Seine Freizeitgestaltung sei sehr abhängig vom kreuzer, sagt John Crosby, als er uns im US-Konsulat empfängt. Der texanische Dialekt des Generalkonsuls schwingt auch in seinem Deutsch mit, in dem er von seiner Arbeit erzählt, antiamerikanischen Ressentiments, zwei Sommern in einem Dorf in Sachsen-Anhalt in den neunziger Jahren und seinen Auftritten bei Christopher-Street-Days in Ostdeutschland.
Wir haben gerade die Sicherheitsschleuse erlebt – man braucht einige Minuten, um dort durchzukommen. Wie ist es für Sie, unter solchen Sicherheitsvorkehrungen zu arbeiten und zu leben?
Für diplomatische Vertretungen rund um die Welt ist das die Normalität, nicht nur hier in Leipzig. In der deutschen Botschaft in Washington werden Sie vermutlich Ähnliches erleben. Ich fühle mich sehr sicher in Leipzig. Wir haben eine tolle Partnerschaft mit den Polizeibehörden vor Ort. Es ist wunderbar, in einem so sicheren Land zu leben, das war im Laufe meiner Karriere nicht immer der Fall.
Ihr Vorgänger, Scott Riedmann, war mit uns bei einem Interviewtermin vor neun Jahren außerhalb des Konsulatsgebäudes unterwegs. Wäre das auch heute noch denkbar?
Ja, natürlich! Ich bin regelmäßig in der Stadt unterwegs, um sie mit meinem Mann und unserem Hund zu erkunden.
An welchen Orten Ihrer Karriere fühlten Sie sich nicht so sicher?
Das offensichtlichste Beispiel ist wohl meine Zeit in Afghanistan. Das Land war eine Kriegszone, da hat man natürlich eine andere Beziehung zum Thema Sicherheit. Ich war damals viel in ganz Afghanistan unterwegs, nicht nur in Kabul, und wir haben mit unseren Alliierten und Partnerländern zusammengearbeitet. Deshalb war ich zu der Zeit auch manchmal zu Gast in der deutschen Kaserne in Masar-e-Scharif. In Kandahar haben uns dann etwa die polnischen Truppen geschützt. Es herrschte immer eine sehr enge und gut funktionierende Zusammenarbeit.
Wie sehr hat Sie persönlich der Rückzug der Alliierten aus Afghanistan getroffen?
Als ich in Afghanistan war, habe ich erlebt, dass es Millionen Mütter und Väter gab, die das Beste für ihre Kinder wollten – eine gute Bildung für ihre Söhne und genauso auch für ihre Töchter. Wir haben damals sehr eng mit vielen Afghanen zusammengearbeitet. Ich glaube, das afghanische Volk möchte etwas Besseres für sein Land. Das ist zwar noch nicht erreicht worden, aber ich hoffe, dass es in Zukunft erreicht werden kann.
In Leipzig sind Sie 2023 angekommen. Wozu braucht es ein US-amerikanisches Konsulat in Mitteldeutschland?
Wir haben ein US-Konsulat in Leipzig seit 1826 – das überrascht viele Menschen, wenn sie es zum ersten Mal hören. Früher diente das Konsulat vor allem dazu, die Handelsbeziehungen mit dem Königreich Sachsen auszubauen. Es war damals eine von 14 US-Vertretungen in Mitteldeutschland. Während der Weltkriege und der DDR-Zeit waren sie geschlossen. Wir sind sehr froh, seit den frühen Neunzigern die Türen in Leipzig wieder öffnen zu können. Heute ist es unsere Hauptaufgabe, die deutsch-amerikanischen Beziehungen in Mitteldeutschland auszubauen, vor allem auf der zwischenmenschlichen Ebene.
Wie passiert das?
Über verschiedene Wege: Handelsbeziehungen, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch sowie Bildungsprogramme. Letzteres ist ein Lieblingsthema von mir. Ich glaube, es gibt allein vom US-Außenministerium mehr als hundert Austauschprogramme für Schüler, Studenten oder Berufstätige. Deutschland ist ein enger und vertrauter Partner der Vereinigten Staaten, dennoch wollen wir die zwischenmenschlichen Beziehungen weiter intensivieren. Gerade im östlichen Teil von Deutschland, wo wir zu DDR-Zeiten vierzig Jahre lang nicht die Möglichkeit hatten, uns als Partner zu verstehen.
Welche Unterschiede nehmen Sie zwischen Ost- und Westdeutschland wahr?
Ich habe ziemlich viel Zeit in Deutschland verbracht. 1986 war ich zum ersten Mal als Schüler noch vor der Wende auf Klassenfahrt in Deutschland. Später habe ich ein Auslandssemester an der Universität Heidelberg und ein Jahr als Stipendiat an der LMU in München verbracht. 1993 und 1994 war ich dann zwei Sommer lang als Englischlehrer im Norden von Sachsen-Anhalt in einem Dorf namens Wust. Ein toller Ort! Relativ bald nach der Wende habe ich den östlichen Teil Deutschlands erlebt. 1995 war ich dann zum ersten Mal in Leipzig, aber nur für eine sehr kurze Zeit. Damals hatten viele Menschen große Hoffnung, dass innerhalb von zwanzig Jahren eine gesamtdeutsche Identität entstehen würde. Doch die Umfragen zeigen heute etwas anderes.
Wie nehmen Sie anti-amerikanische Ressentiments im Osten wahr, besonders im Kontext des russischen Angriffskriegs in der Ukraine?
Gegen die Amerikaskepsis zu arbeiten, ist uns sehr wichtig. Wir wollen einander schließlich als gleichgesinnte Partner in einer transatlantischen Gemeinschaft besser verstehen. Deshalb ist es auch wichtig, die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Man kann momentan viele Rufe nach Frieden wahrnehmen – wir alle möchten das. Und es gibt genau eine Person, die diesen Frieden über Nacht herstellen könnte, und diese Person sitzt im Kreml. Das sollten wir alle nicht vergessen. Es handelt sich um einen einseitigen und brutalen Angriffskrieg Russlands. Und wenn die ukrainische Demokratie bedroht ist, dann sind unser aller demokratische Freiheiten und Werte bedroht.
Konnten Sie sich aussuchen, Leipzig zu Ihrer nächsten diplomatischen Station zu machen?
Man muss sich als Diplomat bewerben und darf mehr oder weniger bis zu zehn Städte auswählen, in die man gerne ziehen würde. Eine Garantie, dass die Wünsche gebilligt werden, gibt es aber nicht. Besonders weil die Stadt so schön und sie ein Ort ist, an dem die Arbeit aktuell so wichtig ist, ist Leipzig unter uns Diplomaten sehr beliebt. Ich hatte das große Glück, dieses Ziel zu erreichen.
Wie ist das, alle drei Jahre die Stadt, das Land, den Kontinent wechseln zu müssen?
Für mich ist das nicht anstrengend. Natürlich ist das Abschiednehmen jedes Mal ein trauriger Moment. Meine Gastmutter in München meinte immer: »Sag niemals ›Good-bye‹, sondern ›See you later!‹« Das ist das Schwierigste. Das Tollste ist, so viele verschiedene Leute, Länder und Kulturen kennenlernen zu dürfen im Lauf einer diplomatischen Karriere. Und ich habe in den 24 Jahren als Diplomat bemerkt, dass immer Beziehungen zu den ehemaligen Posten bestehen bleiben. Ich glaube, die Welt erscheint einem Diplomaten manchmal irgendwie kleiner als anderen Menschen. Vor ein paar Jahren habe ich vorgeschlagen, dass wir mal ein verlängertes Wochenende in Japan verbringen sollten mit einem alten Bekannten. Mein Mann hat mich gefragt, ob ich verrückt sei.
Und Ihr Mann muss da mit durch?
Ihm gefällt das auch. Aber ja: Ich habe ein Büro, wo ich sofort mit vielen neuen Leuten in Kontakt komme. Für die Familien von Diplomaten ist das schwieriger. Bei uns funktioniert das aber gut. Als pensionierter Arzt und jetzt als Künstler ist er ein neugieriger, kontaktfreudiger Mensch.
Was tun Sie in Leipzig, um mit den Menschen und der Kultur zusammenzukommen?
Da gibt es hier viele Möglichkeiten. Wir besuchen gern Konzerte. Das kann aber auch so etwas Einfaches sein, wie mit dem Hund spazieren zu gehen im Park, im Biergarten zu sitzen oder ein RB-Leipzig-Spiel zu sehen. Ich war letztens auf dem Spinnerei-Rundgang. Man muss einfach offen sein. Und wir kannten schon ein paar Leute, bevor wir hierhergezogen sind.
Sie waren 1995 das erste Mal in Leipzig, sind 2023 wiedergekommen. Wie nehmen Sie die Entwicklung der Stadt wahr?
Damals war ich im Winter hier, Leipzig ist da in meiner Erinnerung ziemlich kalt und grau. Die Stadt ist heute viel bunter. Aber man konnte schon damals den Geist der Stadt wahrnehmen, diesen Spirit, der ja auch die Friedliche Revolution trug. Das ist etwas Spezielles hier.
Wie schauen Sie auf die Ergebnisse der Landtagswahlen? Haben die einen Einfluss auf Ihre Arbeit?
Als Diplomat ist es nicht meine Rolle, spezifische Wahlergebnisse oder Parteien zu kommentieren. Das darf ich gar nicht. Genauso bleibe ich neutral in Bezug auf unsere eigenen Wahlen. Aber wir haben bei den Landtagswahlen die höchste bzw. zweithöchste Wahlbeteiligung seit der Wende gesehen, was etwas Gutes über die Demokratie aussagt. Die Bürger nehmen ihre Rechte, Pflichten, Freiheiten ernst. Ein Teil unserer Arbeit ist ja die Verteidigung der Demokratie, ob das in Mitteldeutschland, den USA oder der Ukraine ist. In diesem Rahmen habe ich in den letzten zwei Sommern auf fünf Christopher-Street-Days geredet, auch in kleineren Orten, wo es für LGBTQ+-Leute schwieriger ist, in Frieden und ohne Angst zu leben. Das unterstreicht, dass wir in Demokratien eine Pflicht haben, unsere Stimme zu erheben, wenn etwas nicht stimmt, um uns tatsächlich gegen Hass in all seinen Formen auszusprechen.
Das dürfen Sie dann schon, auch wenn gerade queere Rechte in den USA unter Beschuss stehen?
Das ist klar die Position unserer Regierung, das besagen die Statements unseres Präsidenten. Das ist eine Frage von Menschenrechten, und die sind absolut.
Müssen Sie sich da manchmal zügeln, um sich ans Neutralitätsgebot zu halten?
Das sind die Parameter unserer Arbeit. Aber ich fühle mich sehr frei, auf der Ebene von Prinzipien zu sprechen.
Trotzdem noch einmal: Welchen Einfluss haben US-Wahlen auf Ihren Job, könnten Sie unter einem Präsidenten Donald Trump noch Konsul sein bzw. würden Sie es sein wollen?
Das hat wenig Einfluss auf unseren Diplomatenjob. Ich habe für verschiedene Regierungen gearbeitet. Unsere Aufgabe ist es, die nationalen Interessen und außenpolitischen Prioritäten zu vertreten. Durch eine historische Brille gesehen, ist das eine ziemlich konsistente Arbeit. Denn unser Ziel ist es, die kollektive Sicherheit zu gewährleisten und den Wohlstand zu vermehren. Natürlich gibt es politisch ernannte Botschafter, die mit den Präsidenten wechseln. Aber im Großen und Ganzen ändert sich nichts. Wir schwören als Diplomaten einen Eid auf die US-Verfassung, und deren Prinzipien leiten uns.
Seit Corona geht der Trend in der Welt wieder zu mehr Protektionismus. Wie eng ist die amerikanisch-deutsche Partnerschaft noch?
Wir stehen enger zusammen als je zuvor. Wenn ich an meine Zeit in München zurückdenke, wo ich im Generalkonsulat als Leiter der politisch-ökonomischen Abteilung gearbeitet habe, zu den Zeiten war TTIP (Transatlantisches Freihandelsabkommen, Anm. d. Red.) das Thema. Wir wollten eine stärkere transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft aufbauen. Leider hat das nicht geklappt, trotz unseres Enthusiasmus. Aber die Vereinigten Staaten sind größter nicht-europäischer Auslandsinvestor in allen drei Bundesländern in Mitteldeutschland. Das ist ein wichtiger Teil des Zusammenwachsens.
Wie würden Sie einem guten Freund in drei Sätzen Leipzig erklären?
Das finde ich sehr schwierig. Es ist es wichtig, sich nicht nur auf die DDR-Zeit zu konzentrieren. Ich denke manchmal, wie unglaublich interessant es wäre, wenn man durch die Zeit reisen und Leipzig zum Beispiel um die Jahrhundertwende erleben könnte. Leipzig ist ein Gründerzeit-Paradies! Wir haben ein Gästebuch zu Hause, das schon unglaublich voll ist. Fast alle zwei, drei Wochen haben wir Besuch von Freunden aus Amerika und ganz Europa.
Gibt es so was wie eine US-Community in Leipzig oder Stammtische?
Ja, es gibt einige Amerikanerinnen und Amerikaner, die Leipzig zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben. Außerdem gibt es einen American Space in der Unibibliothek Albertina und das DAIS, das Deutsch-amerikanische Institut Sachsen, das Veranstaltungen zu transatlantischen Themen anbietet. Das DAIS ist übrigens das einzige deutsch-amerikanische Institut in den östlichen Bundesländern, insgesamt gibt es zwölf in ganz Deutschland.
Dieser Austausch scheint recht voraussetzungsvoll. Müsste es nicht noch mehr Programme für finanziell weniger Privilegierte geben und für Menschen im ländlichen Raum?
Das denke ich auch. Es ist wirklich sehr wichtig, dass wir unsere Öffentlichkeitsarbeit nicht nur auf Großstädte konzentrieren. Wir müssen aufs Land gehen, wir müssen dort die Beziehungen pflegen. Wir haben ein Programm namens »Meet US«. Da gehen nicht nur US-Diplomaten und -Diplomatinnen in die Schulen, sondern zum Beispiel auch amerikanische Studierende, die über ein Fulbright-Stipendium an deutschen Schulen lehren. Wir haben auch ein Programm namens »USA for you«, das gezielt auf Oberschüler und Oberschülerinnen ausgerichtet ist. Sie haben damit die Möglichkeit, einige Wochen in den Vereinigten Staaten zu verbringen. Es ist wichtig, dass wir mit Menschen aus dem ganzen Spektrum der Gesellschaft ins Gespräch kommen.
Man kann Sie also einfach anschreiben und dann kommen Sie vorbei?
Ja! Also nicht nur ich. Wir haben eine Reihe von amerikanischen Stimmen, die sehr gerne unterwegs sind. Ein Kollege war neulich in Klingenthal, an der Sportschule. Eigentlich wollte ich selber dahin. Das war für mich sehr schmerzlich, dass ich das nicht machen konnte aus terminlichen Gründen. Das war eine tolle Reise. In der Nähe – in Markneukirchen – hatten wir im 19. Jahrhundert schon ein Konsulat, hauptsächlich lief das über die Handelsbeziehungen im Bereich Musikinstrumente.
Sie haben jetzt öfter Sport angesprochen. Treiben Sie selbst Sport?
Im Prinzip gern, aber ich bin nicht der talentierteste Sportler. Als ich als Elfjähriger beim Fußball ein Eigentor geschossen habe, habe ich gemerkt, dass das vielleicht nicht meine Bestimmung ist.
Sie haben als Elfjähriger in den USA Fußball gespielt? Soccer war doch damals kaum etabliert.
Doch! Ich bin in Texas, dem Land des American Football, aufgewachsen, aber viele Leute haben zu den Zeiten schon mit Soccer angefangen, meine Schwester und ich auch. Aber Sie haben recht, inzwischen ist Fußball viel größer geworden. Andersrum hoffen wir, immer mehr amerikanische Sportarten nach Deutschland zu bringen. Die NFL etabliert jetzt deutschlandweit ein Flag-Football-Programm, unter anderem, weil der Sport 2028 zum ersten Mal olympisch sein wird.
Gibt es etwas, das Sie aus den USA hier vermissen? Texas-BBQ?
Eigentlich am meisten mexikanisches Essen. Obwohl wir gutes mexikanisches Essen in Leipzig gefunden haben. Aber das ist nie so scharf wie in den Vereinigten Staaten – oder zumindest nicht wie in meiner Heimatstadt Houston.
Müssen Sie sich jetzt schon Gedanken um Ihre nächste Station machen?
Ich habe noch zwei Jahre hier, worüber ich mich freue. Auf die nächste Stelle bewirbt man sich ein Jahr im Voraus. Glücklicherweise habe ich noch Zeit, denn ich denke nicht gerne darüber nach, Leipzig verlassen zu müssen.
Wenn Sie deutscher Diplomat wären, wo würden Sie gern in den USA arbeiten?
Der beste Job in den USA muss Botschafterin oder Botschafter sein, weil − dann kann man das ganze Land erleben. Wichtig ist, verschiedene Gesichter von Amerika zu sehen, wenn man die Möglichkeit hat. Manchmal lernt man das Land am besten kennen, wenn man in einem Dorf mit 110 Personen lebt. So wie ich in Wust und Melkow in den frühen neunziger Jahren. Ich konnte bei Sauerkirschtorten und Kaffee wirklich tolle Gespräche führen – über die Vergangenheit, über die Zukunft und darüber, was es bedeutet, als Amerikaner in Deutschland oder als Deutscher in Amerika zu sein.
Biografie
John R. Crosby (54) studierte Geschichte und Jura in den USA, Heidelberg und München. Vor seiner Zeit im Auswärtigen Dienst arbeitete er für eine Agentur für Unternehmenskommunikation in Tokio und als Anwalt für Wirtschaftsrecht in Houston. In den neunziger Jahren unterrichtete er zwei Sommer in Sachsen-Anhalt und gab als Pianist Kammermusikkonzerte. Seine Stationen als Diplomat waren Mumbai, Ljubljana, Kabul, München, Mailand, New York City – seit 2023 ist er in Leipzig. Zudem war er in verschiedenen Positionen in Washington, D.C. tätig, unter anderem als Mitglied des Exekutivsekretariatsstabs unter den Außenministerinnen Hillary Clinton und Condoleezza Rice.