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Rezensionen

May December

May December

USA 2024, R: Todd Haynes, D: Natalie Portman, Julianne Moore, Charles Melton, 113 min

Es ist die Liebe, die nicht sein darf, die Regisseur Todd Haynes immer wieder fasziniert. Die Beziehung zwischen einem Afroamerikaner und einer weißen Hausfrau in den 1950ern in »Dem Himmel so fern« etwa, oder die Liebe zwischen zwei Frauen in »Carol«. In »May December« setzt er sich nun mit einer wahren Liaison auseinander, die durch den Altersunterschied von mehr als zwanzig Jahren zum Fall für die Justiz wurde. Ebenso lange ist es her, dass die damals 36-jährige Gracie ins Gefängnis wanderte, weil sie eine Affäre mit dem 13-jährigen Joe begann. Die Liebschaft ging durch die Medien, Gracie hat ihre Strafe abgesessen und zwei Jahrzehnte später scheint endlich Ruhe eingekehrt zu sein, in die Ehe der beiden. Ihre gemeinsamen Kinder stehen kurz davor, das Nest zu verlassen, da tritt die Schauspielerin Elizabeth in ihr Kleinstadtleben. Sie soll Gracie in einem Film über die Ereignisse verkörpern. Ihre Fragen reißen verheilt geglaubte Wunden wieder auf. Gracie sieht sich mit dem moralischen Dilemma konfrontiert, das sie bislang erfolgreich verdrängte. Joe stürzt die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in eine tiefe Lebenskrise. Haynes zeigt ambivalente Figuren in einer verlogenen amerikanischen Gesellschaft. Im Mittelpunkt: die überragenden Oscarpreisträgerinnen Julianne Moore und Natalie Portman. Der verstörende Soundtrack und die Kamera von Christopher Blauvelt (»First Cow«) tragen zur dichten Atmosphäre dieses meisterhaften Charakterdramas bei. Lars Tunçay

Mad God

Mad God

Phil Tippett ist eine Legende. Der 72-Jährige schuf die Tricktechnik für einige der größten Hollywood-Produktionen. Die Monster in »Star Wars«, der amoklaufende Überwachungsroboter in »Robocop«, die Rieseninsekten in »Starship Troopers« – unzählige Kreaturen hat er mit seinem Team geschaffen und animiert, in mühevoller Handarbeit, Bild für Bild. Für seine Arbeit an »Jurassic Park« wurde er schließlich mit dem Oscar ausgezeichnet. Unterdessen verwirklichte er in seiner Freizeit ein Leidenschaftsprojekt, das 30 Jahre später das Licht der Leinwand erblickt: »Mad God« ist ein dunkles Stop-Motion-Kunstwerk, ein irrer Abstieg in die Unterwelt, eine Reise durch die Pforten der Hölle, die von skurrilen Kreaturen bewohnt ist. Gleichermaßen abstoßend wie faszinierend, ähnlich den surrealistischen Kreationen der Gebrüder Quay (»The Piano Tuner of Earthquakes«) und doch ganz einzigartig. Reiseleiter ist ein stummer Protagonist mit Sturmhaube und Gasmaske. Er wandelt durch einen Albtraum aus Krieg und Zerstörung, Unterdrückung und Überwachung auf der Suche nach … irgendwas. »Mad God« ist voller Symbolik und doch kaum greifbar. Ein einzigartiger Albtraum, wild und wunderschön, grausam und grotesk. Ein Produkt der Leidenschaft eines Meisters und in jeder Einstellung so, wie Tippett es sich erträumt hat. Eine klassische Handlung ist dabei nur schwer auszumachen. Was zählt, ist das Erlebnis und das Ergebnis – und vor dem kann man nur in Ehrfurcht staunen. Lars Tunçay

Late Night with the Devil

Late Night with the Devil

AUS/VA 2024, R: Cameron Cairnes, Colin Cairnes, D: David Dastmalchian, Laura Gordon, Ian Bliss, 86 min

Found-Footage-Filme – Filme, die aussehen, als wären tatsächliche Ereignisse von realen Personen aufgezeichnet und später von anderen gefunden worden – haben im Horrorgenre eine lange Tradition. Berühmt-berüchtigt ist »Nackt und zerfleischt« von 1980. Richtig populär wurde das Subgenre aber erst 1998 durch den Erfolg von »Blair Witch Project«, es folgte Spannendes wie »[REC]«, »Cloverfield« oder »The Visit«. Mit ihrem dritten Spielfilm hieven die australischen Brüder Colin und Cameron Cairnes das Konzept nun auf eine durchaus originelle, neue Ebene – es wird suggeriert, dass das Gesehene der Mitschnitt einer fast fünfzig Jahre alten US-Talkshow ist, samt Hinter-den-Kulissen-Momenten und Hintergrundmaterial. Protagonisten sind der nach dem Krebstod seiner Frau strauchelnde Moderator Jack Delroy und die Gäste eines Halloween-Specials seiner Late-Night-Show »Night Owls«, in dem übernatürliche Phänomene das Thema sind. Während der Live-Übertragung ereignet sich dann aber Schreckliches – Fiktion oder Wirklichkeit? Die Atmosphäre des Jahres 1977 fangen die Cairnes-Brüder mit entsprechenden Studiodesigns, Jingles, Sprechern, Frisuren und Klamotten kongenial ein. Was im Verlauf der »Sendung« geschieht, verleitet dann aber meist mehr zum Schmunzeln als zum Gruseln, sodass am Ende eher ein netter Horrorsnack als ein waschechter Schocker steht, der dem um ihn gemachten Hype nicht standhält. Peter Hoch

King’s Land

King’s Land

D/DK/S/NOR 2023, R: Nikolaj Arcel, D: Mads Mikkelsen, Amanda Collin, Simon Bennebjerg, 128 min

Dänemark 1755: Der abgehalfterte Hauptmann Ludvig Kahlen (Mads Mikkelsen) will im Auftrag des Königs die unwirtliche Heide von Jütland frucht- und damit bewohnbar machen – und dafür einen Adelstitel einheimsen. Dabei stellt sich ihm nicht nur die Naturgewalt, sondern auch der lokale Herrschende in den Weg: Frederik de Schinkel. Ein Bauernpaar, das vor dem Großgrundbesitzer geflüchtet ist, und später auch ein Sintomädchen finden Zuflucht bei dem schwer zugänglichen Landveredler – bringen aber neben der Unterstützung auch jede Menge Probleme mit sich. Irgendwie spiegelt die gezeigte Landschaft die Qualität des Films wider: Es sieht ein bisschen langweilig und abweisend aus, aber bei genauem Hinsehen findet sich auch Schönes am Wegesrand. Thematisch streift der Film durch Klassenkämpfe und Charakterstudie eines einsamen Wolfs, bietet narrativ aber wenig Überraschungen – ähnlich wie Mikkelsens Gesichtsausdruck, den man natürlich sowohl intensiv als auch stoisch interpretieren kann. Immerhin hat es für den Europäischen Darsteller-Filmpreis 2023 gereicht. Das wäre bei Kahlens Gegenspieler nicht passiert, denn leider ist der blonde, folternde, vergewaltigende Tyrann derart platt-böse und minimaldimensional, dass er zur nervenden Lachnummer mutiert. Der Film präsentiert die Gnadenlosigkeit von Natur und Mensch in teils drastischen Szenen – etwa, als einer der Gefangenen mehrfach mit kochendem Wasser übergossen wird. Markus Gärtner

Ivo

Ivo

D 2024, R: Eva Trobisch, D: Minna Wündrich, Pia Hierzegger, Lukas Turtur, 104 min

Ivo lebt für ihre Patienten. Die Palliativpflegerin fährt von einem Termin zum nächsten, wechselt Infusionen und gibt seelischen Beistand. Ihre Mahlzeiten nimmt sie meist am Steuer oder auf dem Parkplatz ein. Ihre Tochter sieht sie erst spät am Abend. Die Teenagerin hat sowieso nur Augen und Ohren für ihren amerikanischen Freund. Ivos Ruhepol sind die regelmäßigen Besuche bei ihrer Freundin Solveigh, die an der Muskelkrankheit ALS leidet und ans Bett gefesselt ist. So ist Ivo auch hier Pflegerin und Seelsorgerin. Der Spagat zwischen dem privaten Gefühlsleben und ihrer Aufgabe wird zunehmend zur Belastung. Kann sie die richtigen Entscheidungen treffen, wenn sie persönlich betroffen ist? Autorin und Regisseurin Eva Trobisch (»Alles ist gut«) erzählt das moralische Dilemma im Vorbeigehen. Emotionale Ausbrüche leistet sich das Drehbuch ebenso wenig wie seine Protagonistin. Greifbar, fast beiläufig schildert »Ivo« ein Leben. Trotzdem trifft Eva Trobischs zweiter Spielfilm tief. Das ist vor allem Minna Wündrich zu verdanken, die hier in ihrer ersten Hauptrolle in jeder Szene präsent ist. Ihr natürliche Performance fügt sich nahtlos in den Cast aus Laien, die sich teilweise selbst spielen, so wie der Anästhesiearzt Dr. Johann Campean, Ivos Vorgesetzter. Dabei entstand ein ehrlicher, wahrhaftiger Film, der sich mit großen, elementaren Themen auseinandersetzt: würdevolles Leben und Sterben. Bei der Berlinale in diesem Jahr gab es dafür den Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung. Lars Tunçay

Golda – Israels Eiserne Lady

Golda – Israels Eiserne Lady

USA/GB 2023, R: Guy Nattiv, D: Helen Mirren, Camille Cottin, Rami Heuberger, 100 min

1973 tobte in Israel für drei Wochen der Jom-Kippur-Krieg, als das Land sowohl von Syrien als auch Ägypten angegriffen wurde und sich zwischen zwei Fronten behaupten musste. Damals wurde das Land von einem der ersten weiblichen Regierungsoberhäupter angeführt, Golda Meir (wieder einmal grandios: Helen Mirren). Obwohl es ihr gelang, die verfeindeten Nationen zu einem Friedensvertrag zu bewegen und Israel als Staat anerkennen zu lassen, wird Meirs Vermächtnis, gerade in Israel selbst, auch heute noch kontrovers betrachtet. Denn aufgrund einer gewagten Entscheidung Meirs fanden Hunderte israelische Soldaten damals den Tod. Guy Nattivs Film entstand bereits 2022 und wurde im Februar 2023 auf der Berlinale uraufgeführt, als noch keiner etwas von den aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen ahnen konnte. Dennoch unterstreichen sie nun sehr eindringlich, wie unverändert zeitgemäß das Thema leider nach wie vor ist. Ähnlich wie im Churchill-Film »Die dunkelste Stunde« mit Gary Oldman, der im Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist, spielt auch »Golda« fast ausnahmslos in Verhandlungsräumen, in denen die Premierministerin mit ihren militärischen Leitern die verzwickte Lage bespricht. Das ist leider nicht durchweg packend, weil das Drehbuch Schwächen und plakative Symbolik aufweist. Vielleicht hätte man der spannenden Figur Golda Meirs noch mehr Raum geben sollen, aber ein richtiges Biopic zur Politikerin entstand schon 1982 mit Ingrid Bergman. Gleichwohl gewinnt der Film durch Mirrens faszinierende Performance und ihre für einen Oscar nominierte Maske. Frank Brenner

Die Gleichung ihres Lebens

Die Gleichung ihres Lebens

F 2023, R: Anna Novion, D: Ella Rumpf, Jean-Pierre Darroussin, Clotilde Courau, 112 min

Gedrungen, versteckt hinter der großen Brille wandelt Marguerite durch die Flure der Fakultät. Die junge Frau widmet ihr Leben ganz der Wissenschaft und der Lösung eines mathematischen Problems: dem Beweis der Goldbachschen Vermutung. Ein scheinbar unlösbares Phänomen. Doch damit gibt sich Marguerite ebensowenig zufrieden, wie ihr Professor Werner. Dem ist jedes Mittel recht, solange es zur Lösung führt. So zögert er nicht, einen fähigen Studenten aus Boston an die Uni zu holen. Die plötzliche Konkurrenz setzt Marguerite unter Druck, zumal es Lucas tatsächlich gelingt, ihre Theorie, für die sie die vergangenen Monate geopfert hat, zu widerlegen. Das wirft Marguerite aus der Bahn und zwingt sie dazu, ihr gesamtes Leben zu überdenken. Außerhalb der Mauern der Fakultät entdeckt sie eine neue Welt. Regisseurin Anna Novion visualisiert die Gleichungen ebenso lebendig wie das Nachtleben, in das ihre Protagonistin eintaucht. So wirkt die Welt der Wissenschaft vielleicht nicht zugänglich, aber doch faszinierend. Ebenso wie die Protagonistin: Marguerite muss die zwischenmenschliche Kommunikation mühsam erlernen. Ihr Coming-of-Age bleibt dabei weitgehend in den vorhersehbaren Bahnen. Hauptdarstellerin Ella Rumpf (»Raw«) spielt das Erwachen ihrer Figur aber einnehmend und stets nachvollziehbar. Dafür erhielt sie vollkommen verdient den César als Beste Nachwuchsdarstellerin. Lars Tunçay

The Bikeriders

The Bikeriders

USA 2024, R: Jeff Nichols, D: Jodie Comer, Austin Butler, Tom Hardy, 116 min

Harte Typen, wenig Worte, dafür jede Menge Gewalt, Harleys und Suchtmittel – die gängigen Klischees über Motorradclubs finden sich auch hier. Doch der Film zeigt noch mehr: Kampf um Anerkennung und Macht, Licht und Schatten verschiedener Gemeinschaftsgefüge und den unaufhaltsamen Wandel des Zeitgeistes. Im Chicago der sechziger Jahre treiben die Vandals unter dem skrupellosen Anführer Johnny ihr Unwesen. Dieser will, dass der stille, aber explosive Schönling Benny eines Tages sein Nachfolger wird. Doch Kathy, Bennys Ehefrau und Erzählerin des Films, fordert nach diversen Vorfällen dessen Abkehr von der immer mehr in eine Spirale aus Gewalt und Kriminalität treibenden Bande. Die Gegensätze treiben die Story an: Die Regeln der Gruppe versus das Aufbegehren gegen Gesellschaft und Gesetze, die Verbundenheit zu Familie und Partner versus die Loyalität zur motorisierten Ersatzfamilie sowie der Respekt und die gleichzeitige Abscheu gegenüber der Bikergang. So ist Benny hin- und hergerissen zwischen seinem Ersatzvater und seiner Gemahlin, die sich – im Gegensatz zu den Faust- und Messerkämpfen – geladene Dialogduelle liefern. Der Film von Regisseur Jeff Nichols (»Loving«) basiert auf dem Fotobuch von Danny Lyon, der selbst Mitglied der Motorrad-Gang »Outlaws Motorcycle Club« war. »The Bikeriders« überzeugt vor allem durch das atmosphärische Setting und die starken Charaktere, allen voran Tom Hardy als grimmig-manipulativer Bandenboss. Markus Gärtner

Der Junge, dem die Welt gehört

Der Junge, dem die Welt gehört

D 2024, R: Robert Gwisdek, D: Julian Vincenzo Faber, Denis Lavant, Corinna Harfouch, 96 min

Einsam sitzt der Künstler Basilio im großen Haus und ist doch nicht allein. An seiner Seite sitzt ein Kobold, ein Derwisch, gleichermaßen Inspiration und Blockade, Fluch und Segen. Basilio komponiert am Klavier, doch es will nicht gelingen. Er hört die Stimmen der Welt, aber kann sie nicht verstehen. Wenn er sich einmal über die Schwelle wagt, landet er beim Lebensmittelhändler an der Ecke, mit dem er sich spitze Wortgefechte liefert. Dort trifft Basilio eines Tages auf Klara, das einzige Mädchen, das wahrscheinlich noch verrückter ist als er. Mit ihr ist er bereit, seine Welt zu teilen. Einen Liebesfilm für Verrückte wollte Robert Gwisdek inszenieren. Also schrieb er ein Buch und drehte drei Monate später auf Sizilien inmitten der Pandemie. In den leeren Straßen von Palermo fand er ein leerstehendes Haus. Hier tobte er sich mit Julian Vincenzo Faber und Chiara Höflich in den Hauptrollen aus. Für alle drei war es ein Debüt: Faber steht eigentlich mit seiner gleichnamigen Band auf den Bühnen, Schauspieler, Autor und Rapper Robert Gwisdek inszenierte zuvor einige Kurzfilme und Musikvideos gemeinsam mit Chiara Höflich. Mit einem leidenschaftlichen Team, dem Geld von Freunden, ohne Förderung und Verleih schufen sie etwas Einzigartiges. Gekrönt wird die quirlige, urkomische Liebesgeschichte von Schauspiellegende Denis Lavant (»Holy Motors«) und der Musik von Sophie Hunger. Lars Tunçay

Auf trockenen Gräsern

Auf trockenen Gräsern

TRK/F/D, R: Nuri Bilge Ceylan, D: Merve Dizdar, Ece Bağcı, Musab Ekici, 197 min

Einer der vielen kleinen Kinotrends der letzten Jahre besteht darin, dass namhafte Regisseure ihre eigene Sinnsuche in Bilder übersetzen. Paolo Sorrentino wäre da gleich mehrfach zu nennen, genau wie Hollywood-Regisseur Alejandro González Iñárritu mit seinem Film »Bardo«. Der türkische Filmemacher Nuri Bilge Ceylan braucht den Vergleich mit solchen Größen nicht zu scheuen. Sein neuestes Werk erzählt von dem Kunstlehrer Samet, der aus Istanbul zum Pflichtdienst nach Anatolien versetzt wurde. Nach vier Jahren Dienst auf dem Dorf und unter widrigsten Bedingungen, möchte er nur zurück in die Stadt. Doch dann tauchen plötzlich Missbrauchsvorwürfe auf. Samet und sein Kollege Kenan sollen zwei Schülerinnen belästigt haben. Was als Me-too-Fall funktionieren könnte, ist hier Anlass für den Protagonisten, sich endgültig seiner Midlife-Crisis zu überlassen. Schwankend zwischen Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid wähnt er sich über den anderen, bis er der Englischlehrerin Nuray begegnet, gespielt von Merve Dizdar, die dafür in Cannes die Goldene Palme als beste Darstellerin gewann. »Auf trockenen Gräsern« erzählt all das in etwas mehr als drei Stunden. Trotz dieser stattlichen Länge wird der Film nie langweilig. Ein starker Cast, ausgiebige Dialoge und eigenwillige Kameraaufnahmen entfalten eine Stimmung, der man sich gerne überlässt. Am Ende wünscht man sich fast, man könnte mit am Feuer sitzen, wenn draußen wieder der Wind heult. Josef Braun

Von Vätern und Müttern

Von Vätern und Müttern

DK 2022, R: Paprika Steen, D: Katrine Greis-Rosenthal, Jacob Lohmann, Nikolaj Lie Kaas, 96 min

Okay, Triggerwarnung: Wer schulpflichtige Kinder hat, könnte hier unliebsame Erinnerungen an endlose Elternabende durchleben. Paprika Steen serviert in 97 Minuten eine Satire, die schmerzhafte Wahrheiten an den Tag bringt. Ob man das lustig findet oder als realitätsfern abtut, liegt also am eigenen Standpunkt. Es bleibt aber nun mal ein Fakt: Wer sein Kind zur Schule schickt, muss sich mit den Eltern der anderen Kinder arrangieren. So ergeht es auch Piv und Ulrik. Ihre Tochter Hannah soll auf eine Schule mit kreativer Ausrichtung, in der Hoffnung der Eltern, dass dort ihre Talente besser gefördert werden. Für die Sechstklässlerin ist es bereits der vierte Schulwechsel innerhalb kurzer Zeit. Meist scheitern die Institutionen am Anspruch der Mutter. Diesmal soll alles klappen, deshalb sind Piv und Ulrik auch sehr bedacht darauf, bei der gemeinsamen Hüttenfahrt einen möglichst guten Eindruck zu machen. Doch die scheinbare Harmonie innerhalb der Elternschaft trügt. Das Wochenende wird bald zur blutigen Schlammschlacht. Die vom Schauspiel in den Regiestuhl gewechselte Paprika Steen hat hier ein Ensemble bekannter dänischer Schauspielerinnen und Schauspieler versammelt: Lisa Loven Kongsli, Carsten Bjørnlund, Nikolaj Lie Kaas, Lars Brygmann: die 13 Akteurinnen und Akteure haben sichtlich Spaß in ihren Rollen und wer sich darauf einlässt, dass unter ihnen absolut keine Sympathieträger zu finden sind, kann sich über ihre Macken und Marotten genüsslich amüsieren. Zumindest bis zum nächsten Elternabend. Lars Tunçay

Sterben

Sterben

D 2024, R: Matthias Glasner, D: Corinna Harfouch, Lars Eidinger, Lilith Stangenberg, 180 min

Tom Lunies sitzt am Tisch seiner Mutter Lissy. Sie hat Kuchen gebacken und serviert ihm dazu die Nachricht ihres nahenden Todes. Was folgt, ist eine minutenlange Abrechnung ihrer nie gewollten Rolle als seine Mutter. In dieser Szene öffnen sich bodenlose Abgründe. Die Familie Lunies ist entzweit. Sohn Tom arbeitet rund um die Uhr an seiner Karriere als Dirigent und ruft gelegentlich bei den Eltern an. Von Tochter Ellen wird nur in der dritten Person gesprochen. Lissy geht am Stock, kann kaum noch sehen, ist alleine und überfordert mit der Pflege des Vaters, der an Parkinson erkrankt ist und nicht mehr für sich selbst sorgen kann. Eine unheilvolle Konstellation, die ungebremst auf den Abgrund zusteuert. Matthias Glasners Filme (»Der Freie Wille«, »Gnade«) gehen an die Substanz. Vielleicht begeben sich deshalb so viele namhafte Schauspielerinnen und Schauspieler in seine Hände. Auch »Sterben« ist Schauspielkino in Vollendung. Die zentrale 15-minütige Szene mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger ist in ihrer Intensität kaum zu ertragen. Glasner unterteilt sein Werk in Kapitel, die jedes Mitglied dieser dysfunktionalen Familie in den Mittelpunkt stellen. Er lässt sie lieben und leiden, aber nie wirklich zueinanderfinden. Drei Stunden Blut und Tränen, Liebe und Hass, das Leben und immer wieder der Tod. Bei der Berlinale gab es dafür den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. Lars Tunçay

Teaches of Peaches

Teaches of Peaches

D 2024, R: Philipp Fussenegger, Judy Landkammer, 102 min

Wer schon einmal auf einem Peaches-Konzert war, weiß, dass das krasse Shows sind. Mit Titten-Kostümen, überdimensionalem Kondom und viel nackter Haut. Der Film »Teaches of Peaches« zeigt die kanadische Künstlerin, die eigentlich Merrill Nisker heißt, nun bei den Vorbereitungen zur großen Jubiläumstour ihres Debütalbums »Teaches of Peaches«, das vor 20 Jahren inklusive Superhit »Fuck the Pain away« erschien. Im Proberaum, im Backstage und in der Maske werden sie und ihr Team begleitet, wie sie sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Haut und Haar auf die exzentrische Sexzirkusshow einlassen. Dazwischen schneiden Judy Landkammer und Philipp Fussenegger (beide: Regie) Archivmaterial und Wortmeldungen von Lebensgefährten und -gefährtinnen: unter anderem Leslie Feist, Garbage-Sängerin Shirley Manson und Chilly Gonzales, mit dem Peaches früher gemeinsam in der Band The Shit spielte, wovon der Film grandiose Live-Aufnahmen zeigt. Die Doku ist aber leider recht herkömmlich aufgemacht (vor allem, wenn man das Verrücktheitslevel von Peaches als Maßstab nimmt) und hat einige Längen, obwohl sie viele Aspekte des feministischen Kampfes, den Peaches oft so kunstvoll führt, nicht groß thematisiert. Zwischendrin erfahren aber auch Peaches-Fans – und für die ist der Film wohl hauptsächlich gedacht – immer mal wieder das ein oder andere Unerwartete. Zum Beispiel wenn ihr Boyfriend verrät, was Peaches privat so sexy findet (Mac&Cheese und Naturwein). Am Ende macht der Film vor allem Lust, mal wieder auf ein Peaches-Konzert zu gehen. Juliane Streich

Mit einem Tiger schlafen

Mit einem Tiger schlafen

AT 2024, R: Anja Salomonowitz, D: Birgit Minichmayr, Johanna Orsini, Lukas Thomas Watzl, 107 min

Alterslos sei sie gewesen, die österreichische Malerin Maria Lassnig. Dementsprechend passt es gut, dass sie im Film in jeder Phase ihres Lebens durch Birgit Minichmayr verkörpert wird. Kombiniert mit einer hybriden Erzählstruktur sorgt diese Besetzung dafür, dass die Chronologie des Lebens der Künstlerin in den Hintergrund, ihre Seele und Bilder sowie die Bildsprache des Films in den Vordergrund rücken. So bleibt das Zuschauererlebnis während des gesamten Films auf ästhetischer Ebene ein erfreuliches, selbst wenn die kleine Maria am Grab der Mutter deren multiple Abwesenheiten betrauert oder unnachgiebig um ihren wohlverdienten Platz in der männerdominierten Künstlerszene kämpft. Jo Molitoris’ Kameraführung transportiert Lassnigs emotionalen Lebensweg unmittelbar auf die Leinwand, wo Bernd Fleischmanns Score Dimension und Wirkungskraft addiert. Bemerkenswert ist zudem Anja Salomonowitz’ sorgsame Inszenierung des künstlerischen Schaffensprozesses Lassnigs. Man könnte dem Film mangelnde Abgrenzung zu etablierten Biopic-Klischees vorwerfen. Da es sich aber um gar kein klassisches Biopic handelt und »Mit einem Tiger schlafen« in so vielen Punkten neue erzählerische Wege beschreitet, wäre das vermessen. Kunst- und Genreinteressierte werden den Film daher gleichermaßen genießen. Laura Gerlach

Die Q ist ein Tier

Die Q ist ein Tier

D 2022, R: Tobias Schönenberg, D: Anna Pfingsten, Martin Timmy Haberger, Annaleen Frage, 81 min

Tierwohl und Fleischkonsum sind brisante Themen, man kennt Videos grausamer Transporte und Massenhaltung und die familieninternen Gefechte, wer was zu den Feiertagen essen will/darf/kann. Viel Stoff – oder besser Fleisch – für einen Film. »Die Q ist ein Tier« ist aber kein gewöhnlicher Film – leider. Beim örtlichen Schlachthofbesitzer werden aus Protest Tierreste vors Haus gekippt, zwei Polizisten ermitteln. Es folgen: viele sprechende Köpfe, Monologe von Dorfbewohnern, skurrilen Mitarbeitern, leidenschaftlichen Tierschützern … 53 (!) verschiedene Rollen, ein Großteil mit leichten psychischen Auffälligkeiten oder starkem Klischeeeinschlag, wie die Eso-Frau, die das Polizeibüro mit Räucherhölzchen von bösen Geistern befreien will. Man erhält Einblicke in Säugetier- und Insektenrecht, die monotone Maschinerie des Schlachtens, politische Seilschaften – und in welche Qualitätskategorie der Schweinepimmel fällt. Der mimische Anteil der Polizeidarsteller besteht im interessierten Zuhören. All das ist zwar gut gespielt, aber weder überaus spannend noch witzig. Da hilft es wenig, dass die engagierte Volontärin der Lokalzeitung in einem weiteren Handlungsstrang durch die Institutionen marschiert, um einen möglichen Skandal hinter dem Schlachthof aufzudecken. Durch den fast völligen Verzicht auf andere filmische Mittel wirkt der Film teils wie aneinandergereihte Showreels der unzähligen Protagonisten und weniger wie gesellschaftlich relevanter Augenschmaus für die große Leinwand – weder Fisch noch Fleisch. Markus Gärtner

Das Zimmer der Wunder

Das Zimmer der Wunder

F 2023, R: Lisa Azuelos, D: Alexandra Lamy, Muriel Robin, Hugo Questel, 94 min

Thelma, eine alleinerziehende Mutter, arbeitet in einer Getränkespedition und wohnt mit ihrem 14-jährigen Sohn Louis zusammen, mit dem sie sich weitestgehend gut versteht. Sie hält auch zu ihm, als es eines Tages Ärger in der Schule gibt, nachdem der Teenager einen älteren Jungen geschlagen hat, weil der ihn regelmäßig mobbt. Das Leben der beiden nimmt jedoch eine schlimme Wendung, als Louis beim Skateboarden von einem Lastwagen angefahren wird. Er fällt ins Koma und es ist unklar, ob er jemals wieder aufwachen wird. In ihrer Ohnmacht blättert Thelma im Tagebuch ihres Sohnes, in dem dieser »Zehn Dinge, die man vor dem Ende der Welt tun sollte« notiert hat. Beseelt vom Wunsch, ihrem Jungen nahe zu sein, beginnt sie damit, seine Liste selbst abzuarbeiten – von einer Autogrammjagd in Tokio bis hin zum Schwimmen mit Walen. Lisa Azuelos Adaption des Erfolgsromans von Julien Sandrel ist anrührend, ohne dabei ins Kitschige abzudriften, und punktet sowohl mit Hauptdarstellerin Alexandra Lamy wie auch mit der Skizzierung der zahlreichen Nebenfiguren – unsympathisch und überzeichnet ist hier niemand. Vor allem aber macht es bei aller Dramatik durchaus Spaß zu erfahren, welcher To-Do-Wunsch als Nächstes angegangen wird, dafür mit Thelma auf Reisen zu gehen und mitzuerleben, wie sie selbst durch die neuen Erfahrungen, die sie stellvertretend für Louis macht, reift und ihre Hoffnung aufrechterhält. Peter Hoch

Evil does not exist

Evil does not exist

J 2023, R: Ryûsuke Hamaguchi, D: Ryûji Kosaka, Rei Nishikawa, Hitoshi Omika, 106 min

Vor drei Jahren landete Ryûsuke Hamaguchi mit »Drive my Car« einen Überraschungshit. Nach der Goldenen Palme in Cannes gab es den Golden Globe und schließlich den Oscar als bester internationaler Film. Auch bei uns begeisterte das dreistündige Drama viele. Der langsam erzählte »Evil does not exist«, Gewinner des Großen Preises der Jury in Venedig, richtet sich da eher an ein aufgeschlossenes Arthouse-Publikum. Dabei ist die Geschichte recht zugänglich und hochaktuell: Der Witwer Takumi lebt mit seiner achtjährigen Tochter Hana inmitten der Natur. Tagsüber bearbeitet er das Holz des Waldes, während Hana über die Wiesen streunt und Rehe beobachtet. Das Gleichgewicht wird gestört, als eine Event-Agentur ein Grundstück am Rande des 6.000-Seelen-Dorfes kauft. Geplant ist dort eine »Glamping«-Anlage – eine »glamouröse Art des Camping«. Als die zwei Abgeordneten der verantwortlichen Agentur das Projekt der Dorfbevölkerung vorstellen, ergeben sich viele offene Fragen: Wohin mit dem Abwasser? Was, wenn jemand ein Lagerfeuer entzündet und damit einen Waldbrand auslöst? Der gutmütige Takumi erklärt sich bereit, mit den beiden Fremden eine für alle akzeptable Lösung zu finden. Die Geschäftsführung verfolgt jedoch ganz eigene Interessen, und dafür ist ihr jedes Mittel recht. Wer hier jetzt einen Öko-Thriller erwartet, sitzt vielleicht im falschen Film. Hamaguchi geht es in langen Einstellungen um die menschliche Dimension der Ereignisse und das Leben in Einklang mit der Natur. LARS TUNÇAY

Morgen ist auch noch ein Tag

Morgen ist auch noch ein Tag

I 2023, R: Paola Cortellesi, D: Paola Cortellesi, Valerio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano, 118 min

Delia lebt mit ihrem Mann Ivano, ihren drei Kindern und dem unerträglichen Stiefvater Ottorino in einem kargen Kellerloch. Tag für Tag schindet sie sich im Haushalt und in der Wäscherei – und gibt den Lohn an ihren Ehemann ab, der immer wieder auf sie einprügelt, wenn ihm irgendwas nicht passt. – Regisseurin Paola Cortellesi legt in den ersten Minuten von »Morgen ist auch noch ein Tag« die deprimierende Basis für ihren Film. Doch dann erleben wir, wie Delia das Haus verlässt, andere Frauen trifft, sich immer etwas Geld beiseite schafft, wenn sie ihre Näharbeiten abliefert. Diese Freiräume wachsen zu einer Geschichte von Emanzipation und Selbstermächtigung. In ihrer Heimat erreichte Cortellesi damit ein Millionenpublikum: »Morgen ist auch noch ein Tag« avancierte zum erfolgreichsten Film des Jahres 2023. In der nach wie vor stark patriarchalisch geprägten italienischen Gesellschaft ein enormer Erfolg. Zumal die Schauspielerin und Drehbuchautorin hiermit ihr Debüt auf dem Regiestuhl vorlegte. Sie stemmt jede einzelne Szene als Hauptdarstellerin und webt als Regisseurin immer wieder überraschende Ideen in die Handlung. Gefilmt im ausdrucksstarken Schwarz-Weiß, reiht sich ihr Film in die Tradition des italienischen Neo-Realismus ein – Filme von Männern wie Roberto Rossellini, Luchino Visconti oder Michelangelo Antonioni. Der weibliche Blick auf die Lebensrealität in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ist äußerst erhellend und mit einem Augenzwinkern inszeniert. An den italienischen Kinokassen ließ der Film damit sogar »Barbie« hinter sich. LARS TUNÇAY

Omen

Omen

B/D/F/CAN 2023, R: Baloji, D: Marc Zinga, Lucie Debay, Eliane Umuhire, 90 min

Der junge Koffi arbeitet als Aushilfslehrer an einer belgischen Schule. Die erste Szene des Films zeigt ihn in seiner Wohnung, wo er sich von seiner Verlobten Alice die Haare schneiden lässt. Die beiden scherzen miteinander, freuen sich auf ihre Reise in den Kongo, wo Koffi seine Aussteuer bezahlen und sich den Segen der Familie abholen möchte. Kurz darauf sitzt Koffi wieder in der Mitte eines Raumes. Doch diesmal trägt er eine Art Holzkasten auf dem Kopf, während ein Priester versucht, ihm böse Geister auszutreiben. Die weiße Alice sieht fassungslos zu. Der Aufprall in der kongolesischen Wirklichkeit könnte für das Ehepaar nicht härter sein. Dabei ist die Kiste nur der Anfang. Zurück in seiner alten Heimat, weichen seine Eltern Koffi aus. Sein Vater geht nicht ans Telefon, seine Mutter schlägt ihm die Tür vor der Nase zu. Das Ganze wäre als dramatischer Stoff schon stark genug, doch das Interesse von Musiker und Filmemacher Baloji reicht über seine Figuren hinaus: Immer wieder verlässt die Kamera die beiden Eheleute, wendet sich scheinbaren Nebenfiguren zu, Straßenkämpfen, Umzügen und dem ganz alltäglichen Leben im Kongo. Dabei findet »Omen« starke Bilder, sowohl für die Entfremdung derer, die aus Europa zurück auf ihre Heimat blicken, als auch für die Welt, die sie erkunden. Stilsicher und visuell einfallsreich erinnert der Film stellenweise an »Get out« und trägt doch ganz eindeutig die Handschrift seines Regisseurs, der mit diesem Debüt für viel Aufsehen gesorgt hat. Josef Braun

Irdische Verse

Irdische Verse

IRN 2023, R: Ali Asgari, Alireza Khatami, D: Sadaf Asgari, Gohar Kheirandish, Farzin Mohades, 77 min

Ali Asgaris und Alireza Khatamis Film »Irdische Verse« ist in zehn Sequenzen untergliedert, die jeweils mit einer einzigen Kameraeinstellung auskommen, die jeweils einen Protagonisten oder eine Protagonistin ins Bild rückt und deren Dialogpartner lediglich akustisch erfasst. Fünfmal stehen Frauen im Mittelpunkt, fünfmal sind es Männer, die ihre Probleme mit den staatlichen und religiösen Bestimmungen im Iran haben. Wir sehen beispielsweise einen Vater, der seinen neugeborenen Sohn David nennen möchte, was abgelehnt wird, weil es sich dabei um einen westlichen Namen handelt. Ein junges und selbstbewusstes Mädchen muss sich in einem Bekleidungsgeschäft für die Einschulung mit traditionellen Gewändern ausstatten lassen, die ihr überhaupt nicht gefallen. Eine junge Frau bei einem Bewerbungsgespräch wird mit immer persönlicheren Fragen drangsaliert und soll dem Firmenchef schließlich auch körperlich immer näher kommen. Ein Mann muss zur Aushändigung seines Führerscheins eine Rechtfertigung über die Tätowierungen ablegen, die seinen Körper zieren – und diese auch allesamt enthüllen, ungeachtet der Schamgrenze, die dabei überschritten wird. Immer wieder wird hier deutlich, wie fremdbestimmt insbesondere Frauen im Iran zu handeln haben, wie abhängig viele Menschen von den Hierarchien sind, seien es diejenigen offizieller Stellen des Landes oder innerhalb privat geführter Unternehmen. Etliches davon ist überaus humorvoll inszeniert, gerade weil es oft so absurd anmutet. Aber hinter alldem steckt leider ein bitterer Realismus, bei dem einem das Lachen schnell im Hals steckenbleibt. Frank Brenner