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Politik

»Wir wollen gesellschaftliche Macht aufbauen«

Der 28-jährige Nam Duy Nguyen möchte nicht Retter der Linken sein, sie aber erneuern

  »Wir wollen gesellschaftliche Macht aufbauen« | Der 28-jährige Nam Duy Nguyen möchte nicht Retter der Linken sein, sie aber erneuern  Foto: Christiane Gundlach

Nam Duy Nguyen feierte im Wahlkreis Leipzig 1 einen Erdrutschsieg und verhalf der Linken damit in den Landtag. Mit 40 Prozent der Stimmen nahm er der Grünen Christin Melcher das Direktmandat ab – nachdem sein Team laut eigenen Angaben an fast 50.000 Türen im Wahlkreis geklingelt hatte. Wir sprachen mit dem 28-Jährigen darüber, wie er sich eine Erneuerung seiner Partei vorstellt.
 

Die taz hat Sie als »Retter der Sachsen-Linken« betitelt. Merken Sie einen besonderen Erwartungsdruck?

Ich mag das mit dem Retter nicht. Wir sind nie angetreten, um die Grundmandatsklausel zu aktivieren. Unsere Initiative war immer von dem Motiv getrieben, dass wir einen Erneuerungsversuch erleben.

Wie muss eine Erneuerung der Linken denn aussehen?

Die Linke muss sich grundsätzlich verändern in der Art und Weise, wie sie Politik macht und öffentlich auftritt. Wir sind die einzige Partei, die die neoliberale Politik der etablierten Parteien grundsätzlich hinterfragt, aber wir erreichen die Menschen nicht mehr. Wir müssen an unserer Verankerung in den Stadtteilen und Nachbarschaften arbeiten. Unsere Haustürgespräche sind dafür der erste Schritt. Das Schlimmste, das mir an der Haustür begegnet ist, ist, dass Menschen nicht mehr daran glauben, dass Veränderung möglich ist. Und an dieses Frustrationsgefühl muss die Linke ran.

Wie anschlussfähig ist diese Form der Politik an ein nicht-urbanes Milieu?

Sehr anschlussfähig. Es gibt viele Stellen, wo die Rechten in den letzten Jahren im ländlichen Raum Deutungskämpfe gewonnen haben, wenn wir zum Beispiel auf den vorpolitischen Raum blicken, das heißt: Stadtfeste, Vereinswesen. Die Linke müsste sich auch auf dem Land die Frage stellen, an welchen Stellen sie aktiv sein will, fernab von: »Ich betreibe ein Bürgerbüro«.

Wie wollen Sie das im Parlament abbilden?

Ich bin Newby. Ich würde mir wünschen, Auseinandersetzungen – sei es jetzt eine Tarifbewegung oder ein Protest gegen die Schließung eines wichtigen Vereins – ins Parlament zu tragen. Das sehe ich als meine Aufgabe, habe dazu aber noch keine fertigen Antworten.

Was sehen Sie konkret für Leipzig als Herausforderung?

Das eine ist das Thema Wohnraum. Es muss massiv in Sozialwohnraum investiert werden. In den letzten 20 Jahren hat Sachsen von fast 150.000 Wohnungen so viele verscherbelt, dass es mittlerweile nur noch 12.000 sind. Die nötigen Investitionen erwarte ich nicht von einer CDU-geführten Regierung. Wo man aber was machen kann, ist die Frage von Mieter:innenschutz. Das andere Thema in Leipzig ist der große Niedriglohnsektor bei Firmen wie DHL oder Amazon. Amazon hat nicht mal einen Tarifvertrag. Das sind primär Kämpfe, die Gewerkschaften führen müssen, aber du kannst schon das Spielfeld mitbestimmen, wenn es um die Förderstruktur geht von Unternehmen oder darum, öffentliche Aufträge zu vergeben.

Im Wahlkampf hat die Leipziger Grünen-Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta Ihre Verbindungen zum Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (SDS) und die Art Ihres Wahlkampfs kritisiert.

Dass sie sich an mir abgearbeitet hat, fand ich echt schade, insbesondere vor dem Hintergrund der sehr starken Rechten. Das hat zum Teil Grenzen überschritten, wie unsere Haustürgespräche als Enkeltrick zu bezeichnen. Dem einzigen Migra, der Aussichten hat, ins Parlament zu kommen, einen Enkeltrick zu unterstellen, fand ich latent rassistisch.

Der SDS ist in den letzten Monaten immer wieder gemeinsam mit propalästinensischen Gruppen wie Handala aufgetreten, deren Kritik an Israel teilweise mit antisemitischen Parolen und Social-Media-Beiträgen einherging (der kreuzer berichtete). Würden Sie gemeinsam mit Handala auf die Straße gehen?

Ich war in den letzten Monaten nicht bei einer Handala-Demo, aber ich würde jede Demo besuchen, die sich für Frieden in Gaza und ein Ende der Besatzung Palästinas starkmacht. Natürlich teile ich dabei keine antisemitischen Positionen, ich verurteile sie. Aber ich glaube, dass in der deutschen Debatte Antisemitismus, der auch hierzulande stark ansteigt, instrumentell gegen anti-palästinensischen oder anti-muslimischen Rassismus ausgespielt wird. Viele propalästinensische Gruppen haben Empathie vermissen lassen für die Opfer und Angehörigen des 7. Oktober. Gleichzeitig beobachte ich, dass eine Verurteilung des Krieges oder der Situation in Gaza hier nicht einfach so stattfinden kann, sondern immer noch ein »aber« drangehängt werden muss. Die Verurteilung der Besatzung palästinensischer Gebiete und des Krieges wird delegitimiert und verzerrt – Menschen bekommen beispielsweise enormen Stress von Arbeitgebern, wenn sie sich propalästinensisch äußern. Da stehe ich auf jeden Fall erst mal auf deren Seite. Weil es nicht in Ordnung ist, dass Menschen, die gegen massenhafte Ermordung auf die Straße gehen, pauschal in eine antisemitische Ecke geschoben werden.

Sie wurden auch von anderen Linken dafür kritisiert, dass Sie als einziger von vier Kandidierenden der Grünen und Linken in Sachsen, denen sie angeboten wurde, eine Wahlkampfspende vom Campact-Verein angenommen haben. Wie entscheidend waren diese 25.000 Euro für Ihre Kampagne?

Tatsächlich nicht entscheidend, weil wir sehr viele Spenden eingenommen haben. Als wir das Geld erhalten haben, konnten wir das gar nicht mehr so richtig für Werbematerialien einsetzen. Wir haben das vor allem für Logistik und Infrastruktur, also Veranstaltungsräume genutzt. Der Wahlaufruf war natürlich ein Vorteil, aber welchen Unterschied er gemacht hat, kann man nicht sagen. Dass jetzt andere Leute sagen, wir hätten nur durch Campact gewonnen, finde ich nicht überzeugend. Und auch ein bisschen abwegig vor dem Hintergrund des hohen Erst- und Zweitstimmenergebnisses und unserer Aktivität hier im Wahlkreis. 


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