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Politik

»Ich fühlte mich schon länger von meiner Partei verraten«

Irena Rudolph-Kokot über ihren Austritt aus der SPD

  »Ich fühlte mich schon länger von meiner Partei verraten« | Irena Rudolph-Kokot über ihren Austritt aus der SPD  Foto: Reno Mezger

Irena Rudolph-Kokot setzt sich an den Schreibtisch in ihrem Büro der Leipziger Behindertenhilfe. Über dem Stuhl hinter ihr hängt eine rote Warnweste. Die Personalrätin und Gewerkschafterin hatte Anfang der Woche ihren Austritt aus der SPD öffentlich gemacht. Auslöser dafür seien die ersten Sondierungsergebnisse zwischen SPD, CDU und BSW in Dresden gewesen, schrieb Rudolph-Kokot in einem öffentlichen Brief. Schon von der Landtagswahl hatte sie sich von ihrer Partei distanziert und ihre Kandidatur auf der Landesliste zurückgezogen. Im Interview erzählt Rudolph-Kokot, die von 2021 bis 2023 Vorsitzende der Sozialdemokraten in Leipzig war, dass sie sich schon länger von ihrer Partei entfremdet hätte, warum sie mit den Parteistrukturen hadert und dass sie die innerparteiliche Kiritik an ihrem Aktivismus als Gesicht des antifaschistischen Aktionsnetzwerks Leipzig nimmt Platz nie verstand. 


Vor der Landtagswahl hatten Sie sich von der Landesliste der SPD streichen lassen, aber noch mit dem Parteiaustritt gewartet. Warum?

Ich dachte, dass spätestens die Ergebnisse der Landtagswahlen ein Nachdenken darüber auslösen, dass die AfD ihre Wahlergebnisse auch erreicht, weil andere Parteien ihre Narrative übernehmen. Aber es war umgekehrt: Dieser Ton wurde weiter forciert, etwa mit dem Sicherheitspaket. Man schlägt weiter in die Kerbe, Gruppen gegeneinander auszuspielen und Menschen zu dämonisieren. Als Mensch mit Einwanderungsgeschichte fühlte ich mich schon länger von meiner Partei verraten. Hinzu kommt, dass Bürgergeldempfänger:innen im Stich gelassen werden. Seit Jahren hat man mit Hartz IV gerungen, was die SPD mit den Grünen eingeführt hat. Was jetzt mit dem Bürgergeld daraus gemacht wird, dass zum Beispiel Arbeitswege von bis zu drei Stunden in Kauf genommen werden müssen, das ist eine weitere Verschlechterung. Ich sehe in der Politik der Ampel einfach keine großartige Verbesserung der sozialen Sicherheit.

Und Ihre Hoffnung in die sächsische SPD war mit den Sondierungsgesprächen mit CDU und BSW erschöpft?

Natürlich kann man sagen, das ist noch keine Koalition. Aber ich fand das Sondierungspapier – um es nett auszudrücken – schwierig. Gerade im Bereich Migration und Asyl. Da hatte ich die sächsische SPD vorher immer stabiler erlebt. Ich lese im Sondierungspapier keine positiven Signale, sondern es durchzieht ein autoritär-restriktiver Atmen. Alle haben Angst vor Neuwahlen, verstehe ich. Aber eigentlich wäre das die Konsequenz.

Hat die SPD nicht die Verantwortung, eine regierungsfähige Mehrheit mit auf die Beine zu stellen?

Die hat in den letzten Jahren aber auch nichts Positives gebracht. Man rennt immer den Notwendigkeiten hinterher. Als Personalrätin sehe ich das tagtäglich: Wir sind ganz weit weg von einer ordentlichen Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, wir haben immer noch keine Bildungsfreistellung in Sachsen. Unsere Erzieher:innen ächzen unter dem wirklich miserablen Betreuungsschlüssel. Was ich aber gesehen habe: Man hat ganz viel in die Polizei reingesteckt – und zwar da auch noch an den falschen Stellen. Statt daraufzusetzen, dass der Polizist im Viertel präsent ist, haben wir jetzt einen Haufen zusätzlicher Einheiten, die unsere Demos schikanieren.

Sie begründen Ihren Austritt auch damit, dass die SPD keine Friedenspartei mehr sei. Das klingt, als wären Sie in dem Punkt nicht so weit entfernt von BSW und der sächsischen CDU.

Ich habe russische Wurzeln und sehe das Regime in Russland sehr kritisch. Trotzdem habe ich auf meine Plakate Мир (russisch: Frieden, Anm. d. Red.) geschrieben. Die normalen Menschen in der Ukraine und in Russland wollen Frieden. Das heißt nicht, dass wir die Ukraine nicht unterstützen sollen. Das heißt nicht, dass Putin und sein Regime nicht sanktioniert werden sollen. Aber den Ansatz, nur auf Aufrüstung zu setzen, halte ich für falsch. Kretschmer und Wagenknecht hingegen sagen immer wieder, man solle mit Putin verhandeln – eine Kritik an seinem Regime habe ich noch nicht gehört.

Wie erklären Sie sich, dass sich die SPD aus ihrer Sicht von ihren Prinzipien entfernt?

Es dominiert der Wunsch mitzuregieren. Da nimmt man auch Entscheidungen in Kauf, die man vor einigen Jahren noch nicht mitgetragen hätte. Das erklärt sich auch durch die Organisation der Partei. Ich finde es richtig, wie es bei den Grünen ist, Amt und Mandat zu trennen.

Was in der sächsischen SPD nicht der Fall ist. Die Landesvorsitzende Kathrin Michel sitzt im Bundestag, ihr Co Henning Homann im Landtag. Was stört sie daran?

Wenn man durch sein Mandat Regierungsverantwortung besitzt, verändert das den Blick für den Parteivorsitz. Da kann man sich von der Regierungsverantwortung nicht wirklich befreien. Wenn man neben dem Vorsitz noch einem normalen Job nachgeht oder den Vorsitz – wie bei den Grünen – als Teilzeitstellen bezahlt bekommt, hat man eine andere Unabhängigkeit. Und das gilt auch für Mitarbeiter:innen von Fraktionen oder Abgeordnete. Das ist ein Interessenskonflikt: Orientiere ich mich an den Grundwerten der Partei oder daran, was in der Regierung möglich ist? Die Sozialdemokratie neigt in den letzten Jahren dazu, zu überlegen, was mit Partner:innen umsetzbar ist, schon bevor sie eigene Forderungen aufstellt. Das ist in den Diskussionen in den Vorständen, in denen ich saß, offensichtlich gewesen.

Sie haben dreimal ohne Erfolg für den Landtag kandidiert. Ist daraus ein Frust gegenüber den Parteistrukturen erwachsen?

Wer von der Pike auf durch die Partei läuft, hat natürlich bessere Chancen – das gilt für alle Parteien. Wenn Externe dazu kommen, haben sie einen anderen Blick auf die Struktur und sind nicht so eingeschliffen, kritisieren dann vielleicht auch ein bisschen mehr und das wird nicht gern gesehen. Wenn man ganz jung in die Partei reinkommt, lernt man, sich entsprechend zu bewegen und zu verhalten, damit man nicht so oft aneckt.

Es ist aber nicht so, dass Sie gar keinen Gestaltungsspielraum gehabt hätten. Sie waren immerhin SPD-Vorsitzende in Leipzig. Für Sozialleistungen, ÖPNV oder günstiges Kita Essen ließe sich auch auf Stadtebene streiten. Warum ist das keine Option für Sie?

In den Stadtrat kann ich nicht, weil ich im öffentlichen Dienst beschäftigt bin, da lässt die sächsische Gemeindeordnung keinen Spielraum, was aus meiner Sicht falsch ist. Aber Sie haben Recht: Im Stadtrat könnte kann man gestalten. Wenn man wiederum den Parteivorsitz hat, kann man für gute Anträge sorgen, woran sich idealerweise die Fraktion orientiert. In den letzten Jahren war die Fraktion sehr gespalten, das hat man auch am Abstimmungsverhalten gesehen. Jetzt sind einige Neue dabei, eigentlich progressivere Menschen. Wie sich das auswirken wird, muss man abwarten. Aber für mich ist das jetzt nicht der entscheidende Part. Man kann kommunal gestalten, aber die Sachen, die ich wichtig finde, werden hauptsächlich woanders entschieden.

Wie fielen denn die Reaktionen auf Ihren Austritt von SPD Mitgliedern aus?

Ich habe erstaunlich viele positive Rückmeldungen bekommen. Viele bedauern meinen Schritt, verstehen ihn aber auch.

Gleichzeitig wurden Sie aufgrund Ihres Aktivismus innerparteilich von einigen auch sehr kritisch gesehen. Wie schwer war es, diese Doppelrolle zu erklären?

Die SPD sagt von sich selbst, sie ist eine antifaschistische Partei. Wenn man das ernst meint, dann hat man auch kein Problem mit antifaschistischem Aktivismus. Dazu gehört aus meiner Sicht auch ziviler Ungehorsam. Das ist auch immer wieder, was ich vorgetragen habe. Darüber gab es viele Auseinandersetzungen. Für einige erschöpft sich antifaschistischer Kampf darin, mal auf einer harmlosen Demo zu sprechen. Andere finden mein Engagement wichtig, sind selbst aber zurückhaltender. Das waren aber dann meine Verbündeten, als es gegen mich Forderungen eines Parteiordnungsverfahrens gab oder man mich meines Amtes entheben wollte.

Als Gesicht von Leipzig nimmt Platz kritisieren Sie auch immer wieder das Agieren der Polizei.

Es ist mir wirklich sauer aufgestoßen, dass es Parteimitglieder gibt, die es scheinbar für falsch halten, staatliche Organe zu kritisieren. Wenn die Polizei Bürger:innen schikaniert oder sie an der Ausübung ihrer verfassungsrechtlichen Grundrechte hindert, muss man sie dafür kritisieren. Das Agieren der Polizei ist nicht besser geworden durch die Regierungsbeteiligung der SPD, sondern immer restriktiver, wie man jetzt auch durch das neue Versammlungsgesetz sieht.

Mit Jürgen Kasek hadert ein weiteres Gesicht von Leipzig nimmt Platz mit seiner Partei, erwägt öffentlich den Austritt bei den Grünen. Scheitert man als Aktivistin oder Aktivist automatisch in Parteien?

Es sollte nicht so sein, aber Parteien haben oft ein Problem mit eigenständig agierenden Persönlichkeiten, die auch andere Aspekte einbeziehen als nur Parteiinteressen. Ich habe mich nie außerhalb des Wertekanons oder der Grundwerte der Sozialdemokratie befunden. Ich glaube eher, dass die handelnden Personen zu selten die Grundwerte der Partei im Blick haben.

Sie werfen Menschen in der SPD vor, ihren »Kompass und ihre Stabilität« verloren zu haben. Korrumpiert Parteiarbeit?

In Parteien sind viele Menschen konzentriert, die gerne in irgendeiner Art Macht auszuüben. In einem klassischen Plenum linker Gruppe könnten die wahrscheinlich nicht arbeiten. Wenn jemand von einem Menschen mit Macht auch ein Stückchen Macht versprochen bekommt, das ist der Punkt, an dem viele kippen. Aber trotzdem: Ich finde es wichtig, dass Menschen sich auch in Parteien engagieren, wir sind eine Parteiendemokratie. Dazu müssen sich Menschen aber auch mit Parteien identifizieren können. Dennoch bin ich gegen Hundertausende Neugründungen.

Wo geht es für Sie politisch jetzt weiter?

In Bereichen, in denen es permanent Kampf gibt, wo Besitzverhältnisse infrage gestellt werden müssen. Als Gewerkschafterin bei Verdi stehe ich gerade vor den nächsten Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Darüber hinaus werde ich mich weiter antifaschistisch engagieren, mit Leipzig nimmt Platz und auch in anderen Zusammenhängen. Auch im Bereich Soziokultur, im Vorstand des Werk 2 etwa.

INTERVIEW: LEON HEYDE


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3 Kommentar(e)

Heidi 26.10.2024 | um 15:47 Uhr

Ein Glück. Sie geht. Schon lange nicht zu ertragen gewesen die Dame und passend zur SPD war sie von Beginn an nur bedingt. Das hat sie nun selbst auch festgestellt. Da kann sie anderswo „Platz nehmen“. Bonne Chance!

Heidi 26.10.2024 | um 15:52 Uhr

Wer im CV die eigene Hochzeit als Meilenstein nennt, hat offensichtlich noch keine professionellen cv‘s gelesen. Mit einem Migrationshintergrund geboren in Moskau zu prahlen, ist im momentanen Weltgeschehen irgendwie naiv.

Matze 02.11.2024 | um 17:47 Uhr

Die Organe der Polizei werden von ihr nur kritisiert, wenn es um linke Demos geht. Kein Wort dagegen, als Corona Maßnahmenkritiker die Rechte verwehrt wurden und Polizei unverhältnismäßig hart eingriff. Im Gegenteil - Leipzig nimmt Platz hat diese Demos - sogar wenn sie genehmigt und angemeldet waren - blockiert. Heute weiß man, das die Corona Maßnahmen zum großen Teil unverhältnismäßig waren. Die SPD kann froh sein, diese Frau losgeworden zu sein, wenn diese Partei überhaupt noch an bürgerlichen Wählern interessiert ist.