»Vortrag entfällt zum Thema: The 1948 War and Jihad«: Was nach einem harmlosen Vorgang klingt, hatte es in sich. Denn der Grund der Absage war keine Krankheit des geplanten Vortragenden Benny Morris aus Israel. Die Ausladung des Historikers von der Universität Leipzig erfolgte nach Drohungen gegen die Veranstaltung. Kritiker der Absage sehen darin ein Einknicken vor antiisraelischem und antisemitischem Protest.
Am Donnerstag wäre Morris, emeritierter Historiker an der Ben-Gurion-Universität des Negev, im Rahmen der Ringvorlesung »Traditionen und Gegenwart des Antisemitismus« aufgetreten. Diese veranstalten die Judaistik-Professorin Yemima Hadad und der Theologieprofessor Gert Pickel, der auch als Antisemitismusbeauftragter der Universität fungiert. Von Morris erschien im vergangenen Jahr die Monographie »1948. Der erste arabisch-israelische Krieg«. Die Einladung erregte den üblichen Protest der propalästinensischen und antiisraelischen Gruppen; darunter die Students for Palestine Leipzig, eine Art Regenschirm, unter dem sich die üblichen roten K-Gruppen vereinen. Sie warfen Morris vor, sich in der Vergangenheit rassistisch gegenüber Arabern geäußert zu haben.
Morris hatte der israelischen Tageszeitung Haaretz in einem Interview 2004 zur Vertreibung arabischer Menschen während des israelischen Unabhängigkeitskrieges gesagt, dass diese »unter bestimmten Umständen« kein Kriegsverbrechen sei. Im selben Interview sagte Morris auch, dass für Palästinenserinnen und Palästinenser ein »Käfig« gebaut werden müsse, auch wenn das »grausam« sei. 2019 stellte er, ebenfalls in einem Interview mit Haaretz, Morddelikte von arabischen Menschen in Zusammenhang mit der »Natur« der arabischen Gemeinschaft. Gegenüber der Jüdischen Allgemeinen bezeichnete Morris die Rassismus-Vorwürfe als »absurd«: »Offensichtlich glauben sie, dass jede Kritik am Verhalten der Araber – wie etwa das Massaker an israelischen Dorfbewohnern – Rassismus sei, oder dass jede Kritik an muslimischen Dogmen und Schriften wie dem Koran, in dem Juden als ›Söhne von Schweinen und Affen‹ oder als ›niederes‹ Volk bezeichnet werden, Rassismus sei.« Grund für die Absage seien allerdings nicht die Aussagen von Morris, erklären die Veranstalter.
»Es gab schon Wochen vor der Veranstaltung Proteste per Mail, das war erwartbar«, sagt Gert Pickel dem kreuzer und nimmt auch Stellung zu den Rassismus-Vorwürfen gegenüber Morris: »Ich empfinde die Aussagen als ärgerlich, ich würde sie nicht so lesen, kann aber niemandem vorwerfen, sie als rassistisch zu interpretieren.« Ziel der Einladung sei das Gespräch gewesen, gerade Morris‘ neues Buch schätzt Pickel nach eigenen Worten. »Darüber hätten wir sehr gern gesprochen. Wir wollten den Diskurs, offen bleiben. Aber das war so nicht möglich.« Es gab massive Bedenken um die Sicherheitslage. »Wir haben uns gut informiert darüber, wer aktiv gegen die Veranstaltung ist. Wir fanden heraus, dass stark mobilisiert wurde, um die Veranstaltung zu stürmen.« Er verweist auf eine Veranstaltung zum Thema Sexarbeit an der Uni, die vor drei Wochen von teilweise vermummten Menschen gestürmt wurde. Das Orga-Team rief damals die Polizei zur Hilfe. Die jüngste Mobilisierung sei aus demselben aktivistischen Umfeld erfolgt, sagt Pickel.
»Das war die Folie, auf der wir entschieden. Wir erwarteten rund 60 Personen, die gewaltsam den Saal stürmen wollten. Wir haben viele jüdische Studierende, die wollte ich nicht der Gefahr einer Traumatisierung aussetzen. Da haben wir wirklich Sogen gehabt, das muss ich so sagen, so bestürzend das ist.« Also sagte er gemeinsam mit Yemima Hadad die Veranstaltung ab. Damit ernteten sie ihrerseits Kritik. Der Fall ging weltweit durch die Presse. Am Dienstag erschienen zwei Protestbriefe, der eine vom CDU-nahem Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), der andere von einem linken israelsolidarischen Bündnis. Beide kritisieren, dass die Universität dem Druck gefolgt sei, statt Wissenschafts- und Meinungsfreiheit aufrechtzuerhalten. Das sei auch hinsichtlich des Schutzes jüdischen Lebens ein fatales Signal. Auch die Sozialen Medien sind voller kritischer Kommentare. Besonders wurde beklagt, dass gerade der Antisemitismusbeauftragte der Uni, die diesen neugeschaffenen Posten erst Anfang des Jahres besetzte, vor antisemitischen Gruppen eingeknickt sei.
»Dass es zu solchen Reaktionen kommt, war uns klar«, erklärt Pickel. Darüber sei er nicht glücklich. »Was hätten wir kurzfristig machen sollen? Möglicherweise war die Absage ein Fehler, hätten wir die Lage noch besser prüfen können. Aber wollten wir wirklich unsere jüdischen Studierenden unter Polizeischutz mit einer gewaltbereiteten Gruppe konfrontieren, die ›Intifada‹ und Schlimmeres schreit? Wir befinden uns auch in einer symbolischen Auseinandersetzung, sind da leicht angreifbar. Ich verstehe, dass Menschen eine andere Position haben. Aber in der Kurzfristigkeit sahen wir keine andere verantwortliche Lösung.«