Hätten Miguel Sánchez* und seine Kollegen früher gewusst, was ihnen in Deutschland droht, hätten sie sich vermutlich gar nicht auf die Reise hierher eingelassen. Über einen Kontakt stoßen sie 2019 in Mexiko auf Alan und Alexis Prado. Die beiden Brüder sind damals auf der Suche nach neuem Personal für ihr mexikanisches Restaurant in Leipzig, brauchen Leute für die Küche und den Service. Mit ihnen wollen sie das Gallo Negro auf der Karl-Heine-Straße zu einem Laden machen, der von Mexikanern betrieben wird und ein »lebendiges Abenteuer mexikanischer Kultur« bietet, heißt es auf der Website des Restaurants.
Alan und Alexis Prado nehmen im November 2019 Kontakt zu Miguel Sánchez auf. Neben dem jungen Mann finden sie noch mindestens drei weitere Arbeiter, die im Leipziger Restaurant arbeiten wollen. Mehrere Wochen verhandeln sie über das Jobangebot in Deutschland. Das Versprechen der Gastronomen: eine Fünfeinhalb-Tage-Woche, 1.900 Euro Brutto-Gehalt, Urlaubsanspruch nach Ende der Probezeit von sechs Monaten. Nach einem Jahr werde man außerdem die Übernahme ins Unternehmen prüfen. Ein attraktives Angebot für jemanden, der in einem Land lebt, in dem das durchschnittliche Bruttogehalt laut Statistischem Bundesamt bei monatlich 780 Euro liegt.
Einreise als Touristen
Der Verdacht der Ausbeutung
Im Fall von Sánchez und den anderen drei Arbeitern »deutet vieles auf den Anfangsverdacht von Menschenhandel hin«, sagt die Rechtsanwältin Claire Deery. Die Anwältin arbeitet im Bereich Asyl- und Migrationsrecht und ist Expertin in Sachen Menschenhandel. So wird laut Strafgesetzbuch »das Anwerben, die Beförderung, die Weitergabe, das Beherbergen oder die Aufnahme von Personen zum Zweck der Ausbeutung« bezeichnet. Doch auch wenn Menschenhandel in Deutschland verboten ist, immer wieder werden Migranten mit falschen Versprechungen von Unternehmen hierher geholt. Einmal im Land angekommen, können sie auf legalem Weg kein Geld verdienen, sind abhängig von ihren Arbeitgebern und damit besonders anfällig für Formen von Ausbeutung.
Auch die gewerkschaftliche Organisation »Arbeit und Leben«, die sich mit Arbeitsrechten und dem Thema Ausbeutung und Menschenhandel befasst, schätzt den Fall gegenüber dem kreuzer ähnlich ein: »Aufgrund der Täuschung bei der Anwerbung, der Anwerbekosten und somit Schulden und vermutlich Ausnutzung der ausländerspezifischen Hilflosigkeit« gebe es Anlass zum Verdacht. Ebenfalls problematisch sei der Umstand, dass die Arbeiter die Reisekosten tragen mussten.
Erst der Post in einer Social-Media-Gruppe der lateinamerikanischen Community in Leipzig mit dem Hinweis auf illegale Beschäftigung bringt Bewegung in die Situation der Angestellten. Aus Sorge vor den Konsequenzen für das Unternehmen beenden die Betreiber des Gallo Negro schließlich das Arbeitsverhältnis mit den Arbeitsmigranten und teilen ihnen mit, dass sie das Land verlassen müssen.Für Sánchez enden im November 2020 knapp neun Monate, in denen Angst und Stress seinen Alltag prägten: »Das ist ein Unternehmen, das seine Angestellten nicht respektiert und von Latinos profitiert, die in Deutschland nach einer Möglichkeit zum Arbeiten suchen.« Von den Restaurantbesitzern fühle er sich betrogen.
Gastronomen erwirken einstweilige Verfügung...
Knapp zwei Jahre nach der Ausreise der Mexikaner kommt es vor dem Restaurant zu Protesten (kreuzer 01/23). Die Aktivisten, die auf die Situation der ehemaligen Arbeiter aufmerksam machen, befinden sich in einer schwierigen Lage: Die meisten Betroffenen wollen sich zu ihren Erlebnissen nicht direkt äußern. Sie haben Angst vor der Reaktion der Betreiber des Gallo Negro. Tatsächlich gehen die Gastronomen nach den Kundgebungen in einem Eilverfahren gerichtlich gegen zwei der Demonstranten vor und erwirken dabei eine einstweilige Verfügung. Demnach dürfen die beiden beklagten Demonstranten einen Teil der Aussagen von den Flugblättern, die bei den Kundgebungen verteilt wurden, bis auf Weiteres nicht wiederholen (der kreuzer berichtete). Der Wahrheitsgehalt der Aussagen muss vor Gericht allerdings noch überprüft werden.
… und äußern sich nicht mehr
Auf die konkreten Nachfragen des kreuzer zu Einzelheiten der Vorwürfe gegen sie geben Alan und Alexis Prado keine Antwort: »Wie Sie wissen, gab es zwei einstweilige Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Leipzig, in denen den Antragsgegnern untersagt wurde, Tatsachenbehauptungen, wie sie auch von Ihnen in Ihren Fragen aufgegriffen werden, öffentlich zu äußern. Bereits vor diesem Hintergrund erübrigt sich hier eine Stellungnahme.« Offenbar gehen die beiden davon aus, dass der kreuzer nur mit diesen beiden Demonstranten gesprochen hat. In Wahrheit stützen sich die Vorwürfe aber auf weitere Personen. Nachdem die beiden Brüder im ??? noch mit dem kreuzer sprachen, schreiben sie jetzt: »Im Übrigen sehen wir auch sonst keinen Anlass, Ihre Fragen zu beantworten. Ihr bisherige (sic!) Umgang mit dem Thema lässt uns an Ihrer journalistischen Unabhängigkeit zweifeln.«
Mehr als drei Jahre sind mittlerweile seit dem ersten Kontakt zwischen Sánchez und den Restaurantbetreibern vergangen. Doch abgeschlossen ist der Fall nicht. Die beiden beklagten Demonstranten der Kundgebungen vom letzten Jahr haben Alan und Alexis Prado nun gerichtlich aufgefordert, das Gerichtsverfahren zur Klärung der Anschuldigungen in die Wege zu leiten. Sollten genügend Zeugen und Beweise zur Verfügung stehen, werden sich die Restaurantbetreiber vermutlich doch noch erklären müssen.
* Name von der Redaktion geändert.
Titelfoto: Marcus Korzer.
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