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Rezensionen

Fall of Porcupine

Fall of Porcupine

Entwickler: Critical Rabbit, Publisher: Assemble Entertainment, Plattform: PC, Switch, Playstation, Xbox, Preis: 20 €

Fabeln bergen tiefere Wahrheiten. Wenn zum Beispiel die Frettchen-Patientin im Krankenhaus mehr Schmerzmittel haben möchte, sie nicht bekommt und dann zur Arzttaube sagt: »Mein Hausarzt ist da lockerer als Sie«, dann ist das definitiv wahr, ein Satz aus der Wirklichkeit. In Videospielen aber war er bisher eher nicht zu hören. Denn das ist eine traurige Wahrheit über Videospiele: Viele von ihnen wollen etwas erzählen, nehmen die Herausforderung aber nicht so richtig ernst und scheitern am Versuch. Deswegen ist »Fall of Porcupine« ein Glücksfall. Ein Kölner Studio mit Filmerfahrung macht ein narratives Spiel, das von seinem Drehbuch lebt. Die Dialoge des Spiels klingen von der furchteinflößenden Frau am Empfang bis zur letzten Traumsequenz lebensecht, wie aus der Kneipe abgeschrieben. Und die Geschichte dazu ist wunderbar menschlich: Eine Taube kommt als frischgebackener Arzt in die Kleinstadt, freundet sich mit Kühen und Widdern an, quatscht sich durch die halbe Stadt, zweifelt an Sinn und Richtigkeit des Berufswunsches und meistert zahlreiche Herausforderungen des Alltags in Minispielen. Insider wissen: Das gab es natürlich schon. Der Indie-Hit »Night in the Woods« ist das offensichtliche Vorbild und auch ein melancholisches Erzählspiel über Provinz und Erwachsenwerden. »Porcupine« bedient sich bei der Form, aber es erzählt seine eigene Geschichte, die von ihren witzigen und wahren Dialogen lebt. Jan Bojaryn

Star Wars Jedi: Survivor

Star Wars Jedi: Survivor

Entwickler: Respawn, Publisher: Electronic Arts, Plattform: PS5, Xbox Series S/X, PC, Preis: 80 €

Das Abenteuer beginnt in Coruscant, im Zentrum der Galaxis. Sicher, die Hauptstadt des Imperiums beeindruckt durch ihre brutalistische Architektur, aber wohnen will man hier nicht. Deshalb ist es gut, dass Cal Kestis nach gut einer Stunde Klettern, Hopsen, Laserschwertschwingen und einem ersten kämpferischen Höhepunkt im Duell mit der Neunten Schwester die Flucht gelingt und er sich nach der obligatorischen Bruchlandung auf Jedha wiederfindet. Dort trifft er auf viele seiner Weggefährten, die schon »Fallen Order« ihren Reiz verliehen haben. Auch der Nachfolger lebt vor allem von seinen liebevoll zum Leben erweckten Charakteren – Jedi-Meister, Aliens mit Attitüde und natürlich Cals putziger Begleiter BD-1. Die lebendigen Dialoge trösten darüber hinweg, dass die Story von »Survivor« eigentlich ziemlich egal ist und der Protagonist nach wie vor das Charisma einer Wompratte besitzt. Da helfen auch keine Frisuren, Bärte und schränkeweise Outfits, die man in der nun wesentlich offeneren Welt entdecken kann. Im Kern ist »Survivor« ein gradliniges Action-Abenteuer, das vor allem im Nahkampf ausgefochten wird. Die Entwickler wildern dabei durch das Genre und reichern Aspekte von »Uncharted« oder »Zelda« mit den Weltraumreisen aus »Mass Effect« und »Soulslike«-Elementen an. Innovation geht anders, aber EAs Reihe lebt vor allem vom »Star Wars«-Flair und einem Universum, das weit größer ist als das Spiel selbst. Lars Tunçay

Humanity

Humanity

Entwickler: tha & Enhance, Publisher: Enhance, Plattform: PC, Playstation, Preis: 30 €

Menschen sind in den meisten Fällen zu wenig oder zu viel. Das hängt vom Kontext ab: Abozahlen, ökologische Fußabdrücke, Demonstrationen. Eine besondere Leistung von »Humanity« ist, dass es sich wie ein Kommentar auf all das anfühlt, wie ein Schritt auf eine Meta-Ebene, aber gleichzeitig auch wie lustvoller, banaler Unsinn. Vielleicht stimmt beides. Wer sich an den Amiga-Klassiker »Lemmings« erinnert, erkennt die Spielidee schnell wieder: Statt kleiner Nagetiere ergießen sich hier Menschenmassen durch ein Portal und müssen durch abstrakte Levels an tödlichen Gefahren vorbei zu einem sicheren Exit gelotst werden. Doch statt per Mauszeiger wandern wir diesmal mit einem übernatürlichen Hund durch den Parcours. Der leuchtende Shiba-Inu wird mit dem Joystick gesteuert, und wo er steht, kann er Anweisungen hinterlassen. Sollen die Menschenmassen abbiegen, springen, sich aufteilen? Wie durch einen Flippertisch werden sie zur rettenden Lichtsäule gelotst. Spätestens, als sie gegen ominöse graue »Andere« kämpfen sollen, klingt eine diffuse Form von Gesellschaftskritik an. Wo sie hinführt? Das ist eine interessante und nicht ganz eindeutig geklärte Frage, verpackt in ein faszinierendes Action-Puzzle. »Humanity« macht beim Denken gute Kopfschmerzen und es hypnotisiert beim Hingucken. Nur beim Spielen wird es leider umständlich, weil es Präzision und Überblick verlangt. Von einem Hund im Getümmel. Jan Bojaryn

Half-Life 2

Half-Life 2

Der Klassiker

Er hatte etwas Schmuddeliges, dieser fette »Unzensiert«-Schriftzug auf dem Gamestar-Cover vom Juli 2003. Als 13-Jähriger kam ich an diese Ausgabe leider nicht heran. Abo-exklusiv war sie, und nur zusammen mit einem Perso gab’s das Heft via Post. So wurde mir und Tausenden anderen Jugendlichen mehr als zehn Minuten Videomaterial von »Half-Life 2« vorenthalten. Mein damaliges Fazit: Verdammt leckere Melone. 2003 war dieses Jahr, als die jährliche Spielemesse E3 in Los Angeles in vollem Saft lag. Videostreams waren noch hakelig, weshalb Journalisten aus der ganzen Welt dorthinpilgerten. Da gab es das gar nicht mal so tolle »Doom 3«, das richtig tolle »Rome – Total War« und natürlich »Half-Life 2«. Messedemos haben mit dem fertigen Spiel ja oft nur wenig zu tun. Das musste bei Valves Shooter auch so sein, denn diese technische Finesse ist auch heute unerhört: Holzbretter zerbrachen genau an der Stelle, auf die der Spieler feuerte, die Gravity-Gun riss Heizkörperrippen aus der Wand und pfefferte sie in die Visagen fieser Gegner. Und dann war da ja noch diese Melone, die nach einem Schuss in Tausende Teile zerspratzte. 2023 ist die E3 ausgefallen und findet womöglich nie wieder statt. Vielleicht gibt sich Valve für »Half-Life 3« auch mit der Gamescom zufrieden. Denis Gießler

Lovers in a Dangerous Spacetime (2015)

Lovers in a Dangerous Spacetime (2015)

Aberwitzige Ideen für kooperative Spiele gibt es viele, aber diese ist besonders zeitlos. In einem zweidimensionalen Universum droht die Anti-Liebe, alles zu zerstören. Aus irgendeinem Grund retten wir alles, indem wir quer durch den Äther eingesperrte Häschen befreien. Gereist wird in einem kreisrunden Raumschiff, wir sehen die Gänge und Leitern im Querschnitt. Jede Spielerin und jeder Spieler wuselt als Männlein in dem Schiff herum und besetzt je nach Bedarf eine der Stationen. Doch es gibt immer zu viele Stationen; es gibt Schusswaffen, Superlaser, Schutzschild, Karte, Antrieb – so fliegt das Raumschiff durch ein Weltall voller trügerisch süßer Monster, heißer Asteroiden, tödlicher Laserkanonen und viel zu enger Gänge. Der übersüßte Stil passt auf paradoxe Weise zu einem Spiel, in dem der Tod unerbittlich ist, frustrierend und bonbonfarben. Aber die Metapher passt. Die Liebe ist ein Schmelztiegel. Wer hier eine der Kampagnen durchspielt, ohne zu scheitern und ohne zu schreien, der stellt womöglich nachher fest, dass er den Rest der Crew wirklich heiraten sollte. Perfekt ist die Überforderung zu zweit; mit drei bis vier Spielern wird es dagegen vor allem laut. Der kleine Indie-Hit hat eine ganze Welle chaotischer, kooperativer Spiele mit angeschoben. Jan Bojaryn

Resident Evil 4

Resident Evil 4

Entwickler/Publisher: Capcom, Plattform: PS4, PS5, Xbox Series X, PC, Preis: 69,99 €

Capcoms Remakemaschine hat sich für den japanischen Konzern bisher ebenso ausgezahlt wie für die Spielerinnen und Spieler. Die Neuauflagen der »Resident Evil«-Teile 2 und 3 sind durchdachte Neuinterpretationen, die mehr auf dem Kasten haben als auf Hochglanz polierte Grafiken. Vielmehr verstehen es Capcom, das Gameplay an die Gewohnheiten heutiger Spieler und Spielerinnen anzupassen, ohne dabei Fans zu verprellen. Der vierte Teil stellte nun eine besondere Herausforderung dar: zum einen, weil die Fans von damals mit besonders wohligem Schauer an das Debüt auf dem Game-Cube zurückdenken, zum anderen, weil dieser Teil mit Genretraditionen brach und den Grundstein für die Zukunft der Serie legte. Das äußert sich zunächst einmal darin, dass hier zum ersten Mal Echtzeit-Grafiken zum Einsatz kamen und die vorberechneten Hintergründe der Vorgänger Geschichte waren. Außerdem wandten sich die Entwickler um Shinji Mikami von der diabolischen Umbrella-Company ab und servierten statt einer cheesy Zombie-Schlachteplatte okkulten Sekten-Horror. Vieles von dem, was damals neu war, findet sich heute zum Beispiel im aktuell letzten Kapitel der Serie »Resident Evil Village« wieder. Für das Remake polierten die Entwickler daher vor allem die Grafik und gestalteten die Monster neu. Unzeitgemäße Quicktime-Events sind Vergangenheit, Präsidententochter Ashley Graham ist endlich nicht mehr ärgerliches Anhängsel, sondern ein selbstständiger Sidekick. Die Fans danken es: Das Remake verkaufte vier Millionen Exemplare allein in den ersten zwei Wochen – deutlich mehr als das Debüt vor 22 Jahren. Lars Tunçay

The Last Worker

The Last Worker

Entwickler: Oiffy, Wolf & Wood, Publisher: Wired Productions, Plattform: PC, PCVR, PS5, PSVR2 u.a., Preis: 20 €

Roboter ersetzen Menschen. In diesem Szenario wirkt es nicht einmal mehr wie Science-Fiction: Ein Firmenchef mit Messias-Komplex automatisiert im größten Warenlager seines Versandhandels nach und nach alle Jobs, bis nur ein letzter, schmerbäuchiger Bartträger in einer Art fliegender Sackkarre übrigbleibt. Und auch er muss mit zuverlässiger Performance um seinen Job kämpfen. Beim Onlinegiganten Jüngle wird nicht getrödelt. »The Last Worker« ist zuerst eine bittere Satire auf die Überflüssigmachung des Menschen. Paradoxerweise macht der Job des letzten Menschen durchaus Laune. Kurt muss in seinem mit Wimpeln und Fotos behängtem Gefährt durch die Labyrinthe des Lagerhauses düsen, Pakete identifizieren, abliefern, Fehler markieren, entsorgen, aber schnell: Das geht alles auf Zeit, und am Armaturenbrett leuchtet der aktuelle Performancescore für den Tag. Das Spiel hat aber deutlich mehr vor, als Lagerarbeit zu gutem Arcade-Futter umzudefinieren. Die Erzählung macht es komplexer. Sie fragt, was wir konkret gegen die Misere tun wollen. Renommierte Schauspieler bringen Leben in die wenigen Rollen und erzählen eine interessante Geschichte vom Kampf gegen ein Schweinesystem. Wem das am Bildschirm nicht beklemmend genug ist, der kann das Spiel auch per Virtual-Reality-Brille spielen und sich in einer sauber entwickelten, vollumfängliche Lagerhaushölle verirren. Jan Bojaryn

Untitled Goose Game (2019)

Untitled Goose Game (2019)

Der Klassiker

Mit süßen Tieren ist es ja so eine Sache: Sie können noch so viel Mist bauen, am Ende sind wir ihnen doch nicht böse. Nein, auch dann nicht, wenn sie acht Kilogramm wiegen, aus weißen Federn bestehen und lauthals in der Gegend rumhupen. Ja, Hausgänse hupen, und das im »Untitled Goose Game« sogar ziemlich oft. Ansonsten müssen wir aber ähnlich unauffällig agieren wie der glatzköpfige Killer 47 aus der »Hitman«-Reihe. Dabei legen wir aber niemanden um, sondern beißen anderen in den Po. Als ebenjene Gans entwenden wir in einer englischen Kleinstadt allerlei Gegenstände mit unserem Schnabel. So lenken wir im ersten Level einen Bauern ab, indem wir seinen Garten einmal kräftig durchpflügen. Dazu öffnen wir Wasserhähne, ziehen Möhren aus der Erde – ach, und diese Kürbisse rollen aber auch schön –, pfeffern Radios in Teiche und horten Marmelade, Kaffee und Körbe auf einer Picknickdecke. Wahrscheinlich, weil Gänse halt gerne horten. Der Legende nach entstand die Spielidee, als die australischen Entwickler ein Gänsebild in Slack posteten. Für einen zweiten Teil gebe es derweil genügend Stoff. Forschern zufolge lebten vor etwa acht Millionen Jahren in Down Under gigantische Ur-Gänse, die etwa eine halbe Tonne wogen. Was würden wir für einen Tygansosaurus-Rex-Simulator geben. Denis Gießler

Dead Space

Dead Space

Entwickler: Motive-Studios, Publisher: Electronic-Arts, Plattform: PS5, Xbox Series X, PC, Preis: 70 €

Im Jahr 2008 war der Markt für Horrorspiele weitgehend in japanischer Hand. Da kam der damals führende westliche Publisher Electronic-Arts mit einem Titel daher, der das Genre grundsätzlich umkrempelte. Der Erfolg des ersten Teils war zwar noch recht überschaubar, aber spätestens bei »Dead Space 3« war die Erwartung an einen neuen Serienteil hoch. Erfüllen konnte sie Teil drei allerdings nicht. Fans der Serie bemängelten, dass sich die Entwickler zu weit vom ursprünglichen Survival-Horror-Ansatz entfernt hatten. Dabei ist schon der Auftakt der Serie, bei der sich Glen Schofield deutlich von Ridley Scotts Sci-Fi-Klassiker »Alien« inspirieren ließ, deutlich actionlastiger, als ihn die meisten in Erinnerung haben werden. Seine Stärke liegt jedoch in der Atmosphäre an Bord der Ishimura, den flackernden Monitoren, dem flirrenden Neonlicht in den unzähligen Gängen durch die Eingeweide des Schiffs und vor allem der herausragenden Soundkulisse aus Flüstern und Schreien. All das ist nun im Remake mit einer enormen Liebe zur Vorlage angefasst und auf zwölf gedreht worden. Die Monster sind noch ekliger, die Waffen haben mehr Wumms und Fans des Originals werden viele sinnvolle Änderungen entdecken, durch die sich das Spielerlebnis tatsächlich frisch anfühlt. Und im direkten Vergleich zu Schofields vor wenigen Monaten erschienenem Selbstzitat »The Callisto Protocol« wiegen dessen Defizite umso schwerer. Lars Tunçay

Tchia

Tchia

Entwickler: Awaceb, Publisher: Kepler Interactive, Plattform: PC, Playstation, Preis: 30 €

Unsere Geschichten brauen sich zusammen wie Gewitter. Konflikte spitzen sich zu. Das tun sie halt, das wirkt fast alternativlos. Wenn keine Widersacher hinter uns herjagen, warum stehen wir dann überhaupt auf? »Tchia« hat auch einen Konflikt, aber es lässt sich davon nicht die Laune verderben. Ukulele gespielt wird trotzdem. Das Action-Adventure erstreckt sich über fiktive Inseln, inspiriert von Neukaledonien im Pazifischen Ozean. Das Entwicklerstudio hat Wurzeln in der Region, Musik und Dialoge im Spiel kommen von Einheimischen. Und auch, wenn es in dem Spiel gegen unheimliche Stoffwesen geht, wenn Tchias Vater entführt wurde und ein Bösewicht im Himmel thront: So warm und freundlich hat sich selten ein Spiel angefühlt. Gegen »Tchia« wirken zahllose gemütlich gemeinte Titel der letzten Jahre stressig. Tchia erkundet die Welt, freundet sich mit allen an und besitzt berauschende Spezialkräfte. Sie kann nicht nur klettern, tauchen, Boot fahren, mit der Fletsche schießen, sich von Palmen in die Ferne schleudern und aus jeder Höhe mit dem Gleitschirm herabsegeln – sie kann auch in den Geist vieler Lebewesen und Gegenstände hineinspringen. Praktisch ist es, als Fisch an der Küste entlangzusausen oder als Vogel über die Klippen zu segeln. Aber vielleicht am grandiosesten sind all die Möglichkeiten, ganz andere Körper zu entdecken. Als Kokosnuss an einem zauberhaften Strand entlangrollen: Das ist überraschend, witzig und schön. Jan Bojaryn

Metroid Prime (2002)

Metroid Prime (2002)

Niemand spricht, wenn Samus Aran die Szene betritt. Die Kopfgeldjägerin ist seit 1986 der Star der Metroid-Serie und eine der wichtigsten Heldinnen des Mediums. Samus stöbert durch Ruinen, erkundet außerirdische Labyrinthe und tritt monströsen Schrecken entgegen. Die Serie hat viele Klassiker hervorgebracht, aber diesen hier halten viele Menschen immer noch für eines der besten Videospiele aller Zeiten: »Metroid Prime« schlug Ende 2002 auf der unterschätzten Spielekonsole Gamecube ein und wirkte in der Spieleszene wie ein furchteinflößender Fremdkörper, wie ein Gymnasiast unter Grundschülern. »Metroid Prime« sieht aus wie ein Egoshooter, ist aber eher ein Ego-Adventure. Samus muss auch kämpfen, doch vor allen Dingen muss sie ihren Weg durch überwucherte Dschungel, Lavahöhlen und Minen finden. Viel Spielzeit geht ernsthaft beim Drehen und Wenden der komplexen 3-D-Karte drauf. Unzählige Geheimnisse verstecken sich in der Welt. Das Geballer ist dagegen eher ein Nachgedanke. Jetzt ist ein Remake von »Metroid Prime« für die Nintendo-Switch erschienen, und es wirkt auch heute noch modern. Ego-Adventures sind inzwischen eine riesige Nische. Aber so stimmungsvoll und aufregend wie dieser Alien-Planet sind auch im Jahr 2023 nur wenige. Jan Bojaryn

Season – A Letter To The Future

Season – A Letter To The Future

Entwickler/Publisher: Scavengers Studio Plattform: PS4, PS5, PC, Preis: 24,99 €

Was bleibt von uns, wenn wir einmal nicht mehr da sind? Welche Spuren werden die Menschen hinterlassen, wenn ihre Zeit gekommen ist? Die Welt von »Season« wirkt fremd und doch seltsam vertraut. Einst war sie eine Welt des Fortschritts, doch ein Krieg hat sie verändert. Jetzt sind die Skelette der Kräne und Bauten von Grün überwuchert und die Erinnerungen an ihren Zweck verblassen. Estelle kennt die Welt, wie sie einst war, nur aus den Geschichten der Alten. Die junge Frau wuchs in dem Bergdorf Caro auf. Ein mysteriöser Heiler namens Dr. Fumio errichtete die Kommune, um die Einwohnerinnen und Einwohner zu schützen. Zumindest sagen das die Aufzeichnungen. Die Grenze zwischen Wahrheit und Propaganda verschwimmt überall in der Welt von »Season«. Die titelgebende Jahreszeit endet und markiert einen Wandel in der Entwicklung der Menschen. Wird sie alle auslöschen oder sind die apokalyptischen Prophezeiungen nur eine Erfindung der »Grauen Hände«, einer Organisation, die über das Tal wacht? Estelle bricht auf, um die Erinnerungen der letzten verbliebenen Menschen aufzunehmen, zu dokumentieren, was ist – für die, die kommen. Ein Brief an die Zukunft. Mit ihrem Fahrrad radelt sie durch wunderschöne Landschaften in Cellshading-Look. Die spielerischen Elemente halten sich in Grenzen – »Season« vertraut voll und ganz seiner Geschichte, die von liebenswerten Charakteren in gut geschriebenen und vertonten Dialogen erzählt wird. Ein liebevoll gestaltetes melancholisches Märchen in den satten Farben des Sommers. Lars Tunçay

Forspoken

Forspoken

Entwickler: Luminous-Productions, Publisher: Square-Enix, Plattform: PS5, PC, Preis: 79,99 €

Ein Ort der Fantasie, ein magisches Reich, ganz wie im »Zauberer von Oz« malt »Forspoken« auf den Bildschirm – da könnte der Prolog nicht gegensätzlicher sein. Die junge New Yorkerin Frey findet sich in einem Gerichtssaal wieder. Die Anklage: schwerer Diebstahl. Die Richterin gibt der Wiederholungstäterin eine letzte Chance und verdonnert sie zu Sozialstunden. Freys Hoffnungen, einen Weg aus der Kriminalität zu finden und neu zu starten, werden durch ein Feuer jäh zerstört. Schweren Herzens gibt sie ihren geliebten Kater ab und streunt ziellos durch die Straßen, als sie plötzlich einen seltsamen Armreif findet, der sie in eine andere Welt transportiert, in der Drachen den Himmel verdunkeln und eine seltsame Seuche alles zu zersetzen droht. Frey ist dagegen immun und so steht es ihr frei, die farbenprächtige Welt zu erkunden, wobei ihr der gesprächige Armreif zur Seite steht. Gegen die Kreaturen der Welt setzt sie sich mit Magie und flotten Parkour-Moves zur Wehr. Die offene Welt ist weitläufig und schön gestaltet, die Prämisse einer Großstadt-Alice ebenso vielversprechend wie die einer afroamerikanischen Heldin. Aus alldem macht »Forspoken« aber leider zu wenig. Statt auf seine Eigenheiten zu setzen, will der Titel der »Final Fantasy«-Macher in einer Open-World-Liga mit »God of War« und »Horizon« spielen. Dafür ist die Präsentation aber stellenweise zu unbeholfen, die Charaktere sind ebenso uninteressant wie die Aufgaben. Was bleibt, ist eine reizvolle Welt und viel ungenutztes Potenzial für einen möglichen Nachfolger. Lars Tunçay

Red Dead Redemption 2 (2018)

Red Dead Redemption 2 (2018)

Das Westernepos »Red Dead Redemption 2« ist ein langweiliges und veraltetes Spiel – zumindest, wenn wir seine Story-Missionen spielen. Als Arthur Morgan ballern wir uns wie auf Schienen durch Western-Canyons und Western-Städtchen. Zum Glück lässt uns »Red Dead Redemption 2« als Open-World-Spiel abseits der Aufträge in Ruhe. Dann offenbart es seine wunderschöne Natur und zeigt, wie schön »Nichtstun« in einem Spiel sein kann. Die Holzfällersiedlung Strawberry im Norden. Wir kaufen Konserven, Kaffee und einen Perkulator für die Wildnis und packen alles in die Satteltaschen. Nach ein paar Minuten hören wir nur noch das Rauschen des Flusses, ein Kaninchen hopst vorbei und flieht in seinen Bau. Wir steigen ab und stapfen durch den kargen Nadelwald. Nieselregen sickert in unseren Mantel, es ist saukalt. An einer Böschung rasten wir, das Lagerfeuer wärmt, Kaffee sprudelt aus dem Perkulator. Durch die Regenwolken schimmert die Sonne, dünne Fäden zerstäuben über dem Feuer. Irgendwo hier in der Nähe soll Klassikerein alter Bär sein Unwesen treiben. Der Pelz ist sicher eine Menge wert, dann könnten wir endlich mal wieder ein Vollbad nehmen. Aber ach, der Bär kann warten. Noch ein Schlückchen Kaffee, und dann schauen wir in den Sonnenuntergang. Denn die Regenwolken haben sich endlich verzogen. Denis Gießler

The Feast

The Feast

Entwickler: Sever Games, Publisher: Prismatika, Plattform: PC, Preis: gratis

Lügen können sprach- und orientierungslos machen. Sie können jeden Sinn einer geteilten Wirklichkeit zerstören. Wer das nicht am eigenen AfD-Onkel auf der nächsten Familienfeier nachvollziehen kann oder will, erlebt es hier: »The Feast« ist ein kurzes Kunstspiel des russischen Studios Sever. Wir spielen eine Tochter, die zum Festessen nach Hause kommt und eine virtuelle Theaterbühne betritt. Hier herrschen Schrecken und Verwahrlosung, ins Absurde überzeichnet. Der Bezug zur Lage in Russland, zu einer tabuisierten Krise bleibt implizit, aber er ist schwer zu übersehen. Das Grauen hängt in Form einer Leiche über der festlich gedeckten Tafel. Wie sag ich’s Mutti? In Minuten ist das interaktive Theaterstück durchgeklickt. Während die Welt um sie herum zerfällt, übertreffen die Anwesenden sich in einem Leugnungswettbewerb und heucheln Zuversicht. Es beginnt und bleibt so grotesk, dass es kaum als Satire durchgeht. »The Feast« zeigt einen schwer zu ertragenden, ins Surreale gesteigerten Zustand, um eine Reaktion zu provozieren. So deutlich die Symbolik ausfällt, so offen bleibt der Ablauf des Stücks. »The Feast« erzählt in wenigen Sätzen und fragt dabei laufend die Reaktionen der Protagonistin ab. Wie wir uns verhalten, ob wir Mutti zuliebe mitlügen, alles über den Haufen schmeißen oder uns irgendwie durchwurschteln, ist unsere Entscheidung. Es bleibt eine Zumutung; aber eine sehr interessante. Jan Bojaryn

High on Life

High on Life

Entwickler + Publisher: Squanch-Games, Plattform: PC, Xbox, Preis: 50 €

Egoshooter beschäftigen sich schon immer intensiv mit ihren Schusswaffen. Die Knarren bleiben stets am Bildrand sichtbar und irgendwann scheint es, als hätte jede Waffe ihre eigene Persönlichkeit. Deswegen ist die Grundidee von »High on Life« treffend – hier sind Waffen Aliens und pressen Geschosse aus dem Hintern, während sie die Person am Abzug nonstop frontal zuquatschen. Das klingt nicht nur wie eine Pointe aus »Rick and Morty« – es kommt wirklich von Justin Roilands Studio Squanch-Games. Sowohl in der Show als auch im Shooter ist Roiland Co-Autor und spricht gefühlte 60 Prozent aller Rollen. Kurz zum Spiel: »High on Life« ist ein kompetenter Shooter mit dem Charme eines Leihwagens. Er bringt den Witz zum Publikum. Das Spiel ist nicht schlecht, aber funktional. Wichtiger sind die Sprechrollen. Einige gute und bekannte Stimmen lauern im Arsenal. Doch vor allem Roiland zerquatscht mit elend vielen geschwätzigen Auftritten sein Spiel. Einerseits funktioniert das; der nihilistische, von allem ermüdete Humor der Fernsehserie wirkt im Spiel noch einmal neu. Außerdem reagieren viele Charaktere sehr dynamisch darauf, wer erschossen wurde, wer ausreden darf und ob das Gegenüber während des Gesprächs auf Regale klettert. Andererseits wird die schonungslose Witzigkeit anstrengend. Die ganze Galaxie ist dumm, breit, faul und geil. Wer das spielen will, stopft sich besser vorher einen Furgle in die Kopfklappe. Jan Bojaryn

Blade Runner (1997)

Blade Runner (1997)

Der Klassiker

Es lebte zwar noch, roch aber schon ein wenig muffig: das Adventure. Ende der Neunziger hatte es seine besten Jahre hinter sich. 1997 erschienen dann gleich drei Klassiker, die das Genre vorerst würdig verabschiedeten: die Reise mit dem Orientexpress in »The Last Express«, der zeitlose Comiclook von »Monkey Island 3« und »Blade Runner«, das zeigte, wie ein Spiel zum Film aussehen muss. Früh wussten die Westwood Studios, dass sie den Film nicht nacherzählen wollten, und erfanden einen eigenen Charakter. Als Ray McCoy machte man als »Blade Runner« Jagd auf Replikanten, also Androiden, die Menschen täuschend ähnlich sehen. Ein Großteil des Spiels war Detektivarbeit: Bewohner befragen, Beweise sammeln und mutmaßliche Replikanten verhören mit dem Voigt-Kampff-Test. Dabei stapfte der Spieler durch eine interaktive Filmkulisse: Knallbunte Neonschrift, die durch Tropfen aufblitzte und sich im Wasserfilm auf den Straßen spiegelte, fing zusammen mit einem Synthie-Soundtrack die Filmatmosphäre perfekt ein. Der Preis für Grafik und Sound waren vier CDs. Gern hätten die Entwickler Harrison Ford mit einem Gastauftritt dabeigehabt, doch dieser antwortete ihnen nicht einmal. 2019 erschien der Klassiker dann auch auf GOG, bald soll eine erweiterte Fassung folgen. Denis Gießler

Moncage

Moncage

Entwickler: Terri, Dose, Kitty and JW / Publisher: Devolver Digital / Plattform: PC, Switch / Preis: 15 €

Es gibt Spielideen, die sind so unerhört, so neuartig, dass eine herkömmliche Rezensionslänge kaum ausreicht, sie auch nur zu erklären. Aber bitte: »Moncage« präsentiert einen gläsernen Würfel, der mit dem Finger oder dem Mauszeiger hin und her gedreht werden kann. Jede Seite erlaubt den Blick in eine andere, dreidimensionale Welt. In jede dieser Welten kann der Finger hineintippen, um Dinge heranzuholen oder zu manipulieren. Das ist noch nicht die Spielidee. Wer es schafft, am eigentlichen Wesen der Gegenstände in diesem Würfel vorbeizuschauen, bis sie nur noch als geometrische Formen erscheinen, der erkennt irgendwann Gemeinsamkeiten: die Schreibtischlampe hier und der Kran da; die Kurbel am Schloss und das Pedal am Fahrrad dort. Nun muss der Würfel so gedreht werden, dass die ähnlichen Gegenstände sich zu berühren scheinen, und plötzlich tun sie es, auf magische Weise, durch die Welten hinweg. Auch das ist noch nicht die ganze Idee, aber wir nähern uns. Wenn die Gegenstände sich berühren, dann enthüllen sie in der Regel etwas. Die Welten verändern sich oder drehen sich weiter. Und aus den Metaphern der Rätsel, aus den Veränderungen, entwickelt sich eine überraschend düstere Geschichte. Geschafft! Idee erklärt! Tatsächlich fühlt sich so auch das Spielen an: Ein einziges Fragezeichen, durchzuckt von einem Blitz der Erkenntnis, wenn es fast schon zu spät ist. Das ist »Moncage«, und es ist ein gutes Spiel. Jan Bojaryn

Riders Republic

Riders Republic

Entwickler/Publisher: Ubisoft, Plattform: PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X, PC, Preis: 59,99 €, USK 6

Willkommen in Riders Republic! Hier sind alle hip! Lerne Suki, Brett und all die anderen coolen Fahrer kennen, schwing dich aufs Rad und suche das Weite! Ja, Ubisoft definiert mit dem Einstieg in die Welt des Funsports die Bedeutung des diesjährigen Jugendworts des Jahres: So viel Cringe war selten. Erfreulicherweise kann man dem Hipstercamp entfliehen, nachdem man die Einführung hinter sich hat, und die Karte bietet irrsinnig viele Orte und Möglichkeiten, damit man nie wieder dorthin zurückkehren muss. Von frostigen Bergen im Norden über Waldlandschaften bis hin zu staubtrockenen Canyons im Süden bietet die Republik jeden Untergrund für jedes der fünf Vehikel. Dabei steht es dem Spieler offen, ob er die Landschaft mit einem Mountainbike oder dem Schneemobil durchpflügt, mit dem Rad, mit dem Snowboard oder auf Skiern waghalsige Tricks vollführt oder die Szenerie per Fallschirm oder Raketenrucksack überfliegt – der fliegende Wechsel der Verkehrsmittel erfolgt ebenso nahtlos wie der Übergang der Klimazonen. Das beeindruckt und lädt zum unbeschwerten Sightseeing ein. Wem es dann aber doch eher nach Action ist, der findet an jeder Ecke ein Rennen, zahllose Rivalen und alle halbe Stunde einen Massenstart von bis zu 64 Online-Kontrahenten, um sich in herrlich chaotischen Abfahrtsrennen Kudos zu verdienen. Aber auch noch der letzte Platz wird gefeiert und kratzt nicht an der Coolness – denn hier ist schließlich jeder hip! Lars Tunçay

Exo One

Exo One

Entwickler: Exbleative, Publisher: Future Friends, Plattform: PC, Xbox One, Xbox Series S/X, Preis: 16 €

Den Höhepunkt von »2001 – Odysseeim Weltraum« haben heutzutage alle vor Augen. Wer nicht im Fernsehen gesehen hat, wo alles voller Sterne war, sieht es unweigerlich in der Twitter-Timeline. Alle Momente aller Science-Fiction-Filme verfolgen uns als animierte Sammelbildchen. Längst verschwimmen Erinnerungen an die sich gegenseitig zitierenden Filme zu einer transzendenten Soße. Das dazu passende All-You-Can-Eat- Buffet heißt »Exo One«: Es ist ein kurzes Indie-Spiel über eine futuristische Raumsonde. Aus dem Off, in unverständlicher Sprache und mit andeutungsschweren Untertiteln, wird die Geschichte des Kontakts erzählt. Außerirdische haben den Menschen einen Bauplan geschickt. Astronauten sind am Jupiter verschollen. Vielleicht wird irgendjemand gerettet oder von irgendwo zurückgeholt. Und das muss als Erklärung reichen. Ab in die Raumsonde! In »Exo One« wird die kugelrunde Sonde über verschiedene Planeten gesteuert. Sie rast durch den Raum, und dann sind wir schon selbst in der Atmosphäre und schießen auf ein Licht am Horizont zu. Alles gleißt und leuchtet. Hinter dem Licht geht es nach einem kryptischen Geschichtenschnipsel mit dem nächsten Planeten weiter. Nach ein paar Stunden ist das Spiel vorbei. Tatsächlich ist die Begegnung mit »Exo One« zwangsläufig etwas oberflächlich. Im Kern ist es eine Art Surfspiel. Die Sonde kann mit einem Knopfdruck sehr schwer werden, mit einem anderen kann sie sich in ein Frisbee verwandeln. Das reicht als Antrieb, sie muss halt Schwung holen. Ein paar Minuten lang ist das frustrierend schwierig, dann flowt es, und die Sonde schießt auf den Horizont zu. Wer keine bekifften Freunde hat, die vom Sofa aus gelegentlich »Woah« raunen, der kann das beim Spielen auch selber tun. Das Spiel wirkt, als sei es für genau diesen Zweck gestaltet worden: halboffene Tränaugen in die Ferne richten und staunen. (...) Jan Bojaryn