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Kultur

Spurensuche

Ein Band zu sächsischen Geistlichen im KZ Sachsenburg erzählt auch Leipziger (Kirchen-) Geschichte

  Spurensuche | Ein Band zu sächsischen Geistlichen im KZ Sachsenburg erzählt auch Leipziger (Kirchen-) Geschichte  Foto: Einer von 23 Geistlichen im KZ Sachsenburg: Hermann Ackermann aus Ramsdorf

Das ehemalige KZ Sachsenburg – 25 Kilometer nördlich von Chemnitz gelegen – war in den letzten Jahren schon einige Male Thema im kreuzer. Im vergangenen Herbst ging es um den Abriss der Kommandantenvilla und somit eines authentischen, historischen Ortes auf dem Gelände. Der vor Kurzem im Leipziger Verlag Hentrich und Hentrich erschienene Band »Geistliche im Konzentrationslager Sachsenburg« thematisiert nun eine Opfergruppe im Lager, die bisher etwas im Schatten lag. Auch wenn achtzehn evangelische Pfarrer, drei evangelische Vikare und zwei katholische Priester im Vergleich zu den insgesamt mindestens 8.000 Inhaftierten im Lager eine relativ kleine Gruppe sind, so spielen sie eine besondere Rolle in der individuellen und der kollektiven Erinnerungskultur: Wer beispielsweise auf die Websites der Leipziger Kirchgemeinden St. Nikolai und St. Thomas schaut, wird weder Auskunft über das Gemeindeleben noch über Pfarrer im Zeitraum von 1933 bis 1945 finden – obwohl einiges die beiden Leipziger Gemeinden mit dem Konzentrationslager Sachsenburg verbindet. Zu den zwischen 1933 und 37 in Sachsenburg inhaftierten Geistlichen gehört zum Beispiel Ernst Lewek, für den 2016 vor dem Pfarrhaus auf dem Nikolaikirchhof ein Stolperstein verlegt wurde.

Dass der Band nun an ihn und andere erinnert, war die Idee des Chemnitzer Künstlers Osmar Osten, Mitglied der Geschichtswerkstatt Sachsenburg. Das von der Leipziger Illustratorin und Grafikerin Katja Schwalenberg gestaltete Buch beginnt mit Fotografien aus Familienalben sowie Akten und verbindet private und offizielle Erinnerungen. Es schließen sich Biografien und ein Gespräch mit Angehörigen der Porträtierten nach deren Besuchen auf dem Gelände des ehemaligen Lagers an. Zudem enthält das Buch wissenschaftliche Aufarbeitungen zum Lager und zur Rolle der Kirche im Nationalsozialismus sowie Reaktionen der nationalen und internationalen Presse auf die Inhaftierungen der Geistlichen.

Ein Zeitstrahl beschreibt außerdem die kirchliche Entwicklung ab 1932 mit der Gründung der Deutschen Christen, einer rassistischen, antisemitischen und am Führerprinzip orientierten Bewegung im deutschen Protestantismus. Bereits im Dezember 1930 stand der Programmpunkt »Thesen des Ausschusses für völkische Fragen« auf der Tagesordnung des monatlichen Treffs der Leipziger Pfarrer mit dem Superintendenten Gerhard Hilbert. Den Aufzeichnungen zum Treffen ist zu entnehmen: »Man war sich klar darüber, dass die völkische Bewegung nicht wie einst die Arbeiterbewegung ohne Beeinflussung durch die Vertreter der Kirche gelassen werden darf, sondern dass vielmehr vor allem jüngere Geistliche in die verschiedenen völkischen Körperschaften eintreten müssten, nicht um politisch mitzuarbeiten, wohl aber um sie im Sinne des Christentums zu beeinflussen.« Das bedeutete auch, dass Pfarrer wie Georg Faber (Lutherkirche), Gerhard Eber (Johanniskirche) oder Friedrich Israel, später Ostarhild (Nikolaikirche) früh in die NSDAP eintraten.

Im September 1933 gründete sich der Pfarrernotbund, eine Gruppe von evangelischen Theologen und Pastoren, die sich gegen die Einführung des sogenannten Arierparagrafen (Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, eingeführt im April 1933) aussprachen; im April 1934 folgte die Bekennende Kirche, ein Zusammenschluss innerhalb der evangelischen Kirche gegen die Gleichschaltung von Lehre und Organisation der Kirche mit dem Nationalsozialismus. Als Ende März 1935 das sächsische Innenministerium die Verlesung und Verbreitung der von der Bekennenden Kirche vorgetragenen Regimekritik von der Kanzel verbot, folgten die Verhaftungen sächsischer Geistlicher – aus Leipzig: Ernst Lewek (1893–1953), der Pfarrer der Nikolaikirche, Oskar Meder (1885–1947), der Pfarrer der Thomaskirche, sowie Georg Walther (1884–1984), der Pfarrer der Peterskirche. Sie wurden am 4. Juni 1935 auf Anordnung des Reichsinnenministeriums entlassen und mit einem Amtierungsverbot bis Oktober 1935 belegt. Lewek durfte erst nach Kriegsende wieder eine Pfarrstelle annehmen.

Sein Enkel beschreibt die unterschiedlichen Erinnerungen innerhalb der Familie: »In meiner Familie gibt es über Ernst Lewek zwei Narrative. Das eine sieht ihn vor allem als Opfer, als bescheidenen Pfarrer, dessen wahre Leidenschaft die Musik und sein ausgezeichnetes Klavierspiel gewesen seien, der aber unter die Räder einer gnadenlosen Zeit geriet und sich – von seiner Kirche im Stich gelassen – der Politik zugewandt habe. Das andere sieht in ihm den mutigen und unbeugsamen Geist, den Mitbegründer der Bekennenden Kirche und des Pfarrernotbundes, der seinen Widerstand mit schwerer KZ-Haft bezahlte und aus dieser Erfahrung heraus 1945 aktiv in die Politik ging.«

Lewek, dessen Mutter christlich und dessen Vater nicht praktizierender Jude waren, war am Kreuzgymnasium, studierte Theologie und meldete sich als Freiwilliger zum Ersten Weltkrieg. Er war danach Mitglied beim Stahlhelm und Bund Frontsoldaten – und nationalkonservativ. Nach 1945 war Lewek Mitglied der CDU, engagierte sich im Leipziger Stadtrat und im Landtag, er kritisierte die ausbleibende Entnazifizierung innerhalb der Kirche. Neben seinen biografischen Daten ist im Buch zu erfahren: »Bei der Beerdigung von Ernst Lewek hielten zwei seiner Widersacher die Grabansprachen, ohne auch nur mit einem Wort seine Verfolgung unter den Nazis anzusprechen.«
Ein wichtiges und sehr empfehlenswertes Buch. 

 

> Felix Dümcke, Anna Schüller (Hrsg.): Geistliche im Konzentrationslager Sachsenburg. Leipzig: Hentrich und Hentrich 2023. 304 S., 29 €


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