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Politik

Eingefroren im Sommer

Was beim Leipziger Doppelhaushalt schief lief und wie es nun weitergeht

  Eingefroren im Sommer | Was beim Leipziger Doppelhaushalt schief lief und wie es nun weitergeht  Foto: Stadt Leipzig, SF

Der Leipziger Sommer ist unerwartet verregnet, im Rathaus bleibt er hitzig. Die Gründe: Ein verspäteter Haushalt, ein überraschter Finanzbürgermeister und eine chronisch überlastete Stadt.

Sommer, Sonne, Sparpakete – In der Stadtverwaltung, so scheint es, ist man gerade fieberhaft auf der Suche nach Kürzungsvorschlägen. Finanzierung von Kitas in freier Trägerschaft, Schulsozialarbeit, alles ist jetzt recht, um die sächsische Landesdirektion zu besänftigen. Denn damit Leipzig sein Geld überhaupt wie geplant ausgeben kann, muss die Behörde den bereits im Frühjahr beschlossenen Leipziger Doppelhaushalt für 2025 und 2026 erst noch freigeben.

Dabei sah es in der Ratsversammlung im März für einen Moment so aus, als würde er tatsächlich stehen, der Haushalt. Mit dem damals kalkulierten Fehlbetrag von 60 Millionen Euro war Finanzbürgermeister Torsten Bonew (CDU) bei einem Gesamtvolumen von über sechs Milliarden über beide Haushaltsjahre zufrieden. Mit einem Haushaltssicherungskonzept sollen bis 2027 100 Millionen Euro gespart werden. Damit würde man das Loch schon noch nachträglich schließen können, war man sich sicher. Im Frühsommer würde der Haushalt dann genehmigt werden, alles wie immer. Es kam anders.

Weil die Zustimmung noch immer fehlt, tut sich nun auch für jene ein ungeplantes finanzielles Sommerloch auf, denen laut Haushalt eigentlich Mittel zustehen würden. Denn ohne genehmigten Etat dürfen keine Projektmittel mehr ausgezahlt werden, keine Vergaben mehr stattfinden. Etwa für Kulturschaffende, die ihre bereits zugesagten Förderungen schon ausgegeben hatten, jetzt aber vorerst auf ihr Geld warten müssen, eine potenziell existenzbedrohende Situation.

Dass sich die Finanzlage dermaßen zugespitzt hat, nachdem der von Sparanstrengungen gezeichnete Haushalt längst verabschiedet war, hängt auch an der Person Bonew. Nach dem Haushaltsbeschluss versuchte Leipzigs oberster Finanzbeamter im Gespräch mit dem kreuzer noch zu beruhigen, setzte auf milde Einbrüche bei den Gewerbesteuern. Inzwischen ist auch hier die Lage aufgrund der einbrechenden Exporte ernster geworden. Als die Landesdirektion Bonew dann im Juni zum Krisengespräch bestellte, statt den Haushalt durchzuwinken, wurde der Finanzbürgermeister wohl selbst überrascht. Die zusätzlich angekündigten pauschalen Kürzungen der Stadt müssten schon jetzt konkret werden, so die Forderung der Rechtsaufsichtsbehörde.

Manche im Leipziger Stadtrat sagen, Bonew hätte die Gespräche mit der Landesdirektion bereits früher intensiver führen müssen, genauer klären, was die Rechtsaufsicht von der Stadt will. »Der Finanzbürgermeister hat sich verkalkuliert und die Lage falsch eingeschätzt«, sagt etwa SPD-Stadträtin Christina März. Auch von den Grünen kommt Kritik: »Hätten wir vorher gewusst, dass konkrete Kürzungen gefordert werden, hätte man darüber schon in den Haushaltsverhandlungen sprechen können«, beschwert sich deren Fraktionsvorsitzender Tobias Peter. Aus dem Finanzdezernat heißt es dazu, man sei in einem »guten und konstruktiven Austausch« mit der Behörde.

Andere nehmen den Kämmerer in Schutz: Die Landesregierung hatte signalisiert, dass man es den Kommunen nicht allzu schwer machen werde. Denn auch das gehört zur Wahrheit dazu: Leipzig geht es im sächsischen Vergleich noch verhältnismäßig gut. In ganz Deutschland sind die Kommunen in einer prekären Finanzlage. Auch vergleichbare Städte wie Dresden, Stuttgart oder Hannover müssen bei Kultur und Sozialem sparen.

Wie kam Leipzig in diese Lage?

Nun ist der Stadtrat in der Sommerpause, aufgrund der Hängepartie in diesem Jahr nicht ganz so sorgenfrei wie sonst. Hört man sich dort in diesen Sommerwochen nach den Gründen um, die Leipzig in die aktuelle Lage geführt haben, erreicht man die Ratsmitglieder daher nicht nur bei der Arbeit, sondern auch am Strand. Sven Morlok (FDP) schaltet sich aus Kenia dazu: »Auch die letzten drei Doppelhaushalte waren strukturell nicht gedeckt.« Das habe nur niemand gemerkt, weil es jedes Mal Sondereffekte gegeben habe.

Tatsächlich hatten in den letzten Jahren zuerst Corona und die Energiekrise in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine dafür gesorgt, dass die Landesdirektion die Doppelhaushalte durchwinkte. Beim letzten war es dann eine konzerninterne Umstrukturierung bei Porsche, die für unerwartet hohe Steuereinnahmen sorgte. »Dreimal Glück, diesmal Pech gehabt«, sagt Morlok und schmunzelt unter der ostafrikanischen Sonne.

Morlok, früher mal sächsischer Wirtschaftsminister, kann wirklich niemand vorwerfen, er habe zu selten vor möglichen Finanzdefiziten gewarnt. Jetzt fühlt er sich endlich bestätigt. Ähnliches ließe sich über Bonew sagen. In seiner Rolle als Stadtkämmerer sah er sich aber in diesem Jahr mit dem Problem konfrontiert, dass sich der Stadtrat an seinen ständig erhobenen Zeigefinger irgendwann gewöhnt hatte. März bestätigt das: »Seit er im Amt ist, hat der Finanzbürgermeister immer schon gesagt, dass der Haushalt schwierig ist.« Bei der Abrechnung hatte sich das nie bewahrheitet. »Irgendwann haben ihm einige Stadträte nicht mehr geglaubt«, sagt März.

Dabei waren es alle Fraktionen, die sich durch die immer höher sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen der letzten Jahre Geld für ihre Lieblingsprojekte sichern konnten – und die sie sich jetzt gegenseitig zum Vorwurf machen. Für FDPler Morlok ist es der Jugendhilfeausschuss, der das Budget rund um Jugendtreffs und Familienberatungen von rot-grün-rot in den letzten Jahren immer stärker erhöht bekommen hatte. Für den Grünen Peter sind es die 25 Wirtschaftsförderungsmillionen, die die CDU mit Unterstützung des Finanzbürgermeisters im letzten Jahr beschließen ließ. Statt das Geld für schlechtere Zeiten zurückzulegen, floss es in einen Mittelstandsfond oder ein Azubiwohnheim. Und Sozialdemokratin März stößt sich daran, dass Linke und CDU die Erhöhung der Kitabeiträge »aus wahlkampftaktischen Gründen und ohne sachliche Begründung« strikt abgelehnt hätten. Auch eine leichte Anhebung hätten die Fraktionen abgelehnt. Zumindest hier könnte aber das letzte Wort noch nicht gesprochen worden sein. Seit 2017 wurden die Elternbeiträge nicht mehr erhöht, sie liegen inzwischen sogar unter der vorgeschriebenen sächsischen Mindestgrenze. »Ich weiß nicht, ob wir für Herrn Jung oder Herrn Bonew die Kitagebühren subventionieren müssen«, merkt Morlok süffisant an. Tatsächlich können alle, die auch Anrecht auf einen Leipzig-Pass haben, eine Reduzierung oder gar Befreiung der Beiträge beantragen. Der Rest könnte schon bald mehr zahlen müssen, um das Haushaltsloch zumindest mit ein paar Millionen zu füllen.

Dann müsste wohl auch Franziska Riekewald zustimmen. Die Fraktionsvorsitzende der Linken gibt sich für den Moment betont überparteilich. Auch wenn man vielleicht in den vergangenen Jahren, vor der hohen Inflation, deutlich günstiger hätte investieren sollen, statt Schulden abzubauen – diesen Sommer Schnee von gestern. Denn an der zugrundeliegenden strukturellen Unterfinanzierung der Stadt hätte das auch nicht viel geändert. Riekewald möchte auch deswegen keine Schuldigen benennen, um auf die große Schieflage hinzuweisen: »Wir hatten schon immer ein Einnahmenproblem, weil die Einnahmen von Land und Bund fehlen.« Jährlich seien das 800 bis 900 Millionen Euro, weil beide etwa bei den Kitas oder der Wärmewende ihren Finanzpflichten nicht nachkämen. Am Ende sei dann der Stadtrat gar nicht so entscheidend, denn die Haushaltsanträge aller Fraktionen hätten den Gesamthaushalt nur um 0,4 Prozent verändert. »Ohne ausreichend Geld ist die Decke an allen Ecken und Enden zu kurz. Und dann ist es eben das Haushaltsrecht des Stadtrats, die Decke dorthin zuziehen, wo er möchte«, sagt Riekewald. Dem stimmt auch Grünenfraktionschef Peter zu: »Man könnte das Haushaltsrecht des Stadtrats auch ganz abschaffen, wenn nicht mal mehr Kosmetik möglich ist.«

Für das strukturelle Defizit der Kommunen kann auch Bonew nichts. Dass er zuletzt immer wieder kulturkämpferisch gegen die Einnahmevorschläge der Grünen schoss oder im kreuzerdie vermeintlich leistungsunwillige Jugend attackierte, könnte aber mit seiner Parteizugehörigkeit zusammenhängen – und lässt den Verdacht eines Ablenkungsmanövers aufkommen. Denn dass die seit 36 Jahren in Sachsen regierende CDU die hochverschuldeten Kommunen mit Aufgaben überhäuft, der Freistaat aber um jeden Preis keine Schulden aufnehmen möchte, ist schwierig zu erklären.

Bonews direkter Vorgesetzter Burkhard Jung (SPD), inzwischen auch wieder deutscher Städtetagspräsident, hatte jüngst von der »größten kommunalen Finanzkrise im Nachkriegsdeutschland« gesprochen. Dabei gelang zuletzt gerade Jung damit ein seltenes Kunststück, Grüne und CDU gleichermaßen gegen sich aufzubringen. Der Vorwurf: fehlende Führung in der Haushaltskrise. Jung habe etwa Anfang Juli die Sitzung des erweiterten Finanzausschusses nach 20 Minuten verlassen, als es eigentlich noch um die umkämpften Sparmaßnahmen gehen sollte, erzählen damals Anwesende im Gespräch mit dem kreuzer. In der aufgeheizten Situation kam das nicht gut an. Auch mit Blick auf ineffiziente Strukturen innerhalb der Verwaltung kritisiert FDP-Stadtrat Morlok: »Herr Jung hat viele Stärken, aber Chef eines großen Verwaltungskörpers zu sein, gehört nicht dazu.« Der Oberbürgermeister sei in Personalfragen konfliktscheu, treffe ungerne unangenehme Entscheidungen.

Vielleicht liegt Jungs Stärke nun genau darin, nicht mehr um seine Wiederwahl kämpfen zu müssen. In seinen letzten anderthalb Jahren muss er keine Wahlgeschenke mehr machen, kann ehrlich sein, verschiedene Seiten vereinen.

Wie geht’s weiter?

Dass die finanzielle Lage für die Stadt in Zukunft unsicher bleiben wird, ist absehbar. Die Verhandlungen rund um den Haushalt sind zu einem dauerhaften Grundrauschen geworden, dass so schnell nicht wieder abklingen wird. Die Haushaltsentscheidungen aus dem Frühjahr könnte der Stadtrat zumindest teilweise noch einmal revidieren müssen, parallel steht die Stellen- und Aufgabenkritik in der Stadtverwaltung ins Haus. Ab 2027 will man dort 500 Stellen abbauen, muss schauen, wie man effizienter wird. Und im nächsten Jahr beginnen, zeitgleich mit dem Oberbürgermeisterwahlkampf, schon die Gespräche für den Doppelhaushalt 2027/28.

Finanzpolitisch bleibt es daher auch über den Winter mindestens warm, wenn nicht gar heiß. Zumindest teilweise liegen die Einsparideen für das Haushaltssicherungsprogramm bereits detailliert vor. Im Finanzdezernat will man im nächsten Jahr unter anderem auf zehn Arbeitsplatzdrucker inklusive Toner verzichten. Gesparte Summe: 3.700 Euro. Weil man auf die Reinigung der Wahlkabinen und Urnen vor der OB-Wahl verzichten will, werden 10.000 Euro frei. Deutlich schmerzhafter wird es da schon im großen Schul- und Bildungsetat. Knapp anderthalb Millionen Euro im Jahr soll der Verzicht auf die zweiten Stellen für die Schulsozialarbeit an sogenannten »Brennpunktschulen« bringen – zumindest kurzfristig.

In diesen Wochen laufen im Hintergrund die Spitzengespräche zwischen Stadt und Landesdirektion. Und schon nächste Woche, wenn nach den Schulferien auch die Fachausschüsse im Rathaus wieder ihre Arbeit aufnehmen, könnte endlich konkreter werden, welche Ausgaben noch im schnell geschnürten Sparpaket stecken. Dann werden auch die Fraktionen entscheiden, ob sie die geplanten Einschnitte vollständig mittragen oder punktuell nachverhandeln wollen.

Der jüngste Erlass des Innenministeriums, der den sächsischen Kommunen die leichtere Aufnahme von kurzfristigen Krediten ermöglichen soll, könnte auch Leipzig zugutekommen. Dass die Stadt ihren Haushalt dadurch ein viertes Mal hintereinander glücklich ohne weitreichende Einschnitte durchgewunken bekommt, ist aber ausgeschlossen, das strukturelle Defizit ist zu verheerend.

Sollte der aktuelle Haushalt von der Landesdirektion wie inzwischen erwartet im September genehmigt werden, könnten daran auch noch bisher unbekannte finanzielle Auflagen hängen. Zumindest aber würden dann wieder die regulären Haushaltsmittel aufgetaut werden, die Stadt hätte wieder Spielraum. Inwieweit sie diesen dann nutzt, bleibt offen: Jung kündigte diese Woche in der LVZ an, dann vermutlich eine Haushaltsperre zu verhängen und nur das freizugeben, was »dringlich und erforderlich« sei.

Ansonsten bleibt Leipzig derzeit nur die die zarte Hoffnung auf wirtschaftlich bessere Zeiten und eine gerechtere Verteilung der Steuern aus Dresden und Berlin. Zynisch könnte man der aktuellen finanziellen Eiszeit wenigstens etwas Gutes abgewinnen: Mit jedem weiteren Tag ohne Haushalt, mit jedem bitteren Ausfall eines Stadtteilfests, spart die Stadt Geld, das sie dann nicht mehr woanders kürzen muss.


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2 Kommentar(e)

Hilde 08.08.2025 | um 17:14 Uhr

Burkhard Jung ist ein betagter Mann in 3.Amtszeit OBM, bald 21Jahre (es gibt Städte die haben Amtszeiten v 5Jahren, Leipzig 7Jahre). Wahrscheinlich ineffiziente Strukturen, eine Stadtverwaltung mit Mitarbeitern größtenteils in Teilzeit mit Gleittag regelmässig und 30 Tage krank im Jahr (siehe Artikel in der LVZ), schmunzelnd lächeln, wenn es um Langsamkeit geht und zeitgemäßes arbeiten, unternehmerisches weitsichtiges Handeln zur besonderen Anfrage. Interne Blockaden und eine Verwaltung, die trotz Digitalisierung in 2025 einen Höchststand an Personal hat, da kann man sich nur wünschen, er überlässt das Ruder den jungen Erfahrenen. Herr Bonew als Wirtschaftswissender macht einen super Job und ist mit einer kritischen konstruktiven Sichtweise ein Realist. Burkhard Jung ist dem Grunde nach nur Lehrer, seine Zeit zur Olympia Bewerbung war keine gute Referenz und niemand hat’s gesehen. Augen zu und durch hilft nicht lange.

Christiane Grimm 01.09.2025 | um 06:21 Uhr

Streichen der öffentlichen Banken zum Sitzen. Manche sind lange nicht gestrichen worden. Welche Farbe? Klar Lack verwenden? Können eventuell Mittel aus der Stiftung für neue Baenke verwendet werden. Das wahre ein Thema für die freiwilligen Helfer/innen.