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Stadtleben

Freispruch für Aktivistinnen nach DHL-Blockade

Gericht sieht Nötigung bei Protest am Flughafen Leipzig 2021 als nicht gegeben. Entscheidungen in weiteren Verfahren sind ungewiss

  Freispruch für Aktivistinnen nach DHL-Blockade | Gericht sieht Nötigung bei Protest am Flughafen Leipzig 2021 als nicht gegeben. Entscheidungen in weiteren Verfahren sind ungewiss  Foto: Timo Krügener

Lauter Jubel bricht am Dienstagabend aus, als in Verhandlungssaal 103 des Amtsgerichts Eilenburg zwei Aktivistinnen freigesprochen werden, die im Juli 2021 bei der Besetzung der DHL-Zufahrt am Flughafen Leipzig beteiligt waren. Beide waren wegen des Vorwurfs der Nötigung angeklagt, die Staatsanwaltschaft warf den Demonstrantinnen vor, durch ihre Sitzblockade psychische und physische Gewalt auf die LKW-Fahrer ausgeübt zu haben. Richter Ruben Franzen sprach die Angeklagten frei, weil die Demonstration den Transport zu keinem Zeitpunkt vereitelt und nur eine Verzögerung ausgelöst habe. Damit sei der Tatbestand der Nötigung nicht erfüllt  ̶ weder gegenüber den Lastwagenfahrern noch gegenüber den Mitarbeitenden bei DHL.

Der Prozess bildete den Auftakt zu 26 weiteren strafrechtlichen Verfahren mit je zwei Angeklagten. Die insgesamt 54 Aktivistinnen und Aktivisten hatten eine Abfahrt des Kreisverkehrs besetzt, der als Zufahrt des DHL-Standorts dient. Damit demonstrierten sie gegen den Ausbau des Leipziger Flughafens (der kreuzer berichtete). Nachdem die Klimaaktivisten zunächst in einem zivilrechtlichen Verfahren von dem Konzern DHL für Schadenersatz verklagt worden waren, kam es im Sommer letzten Jahres zu einem Vergleich, der die Aktivistinnen zu je 80 gemeinnützigen Arbeitsstunden für die Stiftung »Mehr Wald für Sachsen« verpflichtete.

Staatsanaaltschaft forderte Geldstrafe

Im Verfahren am Dienstag sah die Staatsanwaltschaft psychische Gewalt gegeben, weil der erste blockierte Fahrer gezwungen gewesen war anzuhalten, um die Demonstrierenden nicht zu überfahren. Den Vorwurf der physischen Gewalt sah die Staatsanwaltschaft gegenüber den nachfolgenden LKW-Fahrern gegeben, die durch das erste Fahrzeug ausgebremst wurden. Dies bezeichnet  ̶  je nach Auslegung des Gewaltbegriffs  ̶  die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung. Die Aktivistinnen und Aktivisten hätten dabei bewusst einen Zeitpunkt gewählt, zu dem auf der Straße zum DHL-Gelände besonders viel Betrieb herrschte und hätten ihre Demonstration trotz vorheriger Planung nicht vorausschauend angemeldet. Obwohl für den ersten LKW-Fahrer die Möglichkeit bestanden habe, im Kreisverkehr zu wenden und damit die Blockade zu lösen, sei für ihn keine sinnvolle Alternative ersichtlich gewesen, argumentierte die Staatsanwaltschaft. Entsprechend forderte die Staatsanwaltschaft für Nötigung in Mittäterschaft im Zuge der Zweiten-Reihe-Rechtsprechung eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen à 16 Euro.

Die Verteidiger Oliver Nießing und Daniel Werner forderten für ihre Mandantinnen einen Freispruch. Sie beriefen sich dabei besonders auf die Versammlungsfreiheit. Die Demonstration sei friedlich verlaufen. Entsprechend löste die Polizei die spontan angemeldete Versammlung nicht auf, was bedeute, dass nach Grundgesetzartikel 8 der Versammlungsfreiheit gewisse Behinderungen und Einschränkungen hinzunehmen sind.

Demonstration erst nachträglich als rechtswidrig eingestuft

Erst später, als DHL bereits einen vermeintlichen Verlust von einer halben Million Euro schätzte, kooperierten die Demonstrierenden nicht mehr. Sie wollten ihre Identitäten gegenüber den Beamten nicht preisgeben. Die Polizei vor Ort, so argumentierte die Verteidigung weiter, hatte die Versammlung bis dahin nicht als gesetzeswidrig eingestuft. Erst später in der Nacht, in einem Gespräch des Polizeipräsidenten mit einer Bereitschaftsstaatsanwältin  ̶  beide waren nicht am Ort des Geschehens  ̶  wurde über die Zweite-Reihe-Rechtsprechung zur Nötigung gesprochen.

Die Lastwagen des DHL-Konzerns, die sich mit Beginn der Demonstration zunehmend stauten, seien keiner Gewalt ausgesetzt gewesen, da der erste LKW zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt hätte, die Anfahrt zum DHL-Hub durch den Kreisel zu verlassen, argumentierte die Verteidigung weiter. Auf Nachfrage der Polizei habe sich herausgestellt, dass es auf der Rückseite des DHL-Geländes ein weiteres Zugangstor gibt, durch das die gestauten Fahrzeuge schließlich umgeleitet werden konnten. Außerdem, so schloss die Verteidigung nach Befragung der Zeugen, hätte DHL selbst 37 Minuten für die Organisation zur Umleitung der Lastwagen gebraucht. Damit sei für die DHL selbst wertvolle Zeit verloren gegangen.

Entscheidungen in weiteren Verfahren ungewiss

In ihren Plädoyers betonten Werner und Nießing die Absicht des Protests. »Die junge Generation sollte unterstützt werden, nicht bestraft«, erklärte Verteidiger Nießing. »Der Protest war legitim. Der Protest war notwendig. Der Protest war gerechtfertigt.«, hatte die Angeklagte Caroline R. bereits zu Beginn der Verhandlung im Gerichtssaal gesagt.

Die Staatsanwaltschaft kann gegen den Freispruch in Berufung gehen. Wie andere Richter in den weiteren Verfahren entscheiden werden, ist unklar. Und dennoch ist es für die Aktivisten ein Funke Hoffnung. »Die Verfahren heute haben gezeigt, dass unser Protest in seiner Art und Weise legitim ist«, sagt ein Mitglied der Kampagne Repression Nicht Zustellbar gegenüber dem kreuzer. »Das eigentliche Unrecht ist für uns ganz klar der Ausbau des Frachtflughafens in der Zeit der Klimakrise. Und da ist immer noch die Entscheidung, ob dieser Flughafen ausgebaut wird oder nicht. Wir sagen, der kann noch gestoppt werden und das fordern wir auch immer noch.«


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