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Politik

Drogenabhängig und beschaffungskriminell

Leipziger Polizei erstellt Persönlichkeitsanalysen in linken Fankreisen von Chemie

  Drogenabhängig und beschaffungskriminell | Leipziger Polizei erstellt Persönlichkeitsanalysen in linken Fankreisen von Chemie

Nachdem seine Wohnung wegen Wasserbomben durchsucht wurde, erklärt die Leipziger Polizei nun ausführlich das kriminalistische Gefährdungspotential eines Chemie-Ultras – wegen Drogenbesitzes und eines DVD-Verkaufs auf Ebay. Ob bereits das nächste Verfahren nach § 129 gegen die BSG-Fanszene in Arbeit ist, wird trotz Anfrage im Landtag nicht beantwortet, um Ermittlungserfolge nicht zu gefährden.

Ungeachtet der immer wieder angeführten Personalnot wirkt die sächsische Polizei in den letzten Wochen zumindest im Leipziger Süden überaus tatkräftig. Erst letzten Donnerstag zeigten Pferdestaffel, Fahrradstaffel und Bereitschaftspolizei in Connewitz und der Südvorstadt massiv Präsenz. Man wollte »gemeinsam gegen Ordnungswidrigkeiten« vorgehen. Der Basketballplatz vor dem Kant-Gymnasium wurde kurzerhand zum »Schwerpunkt zur Kriminalitätsbekämpfung« erklärt – zum Schutz lärmgeplagter Anwohner (s. kreuzer 09/2018). Zudem konnte die Leipziger Polizei Ende August im Rahmen einer Hausdurchsuchung im Linxxnet ein gesuchtes Plakat finden und sicherstellen. Es hing im Schaufenster.

Weniger erfolgreich war sie hingegen bei einer anderen Hausdurchsuchung in Connewitz wenige Wochen zuvor. Gesucht – wenn auch nicht gefunden – wurden damals unter anderem »Wasserbomben«, »Verpackungsmaterial von Wasserbomben« und »Kaufbelege für Wasserbomben« (der kreuzer berichtete). Dringend notwendig und zumindest bedingt erfolgreich war der Einsatz anscheinend trotzdem. Denn bei dem Beschuldigten handle es sich allem Anschein nach um einen beschaffungskriminellen Drogenabhängigen, der zudem »gut in ein Netzwerk gleichgesinnter Straftäter eingewoben« ist, von dem in Zukunft zahlreiche politisch motivierte Straftaten zu erwarten sind. Diesen Eindruck erweckt zumindest ein Schreiben der Leipziger Polizei an den Beschuldigten, in dem eine »erkennungsdienstliche Behandlung« des 32-jährigen Studenten angeordnet wird.

Das Ziel: Noch nicht geschehene Verbrechen im Nachhinein besser aufklären

Lichtbilder, Finger- und Handabdrücke dürfen bei Beschuldigten in Strafverfahren laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichts immer dann gesichert werden, wenn es stichhaltige Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Person in Zukunft als Verdächtiger bei »einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung« geführt werden könnte. Im Prinzip heißt das: Wenn die Polizei halbwegs nachvollziehbar argumentieren kann, dass eine Person vermutlich Straftaten begehen wird, darf sie schon vorher tätig werden, um das noch nicht geschehene Verbrechen danach besser aufzuklären. Übrigens ganz ohne neues verschärftes Polizeigesetz.

Im konkreten Fall werfen die Ausführungen der Beamten hinsichtlich des kriminellen Potentials allerdings mehr Fragen auf als beantwortet werden. Ursache für die durchgeführte Hausdurchsuchung war der Vorwurf, dass der Bewohner dabei gewesen sein soll, als Wasserbomben und Eier in Richtung einiger Fußballfans im Luxus-Studentenwohnheim Staytoo flogen. Dabei sollen Sätze wie »Deutschland ist scheiße« oder »Ihr verdammten Yuppies« gerufen worden sein. Anklage wurde in dieser Sache bisher noch nicht erhoben. Allein die mutmaßlichen Rufe sind für die Polizei jedoch Grund genug, um auf eine »manifestierte ideologische Abneigung gegenüber Andersdenkenden / Andersartigen« bei dem Beschuldigten zu schließen, die auch in Zukunft entsprechende Straftaten nach sich ziehen könnte. »Sie überschritten mit dieser Tat bereits einmal Ihre Hemmschwelle, wodurch es Ihnen in Zukunft vermutlich leichter fallen wird, erneut […] straffällig zu werden«, heißt es in dem Schreiben, das dem kreuzer vorliegt. Dass die Möglichkeit einer noch nicht begangenen Straftat hier mit dem vorweggenommenen Urteil zu einer bisher nicht verhandelten Straftat begründet wird, mag verwundern, doch führt die Polizeidirektion Leipzig noch weitere Gründe für ihre Bewertung an.

Kriminalpolizeiliche Erfahrung: BTMs, soziale Verelendung & Beschaffungskriminalität

So wurden bei der Hausdurchsuchung zwar keine Luftballons, jedoch Betäubungsmittel wie Marihuana und amphetaminhaltige Tabletten in Eigenkomsummengen gefunden. Der naheliegende Schluss für die Beamten lautet nicht nur, dass der Student drogenabhängig sei; »gemäß kriminalpolizeilicher Erfahrung« sei es zudem wahrscheinlich, dass er in Zukunft "Delikte der direkten oder indirekten Beschaffungskriminalität« begehen werde.

Auf Nachfrage, inwiefern dieser Schluss allgemein übliche Polizeipraxis sei, erklärte Leipzigs Polizeisprecher Andreas Loepki: »Zwischen Betäubungsmittelkonsum, Finanzierung einer Suchterkrankung, sozialer Verelendung und Beschaffungskriminalität besteht ein direkter und untrennbarer Zusammenhang.« Wenn »Anzeichen für klamme Kassen« auftauchen, sei es Loepki zufolge dringend geboten, entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen.

Umstrittene Einträge in den Datenbanken der Polizei

Ein entsprechendes Anzeichen für finanzielle Nöte, die den Schluss nahelegen, dass die »legalen Geldmittel nicht ausreichen, um neben dem Drogenkonsum auch noch den Lebensunterhalt zu bestreiten« führt die Polizei ebenfalls an. So sei der Beschuldigte bereits mit einem Betrug »strafrechtlich in Erscheinung getreten.« Laut Schilderung des Betroffenen ist damit vermutlich ein Konflikt über den Verkauf einer DVD-Box bei ebay-Kleinanzeigen gemeint: »Ich hatte die Box damals wohl nicht schnell genug rausgeschickt. Dann habe ich dem Käufer einfach das Geld per Paypal zurücküberwiesen und die Sache war eigentlich geklärt. Dass er deswegen vorher wohl bei der Polizei war, wusste ich bis heute nicht.«

Dass sich in den polizeilichen Datenbanken auch zehntausende Einträge finden, bei denen nicht vermerkt ist, ob es jemals zu einer Anklageerhebung oder gar Verurteilung kam, ist spätestens seit dem G20-Gipfel in Hamburg bekannt. Damals wurde mehreren Journalisten nachträglich die Akkreditierung entzogen, teilweise wegen irreführender Einträge im polizeilichen Informationssystem (INPOL). Im konkreten Fall reichte der Leipziger Polizei dieser Hinweis immerhin aus, um daraus das beschaffungskriminelle Potential des zum Drogenabhängigen Erklärten abzuleiten. Man müsse davon ausgehen, dass sich der Beschuldigte »auch zukünftig durch die Begehung von Straftaten um rechtswidrige Vermögensvorteile bemühen« werde.

Vorwurf: Strukturermittlungen – Anfrage im Landtag bringt keine Klarheit

Vollkommen unüblich ist die Anordnung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln übrigens nicht. So teilt Rechtsanwalt Tommy Kujus, der häufig Mandanten vertritt, denen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen wird, auf Anfrage des kreuzer mit, dass diese Praxis seit einiger Zeit »nahezu zum guten Ton« gehöre. »Das Ziel der Polizeibehörden ist es, ihre Datenbanken mit Informationen der Bürger zu füllen«, so Kujus. Diese Aussage erhält zusätzliche Brisanz durch die Zugehörigkeit des Beschuldigten zur aktiven Fanszene der BSG Chemie Leipzig, die schon während der Hausdurchsuchung von Beamten thematisiert wurde. Schließlich wurden die Fans des Oberligisten bereits zwei Mal zum Ziel der Ermittlungsbehörden – samt umfassender Telefonüberwachung.

Nun wurde diese Thematik in einer kleinen Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) auch im sächsischen Landtag behandelt. Dabei fragte sie unter anderem, ob bereits ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129) laufe, bei dem auch der Vorfall im Luxus-Studentenwohnheim eine Rolle spiele. »Eine Beantwortung der Frage ist nicht möglich«, lautete die Antwort. Einzelheiten zu bisherigen Ermittlungsansätzen könnten den Erfolg notwendiger Ermittlungen gefährden. Zudem hätten die Polizeibeamten »ohne konkreten Ermittlungszweck« mit dem Bewohner über den Fußballverein gesprochen, weil er ein T-Shirt der Mannschaft getragen haben soll. Die Darstellung erweckt den Eindruck eines freundschaftlichen Plauschs über sportliche Interessen, während nebenbei die Wohnung durchsucht wird.

Polizei teilt mit, der Beschuldigte könne gern das Gegenteil beweisen

Doch auch ungeachtet der parlamentarischen Aufarbeitung und dem Verdacht von erneuten Strukturermittlungen in der Leipziger Ultra-Szene, stellt sich hier die Frage, auf welcher Basis Ermittlungsbehörden ihre Schlussfolgerungen ziehen. »Ihr Verhalten gegenüber den geltenden Rechtsvorschriften muss aufgrund ihrer bisherigen polizeilichen Auffälligkeiten als höchst negativ bewertet werden«, lautet das Fazit der Polizeidirektion Leipzig, das zuweilen wie die Persönlichkeitsanalyse eines höchst fragilen Charakters anmutet. Ein Schluss, der sich aus einer zu spät versandten DVD, gelegentlichem Betäubungsmittelkonsum und den noch laufenden »Wasserbombenermittlungen« ableitet.

Etwaige Kritik, die Polizei würde mit ihrer Einschätzung offenkundig über das Ziel hinausschießen und einer eindeutigen juristischen Beurteilung vorauseilen, entgegnet Polizeisprecher Loepki: »Wenn der Betroffene also mit im Konjunktiv formulierten Schilderungen und zugehörigen Grundangaben nicht einverstanden ist, kann er gern sein ihm eingeräumtes Widerspruchsrecht nutzen und den Beweis des Gegenteils antreten.« Doch Formulierungen wie »Ihre Sucht«, »mit dieser Tat überschritten Sie bereits einmal« oder die mit einem »auch zukünftige« gekennzeichnete Begehung von Straftaten haben nichts mehr mit dem Konjunktiv oder einer reinen Darstellung des Möglichen zu tun. Es sind Tatsachenbehauptungen, die konkrete Folgen nach sich ziehen sollen. Der Beschuldigte hat nun angekündigt, juristisch gegen die Einschätzung der Polizei vorzugehen.


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