anzeige
anzeige

Rezensionen

Lovers in a Dangerous Spacetime (2015)

Lovers in a Dangerous Spacetime (2015)

Aberwitzige Ideen für kooperative Spiele gibt es viele, aber diese ist besonders zeitlos. In einem zweidimensionalen Universum droht die Anti-Liebe, alles zu zerstören. Aus irgendeinem Grund retten wir alles, indem wir quer durch den Äther eingesperrte Häschen befreien. Gereist wird in einem kreisrunden Raumschiff, wir sehen die Gänge und Leitern im Querschnitt. Jede Spielerin und jeder Spieler wuselt als Männlein in dem Schiff herum und besetzt je nach Bedarf eine der Stationen. Doch es gibt immer zu viele Stationen; es gibt Schusswaffen, Superlaser, Schutzschild, Karte, Antrieb – so fliegt das Raumschiff durch ein Weltall voller trügerisch süßer Monster, heißer Asteroiden, tödlicher Laserkanonen und viel zu enger Gänge. Der übersüßte Stil passt auf paradoxe Weise zu einem Spiel, in dem der Tod unerbittlich ist, frustrierend und bonbonfarben. Aber die Metapher passt. Die Liebe ist ein Schmelztiegel. Wer hier eine der Kampagnen durchspielt, ohne zu scheitern und ohne zu schreien, der stellt womöglich nachher fest, dass er den Rest der Crew wirklich heiraten sollte. Perfekt ist die Überforderung zu zweit; mit drei bis vier Spielern wird es dagegen vor allem laut. Der kleine Indie-Hit hat eine ganze Welle chaotischer, kooperativer Spiele mit angeschoben. Jan Bojaryn

Resident Evil 4

Resident Evil 4

Entwickler/Publisher: Capcom, Plattform: PS4, PS5, Xbox Series X, PC, Preis: 69,99 €

Capcoms Remakemaschine hat sich für den japanischen Konzern bisher ebenso ausgezahlt wie für die Spielerinnen und Spieler. Die Neuauflagen der »Resident Evil«-Teile 2 und 3 sind durchdachte Neuinterpretationen, die mehr auf dem Kasten haben als auf Hochglanz polierte Grafiken. Vielmehr verstehen es Capcom, das Gameplay an die Gewohnheiten heutiger Spieler und Spielerinnen anzupassen, ohne dabei Fans zu verprellen. Der vierte Teil stellte nun eine besondere Herausforderung dar: zum einen, weil die Fans von damals mit besonders wohligem Schauer an das Debüt auf dem Game-Cube zurückdenken, zum anderen, weil dieser Teil mit Genretraditionen brach und den Grundstein für die Zukunft der Serie legte. Das äußert sich zunächst einmal darin, dass hier zum ersten Mal Echtzeit-Grafiken zum Einsatz kamen und die vorberechneten Hintergründe der Vorgänger Geschichte waren. Außerdem wandten sich die Entwickler um Shinji Mikami von der diabolischen Umbrella-Company ab und servierten statt einer cheesy Zombie-Schlachteplatte okkulten Sekten-Horror. Vieles von dem, was damals neu war, findet sich heute zum Beispiel im aktuell letzten Kapitel der Serie »Resident Evil Village« wieder. Für das Remake polierten die Entwickler daher vor allem die Grafik und gestalteten die Monster neu. Unzeitgemäße Quicktime-Events sind Vergangenheit, Präsidententochter Ashley Graham ist endlich nicht mehr ärgerliches Anhängsel, sondern ein selbstständiger Sidekick. Die Fans danken es: Das Remake verkaufte vier Millionen Exemplare allein in den ersten zwei Wochen – deutlich mehr als das Debüt vor 22 Jahren. Lars Tunçay

The Last Worker

The Last Worker

Entwickler: Oiffy, Wolf & Wood, Publisher: Wired Productions, Plattform: PC, PCVR, PS5, PSVR2 u.a., Preis: 20 €

Roboter ersetzen Menschen. In diesem Szenario wirkt es nicht einmal mehr wie Science-Fiction: Ein Firmenchef mit Messias-Komplex automatisiert im größten Warenlager seines Versandhandels nach und nach alle Jobs, bis nur ein letzter, schmerbäuchiger Bartträger in einer Art fliegender Sackkarre übrigbleibt. Und auch er muss mit zuverlässiger Performance um seinen Job kämpfen. Beim Onlinegiganten Jüngle wird nicht getrödelt. »The Last Worker« ist zuerst eine bittere Satire auf die Überflüssigmachung des Menschen. Paradoxerweise macht der Job des letzten Menschen durchaus Laune. Kurt muss in seinem mit Wimpeln und Fotos behängtem Gefährt durch die Labyrinthe des Lagerhauses düsen, Pakete identifizieren, abliefern, Fehler markieren, entsorgen, aber schnell: Das geht alles auf Zeit, und am Armaturenbrett leuchtet der aktuelle Performancescore für den Tag. Das Spiel hat aber deutlich mehr vor, als Lagerarbeit zu gutem Arcade-Futter umzudefinieren. Die Erzählung macht es komplexer. Sie fragt, was wir konkret gegen die Misere tun wollen. Renommierte Schauspieler bringen Leben in die wenigen Rollen und erzählen eine interessante Geschichte vom Kampf gegen ein Schweinesystem. Wem das am Bildschirm nicht beklemmend genug ist, der kann das Spiel auch per Virtual-Reality-Brille spielen und sich in einer sauber entwickelten, vollumfängliche Lagerhaushölle verirren. Jan Bojaryn

Untitled Goose Game (2019)

Untitled Goose Game (2019)

Der Klassiker

Mit süßen Tieren ist es ja so eine Sache: Sie können noch so viel Mist bauen, am Ende sind wir ihnen doch nicht böse. Nein, auch dann nicht, wenn sie acht Kilogramm wiegen, aus weißen Federn bestehen und lauthals in der Gegend rumhupen. Ja, Hausgänse hupen, und das im »Untitled Goose Game« sogar ziemlich oft. Ansonsten müssen wir aber ähnlich unauffällig agieren wie der glatzköpfige Killer 47 aus der »Hitman«-Reihe. Dabei legen wir aber niemanden um, sondern beißen anderen in den Po. Als ebenjene Gans entwenden wir in einer englischen Kleinstadt allerlei Gegenstände mit unserem Schnabel. So lenken wir im ersten Level einen Bauern ab, indem wir seinen Garten einmal kräftig durchpflügen. Dazu öffnen wir Wasserhähne, ziehen Möhren aus der Erde – ach, und diese Kürbisse rollen aber auch schön –, pfeffern Radios in Teiche und horten Marmelade, Kaffee und Körbe auf einer Picknickdecke. Wahrscheinlich, weil Gänse halt gerne horten. Der Legende nach entstand die Spielidee, als die australischen Entwickler ein Gänsebild in Slack posteten. Für einen zweiten Teil gebe es derweil genügend Stoff. Forschern zufolge lebten vor etwa acht Millionen Jahren in Down Under gigantische Ur-Gänse, die etwa eine halbe Tonne wogen. Was würden wir für einen Tygansosaurus-Rex-Simulator geben. Denis Gießler

Dead Space

Dead Space

Entwickler: Motive-Studios, Publisher: Electronic-Arts, Plattform: PS5, Xbox Series X, PC, Preis: 70 €

Im Jahr 2008 war der Markt für Horrorspiele weitgehend in japanischer Hand. Da kam der damals führende westliche Publisher Electronic-Arts mit einem Titel daher, der das Genre grundsätzlich umkrempelte. Der Erfolg des ersten Teils war zwar noch recht überschaubar, aber spätestens bei »Dead Space 3« war die Erwartung an einen neuen Serienteil hoch. Erfüllen konnte sie Teil drei allerdings nicht. Fans der Serie bemängelten, dass sich die Entwickler zu weit vom ursprünglichen Survival-Horror-Ansatz entfernt hatten. Dabei ist schon der Auftakt der Serie, bei der sich Glen Schofield deutlich von Ridley Scotts Sci-Fi-Klassiker »Alien« inspirieren ließ, deutlich actionlastiger, als ihn die meisten in Erinnerung haben werden. Seine Stärke liegt jedoch in der Atmosphäre an Bord der Ishimura, den flackernden Monitoren, dem flirrenden Neonlicht in den unzähligen Gängen durch die Eingeweide des Schiffs und vor allem der herausragenden Soundkulisse aus Flüstern und Schreien. All das ist nun im Remake mit einer enormen Liebe zur Vorlage angefasst und auf zwölf gedreht worden. Die Monster sind noch ekliger, die Waffen haben mehr Wumms und Fans des Originals werden viele sinnvolle Änderungen entdecken, durch die sich das Spielerlebnis tatsächlich frisch anfühlt. Und im direkten Vergleich zu Schofields vor wenigen Monaten erschienenem Selbstzitat »The Callisto Protocol« wiegen dessen Defizite umso schwerer. Lars Tunçay

Tchia

Tchia

Entwickler: Awaceb, Publisher: Kepler Interactive, Plattform: PC, Playstation, Preis: 30 €

Unsere Geschichten brauen sich zusammen wie Gewitter. Konflikte spitzen sich zu. Das tun sie halt, das wirkt fast alternativlos. Wenn keine Widersacher hinter uns herjagen, warum stehen wir dann überhaupt auf? »Tchia« hat auch einen Konflikt, aber es lässt sich davon nicht die Laune verderben. Ukulele gespielt wird trotzdem. Das Action-Adventure erstreckt sich über fiktive Inseln, inspiriert von Neukaledonien im Pazifischen Ozean. Das Entwicklerstudio hat Wurzeln in der Region, Musik und Dialoge im Spiel kommen von Einheimischen. Und auch, wenn es in dem Spiel gegen unheimliche Stoffwesen geht, wenn Tchias Vater entführt wurde und ein Bösewicht im Himmel thront: So warm und freundlich hat sich selten ein Spiel angefühlt. Gegen »Tchia« wirken zahllose gemütlich gemeinte Titel der letzten Jahre stressig. Tchia erkundet die Welt, freundet sich mit allen an und besitzt berauschende Spezialkräfte. Sie kann nicht nur klettern, tauchen, Boot fahren, mit der Fletsche schießen, sich von Palmen in die Ferne schleudern und aus jeder Höhe mit dem Gleitschirm herabsegeln – sie kann auch in den Geist vieler Lebewesen und Gegenstände hineinspringen. Praktisch ist es, als Fisch an der Küste entlangzusausen oder als Vogel über die Klippen zu segeln. Aber vielleicht am grandiosesten sind all die Möglichkeiten, ganz andere Körper zu entdecken. Als Kokosnuss an einem zauberhaften Strand entlangrollen: Das ist überraschend, witzig und schön. Jan Bojaryn

Metroid Prime (2002)

Metroid Prime (2002)

Niemand spricht, wenn Samus Aran die Szene betritt. Die Kopfgeldjägerin ist seit 1986 der Star der Metroid-Serie und eine der wichtigsten Heldinnen des Mediums. Samus stöbert durch Ruinen, erkundet außerirdische Labyrinthe und tritt monströsen Schrecken entgegen. Die Serie hat viele Klassiker hervorgebracht, aber diesen hier halten viele Menschen immer noch für eines der besten Videospiele aller Zeiten: »Metroid Prime« schlug Ende 2002 auf der unterschätzten Spielekonsole Gamecube ein und wirkte in der Spieleszene wie ein furchteinflößender Fremdkörper, wie ein Gymnasiast unter Grundschülern. »Metroid Prime« sieht aus wie ein Egoshooter, ist aber eher ein Ego-Adventure. Samus muss auch kämpfen, doch vor allen Dingen muss sie ihren Weg durch überwucherte Dschungel, Lavahöhlen und Minen finden. Viel Spielzeit geht ernsthaft beim Drehen und Wenden der komplexen 3-D-Karte drauf. Unzählige Geheimnisse verstecken sich in der Welt. Das Geballer ist dagegen eher ein Nachgedanke. Jetzt ist ein Remake von »Metroid Prime« für die Nintendo-Switch erschienen, und es wirkt auch heute noch modern. Ego-Adventures sind inzwischen eine riesige Nische. Aber so stimmungsvoll und aufregend wie dieser Alien-Planet sind auch im Jahr 2023 nur wenige. Jan Bojaryn

Season – A Letter To The Future

Season – A Letter To The Future

Entwickler/Publisher: Scavengers Studio Plattform: PS4, PS5, PC, Preis: 24,99 €

Was bleibt von uns, wenn wir einmal nicht mehr da sind? Welche Spuren werden die Menschen hinterlassen, wenn ihre Zeit gekommen ist? Die Welt von »Season« wirkt fremd und doch seltsam vertraut. Einst war sie eine Welt des Fortschritts, doch ein Krieg hat sie verändert. Jetzt sind die Skelette der Kräne und Bauten von Grün überwuchert und die Erinnerungen an ihren Zweck verblassen. Estelle kennt die Welt, wie sie einst war, nur aus den Geschichten der Alten. Die junge Frau wuchs in dem Bergdorf Caro auf. Ein mysteriöser Heiler namens Dr. Fumio errichtete die Kommune, um die Einwohnerinnen und Einwohner zu schützen. Zumindest sagen das die Aufzeichnungen. Die Grenze zwischen Wahrheit und Propaganda verschwimmt überall in der Welt von »Season«. Die titelgebende Jahreszeit endet und markiert einen Wandel in der Entwicklung der Menschen. Wird sie alle auslöschen oder sind die apokalyptischen Prophezeiungen nur eine Erfindung der »Grauen Hände«, einer Organisation, die über das Tal wacht? Estelle bricht auf, um die Erinnerungen der letzten verbliebenen Menschen aufzunehmen, zu dokumentieren, was ist – für die, die kommen. Ein Brief an die Zukunft. Mit ihrem Fahrrad radelt sie durch wunderschöne Landschaften in Cellshading-Look. Die spielerischen Elemente halten sich in Grenzen – »Season« vertraut voll und ganz seiner Geschichte, die von liebenswerten Charakteren in gut geschriebenen und vertonten Dialogen erzählt wird. Ein liebevoll gestaltetes melancholisches Märchen in den satten Farben des Sommers. Lars Tunçay

Forspoken

Forspoken

Entwickler: Luminous-Productions, Publisher: Square-Enix, Plattform: PS5, PC, Preis: 79,99 €

Ein Ort der Fantasie, ein magisches Reich, ganz wie im »Zauberer von Oz« malt »Forspoken« auf den Bildschirm – da könnte der Prolog nicht gegensätzlicher sein. Die junge New Yorkerin Frey findet sich in einem Gerichtssaal wieder. Die Anklage: schwerer Diebstahl. Die Richterin gibt der Wiederholungstäterin eine letzte Chance und verdonnert sie zu Sozialstunden. Freys Hoffnungen, einen Weg aus der Kriminalität zu finden und neu zu starten, werden durch ein Feuer jäh zerstört. Schweren Herzens gibt sie ihren geliebten Kater ab und streunt ziellos durch die Straßen, als sie plötzlich einen seltsamen Armreif findet, der sie in eine andere Welt transportiert, in der Drachen den Himmel verdunkeln und eine seltsame Seuche alles zu zersetzen droht. Frey ist dagegen immun und so steht es ihr frei, die farbenprächtige Welt zu erkunden, wobei ihr der gesprächige Armreif zur Seite steht. Gegen die Kreaturen der Welt setzt sie sich mit Magie und flotten Parkour-Moves zur Wehr. Die offene Welt ist weitläufig und schön gestaltet, die Prämisse einer Großstadt-Alice ebenso vielversprechend wie die einer afroamerikanischen Heldin. Aus alldem macht »Forspoken« aber leider zu wenig. Statt auf seine Eigenheiten zu setzen, will der Titel der »Final Fantasy«-Macher in einer Open-World-Liga mit »God of War« und »Horizon« spielen. Dafür ist die Präsentation aber stellenweise zu unbeholfen, die Charaktere sind ebenso uninteressant wie die Aufgaben. Was bleibt, ist eine reizvolle Welt und viel ungenutztes Potenzial für einen möglichen Nachfolger. Lars Tunçay

Red Dead Redemption 2 (2018)

Red Dead Redemption 2 (2018)

Das Westernepos »Red Dead Redemption 2« ist ein langweiliges und veraltetes Spiel – zumindest, wenn wir seine Story-Missionen spielen. Als Arthur Morgan ballern wir uns wie auf Schienen durch Western-Canyons und Western-Städtchen. Zum Glück lässt uns »Red Dead Redemption 2« als Open-World-Spiel abseits der Aufträge in Ruhe. Dann offenbart es seine wunderschöne Natur und zeigt, wie schön »Nichtstun« in einem Spiel sein kann. Die Holzfällersiedlung Strawberry im Norden. Wir kaufen Konserven, Kaffee und einen Perkulator für die Wildnis und packen alles in die Satteltaschen. Nach ein paar Minuten hören wir nur noch das Rauschen des Flusses, ein Kaninchen hopst vorbei und flieht in seinen Bau. Wir steigen ab und stapfen durch den kargen Nadelwald. Nieselregen sickert in unseren Mantel, es ist saukalt. An einer Böschung rasten wir, das Lagerfeuer wärmt, Kaffee sprudelt aus dem Perkulator. Durch die Regenwolken schimmert die Sonne, dünne Fäden zerstäuben über dem Feuer. Irgendwo hier in der Nähe soll Klassikerein alter Bär sein Unwesen treiben. Der Pelz ist sicher eine Menge wert, dann könnten wir endlich mal wieder ein Vollbad nehmen. Aber ach, der Bär kann warten. Noch ein Schlückchen Kaffee, und dann schauen wir in den Sonnenuntergang. Denn die Regenwolken haben sich endlich verzogen. Denis Gießler

The Feast

The Feast

Entwickler: Sever Games, Publisher: Prismatika, Plattform: PC, Preis: gratis

Lügen können sprach- und orientierungslos machen. Sie können jeden Sinn einer geteilten Wirklichkeit zerstören. Wer das nicht am eigenen AfD-Onkel auf der nächsten Familienfeier nachvollziehen kann oder will, erlebt es hier: »The Feast« ist ein kurzes Kunstspiel des russischen Studios Sever. Wir spielen eine Tochter, die zum Festessen nach Hause kommt und eine virtuelle Theaterbühne betritt. Hier herrschen Schrecken und Verwahrlosung, ins Absurde überzeichnet. Der Bezug zur Lage in Russland, zu einer tabuisierten Krise bleibt implizit, aber er ist schwer zu übersehen. Das Grauen hängt in Form einer Leiche über der festlich gedeckten Tafel. Wie sag ich’s Mutti? In Minuten ist das interaktive Theaterstück durchgeklickt. Während die Welt um sie herum zerfällt, übertreffen die Anwesenden sich in einem Leugnungswettbewerb und heucheln Zuversicht. Es beginnt und bleibt so grotesk, dass es kaum als Satire durchgeht. »The Feast« zeigt einen schwer zu ertragenden, ins Surreale gesteigerten Zustand, um eine Reaktion zu provozieren. So deutlich die Symbolik ausfällt, so offen bleibt der Ablauf des Stücks. »The Feast« erzählt in wenigen Sätzen und fragt dabei laufend die Reaktionen der Protagonistin ab. Wie wir uns verhalten, ob wir Mutti zuliebe mitlügen, alles über den Haufen schmeißen oder uns irgendwie durchwurschteln, ist unsere Entscheidung. Es bleibt eine Zumutung; aber eine sehr interessante. Jan Bojaryn

High on Life

High on Life

Entwickler + Publisher: Squanch-Games, Plattform: PC, Xbox, Preis: 50 €

Egoshooter beschäftigen sich schon immer intensiv mit ihren Schusswaffen. Die Knarren bleiben stets am Bildrand sichtbar und irgendwann scheint es, als hätte jede Waffe ihre eigene Persönlichkeit. Deswegen ist die Grundidee von »High on Life« treffend – hier sind Waffen Aliens und pressen Geschosse aus dem Hintern, während sie die Person am Abzug nonstop frontal zuquatschen. Das klingt nicht nur wie eine Pointe aus »Rick and Morty« – es kommt wirklich von Justin Roilands Studio Squanch-Games. Sowohl in der Show als auch im Shooter ist Roiland Co-Autor und spricht gefühlte 60 Prozent aller Rollen. Kurz zum Spiel: »High on Life« ist ein kompetenter Shooter mit dem Charme eines Leihwagens. Er bringt den Witz zum Publikum. Das Spiel ist nicht schlecht, aber funktional. Wichtiger sind die Sprechrollen. Einige gute und bekannte Stimmen lauern im Arsenal. Doch vor allem Roiland zerquatscht mit elend vielen geschwätzigen Auftritten sein Spiel. Einerseits funktioniert das; der nihilistische, von allem ermüdete Humor der Fernsehserie wirkt im Spiel noch einmal neu. Außerdem reagieren viele Charaktere sehr dynamisch darauf, wer erschossen wurde, wer ausreden darf und ob das Gegenüber während des Gesprächs auf Regale klettert. Andererseits wird die schonungslose Witzigkeit anstrengend. Die ganze Galaxie ist dumm, breit, faul und geil. Wer das spielen will, stopft sich besser vorher einen Furgle in die Kopfklappe. Jan Bojaryn

Blade Runner (1997)

Blade Runner (1997)

Der Klassiker

Es lebte zwar noch, roch aber schon ein wenig muffig: das Adventure. Ende der Neunziger hatte es seine besten Jahre hinter sich. 1997 erschienen dann gleich drei Klassiker, die das Genre vorerst würdig verabschiedeten: die Reise mit dem Orientexpress in »The Last Express«, der zeitlose Comiclook von »Monkey Island 3« und »Blade Runner«, das zeigte, wie ein Spiel zum Film aussehen muss. Früh wussten die Westwood Studios, dass sie den Film nicht nacherzählen wollten, und erfanden einen eigenen Charakter. Als Ray McCoy machte man als »Blade Runner« Jagd auf Replikanten, also Androiden, die Menschen täuschend ähnlich sehen. Ein Großteil des Spiels war Detektivarbeit: Bewohner befragen, Beweise sammeln und mutmaßliche Replikanten verhören mit dem Voigt-Kampff-Test. Dabei stapfte der Spieler durch eine interaktive Filmkulisse: Knallbunte Neonschrift, die durch Tropfen aufblitzte und sich im Wasserfilm auf den Straßen spiegelte, fing zusammen mit einem Synthie-Soundtrack die Filmatmosphäre perfekt ein. Der Preis für Grafik und Sound waren vier CDs. Gern hätten die Entwickler Harrison Ford mit einem Gastauftritt dabeigehabt, doch dieser antwortete ihnen nicht einmal. 2019 erschien der Klassiker dann auch auf GOG, bald soll eine erweiterte Fassung folgen. Denis Gießler

Moncage

Moncage

Entwickler: Terri, Dose, Kitty and JW / Publisher: Devolver Digital / Plattform: PC, Switch / Preis: 15 €

Es gibt Spielideen, die sind so unerhört, so neuartig, dass eine herkömmliche Rezensionslänge kaum ausreicht, sie auch nur zu erklären. Aber bitte: »Moncage« präsentiert einen gläsernen Würfel, der mit dem Finger oder dem Mauszeiger hin und her gedreht werden kann. Jede Seite erlaubt den Blick in eine andere, dreidimensionale Welt. In jede dieser Welten kann der Finger hineintippen, um Dinge heranzuholen oder zu manipulieren. Das ist noch nicht die Spielidee. Wer es schafft, am eigentlichen Wesen der Gegenstände in diesem Würfel vorbeizuschauen, bis sie nur noch als geometrische Formen erscheinen, der erkennt irgendwann Gemeinsamkeiten: die Schreibtischlampe hier und der Kran da; die Kurbel am Schloss und das Pedal am Fahrrad dort. Nun muss der Würfel so gedreht werden, dass die ähnlichen Gegenstände sich zu berühren scheinen, und plötzlich tun sie es, auf magische Weise, durch die Welten hinweg. Auch das ist noch nicht die ganze Idee, aber wir nähern uns. Wenn die Gegenstände sich berühren, dann enthüllen sie in der Regel etwas. Die Welten verändern sich oder drehen sich weiter. Und aus den Metaphern der Rätsel, aus den Veränderungen, entwickelt sich eine überraschend düstere Geschichte. Geschafft! Idee erklärt! Tatsächlich fühlt sich so auch das Spielen an: Ein einziges Fragezeichen, durchzuckt von einem Blitz der Erkenntnis, wenn es fast schon zu spät ist. Das ist »Moncage«, und es ist ein gutes Spiel. Jan Bojaryn

Riders Republic

Riders Republic

Entwickler/Publisher: Ubisoft, Plattform: PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X, PC, Preis: 59,99 €, USK 6

Willkommen in Riders Republic! Hier sind alle hip! Lerne Suki, Brett und all die anderen coolen Fahrer kennen, schwing dich aufs Rad und suche das Weite! Ja, Ubisoft definiert mit dem Einstieg in die Welt des Funsports die Bedeutung des diesjährigen Jugendworts des Jahres: So viel Cringe war selten. Erfreulicherweise kann man dem Hipstercamp entfliehen, nachdem man die Einführung hinter sich hat, und die Karte bietet irrsinnig viele Orte und Möglichkeiten, damit man nie wieder dorthin zurückkehren muss. Von frostigen Bergen im Norden über Waldlandschaften bis hin zu staubtrockenen Canyons im Süden bietet die Republik jeden Untergrund für jedes der fünf Vehikel. Dabei steht es dem Spieler offen, ob er die Landschaft mit einem Mountainbike oder dem Schneemobil durchpflügt, mit dem Rad, mit dem Snowboard oder auf Skiern waghalsige Tricks vollführt oder die Szenerie per Fallschirm oder Raketenrucksack überfliegt – der fliegende Wechsel der Verkehrsmittel erfolgt ebenso nahtlos wie der Übergang der Klimazonen. Das beeindruckt und lädt zum unbeschwerten Sightseeing ein. Wem es dann aber doch eher nach Action ist, der findet an jeder Ecke ein Rennen, zahllose Rivalen und alle halbe Stunde einen Massenstart von bis zu 64 Online-Kontrahenten, um sich in herrlich chaotischen Abfahrtsrennen Kudos zu verdienen. Aber auch noch der letzte Platz wird gefeiert und kratzt nicht an der Coolness – denn hier ist schließlich jeder hip! Lars Tunçay

Exo One

Exo One

Entwickler: Exbleative, Publisher: Future Friends, Plattform: PC, Xbox One, Xbox Series S/X, Preis: 16 €

Den Höhepunkt von »2001 – Odysseeim Weltraum« haben heutzutage alle vor Augen. Wer nicht im Fernsehen gesehen hat, wo alles voller Sterne war, sieht es unweigerlich in der Twitter-Timeline. Alle Momente aller Science-Fiction-Filme verfolgen uns als animierte Sammelbildchen. Längst verschwimmen Erinnerungen an die sich gegenseitig zitierenden Filme zu einer transzendenten Soße. Das dazu passende All-You-Can-Eat- Buffet heißt »Exo One«: Es ist ein kurzes Indie-Spiel über eine futuristische Raumsonde. Aus dem Off, in unverständlicher Sprache und mit andeutungsschweren Untertiteln, wird die Geschichte des Kontakts erzählt. Außerirdische haben den Menschen einen Bauplan geschickt. Astronauten sind am Jupiter verschollen. Vielleicht wird irgendjemand gerettet oder von irgendwo zurückgeholt. Und das muss als Erklärung reichen. Ab in die Raumsonde! In »Exo One« wird die kugelrunde Sonde über verschiedene Planeten gesteuert. Sie rast durch den Raum, und dann sind wir schon selbst in der Atmosphäre und schießen auf ein Licht am Horizont zu. Alles gleißt und leuchtet. Hinter dem Licht geht es nach einem kryptischen Geschichtenschnipsel mit dem nächsten Planeten weiter. Nach ein paar Stunden ist das Spiel vorbei. Tatsächlich ist die Begegnung mit »Exo One« zwangsläufig etwas oberflächlich. Im Kern ist es eine Art Surfspiel. Die Sonde kann mit einem Knopfdruck sehr schwer werden, mit einem anderen kann sie sich in ein Frisbee verwandeln. Das reicht als Antrieb, sie muss halt Schwung holen. Ein paar Minuten lang ist das frustrierend schwierig, dann flowt es, und die Sonde schießt auf den Horizont zu. Wer keine bekifften Freunde hat, die vom Sofa aus gelegentlich »Woah« raunen, der kann das beim Spielen auch selber tun. Das Spiel wirkt, als sei es für genau diesen Zweck gestaltet worden: halboffene Tränaugen in die Ferne richten und staunen. (...) Jan Bojaryn

Flatout (2004)

Flatout (2004)

Der Klassiker

Wenn die Pfützen schön schmatzen und spritzen, bullige Boliden sich ineinander verkeilen und mit Vollgas durch finnische Nadelwälder pflügen, wissen wir: Das kann nur »Flatout« sein. Das Rennspiel des finnischen Entwicklers Bugbear schnappte sich im Jahr 2004 die wichtigste Zutat der Rennspielserie »Destruction Derby« – ein spektakuläres Schadensmodell – und kombinierte sie mit spektakulären Physikeffekten. So schön waren Reifenstapel und Fahrer bis dato noch nie durch die Gegend geflogen. Bis heute sind Schadensmodelle für viele Studios ein Problem. Bei lizenzierten Fahrzeugen liegt das teils an den Vorgaben der Autohersteller. Damit die Karren möglichst werbewirksam präsentiert werden, dürfen sie allenfalls verschmutzen. Außerdem machen Extras wie abfallende Türen auch viel Extraarbeit bei der Entwicklung. Bugbear nutzte deshalb Fantasie-Autos und setzte die mächtige Physik-Engine auch für absurde Minispiele ein. In der Disziplin Hochsprung mussten wir unseren Crashtest-Dummy aus der Karre schleudern. Der Klassiker »Flatout« hatte mehrere Nachfolger, der dritte Teil war ein Totalschaden. Doch Bugbear entwickelt auch 19 Jahre später noch Crashrennspiele. Und so fühlt es sich auch in »Wreckfest« seltsam befriedigend an, wenn unsere Karre zu einem Blechklumpen zerknautscht wird. Denis Gießler

Need for Speed: Unbound

Need for Speed: Unbound

Entwickler: Criterion Games Publisher, Electronic Arts, Plattform: PS5, XboxSeries, PC, Preis: 79,99 €

Eine Zeit lang war »Need for Speed« das Maß aller Dinge. So wie Electronic Arts mit »FIFA« eine Formel entwickelt hatte, um jedes Jahr das gleiche Spiel mit minimalen Änderungen zu verkaufen, so versuchten sie im Folgenden, auch Autorennspiel-Fans jährlich zu melken – und fuhren die Serie damit gegen die Wand. Schließlich setzte die seit 1994 vor allem auf Abwechslung durch den Einsatz unterschiedlicher Entwicklerstudios. Nach dem halbgaren »Heat« hat man sich nun drei Jahre Zeit gelassen für das Comeback und das läutet auch die Rückkehr der Rennprofis von Criterion-Games ein. Die »Burnout«-Macher haben ihr letztes »Need for Speed« vor zehn Jahren entwickelt und gehen bei »Unbound« den sicheren Weg eines »Best of« aus den Vorgängerserien, garniert mit einem Schuss eigener DNA. Der Anspruch, das Renngeschehen in eine Rahmengeschichte zu pressen, ist auch hier eher leidlich gelungen, aber immerhin nicht so krampfhaft cool wie zuletzt. Auf der Straße überzeugt Criterion dagegen auf ganzer Linie: Das frei befahrbare Stadtareal bietet viel Abwechslung und reichlich Auslauf für spannende Verfolgungsjagden mit der hartnäckigen Polizei. Die Straßenrennen sind herausfordernd, die Progression motiviert zum Weiterfahren. Die Präsentation ist ebenso fett wie die Beats aus der Trap/RnB/Hiphop-Schublade und zu Ausserkontrolle und Bonez MCs »In meinem Benz« gegen den Deutschen Street-Racer »Rudiger« zu heizen dann auch schon wieder ganz niedlich. Lars Tunçay

Underwater Discoveries

Underwater Discoveries

Entwickler & Publisher: sqr3lab, Plattform: PC, Preis: 20 €

Eine der schönsten Verheißungen von Computerspielen ist die Entdeckung neuer Welten. Regelmäßig ziehen sie ins Weltall, in die Vergangenheit, in Luftschlösser. Das Meer aber ist noch längst nicht ausgeschöpft. Spiele übers Tauchen und U-Boot-Fahren gibt es viele. »Sub-ROV« fragt nun Hobbyforscherinnen und Fischefreunde, wie tief ihre Liebe geht. Tief genug für einstündige, realistische Expeditionen mit einem langsamen, unbemannten Tauchroboter? Das ist der Anspruch, und er wird augenscheinlich nah an der Wirklichkeit umgesetzt. Das Spiel ist so ernst gemeint, dass es in Kooperation mit dem Bermuda Institute of Ocean Sciences und dem Schmidt Ocean Institute entwickelt wird. Am Anfang steht deswegen ein harter Realitätscheck: Etwa zwei Stunden Tutorial, in denen der mehrschrittige Prozess vom Ansteuern der Tauchregion bis zur Bedienung des Greifarms am Tauchroboter durchgeturnt wird. Das ist alles wichtig! Wer nachher das TMS nicht vom HUD unterscheiden kann, verpasst die schönsten Gelegenheiten. Die Einarbeitung ist hart, aber sie lohnt sich. Der erste souverän gemeisterte Temperaturcheck am rauchenden Schlot ist bereits erhabener als jede orchestral untermalte Nahaufnahme in irgendwelchen BBC-Dokus. Wenn beim Auftauchen plötzlich ein Riesenkalmar vorbeizieht, der Tauchroboter effizient abdockt, hinterherschwimmt und das Tier scannt, ist das ein großes Glücksgefühl. Jan Bojaryn

Scorn

Scorn

Entwickler: Ebb Software / Publisher: Kepler Interactive / Plattform: PC, Xbox / Preis: 40 € Game-Pass

Videospiele lieben den Ekel, den glänzenden Schleim, den persönlichen Schrecken der Egoperspektive. Und sie lieben HR Giger – sein Werk ist längst festgewachsen, im Medium inkorporiert. Auf den widerlichen, folgerichtigen Höhepunkt steigert sich die Verbindung mit »Scorn« – kein offizielles Gigerspiel, aber so vollgestopft mit körperlichen Verwachsungen und vage pornografischen Maschinen, dass jederzeit auch das Alien auftauchen könnte. Lange aber taucht kein Alien auf, und das ist gut so. »Scorn« ist anfangs ein kryptisches, unerklärtes und langsames Adventure. Es ist wie der Rätsel-Klassiker »Myst«, nur mit Gedärm statt Idylle. Verloren in der Egoperspektive in Fleischtunneln herumzustehen und in schmatzende Apparaturen hineinzugreifen, ist stark. Die Welt muss studiert und verstanden werden. So entsteht ein bleibendes Unbehagen. Weniger stark ist dann eine lange Strecke, in der es mit schlechten Waffen gegen Monster geht. Solche frustrierenden Kämpfe sind ein Standard im Horrorgenre, aber sie funktionieren nicht recht als Höhepunkt. Jedes Bedienfeld für Fahrstühle vermittelt in diesem Spiel einen größeren Schrecken, als wenn sich der Bildschirm mal wieder wolkig rot färbt. Diese Action braucht kein Mensch. Aber am Boden festgewachsen aufzuwachen und nackt durch eine septische Höllenwelt zu schlurfen, das ist eine wertvolle Erfahrung, die so nur »Scorn« bietet. Jan Bojaryn