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»Im Wald sind wir Menschen nur zu Gast«

Stadtwaldrangerin Franka Seidel über Artenvielfalt, Polizeibefugnisse und die Dinge der Natur

  »Im Wald sind wir Menschen nur zu Gast« | Stadtwaldrangerin Franka Seidel über Artenvielfalt, Polizeibefugnisse und die Dinge der Natur

Forstwirtschaftsstudium in Eberswalde, Leiterin der Leipziger Auwaldstation und nun Stadtwaldrangerin: Franka Seidel radelt durch den Wald, beobachtet und begutachtet, informiert und sensibilisiert – und handelt im Zweifelsfalle für den Baum. Interview des Monats

An einem der heißesten Tage dieses Sommers empfängt uns Franka Seidel im Wildpark. Wir nehmen auf einer Bank unweit vom Gehege der Wildkatze Platz. Ein Grashüpfer kann sich gerade noch so vor einem Spatz unter unsere Bank retten. Wenig später hat der Spatz Glück, ein fettes Heupferd dagegen Pech: Es wird auf dem Gehweg vom Vogel filetiert.

So ist die Natur. Sie und Ihr Kollege haben seit April die Aufgabe, den Menschen Natur zu vermitteln?

Informieren und Sensibilisieren gehört zu unseren Aufgaben. Wir bieten Exkursionen zu verschiedenen Stadtwaldthemen an: zum Beispiel, dass der Auwald zu den artenreichsten Wäldern Europas gehört und welche Maßnahmen erfolgen müssen, um den Erhaltungszustand der Lebensraum­typen zu schützen und zu verbessern. Wir unternehmen Gebietsfahrten, bei denen wir uns einen Überblick zum Zustand des Waldes verschaffen, auch um die Einhaltung von Verhaltensnormen zu fördern und zu fordern. Im Wald sind wir Menschen nur zu Gast. Gerade in den vier Naturschutzgebieten achten wir darauf, ob die Artenvielfalt beeinträchtigt wird, etwa durch wildernde Hunde. Der Stadtwald ist groß und hat viele Wege, das macht das Ganze recht vielschichtig. Weiterhin unterstützen wir die beiden Revierförster bei der Baumkontrolle entlang von Wegen und beseitigen bei Bedarf abgebrochene Äste sofort – dafür haben wir eine kleine Säge dabei. Wir achten auf Vandalismus und helfen bei den Sicherheitskontrollen der Spielplätze. Und wir entwickeln Informa­tionsmaterial wie Tafeln.

Ganz schön viel für zwei Personen …

Es geht ja noch weiter. Denn zu unserem Aufgabenspektrum gehören auch Kontrollen der Beweidungsflächen am Cospudener See sowie bei Amazon und Porsche. Und manches, was über die Mängel-Melde-App oder die Bürgerinfo-Adresse der Stadt gemeldet wird, wird an uns zur Bearbeitung weitergeleitet, beispielsweise Meldungen auf Verdacht des Eichenprozessionsspinners. Auch wissenschaftliche Unterstützung leisten wir, indem wir Untersuchungs­flächen betreuen. Eine Frage ist hier zum Beispiel, mit welchen Baumarten sich der Wald verjüngt, da seine enorme Artenvielfalt vor allem auch davon abhängt. Deshalb legen wir jetzt Flächen zur Beobachtung der Eschenverjüngung an. Das lässt sich gut mit den anderen Aufgaben kombinieren, etwa Ansprechperson sein und Wege begutachten.

Sind Sie vor allem draußen unterwegs?

Zum Glück haben wir keinen Bürojob. Nebenbei passiert die Naturbeobachtung. Heute früh etwa konnte ich zwei Füchse sehen.

Sie haben die Befugnisse einer Vollzugspolizei?

Wir haben die Befugnisse der Polizeibehörde: Wir dürfen Ordnungswidrigkeiten ahnden und aussprechen und sind berechtigt, Personalien aufzunehmen. Für den Vollzug sind wir nicht ausgebildet. Sollte es zu einer kritischen Situation kommen, würden wir immer die Polizei dazurufen. Wir gehören zum Forstamt und sehen uns als Informationseinheit. Wir klären auf, die Ordnungskeule ist die letzte Maßnahme.

Sie sind keine Polizei …

… genau, wir sind nicht die Waldpolizei, die dafür da ist, alle abzustrafen. Zum Beispiel: Wenn Hunde außerhalb der Naturschutzgebiete ruhig neben Herrchen oder Frauchen laufen, ist das im Wald auch ohne Leine kein Problem. Wir müssen ein gutes Maß finden und die Bürgerinnen und Bürger im positiven Sinne erreichen. Ich appelliere, sich über den schönen Stadtwald zu freuen, der ist wirklich einzigartig.

Gibt es wirklich regelmäßig illegale ­Feuerstellen im Wald?

Hoffentlich nicht, aber man findet immer mal wieder Feuerstellen mitten im Wald in versteckten Bereichen, die über Trampel­pfade zugänglich gemacht wurden, in Connewitz zum Beispiel, auf der Möckernschen Kippe oder im Paunsdorfer Wäldchen. Die beräumen wir dann. Feuer im Wald und auf den Kippen ist ein No-Go – wenn wir hier jemanden feststellen, wird das richtig teuer.

Wie waren die Begegnungen bisher?

Bisher überwiegend positiv: Die Leute finden es gut, dass jemand vor Ort ist.

Welche Einsätze hatten Sie schon?

Am Floßgraben haben wir mit kontrolliert, dass die Zeiten für das Befahren eingehalten werden, das traf durchaus auf Verständ­nis. Lediglich ein paar Jugendliche, die auf dem Wasser laute Musik hörten, wollten nicht so ganz einsehen, dass sie die Erholungssuchenden und auch die Natur nicht beeinträchtigen sollen. An den Beweidungsflächen haben wir Hundehalter darauf hingewiesen, auf ihre Hunde aufzupassen, auch die waren einsichtig. Auch ein Fall von ertapptem Holzdiebstahl verlief ohne Aggressionen uns gegenüber.

Verkauft das Forstamt nicht auch Brennholz?

Ja. Verstärkt durch die vielen Schadbäume beziehungsweise die abgestorbenen Bäume fällt viel Holz an, von dem ein Teil als Brennholz verkauft wird. Im Frühjahr, als wir gerade frisch angefangen hatten, wollten sich Leute beim Forstamt Brennholz mit dem Auto holen und hatten ihre Einfahr­erlaubnis nicht dabei. Darunter war nie­mand, der illegal in den Wald gefahren wäre. Aber es ist wichtig, das zu kontrol­lieren, weil die Bevölkerung selber auch sehr aufmerksam ist und bei jedem Auto im Wald richtigerweise skeptisch wird.

Macht Ihnen der Wald Sorgen?

Zum Teil sieht der Wald katastrophal aus – besonders bei den Altbäumen. Wenn Kitas Waldnachmittage veranstalten, weisen wir darauf hin, dass sie vorsichtig sein und nach oben schauen sollen, um sich und die Kinder nicht in Gefahr zu bringen. Heute erst war ich unterwegs, es ist wirklich verheerend, wie es an einigen Stellen aussieht. Die kranken, befallenen Bäume nehmen definitiv zu.

Was sind das für Krankheiten?

Das sind eingeschleppte Krankheiten, haupt-
sächlich das Eschentriebsterben und die Rußrindenkrankheit, Ulmen gibt es ja nicht mehr viele. Wir haben viele mächtige Eschen, die jetzt Stück für Stück absterben, und zwar ganz schnell. Das ist wirklich schlimm. Wegen der Rußrindenkrankheit stirbt der Ahorn innerhalb von ein paar Wochen ab und bricht früher oder später zusammen, das geht mitunter rasend schnell.

Wie geht es dem Auwald?

Das ist vielschichtig. Aktuell sterben sehr viele Altbäume ab oder sind schon abgestorben. Da Totholz ein wichtiges Element und ein Katalysator für eine hohe Biodiversität ist, ist das zwar aktuell gut für die Artenvielfalt, aber das ist nur ein Zeitausschnitt. Uns bleiben vielleicht gar nicht so viele Bäume, die den absterbenden Oberstand zeitnah qualitativ ersetzen können, weil Bäume viel Zeit brauchen, um große Dimensionen zu erreichen.

Der Oberstand ist die Baumkronenzone?

Genau, das sind die Bäume mit den höchsten Kronen. Ein Problem ist auch, dass der Aufwuchs von aktuell drei wichtigen Baumarten nicht bleibt. Die Ulme kommt an etlichen Stellen stark im Unterstand, wächst über Stockausschlag überall nach, stirbt aber seit mittlerweile Jahrzehnten wegen eines aggressiven Pilzes nach kurzer Zeit ab. Das Gleiche passiert leider auch mit der Esche beziehungsweise kommt sie zum Teil gar nicht hoch, weil sie zusätzlich mehr Licht braucht. Das Licht wiederum nimmt der Bergahorn, der erst mal alles sehr dicht macht. Wenn man sich im Wald umschaut, sieht man, dass vor allem viel Bergahorn nachwächst. Das ist wie eine grüne Wand, weswegen es erst einmal gut aussieht, weil es wunderschön grün ist. Aber das ist dadurch eben oft auch alles monoton, weil es nur diese eine Baumart ist.

… den man hier ja reduzieren möchte, weil er anderen Licht und Platz nimmt?

Ja: Wenn er wenigstens groß und zum mächtigen Baum heranwachsen würde, der auch mal Totholzstrukturen bieten könnte. Aber leider stirbt der Bergahorn mit etwa zwanzig Metern Höhe auch wieder ab. Bei der Esche ist es ähnlich, da sind bis zu neunzig Prozent betroffen. Und die Eiche, die noch einigermaßen gut aussieht, verjüngt sich nicht selbst. Wir haben ganz wenige Flecken, wo sie durchkommt. Insgesamt ist es aktuell um die Artenvielfalt noch gut bestellt, aber die Erholungsfunktion für uns Menschen wird zunehmend beeinträchtigt, weil die waldtypischen Gefahren gerade akut steigen …

… dass ich einen Ast auf den Kopf ­bekomme?

Angesichts der vielen kranken Bäume sollten die Leute immer mal nach oben schauen, wenn sie bei böigem Wind länger an einer Stelle verweilen, etwa zum Picknicken, ob da ein Ast runterhängt oder ein Baum schief steht. Das soll keine Angst schüren, der Straßenverkehr ist nach wie vor viel gefährlicher. Aktuell sieht die Situation des Waldes zwar eher schlecht aus, denn die alten Bäume leiden unter Trocken­stress, auch weil das Grundwasser in der Trockenheit der letzten Jahre abgesunken ist. Junge Bäume hingegen werden sich anpassen, haben flexible Wurzeln, mit denen sie tiefer gehen können. Daher ist das Management des Forstamtes wichtig, auf eine gute Baumartenverteilung hinzuwirken. Und es ist auch unsere Aufgabe als Ranger, dafür Verständnis zu schaffen.

Etwa, wenn für die Eichen Platz zum Wachsen geschaffen, also gefällt werden muss?

Da denken manche Menschen, wir schlagen ein und fällen Bäume, weil die Stadt Geld braucht. Das ist natürlich nicht so, im Gegenteil. Um die Eiche als naturschutzfachliche Leitart und Biodiversitätshotspot zu erhalten, entstehen Aufwand und Kosten. Auf breiter Basis und mit vielen beteiligten Institutionen werden gerade gemeinsam Leitlinien für die zukünftige Behandlung des Auwaldes erarbeitet. Der Wald vor unserer Haustür war ja nie Urwald und ist schon sehr lange menschlich beeinflusst. Die Eiche hat davon immer profitiert. Wenn wir die Artenvielfalt hier erhalten wollen, ist es nötig, dass wir Einfluss nehmen. Den Wald vollständig sich selbst zu überlassen würde bedeuten, den Verlust seiner besonderen Biodiversität zuzulassen. So ähnlich diskutiert man ja auch beim Fichtenforst im Harz – obwohl der Fall da ganz anders liegt.

Das haben Sie auch schon als Vorwurf gehört?

Auf jeden Fall: Ohne Hintergrundwissen befürchten manche Menschen erst mal, dass der Wald durch die Entnahme einiger Bäume seinen urtypischen Charakter verliert. Aber das ist nicht der Fall. Zu den weiteren Aufgaben von uns gehört noch die Unterstützung der Förster bei den Verkehrssicherungsmaßnahmen. Wir laufen die Wege entlang und schauen, wo Maßnahmen ergriffen werden müssen. Und wir handeln immer pro Baum. Wenn möglich, entfernen wir nur Totholz oder kürzen die Krone ein – wenn man von der Krone etwas wegnimmt, kann sich der Baum vielleicht regenerieren, weil er das Wasser nicht mehr bis in die obersten Spitzen transportieren muss. Viele schaffen es, dann noch ein paar Jahre län-ger zu leben. Und wenn ein Baum nicht mehr zu retten ist und es von der Wege­sicherheit her vertretbar ist, bleibt der Stamm stehen, damit die Biotopstruktur erhalten bleibt, etwa der Specht seine Höhlen bauen kann und Fledermäuse hineinkönnen. Die Fällung ist immer die äußerste Maßnahme, wir bedenken jeden Eingriff in die Natur. Wie neulich das Wildschwein am Fockeberg, das geschossen werden musste, weil die Konflikte einfach zu groß geworden sind. Wenn man das den Leuten erklärt, ist die Einsicht da.

Wie groß ist der Nutzungsdruck?

In Corona-Zeiten war er sehr stark. Aktuell verteilt sich das ganz gut. Im Süden, in der Nonne, in Gohlis sind die Strecken mit hohem Nutzungsdruck. Aber solange sich die Leute auf den Hauptwegen aufhalten, ist das in Ordnung. Schwierig wird es, wenn sich die Trampelpfade immer weiter ausdehnen. Und zuletzt war aufgrund des nassen Frühjahrs und der vielen Mücken gar nicht so viel los.

Wie kamen Sie eigentlich zur Forstwirtschaft?

Nach dem Abitur war ich in Australien. Dort war ich ein Dreivierteljahr unterwegs, unter anderem in dem Karri-Forest, wo die größten Bäume der Welt stehen. Das war sehr beeindruckend, vielleicht hat mich das beeinflusst. Danach habe ich ein Praktikum in der Sächsischen Schweiz im Nationalpark gemacht und darüber kam ich zum Forstwirtschaftsstudium. Allerdings nicht die klassische Forstwirtschaft, sondern internationales Waldökosystemmanagement.

Sie wollten also in die Wälder der Welt?

Das war die Idee, mich hatte das Reisefieber gepackt. Bei einem Auslandspraktikum im Amazonas habe ich zum Beispiel einen Baumartenlehrpfad entwickelt. Ich wollte weltweit arbeiten, aber eine feste Beziehung hat mich hier gehalten.

Die Liebe zum Baum war immer schon da?

Ich bin im Muldental aufgewachsen und bin jeden Tag durch den Wald zur Schule gefahren. Schon damals habe ich mich für Pflanzen interessiert. Als mein Vater begann, sich für Ornithologie zu interessieren, hat mich das dann auch gepackt.

Haben Sie einen Lieblingsvogel?

Den Pirol, der hat so etwas Tropisches. Der ruft auch hier ganz intensiv. Insgesamt erfreuen mich viele Vögel. Als ich noch in der Auwaldstation gearbeitet habe, bin ich dorthin immer von Connewitz. Am Wasser entlang konnte ich zum Beispiel Eisvögel, Pfeifenten oder Störche beobachten.

Während andere in der Natur arbeiten, um keine Menschen sehen zu müssen, ist Ihr Schwerpunkt die Umweltbildung?

Ich hatte immer mit Menschen zu tun: In Eberswalde habe ich Führungen durch den Botanischen Garten gemacht, in Grimma zusammen mit der Volkshochschule angefangen, ein Exkursionsprogramm aufzu­bauen. Der Werdegang hat ganz gut gepasst.

Haben Sie schon einmal eine Wildkatze in freier Wildbahn beobachtet?

Leider nein, das ist den allerwenigsten gegönnt. Es ist ohnehin eine Sensation, dass sie hier im Stadtgebiet heimisch ist.

Andere gehen in den Wald, um sich zu erholen – Sie arbeiten hier. Wo erholen Sie sich?

Letztes Jahr bin ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge aus Leipzig weggezogen, nach Ammelshain bei Naunhof. Dort erhole ich mich. Der Abstand ist sicher nicht schlecht, früher war ich mit meinen Kindern ständig hier im Wald. Jetzt würde ich dabei eher die Arbeit sehen. Aber ich bin froh, dass durch die Stelle der Kontakt zu Leipzig bestehen bleibt, denn ich mag die Stadt.

Viele seltene Arten, wie der im Auwald lebende Eremit-Käfer, sind keine Schönheiten. Ist Ihnen das Phänomen begegnet, dass die Offenheit gegenüber bestimmten Arten wegen mangelnder Niedlichkeit nicht so groß ist?

Man kann schon sagen, dass der Fischotter oder die Wildkatze mehr ziehen als der Eremit, der Eschenscheckenfalter oder der Wiesenknopf-Ameisenbläuling. Die sind natürlich auch hübsch.

Und man muss sowieso erst einmal entdecken, was sich hier in Leipzig vor der Haustür befindet …

… ja, in dem Zusammenhang ist mir aufgefallen, dass Leipzig immer internationaler wird. Das merkt man auch im Stadtwald und im Wildpark – vielleicht, weil er ein schönes und kostenfreies Angebot für Familien hat. Deshalb planen wir, das englischsprachige Informationsangebot zu erweitern, etwa bei Tafeln, Faltkarten und beim Internetauftritt. Wer in Leipzig aufgewachsen ist, hat darüber einen emotionalen Bezug zum Stadtwald, und der lässt sich so vielleicht auch für Zugezogene herstellen.

INTERVIEW: TOBIAS PRÜWER UND FRANZISKA REIF

Titelbild: Christiane Gundlach


Biografie:  Franka Seidel wurde 1983 in Grimma geboren, ist in Großbothen aufgewachsen und studierte von 2004 bis 2007 Forstwirtschaft in Eberswalde. Nach einer Tätigkeit beim Landschaftspflegeverband in Grimma wurde sie 2010 Leiterin der Leipziger Auwaldstation. Zuletzt betreute sie ein Schutzgebiet am Werbeliner See. Seit 2023 ist sie als Stadtwaldrangerin unterwegs.


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