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Politik

19. April: 200 Meter Zündstoff

Die Einrichtung einer Fahrradspur vor dem Hauptbahnhof sorgt auch im Stadtrat für heiße Diskussionen

  19. April: 200 Meter Zündstoff | Die Einrichtung einer Fahrradspur vor dem Hauptbahnhof sorgt auch im Stadtrat für heiße Diskussionen

Zugunsten der Glaubwürdigkeit der Leipziger Bemühungen um Klimaneutralität ist zu hoffen, dass nicht allzu viele Gaffer diesen Auffahrunfall – pun intended – im Stadtrat mitverfolgten. Mit medialem Anlauf krachten die Stadträtinnen und Stadträte in die Fragestunde an den Oberbürgermeister. Das Objekt des Streits: 200 Meter lang, eine Fahrspur breit, bald mit grüner Farbe überzogen – und anscheinend das Potenzial bergend, apokalyptische Reiter auf Fahrrädern im Plenarsaal des Neuen Rathauses zu beschwören.

Soweit die Grundstimmung am Mittwochabend. Eine dringliche Anfrage dreier Stadträte der Linken-Fraktion hievte die Einrichtung der Fahrradspur vor dem Hauptbahnhof auf die Tagesordnung. Warum diese denn überhaupt nötig sei, wollen einige Stadträte wissen. Die Stadt spricht in ihrer Antwort von einer Massen-Unfallhäufungsstelle, die am Willy-Brandt-Platz 2013 und 2016 von der Verkehrsunfallkommission festgestellt wurde. »Halten Sie es für wahrscheinlich, dass Zahlen aus dem Jahr 2013 noch valide sind?«, fragt Sven Morlok (Freibeuter). „Ja natürlich“, antwortet Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne). »Trotz der Abnahme des Verkehrs ist die Unfallhäufigkeit gegeben und nochmal durch die Polizei bestätigt worden.« Die zählte in den letzten drei Jahren dort 46 Unfälle.

»Ich persönlich, und ich denke auch meine Fraktion in Gänze, stellen den Radweg ja nicht in Frage, sondern es geht um die Art der Kommunikation und vor allem um die Art der Ausführung«, sagt Franziska Riekewald (Linke). Claus-Uwe Rothkegel (CDU) schlägt in die gleiche Kerbe: »Glauben Sie, dass Sie so die Kammern bei einer Verkehrswende hinter sich bringen?« Der Stadtrat habe einen klaren Auftrag gegeben, entgegnet Dienberg. Im Oktober forderten die Fraktionen die Verwaltung per Petition auf, die Situation am Bahnhof zu prüfen und, wenn möglich, Fahrradspuren einzurichten. Die Wirtschaft sei laut Dienberg vor Ostern darüber informiert worden, Gegenwind habe er nicht wahrgenommen. »Das zu erklären und auch besser zu erklären, das gestehe ich gerne zu. Da ist unser Job«, sagt Dienberg und zieht ein Fazit: »Wenn wir bei einer kleinen Maßnahme bereits so auseinanderdividieren, dann wird mir bei der Umsetzung unserer Ziele angst und bange.«

Zufriedenstellend sind die Antworten während der anderthalb Stunden für einige Fraktionen nicht. Zusammen mit 13 weiteren Stadträten beantragt Morlok eine Sondersitzung des Stadtrats, bis dahin solle die Baumaßnahme gestoppt werden. Der Antrag werde geprüft, sagt Jung. Christian Kriegel (AfD) und später auf Twitter auch Oliver Gebhardt (Linke) fordern gar den Rücktritt Dienbergs. OBM Jung schließt die Debatte: »Bei der ganzen Diskussion haben wir den großen Zusammenhang überhaupt nicht mehr im Blick. Wir reden hier in einem europäischen Zusammenhang von CO2-Neutralität bis 2040.« Zustimmendes Klopfen und empörte Zwischenrufe untermalen Jungs Grundsatzrede: »Ich bin dankbar für diesen Versuch und wir werden ihn nicht stoppen!«


Illustration: Stefan Ibrahim


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1 Kommentar(e)

Mike 21.04.2023 | um 20:38 Uhr

"Wenn du den wahren Charakter eines Menschen erkennen willst, dann gib ihm Macht." (A. Lincoln) Es geht nicht um den Radstreifen, sondern um die Kommunikation, die Art und Weise, die Nicht-Einbeziehung der Öffentlichkeit, die nun nicht jeden Tag die Protokolle der Stadtverwaltung liest. Die kritischen Stimmen (inkl. Radfahrer, inkl. Presse) pauschal als "provinziell" zu bashen, treibt die Spaltung der Stadtgesellschaft voran.