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Die Musikstadt Leipzig 1933–45

Stimmen zur Ausstellung

  Die Musikstadt Leipzig 1933–45 | Stimmen zur Ausstellung

Titelbild: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Markus Scholz

Alles, was in der Geschichte und Gegenwart zum städtischen Musikleben beigetragen hat und beiträgt, verstehe man unter der »Musikstadt Leipzig«, schreibt uns Stev Wackerhagen von der Gewandhaus-Pressestelle. Darauf können wir uns sicher alle einigen – egal ob wir mit der Musikstadt Leipzig nun vor allem Bach oder das Institut für Zukunft, die Jazztage oder die Prinzen, Breitkopf & Härtel oder Teleskop-Musikproduktion assoziieren. Worauf wir uns sicher auch alle (Sascha Lange und Hagen Kunze mal ausgenommen) in unseren kleineren und größeren Nischen der Musikstadt einigen können: Die historische Phase von 1933 bis 1945 ist nicht sonderlich präsent im Musikstadtbild und gar kollektiven Gedächtnis.

Die im Stadtgeschichtlichen Museum zu sehende Ausstellung »Hakenkreuz und Notenschlüssel  könnte daran etwas ändern, holt sie doch Un- und wenig Bekanntes erstmals an die Oberfläche, was uns wiederum für eine Debatte zum Thema wappnet. Denn klar, in der Forschung und in einzelnen Musik- und Kultur-Institutionen der Stadt ist die Zeit 1933–45 zumindest im Ansatz aufgearbeitet: So erschien zum Beispiel »schon« 1997 das von Thomas Schinköth herausgegebene Buch »Musikstadt Leipzig im NS-Staat. Beiträge zu einem verdrängten Thema«, dem Seminare zur Musik und Musikpolitik im NS an der Uni Leipzig vorausgingen und das von einem Symposium in der Alten Handelsbörse im Juni 1997 begleitet wurde. Die dazu für 1998 geplante Ausstellung aber hat es nie gegeben.

Nun also, mit mindestens 25 Jahren Verspätung, holt das Stadtgeschichtliche Museum dies nach – mit Biografien von Tätern und Opfern, mit einem dankenswerterweise nicht auf die Hochkultur beschränkten Musikstadt-Begriff und mit zahlreichen, natürlich nicht nur positiven Reaktionen von Besucherinnen und Besuchern, Institutionen und Angehörigen (s. S. 26). Das Interesse am Thema scheint vorhanden, auch Kulturdezernat und -amt wollen an die Ausstellung anknüpfen und entsprechende Projekte fördern, zum Beispiel die Aufarbeitung der »Geschichte des Thomanerchors über Kaiserreich und Weimarer Republik hinaus«, wie Thomaskantor Andreas Reize dem kreuzer gegenüber erklärte. Reize war mehrfach in der Ausstellung, findet »die Darstellung außergewöhnlich gut« und sagt, dass »wir uns alle der Historie stellen müssen und stellen sollen«.

Ähnlich wie Reize ist auch Tobias Wolff, der Intendant der Oper Leipzig, noch relativ neu in der Stadt – und von Thema und Ausstellung angetan: »Ich war sehr begeistert. Die Kurator:innen haben exzellent recherchiert und die Ergebnisse auf sehr besucherfreundliche Art aufbereitet. Man kann mit großem Interesse am historischen Detail durch die Ausstellung gehen oder sich von Exponat zu Exponat treiben lassen. Für mich hat diese Ausstellung ganz wesentlich meine Perspektive auf die Musikstadt Leipzig und ihre Protagonist:innen verändert.« Wichtiger noch: Es bleibt offenbar nicht nur beim Besuch der Ausstellung – sie regt zum Nachdenken und Handeln an: »Wir haben mit mehreren Abteilungen die Ausstellung besucht«, fährt Wolff fort. »Über die Geschichte der Menschen, die in der Oper gearbeitet haben, hatten wir erst im vergangenen Jahr noch viel recherchiert – was eben möglich ist nach der Zerstörung des Opernhauses im Krieg, die ja auch sämtliche Archive vernichtet hat. Dadurch konnten wir endlich den vergessenen Gustav Brecher würdigen – mit einem Stolperstein und der Umwidmung des großen Probensaals. Brecher hat das avantgardistische Opernprogramm der 1920er Jahre und die Bildung eines modernen Opernensembles in Leipzig verantwortet – und wurde von den Nazis vertrieben, hat sich vermutlich mit Frau und Schwiegermutter auf der Flucht umgebracht. Seine Entlassungsurkunde hatte allerdings noch Oberbürgermeister Goerdeler unterzeichnet. Diese Doppelbödigkeit betraf auch andere Persönlichkeiten und hat uns in der Ausstellung beeindruckt: Du kennst jemanden als Legende der Musikwelt und dann konntest du in der Ausstellung erfahren, dass Richard Strauss hemmungslos für jeden aus politischen Gründen entlassenen Dirigentenkollegen eingesprungen ist. Und er nicht der einzige Opportunist war.«

Auch Gerald Fauth, der Rektor der HMT, findet »eine Ausstellung diesen Formats extrem wichtig, um stets mahnend daran zu erinnern, was totalitäre Herrschaft für die Freiheit des Geistes und die Nachkommenden bedeuten kann«. Leipzig sei »neben Wien die Stadt mit der größten musikalischen Tradition in Europa. Dieses reiche musikalische Erbe nicht nur hoch zu achten, sondern verantwortungsbewusst zu pflegen, ist eine Aufgabe, der sich jeder in dieser Stadt tätige Musiker verpflichtet fühlen sollte. Musik begegnet Einheimischen wie Besuchern auf Schritt und Tritt – sei es in den Fußgängerzonen der Innenstadt oder an einem der zahlreichen Konzertorte, die das Bild Leipzigs unverwechselbar prägen.« Ein Bild, das ein paar blinde Flecken weniger vertragen könnte.

■ »Hakenkreuz und Notenschlüssel – Die Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus«: bis 20.8., 
www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de


■ Begleitbuch herausgegeben von Kerstin Sieblist, Sebastian Krötzsch und Anselm Hartinger, 164 S., 14,80 €


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