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Politik

»Es geht um unsere Toleranzfähigkeit«

Politik- und Islamwissenschaftler Kai Hafez über den Protest gegen Moscheebauten

  »Es geht um unsere Toleranzfähigkeit« | Politik- und Islamwissenschaftler Kai Hafez über den Protest gegen Moscheebauten

Seit die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde ankündigte, in Gohlis eine Moschee zu bauen, wird in Leipzig hitzig über das Bauvorhaben gestritten. In dieser Debatte steckt auch eine Chance, findet Professor Kai Hafez, der an der Uni Erfurt die Beziehungen zwischen dem Westen und der islamischen Welt erforscht.

kreuzer: Sobald in Deutschland eine Moschee gebaut werden soll, regt sich Protest. Warum haben die Menschen solche Probleme mit dem Islam?

KAI HAFEZ: Die Wahrnehmung des Islam in Europa ist, seit es den Islam gibt, also seit 1.500 Jahren, extrem schlecht. Andere Religionen, die von weiter weg stammen, etwa Buddhismus und Hinduismus, sind weitaus populärer. Der Islam als Nachbarreligion, als konkurrierende Religion, hatte, wie auch das Judentum vor ihm, immer eine ganz schlechte Presse in Europa, das hat sich bis heute nicht revidieren lassen. Der Islam gilt als fanatisch, intolerant, gewaltbereit. Mit der ganz großen Masse der Muslime hat das nichts zu tun. Die praktizieren ihre Religion friedlich. Sobald aber der Islam in die Öffentlichkeit tritt, wehren sich Teile der Mehrheitsgesellschaft und möchten ihn am liebsten in die Unsichtbarkeit zurück verbannen, in die Privatsphäre, in die Hinterhöfe und die Garagenmoscheen. Aber solange wir verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit haben, dürfen Muslime auch ihre Gotteshäuser bauen.

kreuzer: Haben die Anschläge vom 11. September 2001 mit dem schlechten Islambild etwas zu tun?

HAFEZ: Das Islambild ist, wie gesagt, schon wesentlich länger schlecht, 9/11 hat daran relativ wenig geändert. Wenn man überhaupt eine Zäsur beschreiben möchte, dann die iranische Revolution von 1978/79, die Rückkehr des politischen Islam in die Öffentlichkeit. Die hat das Islambild noch negativer gefärbt. Wenn überhaupt, hat 9/11 zu einer Freisetzung diskriminierender Handlungen gegen den Islam geführt: Alltagsdiskriminierung, Farbbeutel-Anschläge auf Moscheen, zum Teil auch antiislamische Gewalt. Es hat auch den ersten antiislamischen Mord in Deutschland an Marwa El-Sherbini in Dresden gegeben.

kreuzer: Welche Rolle haben die Medien bei der Entstehung dieses schlechten Islambildes gespielt?

HAFEZ: Leider eine ziemlich unrühmliche. Die meisten Medien befassen sich überwiegend mit problematischen Facetten des Islams – Terrorismus, Frauenfeindlichkeit, etc. – und blenden jede Normalität aus. Das hat natürlich Ängste in der deutschen Bevölkerung erzeugt. Die Medienmacht ist bei diesem Thema sehr groß, weil die wenigsten Menschen direkten Kontakt zu Muslimen pflegen. Sie kennen eine muslimische Familie nicht von innen, wissen nicht, dass eine muslimische Frau sich vielleicht nach außen dem Mann unterordnet, aber innerhalb der Familie das Sagen hat, oder dass konservative Weltbilder unter Muslimen zwar eine bedeutsame Rolle spielen, diese aber nicht unbedingt menschenfeindlich sein müssen. Es fehlt die eigene Erfahrung im Umgang mit gebildeten und ungebildeten, eingewanderten oder hier aufgewachsenen Muslimen. Die moderne multikulturelle Gesellschaft ist entgegen ihrem Selbstverständnis in vielen Fällen kein Garant für persönliche Kontakte, was bedauernswert ist. Denn wo sich Menschen selbst auskennen, sinkt der Einfluss der Medien auf ihre Meinungen und Einstellungen.

kreuzer: Was ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat, die die Moschee in Gohlis bauen will, für eine Gemeinde?

HAFEZ: Das ist eine eher pietistische Strömung innerhalb des Islam, die auf eine stille, nicht-öffentliche und geschwisterliche Auslebung ihrer Religiosität geeicht ist. Das ist kein politischer Islam. In der Lehre der Ahmadiyya sind viele Einflüsse anderer Religionen zu finden, weshalb sie von traditionellen muslimischen Gelehrten skeptisch betrachtet wird. Das ist eine ganz eigenständige Art des Islam, friedlich, harmlos und in keiner Weise für ihre Umgebung negativ konnotiert.

kreuzer: Gibt es einen typischen Ablauf, typische Argumente für solche Moschee-Debatten?

HAFEZ: Absolut. In der Regel werden zunächst kleine Teile der Bürgergesellschaft, die ein besonders negatives Islambild haben und die Moschee nicht wollen, aktiv. Sie versuchen, auch mit Hilfe des Internets, Sympathisanten zu gewinnen. Dabei begeben sie sich häufig in unheilige Allianzen mit klassisch rechtsradikalen Gruppen wie der NPD. Die Bürgerproteste selbst müssen nicht unbedingt eine ideologische Linie verfolgen, sie folgen eher einem grundständigen ethnozentrischen Territorial- und Hegemonialreflex, der auf Grund des verbreiteten Negativbildes oft rasch weite Kreise zieht. Dem stehen meistens der Bürgermeister und die Kommune gegenüber, die das Recht umzusetzen haben. Unsere Verfassung erlaubt Religionsfreiheit und ermöglicht auch beim Bau von Moscheen die Gleichheit der Religionen und Konfessionen. So etwas wie eine »Lex Moschee« kann es qua Verfassung überhaupt nicht geben. Ein Minarettverbot, wie es die Schweiz eingeführt hat, ist nur möglich, weil dort eine radikale Basisdemokratie herrscht, bei der der Mehrheitswille automatisch in den Rang des Verfassungsrechts aufsteigt: meines Erachtens ein klarer Verstoß gegen die Grundlagen der in Europa akzeptierten Menschenrechte.

kreuzer: Wie geht man mit solchen Protesten um?

HAFEZ: Hier ist die Moderationsfähigkeit der Stadtverwaltung von entscheidender Bedeutung. Häufig ist die aber selbst überfordert. Sie sollte sich mit Experten, den lokalen Universitäten, zusammenschließen. Leipzig hat zum Beispiel eine uralte Orientalistik, die zu den besten Europas gehört. Zudem hat jede Stadt ihre Meinungsführer und Prominenten, die hier gefragt wären, sich zu engagieren. In der Frage des Islam habe ich aber leider den Eindruck, dass das liberale Bürgertum zum Teil versagt, sei es, weil es sich nicht für kompetent genug hält oder selbst Vorurteile hat. Moscheebauten betreffen das Miteinander von Minderheiten und Mehrheit. Wir haben in Europa tolle politische Systeme etabliert, vielleicht die besten weltweit, aber die Werte, die unser politisches System vorlebt – wie etwa die Gleichbehandlung der Religionen –, werden von der bürgerlichen Gesellschaft längst nicht immer akzeptiert. Bei Moscheebauten geht es zuallererst um unsere Toleranzfähigkeit. Solche Konflikte bergen allerdings auch Chancen: Wenn man sie gut moderiert, wenn sich die Leute darauf einlassen und sich auch die muslimische Minderheit zum Dialog bereit erklärt, dann ist das Ganze auch eine Möglichkeit, sich besser kennenzulernen und nicht nur isoliert klischeehafte Bilder voneinander zu pflegen. Das Verhältnis des Islam zu Europa ist ein ganz zentraler Konflikt unserer Zeit. Die Muslime sind die größte Minderheit Europas, und wir werden auf Dauer mit ihnen leben müssen.

kreuzer: In der Debatte werden rassistische und islamfeindliche Argumente laut. Die Moschee-Kritiker beschweren sich aber, sie würden zu Unrecht Rassisten oder Islamfeinde genannt. Wie geht man damit um? Muss man Rassismus »Rassismus« nennen?

HAFEZ: Zum Teil ist das unvermeidlich, allerdings sollten solche Bezeichnungen auch begründet sein. Die moderne Rassismus-Forschung kennt einerseits manifeste Vorurteile – das sind Aussagen wie »Der Islam ist schlecht« –, die einer kompletten Religionsgemeinschaft negative Eigenschaften zuschreiben. Sie bilden den Kern dessen, was man heute unter Rassismus versteht. Es gibt aber auch viel subtilere Argumentationsformen, etwa wenn gesagt wird, der »Islam passt nicht zum Westen« oder »Eine Moschee passt nicht in ein bürgerliches Viertel«. Solche Aussagen sind nicht unmittelbar negativ, aber im Grunde drücken sie versteckt die gleichen Vorurteile aus. Solche von der Soziologie als »versteckte Vorurteile« bezeichneten Äußerungen grenzen den Islam pauschal aus; dieser kann nicht ein Teil der deutschen Kultur werden. Beide Vorurteilsarten gehören in den Formenkreis des Rassismus, wohingegen Argumentationen, die auf bestimmte Sachverhalte zielen – etwa die Höhe der Minarette –, auch nicht als rassistisch bezeichnet werden können. Solche Kritik läuft dann allerdings auch auf Kompromisse hinaus, an deren Ende alle Beteiligten dem Bau einer Moschee zustimmen würden.

kreuzer: Oft wird argumentiert, ein Viertel bzw. seine Bewohner würden ihre Identität verlieren, wenn da eine Moschee gebaut würde.

Hafez: Das sind genau diese versteckten Vorurteile. Dahinter steht die Vorstellung, dass Muslime grundsätzlich andere Werte verkörpern. Das ist natürlich unsinnig. Die meisten Muslime stimmen mit einem großen Teil unserer bürgerlichen Werte überein, andernfalls wären sie auch gar nicht rechts- und verfassungskonform, was aber die ganze große Mehrheit der Muslime in Deutschland nachweislich ist. Wer meint, seine Identität sei in Gefahr, wenn eine Minderheit ihr Recht auf Religionsfreiheit ausübt, der folgt seltsamen Mustern einer Identität, die auf Kosten der Identität anderer geht und sich nur durch die Diskriminierung von Minderheiten behaupten lässt. Das ist strukturell fremdenfeindlich und gefährlich. Toleranz endet in einer freien Gesellschaft erst dort, wo Gesetze übertreten werden. Toleranz ist nicht nur eine staatliche, sondern eine generelle Bügerpflicht.

kreuzer: Ein anderes Argument ist, eine Moschee, zumal mit Minaretten, sei Zeichen eines Herrschaftsanspruches.

HAFEZ: Wer so argumentiert, der hat offenbar keine Vorstellung von der Ausbreitung des Christentums weltweit. Es gibt Kirchen überall auf der Welt, in einer Stadt wie Kairo hat man über 200 Kirchen gezählt, in den arabischen Golfländern stehen neben den größten Moscheen zum Teil große Kirchen. Natürlich gibt es Probleme der Diskriminierung in der islamischen Welt ebenso wie hier, Christen haben es dort nicht immer leicht. Aber von Südamerika über Afrika bis in den Nahen Osten gibt es Kirchen, und wenn dann in Deutschland historisch erstmals Moscheen gebaut werden, dann soll das auf einmal eine unangebrachte Machtdemonstration sein. Aus meiner Sicht ist dies ein völlig unausgegorenes Argument. Beim Moscheebau passiert etwas ganz anderes: Die dritte, zum Teil vierte Einwanderergeneration von Muslimen kommt aus den Garagen und Hinterhöfen heraus. Die haben über Jahrzehnte mit improvisierten Moscheen gelebt und wollen jetzt angemessene Sakralbauten.

kreuzer: Am Abend des 14. November haben Unbekannte fünf abgetrennte Schweineköpfe auf Holzpfähle gespießt und auf dem Grundstück, auf dem die Moschee entstehen soll, aufgestellt. Welche Bedeutung messen Sie diesem Anschlag bei?

HAFEZ: Es gibt seit mehr als zehn Jahren in ganz Europa immer wieder Anschläge auf Moscheen. Zumeist sind das Farbbeutel-Angriffe, Hakenkreuzschmierereien oder ähnliches. Das Bundeskriminalamt führt darüber eine eigene Statistik, die Europäische Union hat schon Untersuchungen dazu durchgeführt. Die breite Öffentlichkeit ist sich des Vorhandenseins islamfeindlicher Gewalt in unserer Gesellschaft aber gar nicht bewusst. Das Thema wird verdrängt und ignoriert.


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