Das diesjährige Motto des 10. F/Stop lautet »Flucht in die Öffentlichkeit«, aber so richtig in der Öffentlichkeit scheint es nicht angekommen zu sein. Im Bahnhof muss schon etwas gesucht werden, um dann die Kunst im sächsischen Wartesaal zu finden. Hier wie auch im Museum der bildenden Künste, im Erdgeschoss des Timonhauses, in der Galerie für Zeitgenössische Kunst, in der HGB-Galerie sowie im öffentlichen Raum können noch bis Sonntag die Arbeiten von fast vierzig Künstlerinnen und Künstler angeschaut und angehört werden. Das Kuratorenteam Magdalena Stößer und Leon Hösl hatten das Motto von Gabriele Stötzer entlehnt. Stötzer verstand unter »Flucht in die Öffentlichkeit« ein großes Tamtam im künstlerischen Tun vor 1989, um nicht unauffällig von der Stasi gekascht zu werden.
Das Festival kommt eher sehr ruhig daher und wie bereits bei der vergangenen Ausgabe wirkt es etwas zäh. Es sind wieder einmal die vielen Satelliten, die unabhängig vom F/Stop eigene fotografische Positionen präsentieren und so auch die Perspektive wohltuend erweitern.
Vom Orient-Express zur Stasi
Wer den großen Wartesaal im Hauptbahnhof betritt, findet unter anderem an der braunen Holzbrüstung ganz allein und mehr als verloren wirkend ein einzelnes Schwarz-Weiß Foto. Es stammt von Volkmar Jaeger und zeigt eine Menschenkette bei einer Montagsdemo 1989 an der Runden Ecke in Leipzig. Die Arbeit soll laut Saaltext auf die »friedlichen Massenproteste und erfolgreichen Bürgerbewegungen« verweisen, deren Parolen »heute häufig durch rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen« vereinnahmt werden. Dass bereits 1989 stramme Nazis mitliefen und Akteure der Wende heute rechtspopulistisch unterwegs sind, scheint keine Silbe wert zu sein.
Wie ein Puzzle mit dem Motiv aus dem Istanbuler Bahnhof Sirkeci wirkt die Arbeit von Aykan Safoğl zum Anwerbeabkommen zwischen der BRD und der Türkei sowie Orientfantasien. Als die ersten Züge des Orient-Expresses seit den 1880er Jahren von Paris gen Osten fuhren, gab es den Leipziger Bahnhof noch nicht, der in seiner Anfangszeit ab 1915 vor allem Soldatentransporte als Kanonenfutter sah.
Auf Stoffbahnen an den Fenstern und bei Sonnenlicht kaum erkennbar ist die ortsspezifische Arbeit von Niklas Goldbach zu einem auch für die Öffentlichkeit unsichtbaren Zwischengewahrsam von Gefangenen im Bahnhof zum Ende der DDR und die Aufnahme eines der Treppenhäuser vom Matthäikirchhof der vormaligen Stasi-Bezirksverwaltung.
Punk
Im Café des Museums der bildenden Künste hängen recht verloren an der Wand die ausgewählten Motive, die Fotografinnen und Fotografen vor dem Festival einsenden konnten, die noch nicht veröffentlicht aus der Zeit vom ersten F/Stop 2007 bis heute entstanden und so an die Geschichte des Festivals erinnern sollen – etwa von Silke Koch »Sportschule Fassade« (2023) aus der Serie »Areale, my«. Der von Arno Rink gestaltete Eingangsbereich des heutigen Internats des Sportgymnasiums aus den siebziger Jahren zeigt eine Figur, die ihre rechte Hand in Richtung roten Stern streckt. Superman trifft auf Kommunismus.
In der zweiten Etage sind unter anderem die Arbeiten der niederländischen Residenzkünstlerin Oviea Villamonte zu sehen. Sie zeigt Leipziger Punker, die sie im Studio auf der Spinnerei aufnahm sowie Tagebucheinträge zum Thema Punk in Leipzig samt einigen Verweisen auf Punkkonzerte in Connewitz.
Das wirkt abgeschlossen in den Vitrinen und hat mit Punk reichlich wenig zu tun. Es ist nett museumsreif aufbereitet. Wer Punk sehen möchte, der kann sich in der Galerie Analoge Fotografie die Klassiker zu diesem Thema von Christiane Eisler anschauen. Sie stammen aus den Achtzigern und haben ihren Esprit nicht eingebüßt.
Geschichten
Im ehemaligen Conrad – Timonhaus – zeigen Studierende aus dem Fachbereich der Hochschule für Grafik und Buchkunst ihre Arbeiten, die in einem Seminar in Vorbereitung auf das Festival entstanden. Hierbei treffen fotografische Arbeiten immer wieder auf Tonspuren – wie etwa in der Arbeit von Elisabeth Stiebritz und Ronny Aviram, die sich mit dem Brühl und dessen Vergangenheit als Zentrum des Pelzhandels beschäftigen, der zu einem großen Teil von jüdischen Händlern lebte. Eine weitere Recherche – dieses Mal zum sogenannten Kolonialstein im Wilhelm-Külz-Park – zeigt Felix Pachollek auf.
Historische Positionen – unter anderem von Gabriele Stötzer, Ion Grigorescu oder Martha Rosler sind bis zum 16. Juni im D 21 zu sehen. Wer von hier zu den Satelliten im Westen der Stadt läuft, kann auf der Lützner Straße zwischen Merseburger Straße und Endersstraße auch noch Fotografie im öffentlichen Raum betrachten.
Satelliten
Auf der Spinnerei zeigt die Galerie b2 die Gruppenausstellung »Habitable Zone« mit fotografischen Positionen wie etwa die Bilderfolge von Caroline Hake »Piazza« (2024), die einen öffentlicher Raum in Triest – Piazza Oberdan – dokumentiert, der nach der Machtergreifung Mussolinis entstand.
Daniel Poller zeigt bei Tobias Naehring Arbeiten aus der Serie »Frankfurter Kopien« zum Neubauviertel, das zwischen 2012 und 2018 in der Mainmetropole entstand. Dazu recherchierte er nicht nur Farbleitplan und Steinelemente, die an den Neubauten integriert sind, um Authentizität zu simulieren und ein konservatives Bild von Stadt für nur wenige entstehen lässt. Poller entblättert das Konstrukt.
Ein anderes Konstrukt von Geschichte nimmt Falk Messerschmidt in seiner Diainstallation »From Culture to Cotton« auseinander.
Auf der Festival-Homepage sind alle Satelliten zu finden wie auch das Programm für die letzten Festivaltage.
Am Dienstag findet im Stadtbüro eine Gesprächscafé zu Volkmar Jaeger von 15 bis ß17 Uhr statt. Katia Klose stellt ebenfalls am Dienstag um 18 Uhr ihre Serie »Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin – body immersion« vor, die an der Straßenseite des Monopol-Geländes in der Haferkornstraße 15 zu sehen ist.
Die Fotostadt Leipzig steht am Mittwoch im Museum der bildenden Künste auf dem Programm.
Beim Besuch des F/Stops stellt sich die Frage, warum findet die Vielzahl an fotografischen Ansätzen in der Stadt sowie deren Begegnungen mit historischen und zeitgenössischen Positionen nicht dauerhaft einen Ort, um diesen wichtigen Teil des Leipziger Kunstfeldes der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
> https://fstop-festival.de/de