»Leipzig ist nicht Israel/Palästina«, meint eine Gruppe auf Selbstverständliches hinweisen zu müssen. »Selbst krude Anti-Imperialist:Innen sind noch keine Nazischläger oder Hamasmörder und antideutsche Linke nicht Kommandos der IDF« (israelisches Militär, d. Red.). – Die Stellungnahme auf dem Knackpunkt-Portal mahnt zur Vernunft und inhaltlichen Auseinandersetzung nach einer Aktion gegen das linke, migrantisch geprägte Szeneobjekt »Die ganze Bäckerei« in Lindenau. Dort hatten Ende Oktober Unbekannte Scheiben eingeworfen und eine Substanz in Gläsern hinterlassen, bei der es sich laut Polizei und Feuerwehr höchstwahrscheinlich um Schweinefett gehandelt habe, wie die Bäckerei-Betreibenden später auf Instagram erklärten. Dies lasse auf einen antimuslimischen und rassistischen Hintergrund der Tat schließen. Allerdings handelt es sich hierbei um Spekulation.
Denn auch Anfang Dezember dauern die Untersuchungen noch an, bisher ist nicht geklärt, womit die Gläser tatsächlich gefüllt waren. Sachbearbeiterin Josephin Sader von der Polizeidirektion Leipzig teilte dem kreuzer auf Anfrage mit: »Das Glas mit Inhalt wurde zur weiteren Untersuchung zum Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamts Sachsen verbracht. Das Ergebnis liegt noch nicht vor. Die vor Ort eingesetzte Feuerwehr hat die Vermutung aufgestellt, dass es sich bei dem Inhalt um tierisches Fett handeln könnte.« Eine Anfrage des kreuzer beantwortete »Die ganze Bäckerei« nicht. Das Bekennerschreiben einer Antifa-Gruppe, das kurz darauf auf der linken Szene-Seite Indymedia auftauchte, wurde wenig später wieder gelöscht.
Dennoch liegt der Schluss nah, dass sich die Tat gegen bestimmte Gruppen richtete, die sich in der Bäckerei treffen. Diese, szeneintern »rote Gruppen« genannt, eint ein autoritär-kommunistisches Weltbild. Seit einiger Zeit versuchen sie, die überwiegend undogmatisch und emanzipatorisch geprägte linke Szene in Leipzig zu unterwandern.
Rote Gruppen im Plenum des Uni-StuRas
Beim Student*innen-Rat (StuRa) der Universität Leipzig scheint ihnen das zuletzt gelungen zu sein: Mitte Oktober verabschiedete dessen Plenum eine »Stellungnahme zum Krieg in Israel und Palästina«, die im Anschluss von verschiedenen Seiten als antisemitisch bezeichnet wurde, etwa von der Juso-Hochschulgruppe und der Associazione Sapere Aude, einem Zusammenschluss von Studierenden und Mitarbeitenden der Uni. Kritisiert wird, dass im Papier Israels Existenz- und Selbstverteidigungsrecht nicht erwähnt wird. Außerdem wird Israels Regierung zwar als »ultrarechts« eingeordnet, die Hamas aber nicht als Terrororganisation kategorisiert, was unter anderem die Europäische Union tut. Das Bundesinnenministerium erteilte der Hamas Anfang November ein Betätigungsverbot in Deutschland.
Eigentlich sollte das StuRa-Plenum darüber abstimmen, Gruppen die Förderung zu entziehen, die in Aufrufen, auf Demos oder in den Sozialen Medien die Hamas unterstützen. Eingebracht hatte den Antrag der StuRa-Referent für Hochschulpolitik. Solche Positionen würden in Projekte auf dem Campus eindringen, heißt es in der Begründung. So seien »autoritäre, intrinsisch antisemitische« Gruppen bei den Kritischen Einführungswochen aufgetreten, einem linken Bildungsangebot zum Semesterstart.
Zu diesen Gruppen zählte Handala, die nach dem Hamas-Terrorangriff Anfang Oktober eine inzwischen gelöschte Instagram-Kachel mit einem Gleitschirm, wie ihn die Terroristen verwendeten, postete und auf den Slogan »From the river to the sea« Bezug nahm. In der Verfügung zum Hamas-Verbot hatte das Innenministerium auch diese Parole verboten. Hintergrund ist, dass mit dem Slogan die Selbstbestimmung Palästinas zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer gefordert wird – also auf dem Gebiet, auf dem sich heute auch Israel befindet. Viele Beobachtende sehen darin eine Verneinung des Existenzrechts Israels. Wie mit dem Verbot umgegangen wird, entscheidet jedoch die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft. In Bayern ist die Parole ab sofort grundsätzlich strafbar und wird als Verwenden von Kennzeichen terroristischer Organisationen gewertet. Im Oktober erklärte die Berliner Staatsanwaltschaft noch, dass die Parole nur strafbar sei, wenn sie im »nötigen Kontext« einer gewaltsamen »Befreiung« Erwähnung findet.
Per Eilantrag setzte Handala zusammen mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) erwähnte Stellungnahme zum Krieg auf die Tagesordnung des StuRa-Plenums, unterstützt vom Antirassismus-Referat des StuRa. Trotz oder wegen der umstrittenen Punkte im Papier wurde dieses mehrheitlich angenommen. Das Plenum ist das basisdemokratische Beschlussorgan, weshalb alle StuRa-Referentinnen und -Referenten den Beschluss nach außen vertreten müssen. Warum sie den Eilantrag unterstützten, wollten weder SDS-Mitglieder noch das Antirassismus-Referat dem kreuzer beantworten.
Kommunistischer Aufbau hinter roten Gruppen
Einseitige Parteinahme für Palästina ist ein Thema, das die roten Gruppen verfolgen. Hinter ihnen steckt wesentlich eine Organisation, die sich Kommunistischer Aufbau (KA) nennt. Ab 2019 oder 2020 etablierte sich eine kleine Zelle der Organisation in Leipzig, erklärt die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) dem kreuzer im Gespräch. Anfangs aus zwei, drei Leuten bestehend, bildeten sich um den KA weitere Gruppen wie das Solidaritätsnetzwerk, die Internationale Jugend, das Frauenkollektiv, die Föderation Kommunistischer Gruppen, Zora und genannte Handala. »Wobei mein Eindruck ist, dass zum Teil immer wieder dieselben Leute auftreten. Der KA ist ja kaderorientiert aufgebaut«, sagt Nagel.
Diese Gruppen bringen sich bei vermeintlichen Sachthemen ein, etwa bei Mietprotesten, oder versuchen im StuRa-Plenum Einfluss auf andere Organisationen auszuüben. »Die wollen sich an die Spitze einer proletarischen Revolution setzen. Ziel ist es, eine neue kommunistische Partei aufzubauen«, sagt Nagel, Diskussionen seien unmöglich. »Die rollen ihre Fahnen aus, wollen die erste Reihe bilden.« Das hätten einige der Gruppen im Oktober 2022 auf der Bündnisdemo »Jetzt reicht’s« bewiesen, die Energiepreise und soziale Krisen thematisierte: »Da versuchten Gruppen wie Solidaritätsnetzwerk, Zora und Handala mit ihren Palästina-solidarischen Schildern die Demo zu smashen. Die traten als ein Block auf und verstanden sich auch so. Da wurde sichtbar, dass sie zusammengehören«, sagt Nagel, die keine Leipziger Besonderheit im Erstarken solcher autoritären Gruppen sieht – auch in Dresden und Freiberg hätten sich zum Beispiel solche gegründet. Anders bewertet das die undogmatische kommunistische Leipziger Gruppe Kappa. Im Unterschied zu KA zählt dieser nicht hierarchische Zusammenschluss von Aktivistinnen und Aktivisten zum emanzipatorisch orientierten Teil der Szene. Kappa antwortet dem kreuzer schriftlich: »Es ist davon auszugehen, dass bereits als Kader geschulte Personen von ihren bundesweiten Organisationen nach Leipzig geschickt wurden, um hier Lokalgruppen aufzubauen.« Starker Zuzug bringe Politikinteressierte in die Stadt, die nach Orientierung suchen. »Ihnen bieten rote Gruppen leichteren Zugang als die oft verschlossen agierenden antiautoritären linksradikalen Gruppen«, schreibt Kappa.
Dieser »gewisse Trend zu autoritären Gruppen« ist für Politikerin Nagel neu in Leipzig: »Ich will das nicht überhöhen, aber es zieht Leute.« Zumal das Simulieren von Stärke seit jeher zur Praxis sich als revolutionär verstehender Organisationen gehört. Verlockend für manche könnte die klare Problembenennung sein, sagt Nagel: »Wo sich nichtautoritäre Gruppen in Genderdebatten und anderem verästeln und auch spalten, gibt’s da einfache Antworten. Und man will weniger nach innen diskutieren, sondern nach außen wirken.« Kappa ergänzt: »Besonders effektiv agieren dabei die diversen Vorfeldorganisationen. Wem das Konzept des Parteiaufbaus zu weit von der eigenen Lebensrealität entfernt scheint, der oder die wird durch die Organisierung von Mieter*innen oder durch feministische Kämpfe einen niedrigschwelligen Anknüpfungspunkt finden. Diverse offene Treffen, eine Social-Media-Präsenz auf der Höhe der Zeit und eine rasche Einbindung von Interessierten in Aktionen tun dabei ihr Übriges.«
Wie umgehen mit diesen Gruppen?
Der Umgang mit den Gruppen wird szeneintern diskutiert. Das KA-Geflecht muss transparenter gemacht werden, findet Juliane Nagel. Es müsse allen bewusst werden, dass da Führungsfiguren agieren und es sich teilweise um »Tarngruppen« handle, bei denen der KA-Hintergrund unsichtbar ist. Strategisch habe sich das »Gruppenkonglomerat« auf den Stadtteil Lindenau fokussiert, sagt Nagel. Dort gibt es laut der Lokalpolitikerin auch Versuche, Hausprojekte zu erreichen. Es zeichnet sich ein steigendes Problembewusstsein in der Szene ab, auch, weil die Gruppen deutlicher in den Vordergrund drängen.
Beispielsweise versuchten rote Gruppen im Februar, eine Kundgebung für die Ermordeten in Hanau zu übernehmen. Mehrere Akteurinnen und Akteure der Kundgebung sprachen sich dabei gegen jede Zusammenarbeit aus, wie Kappa und Juliane Nagel. Jüngst kritisierte die Gruppe Fantifa, eine feministische Antifa-Gruppe, die roten Gruppen in einem Internetbeitrag und forderte: »Keine Räume für Antisemiten«. Im Text namentlich genannt wurde auch die jüngst angegriffene Szene-Bäckerei in der Josephstraße, wo sich KA-Organisationen treffen. Dass hier ausgerechnet ein Wohnprojekt vieler Nichtweißer angegriffen wurde, erntete Kritik auch aus der undogmatischen Szene.
Es sei längst nicht alles verloren, erklärt die Gruppe Kappa: »Die linke Szene Leipzigs besteht bei Weitem nicht nur aus autoritären Stalin- und Mao-Fans.« Man müsse diese aber in ihrem Dominanzbestreben ernst nehmen, statt sie wie bisher zu belächeln. Und sich inhaltlich positionieren: »Spiegelbildlich steht ihr Erfolg für die Schwäche der antiautoritären radikalen Linken, die momentan anscheinend wenig Attraktives anzubieten hat.« Man brauche keine Angst zu haben, dass die neuen Gruppen das Terrain übernehmen, meint Juliane Nagel relativ gelassen. »Aber es kann für die antiautoritären Gruppen Ansporn sein, neben Abgrenzung Themen wie die soziale Frage, Ausbeutungsverhältnisse etc. mehr und deutlicher zu besetzen. Grundsätzlich, denke ich, sollten wir über den autoritären Rollback sprechen, auch gerade hinsichtlich der linken Geschichte und des ideologischen Backgrounds.« TOBIAS PRÜWER