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Rezensionen

The Room VR

The Room VR

Die anderen vier Wände

Preis: 30 €

Rauszuwollen, das kennen wir alle. Eine Pointe dazu ist dermaßen abgedroschen, dass auch Steven Spielberg sie schon vor Jahren verwendet hat: In einer trostlosen Welt setzen Menschen sich VR-Brillen auf, um aus der trostlosen Realität zu flüchten. Und wenn wir dann die Brille aufhaben, popelt uns Spielberg mit dem erhobenen Zeigefinger in der Nase. Das ist nämlich gar nicht die richtige Flucht. Das ist doch nur eine Simulation. Das mag stimmen, aber besserwisserisches Herumgewichse bringt uns nicht weiter. Die Wahrheit ist: Fototapeten wirken. Eine schöne Naturdoku ist kein Ausflug in die Natur – aber ihr Anblick ist erholsamer als zum Beispiel der einer Raufasertapete. Und wer eine VR-Brille hat, der kann in die Fototapete einziehen. Vor dem Hintergrund fühlt es sich wie eine besondere Pointe an, dass die virtuelle Realität nach Jahren der Enttäuschungen dann besser wird, wenn wir alle daheim bleiben müssen. Letztes Jahr zielte die Brille Oculus Quest erstmals glaubwürdig auf einen Massenmarkt. Sie ist einfach zu bedienen, sie muss nicht irgendwo angeschlossen werden, auf ihr laufen schöne Spiele und sie ist nicht obszön teuer. Dieses Jahr erschien mit »Half-Life: Alyx« so etwas wie der erste VR-Gassenhauer. »Alyx« ist ein Spiel für teure Highend-Hardware, für eine Nische in der VR-Nische. Aber es ist erstmals ein VR-Spiel, das alle spielen wollen. Ein Spiel, das alle spielen sollten, ist jetzt für fast alle VR-Plattformen erhältlich: das öde betitelte »The Room VR: A Dark Matter«. Das britische Entwicklerstudio Fireproof Games hat mit der Serie »The Room« auf dem IPad Erfolg gehabt. Auf dem Touchscreen inszenierten sie unheimliche Rätselkistchen, die sich wirklich ein bisschen so anfühlten, als könnte man sie durch das Glas hindurch anfassen. Jetzt wächst die Idee zu einem kompletten, betretbaren Escape Room. Sowieso wird alles angefasst. Und waren die Schauerspiele bisher heimelig, wirken sie jetzt beklemmend. Schlimm ist das nicht. Der Besuch im Room ist auch nicht traumatischer als in der Geisterbahn. Und er ist ein Tapetenwechsel.  In dem Spiel geht es darum, die Spuren verschwundener Menschen zu verfolgen, die auf der Suche nach uralten Geheimnissen unmögliche Wege aufgetan haben. Und dann womöglich selbst zu verschwinden. Was auf dem Tablet gemütlich wie eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe war, ist jetzt fesselnd ungemütlich. Und wenn aus einer Rätselkiste plötzlich schwarz glänzende Tentakel rauswachsen, dann freuen sich Spieler auch wieder auf den beruhigenden Anblick der Raufasertapete daheim. Jan Bojaryn

Dreams

Dreams

Luzides Träumen

Entwickler: Media Molecule, Preis: 40 €

Alles an »Dreams« ist traumhaft schön. Die Stimme, die uns mitnimmt in das Traum-Universum, unser kleiner knuffiger Cursor namens Imp, die Welten, die wir kreieren. Oder aber albtraumhaft gruselig – ganz wie es dem Schöpfer beliebt. »Dreams« gibt einem die Werkzeuge in die Hand und sie sind mächtig, aber denkbar einfach zu handhaben.  Der Editor verzichtet auf verschachtelte Menüs, macht das Kopieren einzelner Spielelemente spielend leicht und lässt uns so innerhalb kurzer Zeit ganze Welten schaffen. Wer keine Lust hat, selbst kreativ zu werden, findet in »Dreams« aber auch einen praktisch unendlichen Spielplatz der Kreationen. Die Vielfalt reicht vom wundervollen dreistündigen Jazz-Adventure »Art’s Dream« bis zur herrlichen Godzilla-Zerstörungsorgie »Ruckus«.  Auch wenn nur wenige die Qualität dieser Traumwelten von Media Molecule erreichen, ist »Dreams« abseits dessen auch ein Garten irrsinniger Ideen wie dem »First Person Left Hand Cooking Simulator« oder psychedelischer Stilblüten wie »Synesthesia«. Etliche Ideen sind roh und unfertig. Viele Nutzer probieren sich aus und bauen erst mal Sonic, Mario und GTA nach, kreieren Musikvideos oder Kurzfilme. »Dreams« ist im ständigen Wandel. Das Feedback der Spieler hilft bei der Auswahl, denn das Rückgrat ist die Community. Mit ihr steht und fällt, was »Dreams« kann – und mit dem Support des Herstellers, der für den Sommer ein VR-Update angekündigt hat. Lars Tunçay

Murder by Numbers

Murder by Numbers

Picross ist ihr Hobby

Entwickler: Mediatonic, Plattform: Switch, PC, Preis: 12 €

Wie heißt noch mal diese Fernsehserie aus den neunziger Jahren, in der eine Schauspielerin ständig in Kriminalfälle hineinstolpert? Die sie gemeinsam mit einem fliegenden Serviceroboter löst? Mit einem grummeligen Polizisten, der so eine Art Vaterfigur ist? Auf die Antwort wäre selbst Jessica Fletcher nicht gekommen. Was sich wie altes Fernsehen anfühlt, ist ein nostalgisches Spiel namens »Murder by Numbers« – eine kleine, interaktive Krimiserie in vier Folgen. Die Geschichte spielt im sexistischen, rückständigen, aber irgendwie auch heimeligen Hollywood der Neunziger. Die Amateur-Detektivin Honor und ihr Sidekick-Roboter »Scout« durchqueren Text- und Bildtafeln, führen Dialoge, lösen wendungsreiche Mordfälle und scannen nach Spuren. Der Scanvorgang ist das Fleisch auf den Knochen dieser ansonsten leichten Kost. Wenn Scout Bilder erkennen will, müssen Spieler Nonogramme lösen, bekannt auch als Picross. In dieser Rätselgattung müssen Spieler ein Raster anhand von Zahlentipps in Reihen und Spalten ausfüllen. Nonogramme haben treue Fans, und dieses Spiel ist ein guter Rahmen, sie zu spielen. Es ist dermaßen niederschwellig, die Rätsel entwickeln einen derart großen Sog, dass es in einem Paralleluniversum ein Hit sein müsste. Wer im Büro oder an der Uni oder in der Straßenbahn Zeit verdaddeln will, der findet hier watteweichen Eskapismus bis zur Endhaltestelle. Lars Tunçay

Temtem

Temtem

Pikachu pubertiert

Preis: 31 €

Wir müssen uns Pikachu als ein unglückliches Pokémon vorstellen. Es könnte so vieles aus seinem Leben machen, aber es darf nicht. Über zwei Jahrzehnte steckt es im Hamsterrad: In immer gleichen Spielen kämpft es Runde um Runde gegen immer dieselben Taschenmonster. Ohne den elektrischen Zauberschweif wäre längst alle Spannung verflogen. Die Fans wollen es so. »Pokémon« ist ein noch viel größeres multimediales Phänomen, als viele Menschen in unserem Kulturkreis ahnen. Millionen Kinder sind mit der Serie aufgewachsen. Sie werden Pikachu niemals gehen lassen. Als Entwickler Game Freak es gewagt hat, für das aktuelle »Pokémon«-Spiel auf der Nintendo Switch ein paar alte Zöpfe der Serie abzuschneiden, tobte ein Monate währender Shitstorm. Weil nicht mehr alle Pokémon aller Zeiten im sogenannten Pokédex gesammelt werden konnten, trendete #Dexit auf Twitter. Unter dem Druck sind »Pokémon«-Spiele erstarrt. Sie können und dürfen sich nicht mehr entwickeln. Den möglichen Ausweg hat »Temtem« gefunden. Es ist ein Spiel erwachsener Pokémon-Fans mit anderen niedlichen Monstern; von seinem Vorbild ist »Temtem« dermaßen inspiriert, dass man die beiden übereinanderlegen und gegen das Licht halten muss, um Unterschiede zu erkennen. Spieler schlüpfen in die Schuhe heranwachsender Helden, ziehen in die Welt, fangen und trainieren kleine Monster, duellieren sich, werden berühmt, schlagen gelegentlich ihren alten Rivalen aus Kindheitstagen. Der Titel ist noch nicht fertig, kann aber auch halbfertig gekauft und gespielt werden. »Temtem« ist ein MMO, also ein Online-Rollenspiel, in dem viele Spieler dieselbe Welt bevölkern. Menschen treffen ungefiltert aufeinander, laufen aber interaktionsfrei aneinander vorbei. Bald sollen sie Temtems tauschen und sich duellieren können; Inseln, Monster und Spielmöglichkeiten werden laufend nachgereicht. Was bisher da ist, funktioniert aber sehr gut für Menschen, denen das Original zu simpel geworden ist und die sich nach einem Endgame mit härteren, pubertierenden Monstern sehnen. Statt immer brav mit einem Pokémon auf einmal treten die Trainer hier mit zweien gleichzeitig an. Das steigert die Komplexität um 100 Prozent. Und dann wimmelt es im Spiel von halbwegs starken Gegnern. Wie in anderen Rollenspielen für Erwachsene auch. Ist das also die wahre neue Evolutionsstufe? Gibt es im Spiel Monster mit Brusthaaren? Bisher nicht. Nur »Baboong«, immerhin eine Art Affe mit üppigem Backenbart. Aber vielleicht kommen die noch. Das Spiel ist früh dran. Bisher beweist es nur, dass es als schwierigeres Fauxkémon funktioniert. Jan Bojaryn

Tomb Raider (1996)

Tomb Raider (1996)

Der Klassiker

Ursprünglich sollte die bekannteste Videospielfigur der Welt eigentlich ein Mann werden und später »Cruz« mit Nachnamen heißen. Weil Chef-Designer Toby Guard die weibliche Spielfigur aber bevorzugte, entschied er sich für Lara Croft als Protagonistin des »Tomb Raider«-Franchises. Mit dem ersten Teil nahm das Grabräubern seinen Anfang. Eine weibliche Spielfigur war damals eine absolute Ausnahme. Zwar wäre Lara in der Realität mit spitzen Polygonbrüsten und winziger Taille nicht überlebensfähig gewesen, ermöglichte so aber erst den Diskurs über die Darstellung von Frauen in Games. Durch ihre taffe Art brach sie die Dominanz männlicher Spielfiguren. »Tomb Raider« orientierte sich an Plattformern wie »Prince of Persia« und übertrug sie auf 3-D-Levels. Anders als in 2-D-Welten war das Orientieren hier viel schwieriger. Die Entwickler bauten ihre Welten deshalb aus quadratischen Blöcken, die exakt auf die Sprünge von Lara ausgerichtet waren. Sprungpassagen, Erkunden und Ballern: Das moderne Action-Adventure war geboren. Nach »Tomb Raider« explodierte das Franchise: Lara hatte Auftritte in Musikvideos, 2001 übernahm Angelina Jolie die Rolle der Grabräuberin. Und auch für alle Nachfolger gilt: Nein, es gibt keine geheime Sprungkombination, die Lara entkleidet. Denis Gießler

Death Stranding

Death Stranding

Post-Apokalypse

Preis: 50 €

Regisseur Ken Loach zeigt in seinem neuesten Film, wie hart das Leben eines Paketboten in Großbritannien ist. Sam Porter Bridges kann darüber nur lachen. Immerhin hat der Protagonist von »Sorry we missed you« einen Lieferwagen. Den wünscht man sich bisweilen auch in »Death Stranding«. Stattdessen klettert Sam stundenlang über lebensfeindliches Terrain, wandert über wolkenverhangene Ebenen und ständig regnet es. Dann muss Sam schleunigst ins Trockene, denn diese Art von Regen – »Timefall« genannt – lässt alles altern, was damit in Berührung kommt. Es ist wahrlich keine lebenswerte Welt, die Spieleguru Hideo Kojima da geschaffen hat. Der Alltag eines Postboten in der Postapokalypse ist genau das, wonach es sich anhört: Arbeit. Eine gesunde Affinität zum Leiden muss man dabei ebenso mitbringen wie eine gewisse Frustresistenz, wenn man nach minutenlanger Kletterpartie vor einer Felswand steht, die nicht einmal die stets parate ausfahrbare Leiter überwinden kann. Das Ziel ist vorgegeben. Den Weg dorthin erarbeitet man sich selbst. Warum man das auf sich nimmt? Für ein weiteres Puzzleteil der verquasten Geschichte? Für Likes, Ruhm und Ehre? Keine Ahnung. Sicher ist, dass man auf den langen Gewaltmärschen viel Zeit hat, darüber nachzudenken. Lars Tunçay

Zombie Army 4

Zombie Army 4

Gott des Gemetzels

Preis: 50 €

Niemand erwartet von »Zombie Army 4«, dass es einen Preis für innovatives Storytelling gewinnt. Die Entwickler, die auch für die »Sniper Elite«-Reihe verantwortlich zeichneten, sehen selbst keinen Anlass dazu. Wie schon im Vorgänger »Zombie Army Trilogy« geht es auch in Teil vier um Nazi-Zombies und das große Gemetzel. Da ist Story zu vernachlässigen, auch wenn sie rudimentär für so etwas wie Zusammenhang sorgt. Vielmehr besteht der Reiz des Spiels in seiner Simplizität und dem nicht zu unterschätzenden Trash-Faktor. Wie ein Exploitation-Movie aus den siebziger Jahren liefert man sich vor allem im Multiplayer-Modus mit bis zu vier Spielern wundervoll grotesk überzeichnete Feuergefechte mit unendlichen Zombie-Horden. Das ist so schlecht, dass es wieder gut ist – und es baut Stress ab. Im Gegensatz zum Vorgänger ist »Zombie Army 4« deutlich schöner anzuschauen, mit detailreichen Leveln und neuen Zombies, die einen herausfordern. Auch das Spieldesign hat man verbessert, neue Funktionen, neue Waffen und neue Upgrades eingebaut, so dass man nicht mehr nur dumpf durch lineare Level läuft. Zwar ist »ZA4« sicher am besten gemeinsam zu spielen – auch wenn es bei den riesigen Horden in engen Umgebungen hektisch wird –, doch selbst im Einzelspieler-Modus kann man das Spiel jetzt meistern. Hirn ausschalten und die kinetische Wirkung von Metall auf verrottenden Körpern bewundern. Lars Schmeink

Quake (1996)

Quake (1996)

Der Klassiker

Nachdem id Software mit »Doom« das Genre der Ego-Shooter erfunden hatte, entwickelte das Studio seine Technologie konsequent weiter. 1996 erschien dann »Quake«: Ein Shooter, der zeigte, wie gut 3-D-Grafik aussehen konnte. Neben eigenen Spielen begann id Software dann auch, seine neue Quake-Engine zu lizenzieren. Anders als beim sechs Monate zuvor erschienenen »Duke Nukem 3D«, bei dem die Gegner noch aus zweidimensionalen Sprites bestanden, war in »Quake« alles dreidimensional. Ids technisches Mastermind John Carmack war federführend für die Quake-Engine. Da die Grafik damals noch vom Prozessor und nicht von der Grafikkarte berechnet wurde, renderte »Quake« die Levels nicht am Stück, sondern nur dort, wo sich der Spieler gerade aufhielt. Spielerisch war »Quake« wie »Doom«, die Spielfigur bewegte sich wie auf Schlittschuhen durch verwinkelte Gemäuer, die ohne Story lose miteinander verbunden waren. »Quake« war dann vor allem im Mehrspielermodus beliebt und eines der ersten E-Sport-Spiele. Bei einem Turnier gewann ein Spieler 1997 den Hauptpreis: John Carmacks Ferrari. 1998 veröffentlichte Epic Games dann seinen Ego-Shooter »Unreal«, der ids Engine alt aussehen ließ. Beide Studios lieferten sich daraufhin einen jahrelangen Kampf um die Spitze der Multiplayer-Shooter. Denis Gießler

Wattam

Wattam

Ein Klo vom Himmel

Entwickler: Funomena, Preis: 20 €

»Du bist jetzt ein Käckerchen!«, ruft ein durch die Gegend rennender Riesenmund. Er hat den Bürgermeister verschlungen, der vorher vom Baum zum Brokkoli gemacht wurde. Was klingt wie das Gebrabbel eines Dreijährigen, spielt sich auch so. »Wattam« ist das neueste Werk von »Katamari«-Erfinder Keita Takahashi. In seinen früheren Spielen ging es noch darum, möglichst viele Dinge zu einer riesigen Kugel aufzurollen, diesmal muss die Welt wiederbevölkert werden – von Mündern, Bürgermeistern und Käckerchen eben. In einer Mischung aus dem Buch Genesis, einem Fiebertraum und Dauerschleife Teletubbies spielen wir diese »Dinge«, die sich anfreunden, aufeinanderspringen und sich gegenseitig in die Luft jagen. Peu à peu kommen neue Freunde und Welten hinzu. Oh nein, das Telefon weint, die Sonne hat ihm den Hörer geklaut! Oh ja, die Bowling-Bahn ist wieder da! Wer sich trotz der sehr gewöhnungsbedürftigen Steuerung, der schlimmen Kamera und des sehr düdeligen Soundtracks an dieses Arrangement gewöhnen kann, der fühlt sich auch wieder wie ein wildes Kind, das wirklich alles und jedes faszinierend findet. Dabei sind die eigentlichen Aufgaben des Spiels nicht schwer, aber manchmal fragt man sich doch sehr lange, was jetzt genau von einem erwartet wird. Vielleicht sollte man also den Controller lieber an ein Kind weiterreichen. Denn die Geduld, die man für »Wattam« braucht, ist sicher nicht jedem beschieden. Christian Eichler

Arise: A Simple Story

Arise: A Simple Story

Allergrößte Gefühle

Preis: 20 €

Gefühle sind normal. Die meisten Menschen haben welche. Nur bedingt galt das bisher im Medium Videospiel. »Gamer« werden immer noch gern als pubertierende Jungs gesehen, die sich keine Gefühle wünschen, sondern Sex, Gewalt und dichteres Körperhaar. Hartnäckig erscheinen Spiele für diesen Teil des Publikums. Aber was machen Spielefans, wenn sie das Durchschnittsalter von 36,4 Jahren erreichen? Sie haben das erste von ihren 1,59 Kindern schon bekommen, sie steuern auf den Lebensmittelpunkt zu, und vielleicht ist die Verteilung linkssteil; vielleicht haben sie ihren Zenit schon überschritten. Sie entdecken die Melancholie. Auch dieser Teil des Publikums wird inzwischen bedient: mit traurigen Spazier-, Erkundungs- und Erinnerungsspielen. In der Nische zwischen tiefer Trauer und ehrlichem Kitsch wohnen moderne Klassiker wie »Dear Esther« und »Journey«. Sie sind kurz, sie ignorieren vieles von dem, was traditionell zu einem Spiel gehört, und werden dafür oft angegriffen. Sie füllen aber auch eine echte Lücke und beweisen beim Spielen die besondere Macht des Mediums. Den Weg zur Erinnerung freilegen in »Old Man’s Journey« oder Farben suchen als Trauerarbeit in »Gris«, das funktioniert. Auch platte Metaphern können beim Durchspielen an Bedeutung gewinnen. Das neue Spiel »Arise: A Simple Story« zehrt von dieser Erkenntnis. Es geht in die Vollen. Es ist Emotion pur. Ein alter Mann erwacht nach seinem Tod in einer magisch zugeschneiten Landschaft. Von hier aus kann er chronologisch Kapitel seiner Erinnerung bereisen. Der Clou: Er ist träge und hat Stoppelbeine, aber dafür kann er die Zeit ein bisschen hin und her drehen. Aus dieser Idee werden unzählige Fortbewegungsarten entwickelt, die alle kein Rätsel sind und keine echte Herausforderung bieten. Aber sie werden immer und immer wieder wiederholt. Erinnert sich der Mann, wie er mal an einer Hummel hängend von Blatt zu Blatt getragen wurde, dann muss er sich garantiert noch an 15 weitere Hummeln erinnern, die dasselbe getan haben. Jedes Kapitel findet eine neue, clevere Interaktion, mit der Wege geöffnet werden. Dann wiederholt sich die Interaktion so lange, bis Spieler erleichtert sind, auch dieses Kapitel endlich hinter sich zu bringen. Vielleicht ist ja dieses Gefühl der zunehmenden Bedientheit, des herbeigesehnten Endes im Alter die eigentliche Metapher, mit der uns »Arise: A Simple Story« das Sterben schmackhaft machen will. Etwas weniger zynisch ist es einfach eine spielbare Schlagerplatte: ganz viel Gefühl in Dauerschleife. Jan Bojaryn

Disco Elysium

Disco Elysium

Lesefluss statt Lootspirale

Plattform: PC, Preis: 40 €

Spiele wie »Disco Elysium« dürften eigentlich gar nicht existieren, geschweige denn so erfolgreich sein. Der Titel kommt vom estnischen Indie-Studio Zaum, das 2009 als Künstlerkollektiv gegründet wurde. Der leitende Entwickler Robert Kurvitz macht Musik, schreibt Romane und ist Chef-Autor des Spiels, das auf die für Rollenspiele typische Gameplay-Spirale aus Kämpfen, Beutesammeln und Leveln verzichtet. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf hervorragend geschriebenen Texten – wer keine Lust auf Lesen hat, wird mit dem Spiel, das es nur auf Englisch gibt, nicht viel Freude haben. Man schlüpft in die Rolle eines Polizisten, der in einem Mordfall ermitteln soll, es aber vorzieht, in seinem Motel in der Nähe des Tatorts eine wilde Party zu feiern. Eine epische Party über mehrere Tage, die in einem gigantischen Hangover samt Totalfilmriss endet. Der Detective erwacht nur in Unterhosen und stellt fest, dass er neben seinen Erinnerungen im Drogenrausch auch Dienstmarke und -waffe verloren hat – keine guten Voraussetzungen für die anstehenden Ermittlungen. »Disco Elysium« erinnert an ein Adventure, wenn man den Schauplatz Revachol – dieses Ölgemälde einer Stadt – aus der isometrischen Perspektive erkundet. Die Welt ist unverbraucht und fremdartig, angesiedelt in einer Parallelwelt irgendwo zwischen Fünfzigern und Futurismus. Anhand seiner komplexen Charaktere verhandelt Kurvitz politische und philosophische Themen: Revachol war Schauplatz einer fehlgeschlagenen kommunistischen Revolution und wird nun von einer neoliberalen Besatzungsmacht kontrolliert. Der Stadtteil, in dem wir ermitteln, ist das heruntergekommene Viertel der Metropole, die Slums, in denen wir es mit drogensüchtigen Zwölfjährigen, fetten Gewerkschaftsbossen und rassistischen Bodybuildern zu tun bekommen. Bei ihnen handelt es sich um die ansonsten nicht vorhandenen Monster. Dass »Disco Elysium« als klassisches Rollenspiel funktioniert, liegt nicht zuletzt am großartigen Charaktersystem. Hier gibt es keine Skills wie »Schlösser knacken« oder »Stumpfe Hiebwaffen«. Stattdessen trainiert man Empathie, Logik oder Konzeptualisierung (»Understand creativity. See Art in the world.«) Die Fähigkeiten kommen nicht nur in den Dialogen zum Einsatz, sondern melden sich auch zu Wort, wenn der Protagonist etwa an einer leeren Häuserwand vorbeigeht und beschließt, dass hier Kunst fehlt. Die inneren Mono- beziehungsweise Dialoge, die wir nur mit unseren Fähigkeiten führen, sind ein Highlight dieses Spiels. Es säuft und schimpft und beschreitet im Genre selbstbewusst neue Wege. Alexander Praxl

Crossroads Inn

Crossroads Inn

Durst ist schlimmer als Heimweh

Entwickler: Kraken Unleashed, Plattform: PC, Preis: 20 €

Schon der alte Wilhelm Busch wusste: »Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör!« Im »Crossroads Inn«, einer zünftigen Fantasy-Taverne im gleichnamigen Spiel, gilt das auch. Hier wird rund um die Uhr gesoffen, bis der Druide kommt. Das hört sich sehr unterhaltsam an, aber ich warte vergeblich, dass mir ein Ork zwischen die Bierbänke bricht. Stattdessen präsentiert sich das Spiel als ganz beinharte Wirtschafts-Simulation im wahrsten Sinne des Wortes. Sehr lange bin ich erst einmal damit beschäftigt, die gute Stube gemütlich einzurichten. Aber nur mit Bärenfellen an der Wand kommt man als Wirt nicht weit. Tische, Spültonne, Ofen, sogar Teller und Becher muss ich auf dem Schwarzmarkt besorgen. So ist das aber halt bei ökonomischen Simulationen, das macht nicht immer Spaß. Langsam bekomme ich den Dreh raus, Profit fällt trotzdem nicht ab. Vieles dreht sich um Mikro-Management auf anspruchsvollem Niveau. Da ich mit allen Abwassern gewaschen bin, kaufe ich die Alkoholika für den Ausschank zu einem besseren Preis im Banditenlager. Jetzt läuft es besser, »schluck, schluck, schluck«, tönt es aus den Boxen und »Es gibt nicht genug Platz in deiner Taverne«. Dann geht alles ganz schnell. Der Landvogt, der mir eigentlich seine Plörre verkaufen wollte, kommt mit einem Trupp Soldaten für eine Razzia vorbei und nimmt den ganzen Wein mit. Auch eine Form der Kapitalismus-Kritik. Marc Bohländer

Duke Nukem 3D (1996)

Duke Nukem 3D (1996)

Der Klassiker

»Doom« erfand den modernen Ego-Shooter. Die Spielwelt war dabei aber so lebendig wie ein Stück Holz: Viel mehr als Metalltüren, die sich in den immer gleichen Labyrinthen nach oben schoben, gab es nicht. Drei Jahre nach dem Doom-Marine erschien dann ein gewisser Duke Nukem auf den Bildschirmen erstmals in 3-D – und lieferte den bis dahin vielfältigsten Ego-Shooter. Möglich wurde das durch die Build-Engine des Entwicklerstudios 3D Realms. Die erlaubte schräge Flächen, Levels mit mehreren Ebenen (Jetpacks!) und – in Ansätzen – zerstörbare Umgebungen: Scheiben zersplitterten bei Beschuss und Rohrbomben legten beim Explodieren neue Levelbereiche frei. Dazu wirkte die Spielwelt von »Duke Nukem 3D« authentischer als bei seinen Konkurrenten. Denn der Shooter spielte nicht auf irgendwelchen fiktiven Naziburgen oder Mars-Basen, sondern auf der Erde: In einem Pornokino in Los Angeles oder in Kneipen mit Billardtischen und Klos – auf denen manchmal auch die warzenschweinähnlichen Gegner hockten, die man dann mit dem Shrinker schrumpfte und zermatschte. 1997 kündigte 3D Realms dann schon den Nachfolger »Duke Nukem: Forever« auf der Spielemesse E3 an. Bis zum Release sollte es aber noch ganze 14 Jahre dauern. Bis dahin galt 3D Realms’ berühmt-berüchtige Devise: »When it’s done«. Denis Gießler

The Outer Worlds

The Outer Worlds

Preis: 60 €

Gelegentlich kommt es uns so vor, als spitze sich die Welt in Zeiten des vermeintlichen Postkapitalismus zu. Vielleicht sind wir aber auch noch mittendrin? Über solche Fragen kann nachdenken, wer das neue Action-Rollenspiel »The Outer Worlds« spielt. Spieler erwachen als Passagier im Tiefkühlfach eines verlorenen und von einer gleichgültigen Betreuerfirma aufgegebenen Kolonistenschiffes, eine von hunderttausend Seelen, zufällig ausgewählt und aufgetaut. In der fernen Zukunft finden Spieler sich in einem fernen Sternensystem wieder, das eisern von Konzernen regiert wird. Menschen sind in dieser Welt nur eine finanzielle Größe. Sie werden nicht nur im Frost vergessen, sie bleiben unabgeholt in verlassenen Kolonien zurück, sie stranden in Labors voller außerirdischer Monster, aus denen sie höchstens dann gerettet werden, wenn sie etwas Wertvolles dabeihaben. Sie dürfen sich nur von Arbeitskollegen helfen lassen, auch wenn sie verblutend neben den eigenen Gliedmaßen liegen. Und wenn sie zu früh sterben, müssen Angehörige dem Konzern den Ausfall bezahlen. Das Szenario ist satirisch zugespitzt, auch wenn das Spiel sich anstrengen muss, um reale Auswüchse des Kapitalismus noch irgendwie zu steigern. Versucht wird das mit schrillen Werbeanzeigen im Stil der fünfziger Jahre, mit E-Mails in entmenschlichtem Firmenjargon und mit Menschen, die dermaßen im Weltbild ihrer Arbeitgeber gefangen sind, dass sie jede sprachliche Äußerung mit einem Werbeslogan beenden. »The Outer Worlds« präsentiert zuerst eine unerträgliche Welt und gibt Spielern dann die Möglichkeit, sie abzureißen. Das fühlt sich ausgesprochen befreiend an. Und immer wieder stehen wirklich offene Entscheidungen an, deren Ergebnisse auch differenziert ausgespielt werden: Hat jedes unerleuchtete Mitglied einer doofen Firma den Tod verdient? Das ist der kluge Kern von »The Outer Worlds«. Leider hat das Spiel auch eine dicke Schale. Ein gefühltes Drittel der Zeit rumpeln die Helden in der Egoperspektive durch Kolonien und Ruinen, erschießen austauschbare Gegner, plündern identische Truhen und Kisten, basteln an ihren Waffen herum und machen das, was in Action-Rollenspielen mit Egoperspektive eben so getan wird. Trotzdem – es kommt immer noch schneller auf den Punkt als die allermeisten Rollenspiele, die sonst so auf dem Computer durchwatet werden und die in der endlosen Wiederholung, der endlosen Anhäufung von Material ihren Markenkern sehen. Und es hat einen Punkt! Den haben nicht alle. Jan Bojaryn

Catherine: Full Body

Catherine: Full Body

Entwickler: Studio Zero, Publisher: Atlus, Preis: 60 €

Der »Catherine«-Albtraum ist noch nicht vorbei: 2011 erschien die Kooperation zwischen Spielehersteller Atlus und dem Animationsstudio 4°C (»Tekkonkinkreet«) auf Xbox 360 und PS3. Ein irrer Mix aus Jump’n’Run und Visual Novel. Nun gibt es eine erweiterte Fassung für aktuelle Konsolen – eine gereifte, gut abgehangene Version, wie der durchaus doppeldeutig zu verstehende Untertitel aus dem Weinjargon »Full Body« suggeriert. Die Story ist aber im Kern dieselbe: Noch immer plagen den armen Slacker Vincent Brooks seltsame, schlimme Visionen während der Nachtruhe, nachdem ihm seine Freundin Katherine gestanden hat, dass sie eine feste Beziehung will. Hin- und hergerissen zwischen seinem Drang nach Freiheit und langen, alkoholgeschwängerten Nächten in seiner Stammkneipe »Stray Sheep«, wird der 32-jährige Orientierungslose auch noch durch das plötzliche Auftauchen der jungen Catherine verführt. In welche Richtung sein Schicksal pendelt, entscheidet der Spieler in interaktiven Dialogen und Antworten auf eingehende SMS seiner Partnerin. In der Neuauflage kommt mit der lebensfrohen Rin, die dummerweise ihr Gedächtnis verloren hat, eine neue, interessante Figur hinzu. Auch ist das Grauen, das Vincent des Nachts in Form von Geschicklichkeitspassage plagt, nun ein wenig einfacher zu meistern. Auch im Director’s Cut bleibt »Catherine« ein faszinierender Trip für japanophile Spielernaturen. Lars Tunçay

Atlus

Borderlands 3

Borderlands 3

Alte Bekannte und Altbewährtes

Entwickler: Gearbox, Preis: 60 €

Wir müssen über Waffen sprechen. Denn »Borderlands 3« zelebriert seine Waffen: Es gibt sie nicht nur in verschiedenen Gattungen, von der Schrotflinte bis zum Scharfschützengewehr, sondern auch von verschiedenen Herstellern und mit ganz unterschiedlichen Werten und Eigenschaften. Waffen mit explodierenden Projektilen; Waffen, die Blitze oder Säure verschießen; Waffen, die sprechen können. Es gibt sogar eine Waffe, die mit jeder Betätigung des Abzugs neue Waffen hervorbringt, die der Spieler dann aufsammeln kann. Die Jagd nach besserer Ausrüstung – und das bedeutet hauptsächlich: besseren Waffen! – ist ein integraler Bestandteil der »Borderlands 3«-Mechaniken, es gibt nicht Hunderte oder Tausende Modelle, sondern Bazillionen™! Daran hat sich seit Bestehen der »Borderlands«-Reihe, die im Oktober ihr zehnjähriges Bestehen feierte, nichts geändert. 2009 wagte das texanische Studio Gearbox ein Experiment, indem es Mechaniken des Ego-Shooters und des Rollenspiels kombinierte. Heute hat sich aus dem Experiment ein beliebtes Sub-Genre entwickelt, der Loot(er)-Shooter, zu dem erfolgreiche Titel wie »The Division« und »Destiny« zählen. Das Spielprinzip besteht aus zwei wesentlichen Säulen: Zum einen schießt man sich in meist offenen Spielwelten durch immer stärker werdende Gegnergruppen, die den Weg zum Quest-Abschluss versperren; zum anderen sammelt man neue Ausrüstung und Erfahrungspunkte, die die Fähigkeiten der Spielfigur laufend verbessern. Als Alleinstellungsmerkmal hat »Borderlands« die typische Cel-Shading-Optik und einen ganz speziellen Humor zu bieten: Die Spiele sind bunt, laut und ziemlich durchgeknallt. Wer die Vorgänger kennt, weiß ziemlich genau, was ihn in »Borderlands 3« erwartet. Zumal Gearbox auf alte Bekannte und Altbewährtes setzt. Die Spirale aus Schießen und Sammeln greift erneut, die Story ist mit dem üblichen anarchischen Humor inszeniert und es gibt ein Wiedersehen mit Marcus, Lilith, Claptrap, Tiny Tina und vielen anderen bekannten Figuren. Die vier neuen Charakterklassen spielen sich erfreulich unterschiedlich und bieten mehr taktischen Tiefgang denn je. Als Vault-Jäger sucht man im dritten Teil der Reihe nicht nur auf Pandora, dem Schauplatz der beiden Vorgänger, nach den sagenumwobenen Alien-Ruinen, sondern auch auf anderen Planeten. Das Raumschiff Sanctuary dient dabei als zentraler Hub, in dem man Upgrades für die Spielfigur kauft und neue Aufträge annimmt. Am besten ballert man gemeinsam mit Freunden, die sowohl online als auch im lokalen Koop jederzeit in eine laufende Partie einsteigen können. Alexander Praxl

John Wick Hex

John Wick Hex

Killer-Spiel

Entwickler: Bithell, Plattform: PC, Preis: 16 €

Die Filme der »John Wick«-Serie sind sehr intelligent. Natürlich sagt in der kompletten Trilogie nie ein Mensch auch nur einen klugen Satz, aber darum geht es ja auch nicht. Es geht eher darum, Action-Fans eine Art Tanzfilm unterzujubeln. Das offizielle Spiel zu den Filmen darf also auch kein Actionspiel sein. »John Wick Hex« ist eine Art Planungstool für Choreografen des Todes. Auf einem Sechseckraster wird ein kleiner Keanu Reeves vorwärts bewegt. Eine Zeitleiste oben am Bildschirm hält den Ablauf der Aktionen in Sekundenbruchteilen fest. Dann passiert immer dasselbe, immer das, was auch in den Filmen immer passiert. John Wick läuft gemessenen Schrittes durch Seitenstraßen und Gebäude. Bedrohliche Anzugträger rollen heran. John Wick bricht die Wellen. Weil der Witz hinter John Wick letztendlich immer ist, dass er alles perfekt entscheidet, geht es in dem Spiel nur darum. Heimlich ist das Ganze ein rundenbasiertes Brettspiel. Jeder Schritt hat eine feste Zugweite, jede Aktion hat feste Fokus- und Zeitkosten. Prozentchancen erklären ganz genau, wie wahrscheinlich jede Botschaft des bärtigen Todes ihren Adressaten erreicht. Revolutionär ist die Idee nicht, aber gut und stimmig ausgeführt. Komplexe Kämpfe werden in unzählige Mikro-Entscheidungen zerlegt. So kommt Schwung in das eher träge Taktik-Genre. Hier noch schnell eine Seitengasse aufräumen, schnell noch eine Fußballmannschaft auswechseln – das geht immer. Jan Bojaryn

Diablo (1996)

Diablo (1996)

Der Klassiker

Schon die ersten Gitarrenklänge des Tristram-Themas erzeugten Gänsehaut pur. Das Dorf ist Ausgangspunkt der Metzelorgie »Diablo«, die das moderne Genre der Action-Rollenspiele erfunden hat und bis heute Kultstatus genießt. Als eine von drei Klassen – Krieger, Jägerin oder Magier – wurden wir in eine schummrige Kirche geschickt, die den Eingang zu einem riesigen Dungeon markiert. Mit der Maus bewaffnet, wagten sich Spieler hinab, bis sie auf den Dämon Diablo trafen. Auf dem Weg dorthin versuchten die Untoten dem Pfeilhagel der Jägerin auszuweichen und stöhnten – genau wie der Spieler, dessen Sehnenscheiden sich entzündet hatten, weil er jeden Pfeil mit einem Extraklick auf die Reise schicken musste. So schnell die Pfeile flogen, so langsam bewegten sich die Spielfiguren. Denn ursprünglich sollte »Diablo« rundenbasiert ablaufen; das wurde verworfen, die Figuren bewegten sich aber weiterhin Feld für Feld. Man stelle sich das heute einmal vor: »Diablo«, das gemächliche Rollenspiel. Die Sammellust nach neuen Items und Skillpunkten, um im Dungeon aufzuräumen: Schon im kurzen »Diablo« war alles angelegt, was der zweite Teil in seiner Sucht-Spirale perfektionierte. Der dritte Teil ist indes für etwas anderes berühmt-berüchtigt: »Error 37: The Servers are busy«. Denis Gießler

Mutazione

Mutazione

Eine Insel mit drei Augen

Entwickler: Die Gute Fabrik, Plattform: PC, iOS, Preis: 20 €

Videospiele können gut aussehen. Sie können auch gute Geschichten erzählen. Aber sie müssen ja auch interaktiv sein, und das sticht. Also pflügen Spieler in Rennwagen mit 200 km/h durch die idyllischen Landschaften, oder sie pflügen mit dem Sturmgewehr durch Gegnerhorden, während ihnen der Kamerad seine bewegende Lebensgeschichte ins Ohr brüllt. Bei »Mutazione« ist das anders; die Entdeckung der Insel und die Geschichten ihrer Bewohner sind die wesentlichen Hälften des Spiels. Die Teenagerin Kai besucht ihren alten Opa. Die Insel, auf der er wohnt, wurde vor Jahrzehnten von einer Katastrophe heimgesucht, Menschen sind gestorben, Überlebende sind mutiert, und seitdem wird der Schauplatz von normalen Menschen gemieden. Bis Kai eintrifft. Das klingt ziemlich mysteriös und etwas irritierend; ist es auch. Außer ihrem Opa trifft Kai ein ganzes Mutanten-Ensemble mit sehr menschlichen Wünschen und Nöten. Sie läuft durch Dschungel, Holzhütten und Ruinen, sie führt glaubwürdige Multiple-Choice-Gespräche, und recht bald legt sie schamanische Heilgärten an, deren Pflanzen entspannende Indie-Musik machen. Da kann sich Kai dann einfach hinsetzen und zuhören. Oder sie geht spazieren und pflückt Blumen. Oder sie schaut bei den Nachbarn vorbei. »Mutazione« nimmt seine Spieler konsequent mit auf die Insel. Hier machen sie Pause, lernen sich selbst und einen Haufen neuer Freunde kennen. Hier atmen sie durch. Jan Bojaryn

Control

Control

Außer Kontrolle

Entwickler: Remedy Entertainment, Preis: 60 €

Remedy ist irgendwie anders. Im Zirkus der großen AAA-Produktionen haben die Finnen ihre ganz eigene, obskure Nische gefunden. Sie schufen mit »Max Payne« den vielleicht ersten kaputten Antihelden der Videospielgeschichte, kreierten mit »Alan Wake« einen spielbaren Stephen-King-Roman und mit »Quantum Break« einen Hybrid aus Spiel und TV-Show. Nach einer zehnjährigen Partnerschaft mit Microsoft können die Finnen ihre kreative Freiheit nun wieder auf allen Plattformen ausleben. Das Ergebnis ist »Control«, eine Weiterentwicklung der früheren Titel, aber auch ein ganz eigenes Biest mit klar erkennbarer Remedy-DNS. Dabei ist der Plot noch kryptischer, als es seine verspulten Vorgänger waren. In einer Scifi-Dystopie ist das Federal Bureau of Control dafür zuständig, paranatürliche Phänomene zu untersuchen, die sich in Gestalt von Realitätsverschiebungen manifestieren und ihren Ursprung im kollektiven Unterbewusstsein haben. Welche Rolle Jesse Faden in all dem spielt, die wir durch einen weitläufigen Bürogebäudekomplex steuern, bleibt dem Spieler lange Zeit ebenso verborgen, wie Sinn und Ursache für die sich ständig verschiebende Welt. Am besten, man lässt sich darauf ein und genießt rund zehn unvergessliche und außergewöhnliche Stunden mit »Control«. Lars Tunçay