anzeige
anzeige
Stadtleben

Minderjährige im Kessel

Jugendamt prüft, ob Polizei bei Ausschreitungen am 3. Juni gegen Jugendschutz verstoßen hat

  Minderjährige im Kessel | Jugendamt prüft, ob Polizei bei Ausschreitungen am 3. Juni gegen Jugendschutz verstoßen hat

Die Kritik am Leipziger Kessel wird lauter. Mutmaßlich verstieß die Polizei auch gegen den Jugendschutz. Das Jugendamt prüft die Vorkomnisse nun.

»Polizistinnen hauten mit Schlagstöcken auf jeden ein.« Mit drastischen Schilderungen geben Menschen ihre Erlebnisse mit dem Leipziger Kessel wieder. Sie haben sich an den kreuzer gewandt, um diese öffentlich zu machen. Zum Beispiel Thomas P. (Name geändert): »Ich bekam einen Schlag ins Gesicht, ging zu Boden und war kurz bewusstlos.« »Meine 15-jährige Tochter wurde bis 23 Uhr festgehalten«, berichtet eine Mutter. »Sie wurde immer wieder abgetastet. Ich habe über Stunden nichts von ihr gehört. Zum Urinieren oder Tamponwechseln wurden sie in die Büsche geschickt.« Ein Mittzwanziger sagt: »Die haben immer wieder in den Kessel gepfeffert. Unser Wohlergehen war ihnen egal.« »Meinem Sohn wurde in den Slip geschaut«, beklagt die Mutter eines 14-Jährigen. Ein weiterer Gekesselter: »Es stank nach Kot und Pisse, Menschen standen und saßen darin.«

Am Samstag, den 3. Juni, setzte die Polizei auf der behördlich genehmigten Kundgebung für Versammlungsfreiheit mehrere hundert Personen – später sprach die Polizei von 1.000 – in einem Kessel fest. Darin befanden sich nach Polizeiangaben zwischen 60 und 80 Minderjährige, darunter zwei Kinder. Die Berichte der Menschen decken sich mit den veröffentlichten Aussagen anderer Demonstrierender. In seiner Größe, Dauer und Unverhältnismäßigkeit steht der Kessel von Leipzig in einer Reihe mit dem Hamburger und Frankfurter Kesseln aus den Jahren 1986 beziehungsweise 2013. 

Sie bitte um Verständnis, dass das Amt noch keine Aussage zum Kessel machen kann, erklärt die Sprecherin des Leipziger Jugendamts auf kreuzer-Anfrage. Man müsse die Fälle erst untersuchen, um die Maßnahmen insgesamt beurteilen zu können. Aus dem Amt ist zu hören, dass die Amtsleitung empört über das Agieren der Polizei sei. Während abzuwarten ist, wie sich das Jugendamt öffentlich äußern wird, häuft sich die Kritik insbesondere am Umgang mit den Minderjährigen im Kessel. So hat der sächsische Landesverband im Bundesverband Soziale Arbeit ein Statement veröffentlicht. Darin widerspricht er der Polizeiaussage, dass Minderjährige im Kessel bevorzugt behandelt wurden. Auch wurden Eltern nicht informiert, dass ihre Kinder sich in der Maßnahme befanden oder zu ihren Kindern gelassen.

Das bestätigen auch Zeugen, die mit dem kreuzer sprachen. Eine Mutter erreichte ihre 15-jährige Tochter über Stunden nicht. »Eine Freundin meiner Tochter kam in die GeSa [Gefangenensammelstelle, Anm. d. Red.], musste sich bis auf die Unterwäsche ausziehen.« Ihre Eltern wurden zuvor nicht informiert. »Es gab keine Ansagen, dass Minderjährige zuerst drankommen«, erzählt ein anderer Erwachsener, der im Kessel war. »Die ED-Feststellung kam auch erst so ab 2 Uhr nachts in vollen Gang.« Zuvor seien Menschen immer nur vereinzelt aus dem Kessel gelassen und erkennungsdienstlich behandelt worden.

In der Frage, ob der Kessel zur Identitätsfeststellung diente oder ob er selbst bereits eine zwischenzeitliche Gefangennahme darstellte, sieht auch Sozialarbeiter Tobias Burdukat einen kritischen Punkt. Burdukat, der auch im Vorstand des Kinder- und Jugendrings im Landkreis Leipzig sitzt, erklärt dem kreuzer: »Wenn es eine intendierte Gewahrsamsnahme war, dann hätten sie sie sofort rauslassen müssen. Die Polizei darf nicht ohne Information der Eltern oder einen Beistand einen Gewahrsam durchführen. Wenn das der Fall war, dann stellt das eine Entziehung Minderjähriger mit Freiheitsentzug dar. Dann hätte die Polizei in die rechtlich verbriefte Elternhoheit eingegriffen.«

Ohnehin dürfe die Polizei keine erzieherischen Maßnahmen ergreifen. »Es hat einen guten, auch historischen Grund, dass sich die Polizei nicht in den Tätigkeitsbereich von Jugendamt und Sozialer Arbeit einmischen darf. Das sind klar abgegrenzte Zuständigkeiten. Zumal die Polizeibeamten keinerlei Ausbildung für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen haben.«

Auf jeden Fall hätte die Polizei keinen Minderjährigen einfach in die Gefangensammelstelle mitnehmen dürfen, wie es in einigen Fällen dokumentiert ist. Dazu hätte sie zuvor Kontakt mit den Eltern aufnehmen müssen oder, wenn die nicht erreichbar sind, Kinder-Jugend-Notdienst oder Jugendgerichtshilfe anrufen, damit ein Beistand für den jungen Menschen bereitgestellt wird. »Auch dürfen die Polizisten Minderjährige nachts nicht einfach gehen lassen und nachts auf die Straße setzen.«. »Damit hat die Polizei gegen den Jugendschutz verstoßen. Wenn die Eltern nicht erreichbar sind, bedarf es professioneller Betreuung«, sagt Burdakat.

Und weiter: »Hier überschreitet die Polizei ihren Zuständigkeitsbereich und greift fundamental in die Rechte anderer ein. Das kann als Willkür bezeichnet werden und ist äußerst gefährlich in Bezug auf die weitere biografische Entwicklung der Kinder.« Er befürchtet zudem, dass Jugendliche sich nach so einer Erfahrung radikalisieren könnten: »Oder sie haben Zeit ihres Lebens Angst vor der Polizei. Solche traumatischen Erlebnisse können sich erst später zeigen und auch Trigger für andere Probleme sein«, sagt Burdakat.


Foto: Tim Wagner.


Kommentieren


5 Kommentar(e)

Balthasar Danzig 21.06.2023 | um 18:17 Uhr

Die Art der Berichterstattung lenkt vom Eigentlichen ab (den Straftaten der Linken}. Keine seriöse Journalistik....

Achim Schaaf 21.06.2023 | um 23:21 Uhr

"Mir drastischen Schilderungen": Da war der Schlussredakteur wohl etwas unkonzentriert.

MIcha 23.06.2023 | um 08:25 Uhr

Dem Bild zu urteilen sieht das nicht nach Verstoß gegen Jugendschutz sondern nach Verstoß gegen das Vermummungsverbot aus. Find ich absolut korrekt diese Bande festzusetzen.

Lothie 23.06.2023 | um 13:06 Uhr

Wer auf eine Demonstration geht, muss immer damit rechnen das so etwas passiert. Das ist ja kein Kindergeburtstag, wo die Eltern dann ihre Kinder ganz bequem abholen können, wann sie wollen. Mann kann nur hoffen, das die Minderjährigen daraus gelernt haben, und in Zukunft einer gewalttätigen linksextremen Demonstration fernbleiben. In sofern hatte der Kessel auch sein Gutes.

Bernd M. 24.06.2023 | um 10:13 Uhr

Die Kommentare hier zeigen sehr schön das sehr selektive Rechtsverständnis der vermeintlich *gutbürgerlichen* Mitte auf. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Ebenso der Jugendschutz. Und es gibt klare gesetzliche Regelungen, an die sich insbesondere auch die Polizei, die das Gewaltmonopol besitzt, halten muss. Es handelte sich um eine ANGEMELDETE Demonstration. Es ist mitnichten so, dass man da mit derartig überzogenen und offensichtlich nicht rechtskonformen Zwangsmaßnahmen der Polizei rechnen muss. Aber genau darum geht es den behördlichen Akteuren: Repression, Einschüchterung, Drohung. Es soll Druck auf eine unliebsame Klientel ausgeübt werden und deutlich gemacht werden, dass ihre grundgesetzlich verbrieften Rechte nicht geschützt, sondern mit Füßen getreten werden. Und auf der anderen Seite mit Querdenkern, Schwurblern und Rechten kuscheln. Widerlich.