anzeige
anzeige

Notreparatur für den Gewaltschutz

Die Stadt soll mehr Kapazitäten zum Schutz für von Gewalt betroffenen Frauen einrichten

  Notreparatur für den Gewaltschutz | Die Stadt soll mehr Kapazitäten zum Schutz für von Gewalt betroffenen Frauen einrichten  Foto: Stefan Ibrahim

Seitdem Mitarbeiterinnen verschiedener Frauenschutzverbände sich im Juli 2023 mit einem offenen Brief zu den Notständen im Gewaltschutz an die Politik wandten, ist das Thema auf der Agenda des Stadtrats – auch der kreuzer beschäftigte sich in seiner Oktober-Titelgeschichte damit. »Denn auch in unserer Stadt ist die Lage dramatisch, wie wir spätestens seit dem 3. Juli wissen«, bringt Volker Külow (Linke) den gemeinsamen Antrag von Linken, SPD und Grünen ein. Kernaussage des Hilferufs aus den dem Juli sei laut Külow gewesen, dass Leipzig seinen Verpflichtungen bei der Umsetzung der Istanbulkonvention, nur begrenzt gerecht wird, die im Jahr 2011 auf europäischer Ebene einheitliche Rechtsnormen zur Bekämpfung von Gewalt geschaffen hat.

Külow untermalt die dramatische Lage mit trockenen Zahlen: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres seien 55 Menschen von Polizei oder der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS) mit dem Merkmal Hochrisiko versehen worden, der akuten Gefahr einer schweren Verletzung oder Tötung. 2022 konnten Sofortaufnahme-Einrichtungen 248 Frauen mit 315 Kindern nicht aufnehmen. Bis Ende 2023 werden voraussichtlich bis zu 1.100 Personen, die von Gewalt betroffen sind, ohne Unterstützung bleiben. »Die Dunkelziffer liegt noch wesentlich höher«, sagt Külow.

Deshalb stellten Grüne und Linke bereits im Spätsommer einen ersten Antrag, der nun überarbeitet diskutiert wird. Im Kern geht es um ein von Stadt und Land einzurichtendes Modellprojekt, das die KIS entlasten soll. Die Förderungen für die Sofortaufnahmen sollen zudem um mehrere Zehntausend Euro aufgestockt werden. »Wir haben dann erstmal nur eine Art Notreparatur des Systems beschlossen«, sagt Külow. Aufgrund der steigenden Zahlen von Menschen, die sich Hilfe suchen, könne auch eine Verdopplung der Kapazität in Hilfeeinrichtungen dem Bedarf nicht gerecht werden.

Beate Ehms (Linke) erinnert an Ausschusssitzungen, zu denen Mitarbeiterinnen des Gewaltschutzes eingeladen gewesen waren. Zwar hätten diese den Willen der Stadtpolitik gesehen, etwas zu verändern »aber ansonsten sind sie natürlich schon enttäuscht, weil es einfach viel zu wenig ist, was passiert«. Ehms zitiert eine an sie gerichtete Email der Mitarbeiterinnen vom 15. Oktober: »Die Sofortaufnahme ist nicht arbeitsfähig, wir sind kein sicheres Haus«. Die Mitarbeiterinnen berichten von Erschöpfung und Überlastung.

Die aktuelle prekäre Lage sei nicht nur für Betroffene, sondern für die Leipziger Zivilgesellschaft insgesamt eine Gefahr, zitiert Ehms die Email erneut. »Deshalb meine letzte Bitte: Nicht nur der Oberbürgermeister soll sich für eine Änderung der Situation einsetzen«, sagt Ehms und dreht sich kurz zu Jung, um sich dann wieder an die Fraktionen zu wenden. »Sie sind ebenfalls fast alle mit ihren Fraktionen im Bundestag oder Landtag vertreten, wenden Sie sich dort an ihre Kolleginnen und Kollegen«. Es gehe um Leben und Tod.

»Das ist ein für unsere Gesellschaft zutiefst beschämendes Thema«, sagt Sozialbürgermeisterin Martina Münch (SPD). Femizide bekämen noch immer nicht die Aufmerksamkeit, die nötig wäre. Münch fordert einen bundesweiten gesetzlichen Rahmen zum Gewaltschutz. Die erhöhten Fallzahlen hätten laut Münch auch damit zu tun, dass die Polizei in Leipzig inzwischen sehr sensibilisiert sei und das Dunkelfeld erhellt würde. »Wir sind hinter den Kulissen intensiv am Ringen um eine neue Anlaufstelle, die ist noch nicht vollständig spruchreif«. Im ersten Quartal des kommenden Jahres will Münch ein Ergebnis verkünden.

Der Antrag wird gegen vier Enthaltungen und drei Gegenstimmen aus der AfD angenommen.


Kommentieren


0 Kommentar(e)