Und dann fliegen die Stühle. Zorn bricht aus der eben noch verzückt-entrückt tänzelnden Frau und sie wirft die Möbelstücke durch den Lofft-Bühnenraum. Purzelnd kommen sie kurz vor der ersten Zuschauerreihe zum Stoppen. Dann ebbt die Raserei ab, beginnt rasender Tanz. Fantastisch in Choreografie und Körperbeherrschung überwältig »Scarbo«. In ihrem Solo gibt die französische Tänzerin Manon Parent von bebender Begeisterung bis Zerrissenheit unter Selbstzweifeln etliche Gemütszustände wieder. Zu Klaviermusik vermag sie es ohne Requisiten, die große, leere Tanzfläche komplett zu bespielen. Kleine anrührende Gesten vermengt sie mit raumgreifenden Schritten, Sprüngen und Bodenrollen. In intimer Nahbarkeit überzeugt Manon mit einer Unmittelbarkeit, wie sie sonst nur die Eröffnung der Euro-Scene hatte – und wird darum wie diese in besonderer Erinnerung bleiben.
Enttäuschend, weil verrätselt anzusehen war »Negotiating Peace« von der kosovarischen Gruppe Quendra Multimedia. Mit theatralen Mitteln schauten sie sich verschiedene historische Friedensverhandlungen an. Das Spiel war zu steif und zu humoristisch zugleich, die Szenen blieben unverständlich. Und dann tauchte auch noch ein Politikwissenschaftler belehrend im Frontalunterricht auf – uff. Aber man muss auch mal groß scheitern können. Informationsreich und durch das Vorführen leerer Alltagsposen schick illustriert hingegen war das kapitalismuskritische »Krize« (The New Post Office / Slowenien). Ukrainisches Punk-Rock-Posing weckte Gefühle allein schon wegen der Weltsituation, die Bildgewalt eines Steve Cohen muss erstmal sacken, sacken, sacken.
Tosender Applaus war bei vielen Gelegenheiten auf dem sechstägigen Marathon zu vernehmen, der am Sonntag endete. Proppenvoll waren die Foyers vom Schauspielhaus und den anderen Spielstätten wie Lofft, Schaubühne und TdJW. Vielleicht sei Detailkritik erlaubt. Es ist gewiss teuer, andere Orte jenseits der Theater zu bespielen und extra auszustatten. Aber der Reiz früherer Euro-Scenen, auch mal die Peterskirche oder das Stadtbad zu bespielen, wäre neu zu wecken.
Aber zurück zum Lob: So viele Theaterbegeisterte aus verschiedenen Szenen kommen selten zusammen, allein das war toll. Denn es entstanden dadurch viele (Wieder-)Begegnungen, gute Gespräche und einfach eine einnehmende Stimmung. Theaterzauber eben. Dafür nimmt man auch auf fliegenden Stühlen Platz.