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Rezensionen

Rose City Band

Rose City Band

Earth Trip

Earth Trip

Rose City Band ist das musikalische Steckenpferd von Ripley Johnson. Ansonsten ist der Musiker aus Portland bei den Wooden Shjips und dem Moon Duo tätig. Beide Bands haben den modernen Psychedelic Rock entscheidend mitgeprägt. Johnson erklärt die Idee hinter der Rose City Band wie folgt: »Meinen Freunden habe ich immer angedroht, eine Country-Band zu gründen. Dann könnte ich mich zur Ruhe setzen und jeden Donnerstag zur Happy Hour im Pub spielen.« Zu unserem Glück ist er noch lange nicht im Ruhestand, hat aber freundlicherweise trotzdem seine Drohung wahr gemacht. »Earth Trip« ist bereits sein drittes Album unter dem Namen Rose City Band. Die ersten beiden klangen noch schwer nach den Wooden Shjips, auch wenn der Country-Bezug deutlich war. Das neue Werk ist, wenig verwunderlich, immer noch sehr psychedelisch durchtränkt. Dennoch kommt »Earth Trip« Johnsons Drohung am nächsten. Hier finden wir lupenreinen Country. Mit reichlich Pedal Steel und der einen oder anderen Träne im Knopfloch. »Earth Trip« ist eine extrem abgehangene und sehr zurückgelehnte Country-Platte. Zusammengehalten durch Johnsons entspannte Stimme und göttlich-ausgedehnte Gitarrensoli. Die Happy Hour kann kommen. Kay Engelhardt

King Gizzard & the Lizard Wizard

King Gizzard & the Lizard Wizard

Butterfly 3000

Butterfly 3000

Sie haben es schon wieder getan. Zugegeben, sie tun die ganze Zeit eigentlich nichts anderes, dennoch freut man sich über das nun erschienene achtzehnte Album von King Gizzard & the Lizzard Wizard, als wäre es erst das siebte: Seit 2010 kloppt die Band, Australiens zweites großes Geschenk an die Welt nach INXS, Platte um Platte in die Welt, scheut dabei weder Experimente mit Thrash Metal (»Infest The Rat’s Nest«) noch Mikrotonalität (»Flying Microtonal Banana« et al.) und hat dennoch über die Jahre einen ebenso individuellen wie (am Psychedelic-Rock-Maßstab gemessen) massentauglichen Sound entwickelt. Das heißt, dass sie auch auf »Butterfly 3000« wieder so klingen, wie sie eigentlich immer klingen, wenn sie nicht gerade Thrash Metal machen, nämlich so, als würden sich vier rauschebärtige Beatles und der Krautrock auf einer Blumenwiese die Hand reichen und dabei ein bisschen weggetreten, aber lebensbejahend wirken. Die Songs werden meist zackig von Bass und Schlagzeug angeschoben und klingen so, als könnten sie auf diese Art bis in die Unendlichkeit weitergrooven. Die E-Gitarre samt dazugehörigem Effektarsenal lassen sie diesmal größtenteils stecken, stattdessen dominieren helle Synthiesounds und poppige Melodien das Geschehen, wo sonst der Fuzz wütet. Gesanglich klingt Stu Mackenzie wieder mal sehr nach Kevin Parker von den australischen Psychedelic-Kollegen Tame Impala, der aber wiederum schon immer sehr nach John Lennon geklungen hat, womit wir wieder auf der Blumenwiese wären, wo alles cool und groovy ist. Während aber Tame Impala auf ihren letzten Alben zunehmend in Richtung Stadionpop und Cäsarenwahn abdriften, stellt man sich King Gizzard beim Hören von »Butterfly 3000« immer noch als einen Haufen Leute vor, die in Batikshirts mit ihren Instrumenten auf einem Perserteppich hocken und dabei eine gute Zeit haben. Wir befürchten, dass sich die Nummer irgendwann in drei Jahren, circa bei Album Nummer 25, musikalisch auserzählt haben wird, (...) Kay Schier

Herbert Blomstedt/Gewandhausorchester

Herbert Blomstedt/Gewandhausorchester

Brahms: Sinfonie Nr. 2

Brahms: Sinfonie Nr. 2

94 Jahre ist Herbert Blomstedt in diesen Tagen geworden. Ein Alter, angesichts dessen manche Rezensenten zu eigenartigen Vergleichen neigen. Aber Hand aufs Herz: Schon, weil der Autor dieser Zeilen nicht nur halb so alt, sondern auch nur halb so fit wie der drahtige Ehrendirigent des Gewandhausorchesters ist, verbieten sich derartige Bezüge. Und wer wirklich ehrlich ist, wird kaum Unterschiede erkennen zwischen dem heutigen Blomstedt und jenem, der vor 30 Jahren kurz vor dem gesetzlichen Rentenalter stand. Der Schwede, das Gewandhaus und Brahms – das ist eine kongeniale Verbindung. Für Pentatone hat Blomstedt nun die Zweite des Romantikers eingespielt. Wunderbar souverän, ohne eitlen Tand, den manche Kollegen etwa im Schlusssatz präsentieren. Stattdessen ordnet der Dirigent alles der Musik unter und weiß das Gewandhausorchester zu nutzen, denn der Klang baut auf der warm tönenden Bassgruppe auf. Eine Scheibe, bei deren Blindtest man sofort das Ensemble erkennt und auch schnell auf den richtigen Dirigenten tippt: So ausgewogen lässt wirklich nur Herbert Blomstedt musizieren. Hagen Kunze

Olga Pashchenko

Olga Pashchenko

Mozart: Klavierkonzerte Nr. 9 und 17

Mozart: Klavierkonzerte Nr. 9 und 17

Zugegeben: Eine Entdeckung für die Alte-Musik-Szene ist die Kombination dieser beiden Klavierkonzerte wirklich nicht. Schon vor einem Vierteljahrhundert nahm Andreas Staier mit Concerto Köln die Klavierkonzerte Nr. 9 und 17 auf. Damals eine Sensation, denn der Klang authentischer Instrumente hatte sich 1996 zwar schon in der Barockmusik eingebürgert, aber über dem klassischen Kernrepertoire lag noch immer der Staub der 1950er Jahre. Wie sehr sich die Musikwelt seitdem geändert hat, zeigt diese Platte der jungen Russin Olga Pashchenko. Denn sie vereint hier das Beste beider Welten: die Brillanz und bis zur Perfektion ausgefeilte Technik der russischen Klavierschule einerseits und die von Nikolaus Harnoncourt entwickelte »musikalische Klangrede«, die die historisierende Sicht auf frühere Musik an die Stelle spätromantischer Überemotionalität stellte. So ist es auch kein Wunder, dass kein modernes Sinfonieorchester spielt, sondern mit »Il Gardellino« aus Belgien ein Spezialensemble, das Pashchenkos akzent- und farbenreiches Hammerklavier-Spiel noch angenehm zu paraphrasierenweiß. Hagen Kunze

Kollege Hartmann

Kollege Hartmann

Modus Mindestlohn

Modus Mindestlohn

»Hätte Danger Dan mich nicht gefragt, ob ich mit ihm auf Tour komme / hätt’ ich aufgehört und wär nur Back-up-Rap bei Gosse«: Bei aller Antipathie für Danger Dan und sein zeigefingerwedelndes Konstantin-Wecker-Cosplay, das er mit seinem aktuellen Soloprojekt durchzieht – aber da hat er mal was richtig gemacht. Auf »Modus Mindestlohn« präsentiert sich Kollege Hartmann nämlich noch ein gutes Stück angriffslustiger, kompromissloser und auch musikalisch mutiger als besagter Gossenboss mit Zett (und als Danger Dan sowieso). Auf mal weggetreten-verwaschenen, mal aggressiv wummernden Trapbeats grüßt Hartmann aus dem Angestelltenprekariat, teilt aus gegen die Stechuhr, den Gerichtsvollzieher, die dysfunktionale Beziehung und immer wieder gegen sich selbst. Das ist Midlife-Crisis in Reimform, kippt durch seinen sprachlichen Witz (»Gieße meine Zimmerpflanzen, als würde ich an morgen glauben«) aber niemals in reines Gejammer. »Modus Mindestlohn« ist der perfekte Soundtrack, um gepflegt auf den gelben Brief zu urinieren. Kay Schier

Rodrigo Amarante

Rodrigo Amarante

Drama

Drama

»Laut zu sein ist leicht. Ich flüstere lieber.« So weit die Selbstauskunft von Amarante, der uns schon vor mehr als einem Jahrzehnt als Mitglied der Band Little Joy zu zahlreichen zurückgelehnten Stunden verhalf. Bei jenem Projekt griffen ihm noch Strokes-Drummer Fabrizio Moretti und Binki Shapiro unter die Arme. Damals wie heute sind Samba, Bossa Nova, Jazz und Indie-Pop wichtige Koordinaten in der Klangwelt des gebürtigen Brasilianers, der inzwischen Los Angeles als zweites Zuhause ansieht. Das Zusammenführen dieser Genres betreibt Amarante ohne jegliche Mühe und mit größter Selbstverständlichkeit. So als ob Rio de Janeiro und Los Angeles schon seit jeher musikalische Partnerstädte wären. Amarante kollaborierte passenderweise sowohl mit Gilberto Gil als auch mit Devendra Banhart. Sein zweites Solo-Album »Drama« erweist sich als weit weniger dramatisch, als der Titel vermuten lässt. Das Album ist geprägt von unglaublicher Sanftheit. Die elf Songs sind sehnsüchtig, verträumt und verspielt. Mit anderen Worten: Der ideale Soundtrack für den geruhsamen Teil des Sommers. Kay Engelhardt

Widerstand der Dinge

Widerstand der Dinge

Schnauzer halten

Schnauzer halten

Jetzt also wieder Deutschpunk, oder was? Männer mit Gitarren, die ihre Kneipengedanken in ein Mikro schreien, während sie dabei auf die Instrumente hauen – war das nicht schon in der inzwischen alt gewordenen Neuen Deutschen Welle der Achtziger ausufernd zu hören gewesen? Ja, klar, aber man muss die Gitarrenakkorde nicht neu erfinden, um gute Songs rauszuhauen. Und die haut die Leipziger Band Widerstand der Dinge auf ihrem zweiten Album so erfrischend raus, dass man sofort aufhört, sich zu fragen, ob sie zu NDW-Zeiten schon zu Grauzones Eisbär getanzt haben oder doch geweint, sondern sich einfach freut, dass da im Süden der Stadt ordentlich geschrammelt wird: mit Spaß und Bier und weitaus witzigeren wie weiseren Texten, als der Wortwitz-des-Todes-Titel »Schnauzer halten« befürchten ließ. Die Lieder tragen einfach Ein-Wort+Artikel-Titel und behandeln die großen Themen (»Das Herz«, »Die Vision«, »Die Kunst«) mit kleinen Schmankerln: »Emotional bin ich ganz tief im Dispo«. Aus dem Keller des Ilses Erika heraustorkelnder zeitloser Wave, der natürlich auf keinen Fall Deutschpunk genannt werden sollte. Juliane Streich

Krystian Zimerman

Krystian Zimerman

Beethoven: Klavierkonzerte

Beethoven: Klavierkonzerte

Er ist einer der ganz Großen, und er hat sich mit Studioaufnahmen rar gemacht. Dass der polnische Pianist Krystian Zimerman kaum CDs veröffentlicht, ist seinem Anspruch geschuldet – nicht nur, weil er in Sachen Stilistik kaum etwas dem Zufall überlässt. Selbst bei der Instrumentenwahl kennt er keine Kompromisse und spielt ausschließlich an seinen eigenen Flügeln der Marke Steinway. So horcht die Musikwelt auf, wenn sich der Pole 32 Jahre nach der unglücklichen Ersteinspielung aller Beethoven-Konzerte – der Dirigent Leonard Bernstein verstarb mitten in der Produktion – nun noch einmal dieser Zentralwerke des Repertoires annimmt; diesmal mit Simon Rattle und dem London Symphony Orchestra. Die Kombination darf man kongenial nennen: Zimermans artikuliertes Spiel, das den Konzerten außergewöhnliche Lesbarkeit verleiht, vereint sich mit Rattles lyrischem Dirigat, das den Pianisten auf Händen trägt und dennoch darauf achtet, dass jede Linie im Orchester hörbar wird. Sicher: An Einspielungen dieser Werke mangelt es keineswegs. Aber diese CD-Box bekommt einen Ehrenplatz im Regal. Hagen Kunze

Runge & Ammon

Runge & Ammon

Revolutionary Icons

Revolutionary Icons

25 Jahre ist es her, dass der Cellist Eckart Runge und der Pianist Jacques Ammon als Duo erstmals gemeinsame Wege bestritten. Nun gibt es derartige Duos wie Sand am Meer, aber Runge & Ammon wandeln seit nunmehr einem Vierteljahrhundert derart konsequent zwischen allen stilistischen Stühlen, dass ihre Grenzgänge inmitten von Klassik, Pop und Jazz mittlerweile legendär sind. Keine Frage, dass sie zum Jubiläum etwas Besonderes parat halten: »Revolutionary Icons«, ein Albumkonzept voller energiegeladener Musik des Systemsprengers Beethoven, gepaart mit Klängen von Ikonen der Popkultur. Was zunächst anstrengend wirkt – das Ohr muss sich an derartige Sprünge erst gewöhnen –, offenbart bald seinen ganzen Reiz. Etwa, wenn ausgehend von Beethovens vierter Cellosonate, einem zwar kontrapunktisch strengen, aber dennoch formal bahnbrechendem Werk, der wegweisende Song von Amy Winehouse »Back to Black« in einem betörend sinnlichen Arrangement folgt. Hier wird deutlich: Revolutionäre Musik ist keine Frage von U oder E. Entscheidend ist einzig der Mut, mit dem man ausgetretene Pfade verlässt. Hagen Kunze

Pokey LaFarge

Pokey LaFarge

In The Blossom Of Their Shade

In The Blossom Of Their Shade

Im März 2020 löste Pokey LaFarge seine Wohnung in Los Angeles auf. Er lagerte seinen gesamten Besitz ein und freute sich auf eine ausgedehnte Tour zu seinem umwerfenden Album »Rock Bottom Rhapsody«. Die Pandemie hatte etwas dagegen. Plötzlich saß er in Austin/Texas fest, wo sein Auftritt abgesagt wurde. LaFarge machte das Beste daraus und nahm kurzerhand das vorliegende Album auf. Wie gehabt rettet er die amerikanischen Fünfziger und Sechziger in die Gegenwart. Ähnlich wie bei Jonathan Richman und Richard Hawley verschwimmen auch bei ihm die Grenzen zwischen Retro und zeitlosem Crooner-Pop. LaFarge nutzt seine Version von modernem Swing und Blues, um die kleinen und großen Fragen des Lebens zu stellen. Sehnsucht, Hängepartien in der Liebe und Fernweh sind die wichtigsten Themen dieser Platte. Selbige bespricht LaFarge mit ausgeprägter Nonchalance und gelegentlicher Kratzigkeit in der Stimme. »In The Blossom Of Their Shade« klingt schwer nach verrauchter Kleinstadt-Bar, in der man zufällig strandet und plötzlich dem Maestro an den Lippen hängt. Arbeitstitel war übrigens »Siesta Love«, was auch bestens gepasst hätte. Kay Engelhardt

Diensthund

Diensthund

Horizont aus Draht

Horizont aus Draht

Knapp elf Minuten braucht der Diensthund, um einmal die volle Distanz zu rennen. Weniger poetisch ausgedrückt: »Horizont aus Draht« ist sehr kurz, dafür gibts voll in die Fresse. Wer hier aber klassischen Connewitzer Knüppelgrölpunk erwartet, ist schief gewickelt, denn der Sound der Leipziger Band ist deutlich näher an The Slits und den Talking Heads als an Schleimkeim (wobei die aus Stotternheim sind). Keiner der Songs überschreitet die drei Minuten, die meisten pendeln sich bei um die anderthalb ein, dennoch hat man hörbar Wert auf einen seriös gemischten Klang gelegt: Die Drums sind knackig und präsent, die Vocals an Stellen, an denen es sich lohnt, gut zu verstehen, Gitarre und Bass grenzen sich schneidend klar voneinander ab, anstatt genretypisch zu vermatschen. Die Aggression vermittelt sich hier nicht per durchgetretenem Zerrpedal, sondern durch die irren, punkuntypischen Schlenker, welche die Gitarre spielt, außerdem natürlich durch die im Stil der späten Siebziger herausgebellten Texte (»Der Opa bei der Wehrmacht / der Job was mit Kultur«, »Das Bratenthermometer auf 88 Grad«). Meistens schnell, manchmal schleppend, immer hellwach und mit einer klaren Haltung in Stil und Inhalten beweisen Diensthund mit »Horizont aus Draht«: Man kann eben Faschos aufs Gesicht steigen und trotzdem Ästhet sein. Kay Schier

Martin Steuber

Martin Steuber

And I play Guitar

And I play Guitar

Der Leipziger Gitarrist Martin Steuber präsentiert hier eine spannende Mischung zeitgenössischer Positionen für sein Instrument. Allesamt reflektieren diese Werke traditionelle Spielweisen des Zupfinstrumentes und versuchen andererseits, neue Klangfacetten der Gitarre auszuloten. Mit Berios »Sequenza XI« von 1987/88 und »Tellur« von Tristan Murail aus dem Jahr 1977 – zwei Klassikern der Avantgarde-Gitarrenliteratur – hat Steuber alle Möglichkeiten, seine Kompetenz bei der Realisierung aufwendigster komplexer Partituren zu demonstrieren und seine Virtuosität unter Beweis zu stellen. Sein gutes Timing und ein feines Gespür für die Gestaltung von Übergängen sind bemerkenswert. Stefan Beyers »Clair de lune« entstand 2021 auf Anregung des Interpreten. Während ein Zuspiel mit Sinustönen sich mit den akustischen Klängen der Gitarre vermischt, erinnert diese, hier mit dem Bogen gestrichen, kaum noch an sich selbst. Im Gegensatz zu Debussys gleichnamigem zartschwebendem Klavieropus entsteht hier eine abenteuerliche Klangwelt zwischen teils schneidend aggressiver Schärfe und überraschender Statik. Einen Ausflug in hochkomplexe Mikrotonalität gibt es mit Michael Quells »Momentaufnahmen/Caprichos – Reflexionen zu Goya … und darüber hinaus …«. Inmitten dieser aufgeregten Exzesse zeitgenössischer Kleinteiligkeit laden dann Gregor Forbes »Diffuse Planes« von 2021 regelrecht zum kontemplativen Zuhören ein. Er arbeitet mit besonderer Stimmung des Instrumentes und erzeugt Klangräume mit homogenen, repetitiven Strukturen aufgebrochener Akkorde. Ein abwechslungsreicher Parcours mit einigen Überraschungen. Anja Kleinmichel

Dirty Dishes / Frau Lehmann

Dirty Dishes / Frau Lehmann

Gewäsch

Gewäsch

Na, Bock auf einen Deep-Dive in Esoterikgewässer? Wie ein roter Faden schlängelt sich das Thema »Naturheilquelle« flussaufwärts durch die EP »Gewäsch« von Dirty Dishes aka Jan Müller und Rasmus Engler sowie dem Leipziger Quartett Frau Lehmann. Gleich der Titel sagt ganz charmant: Es geht nicht einfach nur um Wasser, sondern auch um nicht ernst zu nehmendes Gesabbel. In sechs (kurzen) Stücken, insgesamt kaum 15 Minuten, verhandeln sie Wasserfilter, rechtsdrehendes Urwasser und den Naturheilkundler Johann Christian Senckenberg – also alles, was das Esoteriker-Herz höher schlagen lässt. Sie sagen dabei sehr bestimmt »Urwasser – Nein!«, tun dies aber auch so charmant-freundlich, dass kein mahnender Zeigefinger befürchtet werden muss. Mit der Dirty-Dishes-typischen Freude an musikalischen Dada-Collagen experimentiert das Projekt um Jan Müller und Rasmus Engler auch auf »Gewäsch«. Sie basteln Stücke aus Rezitationen und Sprechgesang, untermalt von Hall und Verzerrungen. Ein absolutes Match ist das mit dem Pop-Faktor, den Frau Lehmann mitbringen. Immer mit dabei sind auch die smarten Wortspiele, die schon im Titel der EP aufblitzen. Da ist noch der Tintenfisch, der mit Löschpapier vielleicht ruhig zu stellen ist. Oder die Überlegung, sich mal flussaufwärts gegen den Strom treiben zu lassen. Ein Schelm, wer nur Dada dabei denkt. Diese Form der kritischen Diskussion ist doch eine sehr adäquate Alternative zum Rumgetrolle im Internet. Kerstin Petermann

Kreidler

Kreidler

Twists (A Visitor Arrives)

Twists (A Visitor Arrives)

Manchmal ist ein Mythos nur schwer zu eliminieren. So im Falle Düsseldorfs, das nicht nur (wenigstens inoffizielle) Bundeshauptstadt der Schönen und Reichen ist, sondern seit den frühen siebziger Jahren auch als mythisches Epizentrum elektronischer Klangkunst gilt. Genährt haben den Mythos einst Pioniere wie Kraftwerk, La Düsseldorf und Neu!. Seit den frühen Neunzigern schließt daran das Düsseldorfer Trio Kreidler an, das jüngst mit »Twists (A Visitor Arrives)« sein sechzehntes Album veröffentlicht hat. Im Vergleich zu seinem Vorgänger »Spells and Daubs« richtet es dabei wieder einen stärkeren Fokus auf akustische Elemente. Überaus groovig steigt die Band mit den beiden ersten Tracks »Polaris« und »Tanger Telex« ein. Letzteres bereichert Timucin Dündar mit spärlichen Saxofon-Melodien, der in dem Track die aktuelle Besetzung um die beiden Gründungsmitglieder Thomas Klein und Andreas Rehse sowie Alexander Paulick ergänzt und damit einer von vier Gastmusikern auf der Platte ist. Ähnlich rhythmisch, aber weniger düster geht es hingegen in »Loisaida Sisters« zu, das mit Gastvocals von Khan of Finland aufwartet und mitsamt nervösen Sequenzer-Spuren und vertrackten Rhythmen Erinnerungen an New-Wave-Bands wie Heaven 17 oder Depeche Mode erweckt. In »Hopscotch« unterstreicht Kreidler hingegen einmal mehr die geniale, von den Kraut-Ahnen adaptierte Fähigkeit, mittels stoischer Wiederholung eines einzigen musikalischen Themas sukzessive trance-artige Gemütszustände herbeizuführen. Der Mythos Düsseldorf lebt. Luca Glenzer

Elfyn

Elfyn

Anam Cara

Anam Cara

Ein starkes A-cappella-Stück: Mit »Endings Beginnings« eröffnet die Leipziger Musikerin und Sängerin Theresa Elflein aka Elfyn ihr Debütalbum. Der klangvolle Name »Anam Cara« birgt einen Seelenfreund – zumindest, wenn man sich bemüht, die keltische bzw. irische Redensart zu übersetzen. Dass Musik verbindet, ist längst bekannt. Elfyn meint aber, sie singe Oden an die Freundschaft – mit dem Mittel elektronischer Klangflüsse. Ihre Synthesizer-Melodien plätschern bisweilen, sie wallen, sprudeln und erfrischen ungebremst. Insbesondere »Own it« ist ein taffer Ohrwurm, der den warmen, kraftvollen Klang von Elfyns Stimme offenbart – und der Track nimmt einen an die Hand, um die Zeile »your good Intentions are the end of me« gleich mitzusingen. Hier und da vermag sich der tanzbare Sound mit Retro-Charme zu verbinden. Und in diesen Momenten fällt es auch nicht schwer zu glauben, dass die Künstlerin während der Produktion ein paar Madonna-Stücke gehört hat. Auf diese Pop-Wucht folgt das hinreißende George-Harrison-Cover »Isn’t it a Pity«. Synthies und Gesang winden sich verträumt ineinander und gehen eine zauberhafte Symbiose ein. Dass die Platte auf das verbindende und stärkende Element der Freundschaft setzt, wird von dem Hidden Track zum Ausklang des vielseitigen und sehr hörenswerten Debüts einmal mehr untermauert: »Das Buch der Liebe ist voller Musik« ist eine der Zeilen, mit denen das schwelgerische Album ausklingt. Claudia Helmert

Endless Wellness

Endless Wellness

Was für ein Glück

Was für ein Glück

»Ich möchte kein Eisbär sein, ich möchte eine Zukunft« – auf alle Fälle ein heißer Kandidat für die beste Songzeile des Jahres. Mit ein paar Worten einfach mal Klimakrise und die zugehörigen Zukunftsängste auf den Punkt gebracht, und im gleichen Atemzug auch noch fix mit der Elterngeneration abgerechnet (die damals zum NDW-Hit von Grauzone ja noch reichlich unbekümmert mitsingen konnte). Anyway. Die Zeile oben stammt jedenfalls aus dem Song »Danke für Alles« der österreichischen Indie-Newcomer Endless Wellness. Die haben gerade ihr Debütalbum »Was für ein Glück« vorgelegt, und das ist tatsächlich ein kleiner, unerwarteter Glücksfall für die deutschsprachige Poplandschaft. Zu einer recht ungestümen Schrammel-Fuzz-Punk-Indie-Folk-Pop-Mische singen Endless Wellness darauf über die eigenen (mal desolaten, mal hoffnungsvollen) Zustände sowie das große Ganze dahinter; über kaputte Nasenscheidewände und Geralt von Riva, über Potenzstörungen, goldene Genitalien oder darüber, keine Kinder mehr kriegen zu wollen. Ehrlich und verletzlich, ohne kitschig zu werden, witzig und selbstironisch, ohne gleich in der Ironie-Hölle zu stranden. Musikalisch präsentiert sich das Quartett aus Wien stellenweise noch etwas unausgegoren, aber darüber lässt sich dank charmanter Kaputtheit und lyrischem Esprit gerne hinweghören. Yannic Köhler

Real Estate

Real Estate

Daniel

Daniel

Fünfzehn Jahre flirrende Gitarrenlinien, sonnengetränkter Gesang und subtiles Rocken. Dass man schon als junger Mensch in seinen Zwanzigern großer Fan von Nostalgie sein kann, haben Sänger Martin Courtney und seine Mitstreiter bereits mit ihren ersten Platten hinlänglich bewiesen. Diese Attitüde haben sie glücklicherweise durch die Jahre gerettet. Ihr neues Album »Daniel« ist passenderweise eine gelungene Zusammenfassung ihrer Karriere. Der Opener »Somebody new« schmeckt wunderbar nach den folkigen amerikanischen Sechzigern und Siebzigern und wird zusätzlich mit Streichern verfeinert, die sich im Frühwerk der Band nicht finden. »Water Underground« groovt und kickt, was das Zeug hält. Für Real-Estate-Verhältnisse wohlgemerkt. »Airdrop« referiert auf ihr Faible für die Achtziger, dem die Musiker insbesondere auf ihren letzten beiden Alben frönten. Produzent Daniel Tashian aus Nashville, der sonst auch Mainstream-Country wie Kacey Musgraves herausputzt, hat seinen Teil dazu beigetragen, dass »Daniel« luftig, organisch und smooth daherkommt und auf leisen Pfoten unser Herz erobert. Ihr Meisterwerk »Atlas« von 2014 werden Real Estate in diesem Leben wohl nicht mehr toppen, »Daniel« ist allerdings ganz dicht dran. Kay Engelhardt

Take 3

Take 3

Werke von Francis Poulenc, Béla Bartók, Paul Schoenfield

Werke von Francis Poulenc, Béla Bartók, Paul Schoenfield

Patricia Kopatchinskaja beweist hier neben ihrem atemberaubend lebendigen Geigenspiel wieder ihren Sinn für lebendige, zeitgemäße Programmzusammenstellungen mit intelligenter Dramaturgie. Thema ihrer neuen Aufnahme ist das »Zu dritt zu spielen«. Dafür hat sie Trios von Francis Poulenc, Béla Bartók und dem amerikanischen Komponisten Paul Schoenfield (geb.1947) kombiniert. Das verbindende Element dieser Komponisten ist die Synthese verschiedener Stile. Ist es in Bartóks »Kontrasten« seine Vorliebe für traditionelle Musik, die er in ein universelleres, vom Jazz beeinflusstes Werk verwandelte, so ist es bei Poulenc die bunte Welt des Paris der Goldenen Zwanziger. Jeder der Sätze von Schoenfields Trio basiert auf einer osteuropäischen chassidischen Melodie. Die Werke erklingen dabei nicht immer am Stück. So werden die Teilchen der Bühnenmusik »L’invitation au château« von Poulenc wie kleine zerbrechliche Miniaturen intermezzohaft eingestreut. Ihre scheinbar hingehauchte nostalgische, etwas irreguläre Eleganz ist ein Pol der Aufnahme. Der andere manifestiert sich im letzten Stück, einem Klezmer-Tanz von Șerban Nichifor. Gespielt in überbordender energetischer Verausgabung und Klangfülle werden hier Grenzen einer Studioaufnahme gesprengt und das »Außen«, die Welt, hereingelassen. Hochartifizielle Interpretationen von Kopatchinskaja gemeinsam mit dem Klarinettisten und Improvisator Reto Bieri und Polina Leschenko am Klavier. Anja Kleinmichel

Idles

Idles

Tangk

Tangk

Schluss mit dem reinen gutturalen Spoken-Word-Style! Auf der neuen Platte beweist uns Joe Talbot, dass er fleißig beim Gesangsunterricht war und dass er – wie man bereits in »Crawler« vorab hören konnte – den einst eher aggressiven Idles-Sound auch schön soulig machen kann. Aufgrund dieser Behauptung aber zu glauben, dass das fünfte Album der Band aus Bristol lediglich aus samtigen Songs bestehen würde, wäre schmerzhaft falsch. Vielmehr ist es ein Kompromiss zwischen energetischem Post-Punk, elektronischem Alternative-Rock und Klavierballaden mit einem Hiphop-Zwinkern. Zu dieser Symbiose hat sicherlich die Tatsache beigetragen, dass Kenny Beats (Denzel Curry, Vince Staples, Benee), Nigel Godrich (Radiohead, The Smile, Beck) und der Idles-Gitarrist Mark Bowen das Album gemeinsam produzierten. Und darum fehlt es »Tangk« wahrscheinlich auch etwas an der Kohäsion, die in den vorherigen Platten maßgebend war. Dafür sind auf dem Album eine Menge Loops, Effekte, Keys und sogar Blasinstrumente zu hören, die überraschen. Ebenfalls anders an dem Album ist sein Narrativ, das primär von Liebe und eben nicht von Wut handelt, auch wenn der Sänger nicht vergisst, wiederholt »fuck the King« zu sagen. In der Tat benutzt Talbot hier das Wort »love« 29 Mal und lotet das Gefühl durch Themen wie Dankbarkeit, Sex, Herzschmerz, Vaterschaft und das Besingen eines fliehenden Pferdes im Ballettröckchen aus. »Look at him go!«, schreit er – und die Gitarren legen los. Libia Caballero Bastidas

Earth

Earth

Earth 2.23: Special Lower Frequenz Mix

Earth 2.23: Special Lower Frequenz Mix

1993 legten Earth ihr Album »Earth 2: Special Lower Frequency Version« vor, einen Geniestreich schwermetallener Entschleunigung nach der Formel Halfspeed-Slayer go La Monte Young – breitenwirksam wahrgenommen im Grunge-Overkill der damaligen Zeit. Drei Dekaden später springen nun zur Tribut-Wiederveröffentlichung ausgesuchte Klangkünstler in den walzenden Soundlavastrom, der noch immer oder gar umso besser als dystopische Dunkeldrone-Drohung des Zeitgeists passt, und präsentieren »Special Lower Frequency Mix«-Versionen. Justin K. Broadrick, dessen Referenzbogen von Napalm Death bis Godflesh und von dort zu Dub oder Techno geht, marschiert dabei straff und unbarmherzig, während Robert Hampson, bekannt von Loop und Main, und das Built-to-Spill-Mitglied Brett Netson den Magma-Marathon gehen, voll zu erfahren nur im Digitalformat. Auf dem der Kühlkriech-Beitrag von Kevin Richard Martin sogar reduziert bleibt, der allerdings als The Bug mit dem Wortflammenwerfer Flowdan eine einschlagende Death-Dancehall-Version einwirft, die allein schon die Anschaffung als Vinyl lohnt. Zwecks Rewind! Alexander Pehlemann