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Stadtleben

»Wir versuchen aus einem Euro vier zu machen«

Heike König vom Grünen Ring im Interview des Monats

  »Wir versuchen aus einem Euro vier zu machen« | Heike König vom Grünen Ring im Interview des Monats

Heike König hatte als Kind Angst vor den Schaumkronen auf Leipzigs Gewässern, blieb also lieber auf dem Fahrrad sitzen. Heute traut sich die 60-Jährige auch aufs Boot. Keine schlechte Grundlage für ihre Arbeit beim Grünen Ring Leipzig.

Der Konferenzraum ist noch nicht frei, wir zeigen Heike König also erst mal die ja immer noch recht neue kreuzer-Redaktion. Nicht weit vom Feinkostgelände ist die Geschäftsführerin des Grünen Rings aufgewachsen. Ein Blick ins Archiv, kurzes Hallo hier und da, dann sitzen wir der aufgeschlossenen Frau gegenüber, die auch nach Jahrzehnten in Politik, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit keine Phrasen drischt. Mit Überzeugung und Haltung spricht sie über den Grünen Ring, Leipzig, seinen Speckgürtel und wie man diese zusammenbringt.

kreuzer: Frau König, wie stehen Sie zu Motorbooten auf dem Cossi?

König: Um Himmels willen. Ich hoffe, es kommt nicht dazu! Die Idee des Grünen Rings ist ja eng mit den Tagebauseen verknüpft, die in den Neunzigern erst mal nur eine Hohlform waren, in die Wasser reinlief mit der Möglichkeit, irgendwann einen See zu haben, den man bewirtschaften kann, der in die Nutzung geht. Davon ausgehend ist Mitte der Neunziger die Grundidee eines touristischen Gewässerverbundes entstanden. Aber bevor der touristisch werden konnte, musste er erst mal hergestellt werden.

Wir sprechen vom Gewässerverbund, viele assoziieren den Grünen Ring aber vor allem mit dem Radweg. Was ist der Grüne Ring eigentlich?

Prägnant gesagt: eine freiwillige Vereinigung von willigen Bürgermeistern der Region, also vierzehn Kommunen und zwei Landkreise. Wenn wir Glück haben, kommt nächstes Jahr noch eine dazu, wie zuletzt 2018 Rötha, das allerdings früher schon mal dabei war. Ein bisschen Fluktuation haben wir schon. Wenn ein Beitrag zahlendes Mitglied im September feststellt, dass es nicht mehr dabei sein will, kann es zum Januar raus.

Wir sind kein Zweckverband, auch kein Verein, sondern eine Kooperation von Kommunen mit minimal juristischem Konsens. Die Stadt Leipzig ist zuständig für die Finanzen und fürs Projektmanagement, die Geschäftsstelle in Borsdorf für die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Betreuung der Arbeitsgruppen und der Radroute.

Und wie haben die Kommunen zueinandergefunden?

Das hat damals Jörg Hannes angezettelt, der erste grüne Umwelt-Bürgermeister in Leipzig. Holger Tschense hat das weitergeführt – beim Grünen Ring ist der Sprecher qua Amt der Leipziger Dezernent für Umwelt, seit 2006 also Heiko Rosenthal. Jörg Hannes ist Mitte der Neunziger rumgetingelt und hat die ganzen Umland-Bürgermeister versucht zu überzeugen, dass man bestimmte Dinge gemeinsam anpacken muss. Dann haben die erst mal gesagt: »Ah, die große Stadt Leipzig … Der OBM will doch bloß bei uns in Taucha wandern gehen!« – der Klassiker von Vorurteilen gegenüber der Stadt. Aber sie haben doch erkannt: Wir müssen zusammenarbeiten, denn nach der Wende haben die Leute in Leipzig gedacht: Von hier musst du eigentlich weg! Also Mondlandschaft. Dazu die Arbeitsplatzsituation, Leipzig hatte nur noch 430.000 Einwohner. Und da war die Idee: Abwanderung verhindern, Heimat stärken, gemeinsam Projekte abstimmen mit der Landschafts- und der Gewässer-Entwicklung. Es steht ja kein Ortsausgangsschild an der Parthe, sondern das Gewässer muss entwickelt werden.

Wie bekommt man Tourismus, Naherholung, stadtnahe Landwirtschaft und Landschaftspflege unter einen Hut?

Es überlappt sich alles. Wenn du über Landwirtschaft redest, musst du über Flächen-Management reden, über Ausgleichsflächen, über Baumpflege, über Landschaftspflege. Das ist ja im stadtnahen Raum hier viel übergreifender als irgendwo in Mecklenburg auf der flachen Platte. In Leipzig gibt es auf rund 30 Prozent der Stadtfläche Landwirtschaft. Landwirte sind große Realisten, arbeiten hier hart für die Region – und es wird nicht wertgeschätzt. Das ist jetzt unser Thema. Wir hatten den Landwirtschaftsdialog im Januar und es waren sehr viele da. Es wurde viel diskutiert und viel vorgestellt. Aber es fehlt noch eine Lobby – da muss der Grüne Ring noch mal ran. Es geht auch nicht um konventionell oder bio – es geht um beide. Die Scholle kannst du nur einmal beackern. Wenn sie verkauft ist an Beiersdorf, ist sie weg und kommt nie wieder. Der Grüne Ring ist genau dazu da, zu sagen: Grund und Boden ist nicht vermehrbar und wir wollen in die Stadt und in die Kommunen reinwirken, dass Ackerflächen nicht für Ausgleich, Waldmehrung oder sonst was genutzt werden. Sondern Acker bleibt Acker. Die geopolitische Lage gibt uns da recht, glaube ich.

Wie moderieren Sie die verschiedenen Interessen und -gruppen?

Es gibt feste Formate im Jahr, über die man die Mitglieder bindet, zum Beispiel jedes Jahr im März die Haushaltskonferenz. Jetzt am 22. März kommen die Bürgermeister an einen Tisch und beschließen den Haushalt, nicht als doppelten wie die kommunalen Haushalte, sondern einfach: Einnahmen und Ausgaben, in einer Exceltabelle. Wir haben Einnahmen von den Kommunen: pro Einwohner 0,45 Euro, Leipzig hat eine Kappungsgrenze und zahlt um die 110.000 Euro plus Arbeitsleistung von bei der Stadt Angestellten und die Landkreise zahlen 8.000 Euro. Da kommen knapp 190.000 Euro zusammen. Davon werden wir als Geschäftsstelle mit anderthalb Stellen bezahlt und die Kosten für Öffentlichkeitsarbeit. Am Ende haben wir, wenn wir gut sind, einige Fördermittelprojekte, über die auch noch zusätzliches Personal über eine bestimmte Zeit finanziert wird.

Welche Rolle spielen die Vorurteile von Land Richtung Stadt und umgekehrt in der Arbeit an der Schnittstelle?

Das spielt immer eine Rolle. Aber über die nun 27 Jahre hat sich natürlich Vertrauen entwickelt. Nicht jede Kommune hat immer 20 Jahre am Stück was vom Grünen Ring, aber sie wissen: Sie werden mit vermarktet und in großen Konzepten mitgedacht. Das Prinzip beim Grünen Ring ist Augenhöhe. In der Haushaltskonferenz zum Beispiel sitzen vierzehn Bürgermeister aus den Kommunen – und jeder hat eine Stimme, egal ob aus Belgershain mit 3.000 Einwohnern oder Leipzig mit 630.000. Es wird alles im Konsens verhandelt.

Und es hängt auch an Leuten – wenn sie Vertrauen schaffen und auch rechtfertigen. Wir haben einen guten und kurzen Draht zueinander. Der Bürgermeister von XY kann mich anrufen und ich komme auch sofort zu ihm durch. Oder schreibe Herrn Rosenthal eine SMS. Wenn unsere Arbeit jemand direkt bei der Stadt machen würde, müsste der die Tippeltappeltour gehen: Sachgebietsleiter, Abteilungsleiter, Amtsleiter – und wieder zurück, weil ein Komma fehlt. Erst dann geht es zu Herrn Rosenthal, und es sind drei Wochen rum. Wir sind zwar auch in der öffentlichen Verwaltung in Borsdorf angestellt, arbeiten aber wie eine kleine Agentur.

Sie haben gesagt, es hänge an den Leuten. Die hängen ja aber auch an Parteien. Wie funktioniert diesbezüglich die Zusammenarbeit?

In den Kommunen ist es kein Problem, es gibt Bürgermeister von der SPD, der CDU und parteilose. Manche Bürgermeister sind etwas freier in ihren Entscheidungen, so meine Wahrnehmung, und manche hängen ein bisschen mehr an ihrem Stadtrat.

Wie funktionieren die Arbeitsgruppen des Grünen Rings?

Das sind eher Informationsplattformen und sie sind offen. Da kannst du als Bürger hinkommen. Es sind da die Kommunen drin, Umweltverbände, das UFZ (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung), Zweckverbände, die in der Region unterwegs sind, das Kommunale Forum, oft auch die begleitende Landesbehörde, also die Landesdirektion. Es werden die Projekte vorgestellt, unsere eigenen oder auch andere interessante.

Es gibt aber auch Arbeitsgruppen, die konkret miteinander arbeiten. Zum Beispiel gibt es einen interkommunalen Kompensationsflächen-Pool, in dem die Kommunen ihre Ausgleichsflächen online eintragen. (Werden durch Baumaßnahmen Natur und Landschaft beeinträchtigt, muss dies laut Bundesnaturschutzgesetz an anderer – naher – Stelle, auf sog. Kompensations- oder Ausgleichsflächen funktional ausgeglichen werden, Anm. d. Red.) Für den zweiten Bauabschnitt bei Porsche wurde eine Ausgleichsfläche gesucht – die Stadt Leipzig hat aber gar keine mehr. Der Porsche-Ausgleich erfolgt nun in Brandis, wo es noch viele Einbauten der russischen Armee gibt. Dieses Konversionsgelände wird revitalisiert, dank des Tauschs über den interkommunalen Kompensationsflächen-Pool.

Sie sind in Leipzig aufgewachsen. Wie haben Sie die Stadt in Ihrer Kindheit und Jugend wahrgenommen?

Wir haben Karli/Ecke Arndtstraße gewohnt und ich bin auf dem Fahrrad großgeworden, immer in dieser Einflugschneise den Clara-Park runter und den Schleußiger Weg bis zum Hockeyplatz vom LSC in der Pistorisstraße. Und das ehemalige Germania-Bad, das da war, wo jetzt der – wir haben früher Scherbelberg gesagt – Fockeberg ist, und dann das ganze Auwald-Gebiet. Mein Auwald ist der Auwald, wo die Veilchen blühen und trotzdem alles dreckig ist. Wobei ich als Kind nur die Flüsse als dreckig empfunden habe, mit den Schaumkronen drauf. Das war bedrohlich. Wenn du dann noch irgendwelche Kanuten da drin gesehen hast. Hilfe! Ich bin dort Rad gefahren, wo jetzt der Floßgraben fließt. Als ich neun war, sind wir nach Stötteritz gezogen. Das war langweilig.

Schwarz-weißes Foto aus der Kindheit von Heike König. Fünf Frauen sitzen an einem Tisch im Garten, vor ihnen stehen Teller mit Kuchen. Ganz rechts zieht ein Kind, Heike König, eine Grimasse und schaut in die Kamera
Leipziger Kindheit in den Sechzigern: Heike König

Es gibt eben auch Dinge, die sich nicht ändern. Aber im Ernst: Das Radeln am Wasser klingt ja fast so, als ob es Sie zwangsläufig zum Grünen Ring führen musste.

Ja, aber es gab noch ein paar Schleifen, ehe der Job zu mir kam. Nach dem Abitur habe ich bei Offizin Andersen Nexö Buchbinder gelernt, weil ich Polygrafie studieren wollte, Verfahrenstechnik zur Buchherstellung. Völlig falsche Entscheidung! Germanistik oder Anglistik hätte ich nicht bekommen. Dann hab ich erst mal vier Kinder gekriegt. Nach der Wende bin ich Geschäftsführerin geworden von Bündnis 90/Die Grünen im Haus der Demokratie, habe danach das Büro von Werner Schulz geleitet. Und dann haben wir zwischendurch den Städtepartnerschaftsverein Leipzig-Travnik gegründet, wo ich heute Vorsitzende bin. Und aus der Beschäftigung mit Bosnien und dem Krieg heraus habe ich dann Südslawistik und Allgemeine Sprachwissenschaften studiert, aber wieder hingeschmissen, weil meine mittleren Kinder damals sehr in der Pubertät waren. Und dann kam 2004 der Grüne Ring zu mir. Meine Arbeit ist sehr spannend und vielfältig: Ich mache alles, Präsentationen, Redenschreiben, Website, Texte, Flyer, Grafik und Gestaltung, Essays, kehre meine Bude. Bin also Mädchen für alles, aber auf hohem Niveau. Wir betreuen die Grüner-Ring-Leipzig-Radroute, kümmern uns um die Beschilderung und schließen uns mit den Kommunen kurz: Was können wir reparieren, was müssen die Kommunen beauftragen?

Sind Sie die 135 Kilometer schon mal im Ganzen gefahren?

Nein. Aber stückweise schon. Wir qualifizieren die Radroute ja gerade auch.

Was heißt das, einen Radweg zu qualifizieren?

Der Grüne Ring ist ja nicht wie andere touristische Radrouten entstanden, sondern weil die Kommunen gesagt haben: Wir brauchen was Verbindendes – wie wäre es denn, wenn man durch die Schönheiten unserer Kommunen von Markranstädt bis Borsdorf eine Route führt? Weil das aber nicht nach den klassischen Kriterien – schnell von A nach B kommen, guter Untergrund, schöne Umgebung und alle fünf Kilometer eine Kneipe – gemacht wurde, haben wir die Route immer mal wieder etappenweise auf den Prüfstand gestellt, auch mit dem ADFC zusammen und anderen Planungsbüros. Ein Teil unserer Radroute landete dann im »Sachsen-Netz Rad«, das die touristischen Radwege in Sachsen umfasst. Also haben wir angefragt, wie die ganze Route Teil dieses Netzes werden kann. Ab 2016 haben wir dann einen Fortschreibungsantrag vorbereitet und schließlich auch den früheren inneren Grünen Ring aufgegeben – es gibt noch seine GPS-Daten, aber die Beschilderung wurde abgebaut –, um uns ganz auf den ehemaligen äußeren Grünen Ring zu konzentrieren, der seitdem Grüner-Ring-Leipzig-Radroute heißt. Er hat aus touristischer Sicht großes Potenzial. Aber es muss noch ein bisschen was dran gemacht werden: an der Streckenführung, an der Aufenthaltsqualität unterwegs, an der Mitnahme von touristischen Zielen. Bis zum Sommer arbeiten wir an der Konzeption mit Beschilderung und Tourismus, für die wir dann Geld suchen. Unsere Projekte sind immer Fördermittel-finanziert. Wir versuchen mit dem Grüner-Ring-Geld aus einem Euro vier zu machen. Das gelingt uns nicht immer. Aber manchmal. Das meiste Geld bekommen wir aus der FR Regio, Fachförderrichtlinie regionale Entwicklung aus dem Regionalentwicklungsministerium, früher Innenministerium. Da kommt viel Geld: Fördermittel, teilweise in Höhe von 75 Prozent (der Gesamtprojektkosten, Anm. d. Red.) für unsere Arbeit. Antragsteller ist dabei immer »die Stadt Leipzig für den Grünen Ring Leipzig«, die dann auch jetzt bei der Radroute mithilfe der Eigenmittel aus den Kommunen die Umsetzung und die Beauftragung koordiniert. Und dann wird gebaut, das Beschilderungskonzept umgesetzt, werden Rastplätze eingerichtet. Und die Kommunen setzen bestimmte Teilstücke instand. Das wird echt spannend, das hinzukriegen – vielleicht ab 2024 und dann drei, vier Jahre, bis alles durch ist?

Was sollte man sich schon jetzt im Frühjahr in Leipzigs Grün nicht entgehen lassen?

Es gibt so viele schöne Orte! Zum Beispiel auf dem Kohlenberg in Brandis zu stehen und auf den Steinbruch zu gucken. Oder diese Wahnsinns-Bergkirche in Beucha. Und die Parthenaue ist natürlich auch schön. Meine Lieblingsecke ist aber tatsächlich im nördlichen Auwald, um den Schlosspark Lützschena rum. Ich fahr da auch gern auf dem Wasser.

INTERVIEW: TOBIAS PRÜWER UND BENJAMIN HEINE

TITELFOTO: CHRISTIANE GUNDLACH


Biografie: »Ich bin beim Grünen Ring diejenige, die die Öffentlichkeitsarbeit macht, alles begleitet, aber nicht vom Fach«, sagt Heike König, die seit 2004 für die Stadt-Umland-Kooperation arbeitet. Vorher war sie Büroleiterin bei Werner Schulz und Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen in Leipzig. Die 1962 Geborene wuchs im Leipziger Süden auf und radelte dort, wo heute der Floßgraben ist. Vielleicht ist sie deshalb so gern auf Leipzigs Gewässern unterwegs. Die gelernte Buchbinderin hat vier Kinder und ist Vorsitzende im von ihr mitgegründeten Städtepartnerschaftsverein Leipzig-Travnik.


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