensionale, wie aus einer Filmkulisse stammende kubistische Plastik, geschaffen vom ukrainischen Bildhauer Iwan Kawaleridze, das die Wehrmacht später zerstörte. Das nach dem Krieg errichtete Monument war dem sozialistischen Realismus verpflichtet und wurde bei der Umbenennung 2016 zerstört. Geblieben als eine Segmentschicht der Geschichte ist eine Erhöhung auf der Fläche vor dem Kulturpalast. Die Gräueltaten der Deutschen wie die Massentötungen an der Zivilbevölkerung bleiben auf den Filmrollen aus den Kriegszeiten unsichtbar.
»The Hell is here« lautet das Zitat, welches Der Spiegel vor wenigen Tagen als Überschrift zu einem Bericht über die aktuelle Situation in der Stadt auswählte. 74.000 Menschen lebten 2019 in Bakhmut, Anfang des Jahres waren es noch 8.000 Zivilisten. In den letzten Sequenzen des Films ist eine menschenleere, zerstörte Stadt zu sehen.
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Davor/ Danach
Unter dem Titel »before/ after« zeigt das Deutsche Buch- und Schriftmuseum eine Fotoausstellung, die die Zerstörungen von ukrainischen Kulturinstitutionen und der darin befindlichen Kulturgüter dokumentiert.
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