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Politik

Aufbruch und sächsische Realität

Sören Pellmann verteidigt den Leipziger Süden, die AfD holt erstmals den Norden. Ein Wahlabend

  Aufbruch und sächsische Realität | Sören Pellmann verteidigt den Leipziger Süden, die AfD holt erstmals den Norden. Ein Wahlabend  Foto: Tim Pawletta

Der bundesweite Hype der Linken macht auch vor dem Leipziger Süden keinen Halt: Sören Pellmann holt sich seinen Wahlkreis mit einem Erdrutschsieg. Im Leipziger Norden kehrt hingegen sächsische Normalität ein: Die AfD holt mit Christian Kriegel erstmals ein Direktmandat in Leipzig. Ein Wahlabend. 

Das Zweistimmenergebnis in Leipzig (im Vergleich mit 2021): Linke 22,5 % (13,7), AfD 21,9 % (13,3), CDU 16,6 % (14), Grüne 13,6% (18,5), SPD 10,7% (20,9), BSW 7,4%, FDP 3,2 % (10,1)

18 Uhr, erste Prognose

Mehrere Hundert Meter lang ist die Schlange vor dem Felsenkeller, wo die Linke zur Wahlparty geladen hat. Die Gesichter der Menschen, die sich drinnen zusammengefunden haben, sagen zu Beginn des Abends: »Wer hätte das gedacht?«. Um kurz vor 18 Uhr ist der Saal aufgeregt, fiebert den ersten Zahlen entgegen. Ein Blick durch den komplett in rotes Licht getauchten Festsaal vermittelt vor allem eins: Euphorie. Viele junge Menschen sind zur Wahlparty der Linken gekommen, unter den rund 1.500 Gästen tummeln sich auch einige Familien mit kleinen Kindern und ein paar ältere Parteigenossinnen, die sich auf den am Rand der Tanzfläche platzierten Stühlen niedergelassen haben.

Als die erste bundesweite Hochrechnung erscheint, bricht tosender Jubel aus: Die Linke steht nach ersten Schätzungen bei 9 Prozent, am Ende werden es etwas weniger sein. Überall fallen sich die Menschen in die Arme. Buh-Rufe gibt es für alle anderen Zahlen, bis auf die der Grünen und der SPD. Es überwiegt jedoch die Freude, untermalt von Techno-Beats von DJ-Gysi. Nina Treu, Kandidatin für den Leipziger Norden, erfüllt das bundesweite Ergebnis vor allem mit Stolz. Sie sei bereits darauf eingestellt gewesen, gerade nach der Veranstaltung mit Heidi Reichinnek im Haus Leipzig am vergangenen Samstag. Sie spricht von einer Eintrittswelle in die Partei, tatsächlich wuchs die Mitgliederzahl in Leipzig von 1.500 auf über 4.000: »Als Vorsitzende bekomme ich die Meldungen wirklich in mein Postfach und wir kamen nicht mehr hinterher mit dem Lesen. Ab da war mir klar: Egal wie es ausgeht, wir haben hier in Leipzig eine tolle Basis, um Politik zu machen, aber auch eine große Aufgabe vor uns, diese ganzen Leute einzubinden«, erzählt sie dem kreuzer

»Schlimmer geht immer«, schwört Grünenvorständin Anna-Lisa Möbius ihre Partei auf die erste Prognose ein. Es hätten noch ein paar mehr Grünenmitglieder in die Galerie Kub in der Südvorstadt gepasst, als die erste ZDF-Prognose zwölf Prozent für die Grünen verkündet. Laute Seufzer, enttäuschte Gesichter. Gelacht wird erst, etwas ungläubig, als das Ergebnis der Linken aufleuchtet. »Immerhin: Die Wahlbeteiligung ist hoch«, sagt ein Parteimitglied. 

Paula Piechotta

Als Alice Weidel im Fernsehen spricht, wird der Ton abgedreht. Über eine Stunde muss überbrückt werden, bis endlich Direktkandidatin Paula Piechotta auftaucht. Und dann kommt zum ersten Mal so etwas wie Stimmung auf an diesem Abend. »Wir haben mit ganz, ganz viel Gegenwind das zweitbeste Ergebnis unserer Geschichte geholt«, freut sich die Bundestagsabgeordnete. »Und wir haben uns das erste Mal in einem Bundestagswahlkampf von unten nach oben gekämpft.« Die aufmunternden Worte werden dankbar mit langem Applaus bedacht. Das Wahlkampfteam darf nochmal auf die Bühne, dann muss Piechotta wieder los. »Jetzt ist noch super viel offen«, verabschiedet sie sich in Richtung Rathaus.

Aus dessen Zimmer sieht man den Leipziger Abendhimmel noch leicht orange schimmern, als das Diagramm der ersten Prognose auf dem Bildschirm auftaucht. Etwa 40 Sozialdemokraten sehen, wie der Balken der SPD auf 16,5 Prozent wächst. Abwiegendes Kopfnicken, »naja gut«, sagt eine Sozin. Groß ist das Raunen, als FDP und BSW auf fünf Prozent kommen. Es kündigt sich ein langer Wahlabend an: Für Nadja Stahmer ist entscheidend, ob die FDP und BSW tatsächlich den Sprung in den Bundestag schaffen: In ihrem Wahlkreis im Leipziger Süden von der Wucht des Linken-Wahlkampfs abgeschlagen, muss sie zittern, ob es über die Landesliste für den Bundestag reicht. 

Der lange Applaus der Parteigenossen kann über die Enttäuschung über dieses Ergebnis nicht hinwegtäuschen: »Den Dammbruch der CDU mitzuerleben und zu sehen, was die Menschen daraus gemacht haben, ist erschreckend«, sagt Sthamer. Leipzig-Nord-Direktkandidat Holger Mann, über die Landesliste sicher drin im Bundestag, betont die historische Bedeutung dieser Schlappe: »Das ist die krachendste Niederlage, die die SPD je erlebt hat.« Nie hatte die SPD bundesweit weniger Stimmen geholt.

20 Uhr, die Ergebnisse der Leipziger Direktwahlkreise zeichnen sich ab

Die ausgezählten Erststimmen im Leipziger Süden deuten klar in Richtung Sören Pellmann. In der Wandelhalle des Rathauses hält Piechotta die Stellung. Noch will sie das Direktmandat nicht abschenken, verweist aber auf den Bundestrend zugunsten der Linken, der auch an Leipzig nicht vorbeigegangen sein dürfte. Mit Blick auf ihren Wahlkreis und Gegner Pellmann wird Piechotta gegenüber dem kreuzer deutlich: »Wir werden in Leipzig noch intensiver darüber reden müssen, wie unser Antifaschismus im progressiven Lager aussieht und dass er eben auch russlandkritisch sein muss.« Jeder, der russlandnah sei, könne in diesen Zeiten kein konsequenter Antifaschist sein.

Kurz nach acht reckt Sören Pellmann seine roten Boxhandschuhe im Sitzungssaal des Stadtrats in die Höhe as Balkendiagramm, das ein Beamer an die Wand hinter ihm wirft, verrät: Er wird den Leipziger Süden verteidigen. Und das deutlich: Mit 36,8 Prozent landet er am Ende weit vor AfD-Kandidat Christoph Neumann (18,7 Prozent), Dietmar Link (CDU, 16 Prozent), Paula Piechotta (10,2), Nadja Sthamer (8,5) und Eric Recke (BSW, 5,1 Prozent).

Sören Pellmann

Die Linke habe in den letzten Monaten viel richtig und nichts falsch gemacht, sagt Pellmann. Zwei Punkte sieht er als entscheidend für den Sieg in Leipzig-Süd: »Die Verknüpfung von Bundestag, Landtag und kommunaler Ebene. Und wir haben klar kommuniziert: Unser Gegner ist die AfD und keine andere Partei im politischen Spektrum. Weil es nicht sein kann, dass alle 16 Wahlkreise in Sachsen an die AfD gehen. Wir hatten den Anspruch, die rote Insel im blau-braunen Meer zu halten.« Pellmann, Blumen und leere Sektflasche in den Händen, verlässt zufrieden grinsend die Rathaushalle Richtung Felsenkeller.

Den ganzen Abend nicht im Rathaus zu sehen sind die Direktkandidaten der CDU. Vor allem für Jens Lehmann, der den Leipziger Norden verteidigen wollte, ist es ein schlimmer Abend: AfD-Kandidat Christian Kriegel (25 Prozent) nimmt ihm mit 3,5 Prozent Vorsprung den Wahlkreis ab. Die in Sachsen als gesichert rechtsextrem geltende Partei gewinnt somit erstmals ein Direktmandat in Leipzig. Nina Treu, ebenfalls beflügelt vom Linken-Hype, kommt so wie Lehmann auf 21,5 Prozent. Holger Mann, bei der letzten Wahl nur 500 Stimmen hinter Lehmann auf Platz zwei, kommt auf 11,7 Prozent.  


> Die Wahlergebnisse im Detail finden Sie hier. 

 


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