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Rezensionen

Synth Riders

Synth Riders

Entwickler/Anbieter: Kluge Interactive, Plattform: HTC Vive, Oculus Quest/Rift, PSVR, Preis: 25 €

Mal ehrlich, es gibt Folgen der Corona-Pandemie, die uns die Regierung verschweigt: Covid-19 hat direkte Auswirkungen auf die Region kurz oberhalb der Gürtellinie, wo es zu Verwulstungen kommen kann. Die Pandemie steht uns nicht gut, so viel ist sicher. Gut, dass virtuelle Fitnesstrainer wie »Beat Saber« oder »Pistol Whip« unsere Sinne dermaßen beballern, dass wir das Workout erst mit dem Muskelkater am nächsten Morgen merken. Wer den Aufdiezwölf-Soundtrack von »Beat Saber« nicht mehr hören kann oder trotz steten Nachschubs wirklich alle Level in »Pistol Whip« im Schlaf beherrscht, bekommt mit »Synth Riders« neues Bewegungsfutter. Dabei ist der Titel, der sich auf dem PC bereits großer Beliebtheit und einer regen Modding-Szene erfreut, so etwas wie echten Dance-Moves sogar näher als die Konkurrenz. Schaut man sich das Spielprinzip in Videos an, erschließt sich der Spielspaß dahinter, neonleuchtende Bälle wegzuboxen und mit der Hand an Schienen entlangzugleiten, wohl kaum. Steht man dabei jedoch selbst in einem retro-futuristischen, nächtlich erleuchteten Meer aus Wolkenkratzern direkt aus »Miami Vice« und vollführt die Verrenkungen im Takt des Synthwave-Soundtracks, dann stellt sich schnell ein herrlich berauschender Flow ein. Für PSVR gibt es jetzt ein solides Basispaket sowie eines mit allen 25 DLC-Songs (darunter auch O  spring und Muse) für 55 Euro. Das sollte für etliche schweißtreibende Sessions reichen. Lars Tunçay

Psychonauts 2

Psychonauts 2

Entwickler: Double Fine, Publisher: Xbox Game Studios, Plattform: PC, Xbox (ab One), PS4, Preis: 60 €/Xbox Game Pass

Es hätte alles so schön sein können. Zumindest sieht der dreidimensionale Puzzle-Plattformer »Psychonauts 2« zum Verlieben hübsch aus; als wären vergessene Pixar-Figuren aus Fimo nachmodelliert und zum Leben erweckt worden, um psychedelische Abenteuer in einer Welt ohne rechte Winkel zu erleben. Das erste »Psychonauts« war 2005 der Titel, mit dem Legende Tim Schafer beweisen wollte, dass er und sein Studio Double Fine nicht nur Adventures machen konnten, sondern auch irgendwas mit Action und 3-D. Sie konnten es so halb. Brillant war die Geschichte um den Außenseiter Raz in einem Sommercamp für angehende Geistheiler-Agenten. Überbordend war die Fantasie, mit der geistige Innenwelten gebrochener Menschen zu Jump’n’Run-Leveln gestaltet wurden. Aber platte Kämpfe, schlechte Steuerung und tückische Kameraperspektiven machten aus dem Geheimtipp eine Geduldsprobe. Anderthalb Jahrzehnte später erscheint jetzt die lange entwickelte und noch länger ersehnte Fortsetzung. Doch wo bleibt der Lernerfolg? Noch immer ist »Psychonauts 2« ein unübersichtlicher Haufen originell ausgedachter, aber mittelmäßig umgesetzter Rätsel und Sprung-Herausforderungen. Immer noch brillant ist die einfach weitererzählte Geschichte, witzig und lebendig sind die Charaktere. Doch spielen können das eigentlich nur leidensfähige Fans der Old-School-Nische 3-D-Jump’n’Run; oder Menschen, die alle eingebauten Spielhilfen einschalten. Jan Bojaryn

Humankind

Humankind

Amplitude Studios, Publisher: SEGA, Plattform: PC, USK: 12, Preis: 50 €

Sid Meier hat mit seiner »Civilization«-Reihe das Genre der Global oder 4X-Strategie geprägt wie kein anderer. Die vier X stehen für »explore, expand, exploit, exterminate« – »erforschen, ausbreiten, ausbeuten, auslöschen«. Alles typisch menschliche Verhaltensweisen, haben sich wohl die Amplitude Studios gedacht und ihr großes Projekt »Humankind«, also »Menschheit« genannt. Auf den ersten Blick erinnert das Spiel klar an »Civ« & Co. Eine Karte aus unzähligen Hexfeldern, übergroße Einheiten, die sich drauf bewegen, Städte, die darauf wachsen. Ein Ressourcen-System aus Nahrung, Industrie, Geld, Wissenschaft, Kultur und Religion. Unzählige Bauoptionen, die in Wechselwirkung zueinander und zum Terrain stehen – und viel Kopfrechnen, wenn man die Möglichkeiten optimal ausnutzen will. Beim genaueren Hinschauen zeigt sich aber, dass die französischen Entwickler durchaus ihren eigenen Weg durch die Menschheitsgeschichte beschreiten. Das auffälligste Alleinstellungsmerkmal ist, dass man nicht eine Zivilisation durch die Jahrtausende führt, sondern in jeder der sechs Epochen eine von zehn neuen Kulturen – mit ihren speziellen Attributen, Einheiten und Gebäuden – auswählt. Das stellt einerseits die historisch geprägte Erwartungshaltung auf eine harte Probe, wenn aus Römern Azteken und aus Briten Brasilianer werden. Andererseits lädt es dazu ein, nach den besten Kombinationen zu suchen: Mit den Phöniziern in Antike und Altertum, den Normannen im Mittelalter und den Holländern in der Frühen Neuzeit dominiert man etwa die virtuellen Weltmeere. Die Karte ist in Territorien eingeteilt, vordefinierte Gebiete, die man sich aneignet, indem man mit einer beliebigen Einheit einen Außenposten errichtet. Diese wachsen zu Städten, die sich mit der Zeit über mehrere Territorien ausdehnen. Während die Epochen voranschreiten, verändern die Metropolen teilweise ihr Aussehen, einzigartige Gebäude der Kulturen und Weltwunder bleiben aber im Stadtbild erhalten. (...) Alexander Praxl

Blood (1997)

Blood (1997)

Da klappt einem die Grafik-Kinnlade runter, so gut sehen moderne Ego-Shooter aus. Umso öder sind aber auch die Szenarien, in denen fast alle spielen. Seit beinahe einem Vierteljahrhundert ballern sich Spielerinnen und Spieler vorrangig durch Weltkriegswelten oder moderne Military-Tech-Demos. Zu teuer sind moderne Shooter einfach, als dass sich Publisher da auf Experimente einlassen würden. Ganz anders in den Neunzigern, als so gut wie jedes Szenario in das neue Shooter-Gewand gezwängt wurde. In »Heretic« und »Hexen« gab es sogar Fantasy-Szenarien, die man heute fast nur noch in Rollenspielen sieht. Und dann kam 1997 ein Horror-Shooter mit besonders viel Herzblut: »Blood«. Darin ballern wir uns als Untoter namens Caleb durch Krankenhäuser, Bahnhöfe und Spukhäuser und sehen sehr viel vom namensgebenden roten Saft. Wir kicken abgeschlagene Dickschädel umher und wandern durch Filmkulissen. Im Level »The Overlooked Hotel« sieht man den eingefrorenen Jack Nicholson aus »Shining«. Und die Filmzombies warten im Level »Mall of the Dead« schon auf uns. »Blood« ist zynisch, voll schwarzem Humor und deshalb so großartig – da ändert auch die veraltete Grafik nichts dran. Von modernen Ego-Shootern hingegen wird nichts bleiben, wenn die Technik in ein paar Jahren verstaubt ist. Denis Gießler

Hubris

Hubris

Entwickler/Publisher: Cyborn BV, Plattform: PC, PSVR2, Preis: 30 €

Als junger Rekrut der »Order of Objectivity« sind wir angetreten, für Ordnung im Universum zu sorgen. Pilotin Lucia steuert das Shuttle in Richtung Hauptstadt, wo nach ihrer Aussage jeden Tag eine nicht enden wollende Party herrscht. Doch die Aussicht verhagelt ein Funkspruch: Ein nahe gelegener Planet wurde von Invasoren überrannt. Die Triple-O-Agentin Cyanha ist verschollen. Statt Partys zu feiern, schießen wir uns also die kommenden sechs Stunden durch Tunnelgewölbe und auf der Planetenoberfläche den Weg frei, bringen mit der Laserwaffe spinnenartige Krabbelviecher zum Platzen und pulverisieren gegnerische Soldaten. Daneben hängen wir die meiste Zeit an Rohren und Felsvorsprüngen, springen und hangeln uns vorwärts. Hin und wieder gilt es, Schalterrätsel zu lösen oder mit riesigen Kranfahrzeugen Hindernisse zu versetzen. Die meiste Zeit glüht aber das Schießeisen. Die variable Waffe lässt sich dabei auf Knopfdruck in drei Funktionen umwandeln: Pistole, Schnellfeuerwaffe und Flinte, die mal mehr, mal weniger gut gegen die resistenten Horden an Gegnern geeignet sind. Unter Wasser bewegen wir uns mit lebensnahen Schwimmbewegungen vorwärts und zielen mit der Harpune auf Kreaturen. Das alles geht gut von der Hand. Komforteinstellungen schonen den Magen. Objektiv betrachtet erfinden die Entwickler des kleinen belgischen Studios Cyborn mit »Hubris« nichts neu, was »Half Life: Alyx« und »Horizon Call of the Mountain« nicht bereits vorgemacht haben. Der Mix hier macht’s aber und gerade die Außenwelten beeindrucken. Lars Tunçay

Immortals of Aveum

Immortals of Aveum

Entwickler: Ascendant Studios, Publisher: EA, Plattform: PC, PS5, Xbox Series, Preis: 60 €

Die Idee von »Immortals of Aveum« ist völlig hanebüchen. In dem Egoshooter bekommen wir keine Schusswaffen in die Hand. Stattdessen geben die Hände pausenlos geheime Zeichen, und dann schießt rote, grüne oder blaue Magie auf die Gegner. Wenn die Farbe passt, haut die Magie richtig rein. Die Waffe sind wir selbst. »Immortals of Aveum« klingt nicht nur dem Namen nach wie ein B-Movie, es hat trotz teurer Präsentation auch den passenden Vibe. Was im Vorfeld zynisch als Mix aus »Harry Potter« und »Call of Duty« abgetan wurde, ist beim Selbstzaubern spaßiger als gedacht. Es funktioniert als Fantasy mit einem anstrengend altklugen Antihelden, abgefedert durch eine überraschend starke Nebenrolle. Gina Torres spielt als toughe Mentorin alles an die Wand. Sie ist der dringend nötige Ausgleich für den rundum unsympathischen Hauptcharakter Jak. Das Ergebnis macht Spaß. Und das reicht auch. Denn darin erinnert »Immortals of Aveum« an gute, alte Shooter, die immer noch eine Spielidee und ein neues Szenario suchten: Es bietet Abwechslung. Es ist ein unterhaltsamer, linearer Spaß, bunt, mit sehr aufwendiger Grafik und einem guten Flow beim Ballern. Wenn es vorbei ist, gibt es keinen Grund, weiter darüber nachzudenken. Leider ist das Spiel schnell aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Das ist ein bisschen schade. Vielleicht lag es am hohen Preis, oder an der zahlreichen Konkurrenz. An der Magie lag’s nicht. Jan Bojaryn

Baldur’s Gate (1998)

Baldur’s Gate (1998)

»Baldur’s Gate 3« ist erschienen und alle sind aus dem Häuschen. Hunderttausende Dialogzeilen wurden eingesprochen, allerdings nur auf Englisch. Da war das erste »Baldur’s Gate« von 1998 schon weiter. Denn das hat nicht nur deutsche Sprachausgabe, sondern auch noch deutsche Dialekte. Zwerge, Orks und Menschen sprechen kein langweiliges Hochdeutsch. Stattdessen trifft man in »Baldur’s Gate« einen bayrischen Wirt. Er empfängt Spielerinnen und Spieler im Gasthaus Der Freundliche Arm: »He Freind, du des is pfundig, so a feine Seele zu treff’n«, sagt er im feinsten Oberbayrisch. Weiter oben im ersten Stock trifft man einen Edelmann vom Rhein, der weiß, »dat man seinen Herrn nie zuersd anspreche’ solld«. Und dann ist da ja noch der Sachse. Zu Spielbeginn wählt man seine Stimme aus, mit der er dann das riesige Rollenspiel kommentiert – mal devot: »Na abor selbstvorständlich«, mal dresdnerisch-optimistisch: »Dürfte ni so schweor sein«. Die Dialekte geben der Fantasywelt der Vergessenen Reiche etwas Heimeliges. Weil der Absatzmarkt für deutsche Dialekte aber winzig ist, hat sich das Dialekt-Experiment nicht durchgesetzt. Vermutlich deshalb gab es seitdem keine sächsischen Paladine mehr. Hoffentlich gibt es für »Baldur’s Gate 3« immerhin einen Fanpatch mit Mundarten. Denis Gießler

Pikmin 4

Pikmin 4

Entwickler: Monolith Soft, Publisher: Nintendo, Plattform: Switch, Preis: 25 €

Ein wenig beschleicht einen der Gedanke, dass die Knubbelnasen um Captain Olimar vielleicht die Raumfahrt an den Nagel hängen sollten. Wieder einmal ist der Astronaut auf einem fremden, erdähnlichen Planeten abgestürzt und diesmal gar verschollen. Und die Crew, die losgeschickt wurde, um ihn zu retten, erlitt das gleiche Schicksal. Aber gut, wir haben uns auch daran gewöhnt, Prinzessin Peach immer wieder aus Bowsers Klauen zu befreien. Also gestalten wir einen eigenen knubbelnasigen Helden und machen uns daran, den Planeten zu erkunden und die Crewmitglieder zu finden. Dabei steht uns diesmal neben den Pikmin auch der flauschige, zweibeinige Hund Otschin zur Seite, der die Kraft von einer Vielzahl der Pflanzenwesen besitzt und uns außerdem als Reittier über Hindernisse hilft. Außerdem gibt es natürlich neue Pikmin, etwa die blauen Eislinge, die Flüssiges und auch Gegner einfrieren. Mehr als acht Jahre dauerte die Entwicklung von »Pikmin 4«. Dabei sind die Veränderungen zum 22 Jahre alten Erstling – der gemeinsam mit Teil zwei gerade als Remaster für die Switch erschienen ist – eigentlich überschaubar. Das perfekte Spielprinzip wurde allerdings über die Jahre verfeinert. »Pikmin 4« bietet makellose Echtzeit-Strategie, die selbst auf dem kleinen Bildschirm der Switch Lite hervorragend funktioniert und motiviert, mit den putzigen Helferlein auch die letzte Ecke der weitläufigen Areale nach glitzernden Gegenständen zu durchforsten. Lars Tunçay

Viewfinder

Viewfinder

Sad Owl, Publisher: Thunderful, Plattform: PC, PS5, Preis: 25 €

Normalerweise gibt es in Games keine neuen Spielideen. Das klingt etwas harsch und für Außenstehende vielleicht sogar überraschend, aber im Großen und Ganzen werden Mechanismen wiederholt, variiert und verfremdet, nicht neu erfunden. Deswegen fühlt sich »Viewfinder« transzendent an, wie eine bewusstseinserweiternde Droge, ein Ausblick in eine unmögliche Welt. Es hat eine unerhörte Spielidee, die sich anfühlt, als müsste sie technisch unmöglich sein. Grundsätzlich ist »Viewfinder« ein gemütliches Rätselspiel aus der Egoperspektive. Der Parcours geht durch kleine, verinselte Ruinen, hübsch überwuchert, voller Sitzmöbel und Kuschelecken. Das sieht nett aus. Mit Post-its und Audiologs wird eine gut gemeinte, aber schlecht geschriebene Geschichte dazu erzählt. Wichtig ist jedoch, was wir machen können: ein Bild finden, es vor uns in die Welt halten, einen Knopf drücken, den Arm sinken lassen, und das Bild ist weg. Es ist mit der Welt verschmolzen. Es hat die Realität verändert. Das Wahnsinnige daran ist, wie nahtlos, flexibel und robust der Zaubertrick funktioniert. Bald dürfen wir selbst Fotos schießen, Bilder hin und her drehen, in Bilderwelten hineinlaufen und dort neue Bilder platzieren. Das ist und bleibt ein Flash. »Viewfinder« lebt nicht von seiner herkömmlichen Levelstruktur, der bemühten Erzählung oder den Rätsel-Variationen. Es lebt von der wahrscheinlich besten Idee des Jahres. Jan Bojaryn

Baldur’s Gate 3

Baldur’s Gate 3

Entwickler & Publisher: Larian Studios, Plattform: PC (Konsolen später), Preis: 60 €

Das Spiel mag eine Überraschung sein. Aber eine besonders langsame. Erstens ist »Baldur’s Gate 3« die Fortsetzung einer Jahrzehnte alten Computerrollenspiel-Serie. Zweitens wurde das Spiel bereits 2020 veröffentlicht als halbfertige Early-Access-Version. Seit Anfang August gibt es die etwas fertigere Version und die halbe Szene redet nur noch über dieses Spiel. Millionen kaufen es, über 800.000 Menschen haben es auf der PC-Plattform Steam gleichzeitig gespielt. Wer einmal drin ist, kommt nicht mehr raus. Es ist so groß, so aberwitzig tief und breit, dass viele Rezensionen noch nicht fertig sein werden, wenn dieses Heft erscheint. Und diejenigen, die fertig sind, zücken Höchstwertungen. Bemerkenswert, denn »BG3« macht keine Kompromisse. In Trailern und Screenshots sieht es aus wie eine aktuelle Großproduktion, mit riesigen Welten, modernen Effekten und porentief gerenderten Gesichtern. Und mit einer dramatischen Geschichte. Im Introvideo setzt ein Alien unserem Spielcharakter eine seiner Kaulquappen ins Auge, auf dass sie in wenigen Tagen unseren Körper übernehme. Dann aber bricht der Body Horror abrupt ab und das Spiel entpuppt sich als etwas ganz anderes: als Fortsetzung Jahrzehnte alter Computer-Rollenspiele. Das »Baldur’s Gate« im Namen ist ernst gemeint. Trotz detaillierter Grafik blicken wir entrückt von oben aufs Geschehen. Wir steuern eine ganze Gruppe von Halb-Elfinnen, Tieflingen, Drows und Menschen. Kämpfe werden als rundenbasiertes Brettspiel ausgetragen. »BG3« orientiert sich am Regelsystem von »Dungeons & Dragons«, fünfte Edition. Wer sich nicht grob damit beschäftigt, wie Heilung, verschiedene Aktionstypen und Erfolgschancen funktionieren, stirbt auch auf dem einfachen Schwierigkeitsgrad schnell. »BG3« löst mit großem technischem und menschlichem Aufwand eine altmodische Idealvorstellung vom Computer-Rollenspiel ein, die eigentlich nur in Nischen überwintert hatte. Jetzt ist diese Spielidee ein riesiger Hit. (...) Jan Bojaryn

System Shock (1994)

System Shock (1994)

Der Tod ist allgegenwärtig in Computerspielen. Mal stirbt die eigene Spielfigur, die Gegner tun es eigentlich immer. Bis auf ihre Körper und Gegenstände hinterlassen sie nichts. Wer sie waren: egal, und die Erinnerung verblasst. Dabei gab es bereits 1994 einen befriedigenderen Ansatz: Das Sci-Fi-Spiel »System Shock« zeigt eindrucksvoll, wie die Toten auch nach ihrem Ableben in Erinnerung bleiben. Auf den ersten Blick wirkt »System Shock« wie ein stinknormaler Shooter, entpuppt sich dann aber als Erkundungsspiel. Aus der Ich-Perspektive erschließen Spielerinnen und Spieler die riesige und zerstörte Raumstation Citadel. »System Shock« hat damals die bis heute beliebten Audiologs erfunden. In diesen Sprachnachrichten verraten uns Crewmitglieder Türcodes, hinterlassen aber auch Abschiedsbotschaften. Zum Beispiel dieser eine arme Techniker, der sich in einem kleinen Raum verbarrikadiert hatte, bevor er von Mutanten ausgeweidet wurde. Die Vorstellung ist viel entsetzlicher als eine holprige Animation. »System Shock« hat nun ein sehr gutes Remake spendiert bekommen. Futuristische Bordtoiletten sind eine der Neuerungen darin. Leider gibt es im Spiel keinen Edding, mit dem man sich auf der Klowand verewigen kann. Hoffentlich geraten Spielerinnen und Spieler nicht in Vergessenheit. Denis Gießler

Oxenfree II: Lost Signals

Oxenfree II: Lost Signals

Oxenfree II: Lost Signals – Entwickler: Night School Studio, Publisher: Netflix, Plattform: Mobile, PC, Playstation, Switch, Preis: 20 €

Sehr viele Spiele konzentrieren sich heutzutage auf interaktives Erzählen. Aber nur das Studio hinter »Oxenfree« hat so lebensechte Dialoge gebaut, dass daraufhin der ganze Laden von Netflix gekauft wurde. Wer ein Netflix-Abo hat, kann deswegen ohne Zusatzkosten das fantastische Indie-Mystery-Adventure »Oxenfree« in der App laden, spielen – und danach zurückkommen, um diese Rezension zu lesen. Zumindest wäre das sinnvoll; die Geschichten sind selbstständig, hängen aber eng zusammen. Mit einer neuen, älteren Protagonistin geht es wieder um die gleiche Gruselgeschichte, um verschwundene U-Boote, geraunte Verschwörungstheorien und um Gespenster, die am besten per Funk erreichbar sind. Leichte Radio-Rätsel und langes Gelatsche durch toll illustrierte Naturszenen geben dem Spiel Struktur, aber es ist vor allem eine interaktive Erzählung. »Oxenfree II« geht beim übernatürlichen Quatsch in die Vollen, nimmt aber die Menschen dabei ungewöhnlich ernst. Und das ist die eigentliche Superkraft des Spiels: »Oxenfree II« hat lebendige Charaktere und das beste Dialogsystem der Branche. Alle quatschen heillos aufeinander ein, reden aneinander vorbei, und immer wieder leuchten mögliche Antworten oder Einwürfe der Protagonistin auf, die sie dann aber auch schnell aussprechen muss, bevor sie wieder verblassen. So schön und stressig sind Unterhaltungen sonst nur in der Wirklichkeit. Jan Bojaryn

Ghost Trick: Phantom Detective

Ghost Trick: Phantom Detective

Entwickler + Publisher: Capcom, Plattform: PC, Playstation, Switch, Xbox, Preis: 30 €

Jeder Mensch existiert nach dem Tod eine Nacht lang als Poltergeist weiter. Natürlich gibt es Regeln. Poltergeister können Gegenstände manipulieren, aber nur ein bisschen. Sie können nur zu anderen Gegenständen in der Nähe springen. Und sie könnten mit anderen Toten reden und in der Zeit bis genau vier Minuten vor ihrem Tod zurückspulen. Das ist die Realität von »Ghost Trick: Phantom Detective« – entwickelt für ein globales Publikum, aber doch mit einem sehr speziellen Geschmack. Der geheimnisvolle Geist Sissel hilft der jungen Detektivin Lynne bei der Aufklärung eines Verbrechens, das im Lauf des Spiels immer absurder wird. Gleichzeitig werden die Charaktere im Ensemble immer sympathischer. Shu Takumi, Schöpfer der grandiosen Ace-Attorney-Detektiv-Adventures, hat sich mit seinem Team eine wilde Geschichte ausgedacht, auf der abwegige, aber sehr witzige Rätsel aufsetzen. Es geht um Verbrechensbekämpfung für Poltergeister: Herausfinden, wie Sekunden vor dem Verbrechen irgendwelche Türen aufklappen und Gummientchen quietschen müssen, damit sich daraus eine überraschende Verkettung von Ereignissen ergibt, an deren Ende das Böse auf einer Bananenschale ausrutscht. Die Rätsel ergeben nicht immer Sinn, aber sie sind witzig und bewegen sich schnell. Das Spiel war 2010 ein kleiner Klassiker auf dem Handheld. Jetzt gibt es den zeitlos schönen Unsinn für alle Plattformen. Jan Bojaryn

Wolfenstein: The New Colossus (2017)

Wolfenstein: The New Colossus (2017)

Der Klassiker

Hunderte Hakenkreuzflaggen wehen in der US-Stadt Roswell. SS-Schergen ermahnen Ku-Klux-Klan-Anhänger, sie mögen doch bitte ihre Deutschkenntnisse dringend verbessern. Und mittendrin stapft der Widerstandskämpfer BJ Blazkowicz, verkleidet als Feuerwehrmann samt Mini-Atombombe in Form eines Feuerlöschers. In »Wolfenstein: The New Colossus« haben die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die USA erobert. Das will Blazkowicz natürlich mit seiner Widerstandsgruppe verhindern. Zwar hat man schon in früheren »Wolfenstein«-Spielen Nazis gekillt. Das waren aber noch simple Ego-Shooter, die nur Schablonen der NS-Zeit nutzten. Mit dem Jugendschutz hatten sie es deshalb schwer. Hakenkreuze wurden durch andere Motive ersetzt, weil die sogenannte Sozialadäquanzklausel – ganz grob: Es gibt Kontexte, in denen trotz äußerlicher Merkmale eines Straftatbestands keine Straftat vorliegt – für Games lange nicht galt. Ganz anders das neue »Wolfenstein« im Jahr 2017: Es setzte sich Der Klassikerernsthaft mit dem Terrorregime auseinander. In den Zwischensequenzen misshandelt Obernazi Irene Engel etwa ihre eigene Tochter, während sie sich über ihren »widerwärtigen Geist« echauffiert. Seit 2018 sind Hakenkreuze auch in Games erlaubt, jedenfalls nach Einzelfallprüfung. Daraufhin erschien »Wolfenstein: The New Colossus« auch in Deutschland mit der NS-Symbolik. Umso authentischer wirkt es nun, den Nazis in den Arsch zu treten. Denis Gießler

Another Fisherman’s Tale

Another Fisherman’s Tale

Entwickler: Innerspace-VR, Publisher: Vertigo Games/Plaion, Plattform: PSVR 2, Meta Quest 2, PC, Preis: 24,99 €

Mit »A Fisherman’s Tale« bewies Innerspace-VR vor vier Jahren, dass eine clevere Erzählung und Ideenreichtum wesentlich mehr zur Immersion der virtuellen Realität beitragen als ultra- realistische Grafik. Besonders das Spiel mit der Perspektive verlieh dem Titel eine einzigartige Note. Nun erzählen die Franzosen die Geschichte von Bob, dem Fischer, weiter. Aber eigentlich ist es seine kleine Tochter Nina, der er seine Geschichte erzählt, und dann wiederum die erwachsene Nina, die sie im Keller des Elternhauses nachspielt. Und eigentlich ist »Another Fisherman’s Tale« alles andere als eine typische Fortsetzung, denn nun hat Bob ganz andere Probleme: Ein Schiffsunfall hat seinen kompletten Körper in Einzelteile zerlegt. Ist alles wieder an seinem Platz, eröffnen sich gewisse Vorteile, denn nun kann Bob seine Hände werfen oder sie gegen eine Krebsschere und einen Haken tauschen, um an unerreichbare Orte zu gelangen. Er kann sogar seinen eigenen Kopf katapultieren und so den Blickwinkel verändern. Der eigene Körper ist Rätsel und Lösung zugleich. Die Schauplätze variieren mit der Erzählung, die immer wieder verblüffende Wendungen bietet – und philosophische Tiefe, denn wie beim Schiff des Theseus stellt sich Bob die Frage, ob ein Boot, bei dem alle Teile ausgewechselt wurden, noch immer dasselbe Gefährt ist. Auch wenn die Entwickler alle Teile des Erstlings ausgetauscht haben, macht das Knobeln hier ebenso irrsinnig viel Spaß. Lars Tunçay

Fall of Porcupine

Fall of Porcupine

Entwickler: Critical Rabbit, Publisher: Assemble Entertainment, Plattform: PC, Switch, Playstation, Xbox, Preis: 20 €

Fabeln bergen tiefere Wahrheiten. Wenn zum Beispiel die Frettchen-Patientin im Krankenhaus mehr Schmerzmittel haben möchte, sie nicht bekommt und dann zur Arzttaube sagt: »Mein Hausarzt ist da lockerer als Sie«, dann ist das definitiv wahr, ein Satz aus der Wirklichkeit. In Videospielen aber war er bisher eher nicht zu hören. Denn das ist eine traurige Wahrheit über Videospiele: Viele von ihnen wollen etwas erzählen, nehmen die Herausforderung aber nicht so richtig ernst und scheitern am Versuch. Deswegen ist »Fall of Porcupine« ein Glücksfall. Ein Kölner Studio mit Filmerfahrung macht ein narratives Spiel, das von seinem Drehbuch lebt. Die Dialoge des Spiels klingen von der furchteinflößenden Frau am Empfang bis zur letzten Traumsequenz lebensecht, wie aus der Kneipe abgeschrieben. Und die Geschichte dazu ist wunderbar menschlich: Eine Taube kommt als frischgebackener Arzt in die Kleinstadt, freundet sich mit Kühen und Widdern an, quatscht sich durch die halbe Stadt, zweifelt an Sinn und Richtigkeit des Berufswunsches und meistert zahlreiche Herausforderungen des Alltags in Minispielen. Insider wissen: Das gab es natürlich schon. Der Indie-Hit »Night in the Woods« ist das offensichtliche Vorbild und auch ein melancholisches Erzählspiel über Provinz und Erwachsenwerden. »Porcupine« bedient sich bei der Form, aber es erzählt seine eigene Geschichte, die von ihren witzigen und wahren Dialogen lebt. Jan Bojaryn

Star Wars Jedi: Survivor

Star Wars Jedi: Survivor

Entwickler: Respawn, Publisher: Electronic Arts, Plattform: PS5, Xbox Series S/X, PC, Preis: 80 €

Das Abenteuer beginnt in Coruscant, im Zentrum der Galaxis. Sicher, die Hauptstadt des Imperiums beeindruckt durch ihre brutalistische Architektur, aber wohnen will man hier nicht. Deshalb ist es gut, dass Cal Kestis nach gut einer Stunde Klettern, Hopsen, Laserschwertschwingen und einem ersten kämpferischen Höhepunkt im Duell mit der Neunten Schwester die Flucht gelingt und er sich nach der obligatorischen Bruchlandung auf Jedha wiederfindet. Dort trifft er auf viele seiner Weggefährten, die schon »Fallen Order« ihren Reiz verliehen haben. Auch der Nachfolger lebt vor allem von seinen liebevoll zum Leben erweckten Charakteren – Jedi-Meister, Aliens mit Attitüde und natürlich Cals putziger Begleiter BD-1. Die lebendigen Dialoge trösten darüber hinweg, dass die Story von »Survivor« eigentlich ziemlich egal ist und der Protagonist nach wie vor das Charisma einer Wompratte besitzt. Da helfen auch keine Frisuren, Bärte und schränkeweise Outfits, die man in der nun wesentlich offeneren Welt entdecken kann. Im Kern ist »Survivor« ein gradliniges Action-Abenteuer, das vor allem im Nahkampf ausgefochten wird. Die Entwickler wildern dabei durch das Genre und reichern Aspekte von »Uncharted« oder »Zelda« mit den Weltraumreisen aus »Mass Effect« und »Soulslike«-Elementen an. Innovation geht anders, aber EAs Reihe lebt vor allem vom »Star Wars«-Flair und einem Universum, das weit größer ist als das Spiel selbst. Lars Tunçay

Humanity

Humanity

Entwickler: tha & Enhance, Publisher: Enhance, Plattform: PC, Playstation, Preis: 30 €

Menschen sind in den meisten Fällen zu wenig oder zu viel. Das hängt vom Kontext ab: Abozahlen, ökologische Fußabdrücke, Demonstrationen. Eine besondere Leistung von »Humanity« ist, dass es sich wie ein Kommentar auf all das anfühlt, wie ein Schritt auf eine Meta-Ebene, aber gleichzeitig auch wie lustvoller, banaler Unsinn. Vielleicht stimmt beides. Wer sich an den Amiga-Klassiker »Lemmings« erinnert, erkennt die Spielidee schnell wieder: Statt kleiner Nagetiere ergießen sich hier Menschenmassen durch ein Portal und müssen durch abstrakte Levels an tödlichen Gefahren vorbei zu einem sicheren Exit gelotst werden. Doch statt per Mauszeiger wandern wir diesmal mit einem übernatürlichen Hund durch den Parcours. Der leuchtende Shiba-Inu wird mit dem Joystick gesteuert, und wo er steht, kann er Anweisungen hinterlassen. Sollen die Menschenmassen abbiegen, springen, sich aufteilen? Wie durch einen Flippertisch werden sie zur rettenden Lichtsäule gelotst. Spätestens, als sie gegen ominöse graue »Andere« kämpfen sollen, klingt eine diffuse Form von Gesellschaftskritik an. Wo sie hinführt? Das ist eine interessante und nicht ganz eindeutig geklärte Frage, verpackt in ein faszinierendes Action-Puzzle. »Humanity« macht beim Denken gute Kopfschmerzen und es hypnotisiert beim Hingucken. Nur beim Spielen wird es leider umständlich, weil es Präzision und Überblick verlangt. Von einem Hund im Getümmel. Jan Bojaryn

Half-Life 2

Half-Life 2

Der Klassiker

Er hatte etwas Schmuddeliges, dieser fette »Unzensiert«-Schriftzug auf dem Gamestar-Cover vom Juli 2003. Als 13-Jähriger kam ich an diese Ausgabe leider nicht heran. Abo-exklusiv war sie, und nur zusammen mit einem Perso gab’s das Heft via Post. So wurde mir und Tausenden anderen Jugendlichen mehr als zehn Minuten Videomaterial von »Half-Life 2« vorenthalten. Mein damaliges Fazit: Verdammt leckere Melone. 2003 war dieses Jahr, als die jährliche Spielemesse E3 in Los Angeles in vollem Saft lag. Videostreams waren noch hakelig, weshalb Journalisten aus der ganzen Welt dorthinpilgerten. Da gab es das gar nicht mal so tolle »Doom 3«, das richtig tolle »Rome – Total War« und natürlich »Half-Life 2«. Messedemos haben mit dem fertigen Spiel ja oft nur wenig zu tun. Das musste bei Valves Shooter auch so sein, denn diese technische Finesse ist auch heute unerhört: Holzbretter zerbrachen genau an der Stelle, auf die der Spieler feuerte, die Gravity-Gun riss Heizkörperrippen aus der Wand und pfefferte sie in die Visagen fieser Gegner. Und dann war da ja noch diese Melone, die nach einem Schuss in Tausende Teile zerspratzte. 2023 ist die E3 ausgefallen und findet womöglich nie wieder statt. Vielleicht gibt sich Valve für »Half-Life 3« auch mit der Gamescom zufrieden. Denis Gießler

Lovers in a Dangerous Spacetime (2015)

Lovers in a Dangerous Spacetime (2015)

Aberwitzige Ideen für kooperative Spiele gibt es viele, aber diese ist besonders zeitlos. In einem zweidimensionalen Universum droht die Anti-Liebe, alles zu zerstören. Aus irgendeinem Grund retten wir alles, indem wir quer durch den Äther eingesperrte Häschen befreien. Gereist wird in einem kreisrunden Raumschiff, wir sehen die Gänge und Leitern im Querschnitt. Jede Spielerin und jeder Spieler wuselt als Männlein in dem Schiff herum und besetzt je nach Bedarf eine der Stationen. Doch es gibt immer zu viele Stationen; es gibt Schusswaffen, Superlaser, Schutzschild, Karte, Antrieb – so fliegt das Raumschiff durch ein Weltall voller trügerisch süßer Monster, heißer Asteroiden, tödlicher Laserkanonen und viel zu enger Gänge. Der übersüßte Stil passt auf paradoxe Weise zu einem Spiel, in dem der Tod unerbittlich ist, frustrierend und bonbonfarben. Aber die Metapher passt. Die Liebe ist ein Schmelztiegel. Wer hier eine der Kampagnen durchspielt, ohne zu scheitern und ohne zu schreien, der stellt womöglich nachher fest, dass er den Rest der Crew wirklich heiraten sollte. Perfekt ist die Überforderung zu zweit; mit drei bis vier Spielern wird es dagegen vor allem laut. Der kleine Indie-Hit hat eine ganze Welle chaotischer, kooperativer Spiele mit angeschoben. Jan Bojaryn