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Rezensionen

The Last of Us 2

The Last of Us 2

Blutbad

Entwickler: Naughty Dog, Publisher: Sony, Preis: 59 €

Nach 27 Stunden flimmert der Abspann über den Screen und die Tortur hat ein Ende. Stunde für Stunde voll nicht enden wollendem Leid, Wut, Enttäuschungen und immer wieder töten, töten, töten. »The Last of Us 2« ist ein Spiel, das spaltet. Auf der einen Seite stehen die Kritiker, die es als Meilenstein des Mediums feiern, das endlich, endlich den Kinderschuhen entwachsen sei. Dem gegenüber steht die laute Spielerschaft in Onlineforen, die es verdammen für die Storyentscheidungen der Macher. Der zweite Akt von Naughty Dogs immens erfolgreicher Dystopie der ausgehenden PS3-Ära sticht das Messer in die Halsschlagader des ersten. Der Spieler lernt Ellie, die wir damals beschützten, zu hassen, weil ihre Entscheidungen immer weniger nachvollziehbar werden. So entwickelt man eine körperlich spürbare Abneigung dagegen, weiterzuspielen. Sei es, weil das Spiel dem Medium – das definiert wird von den »Call of Dutys« und »Dooms« – und damit dem gewaltgeilen Spieler den Spiegel vorhält oder weil es Themen wie Homophobie in den Mix bringt. Nein, wer »The Last of Us 2« spielen will, weil er den ersten Teil »geil« fand, wird hier nicht bedient. Das ist Absicht, gewiss, und man kommt nicht umhin, den Entwicklern eine gewisse Portion Chuzpe zu attestieren, mit den Erwartungen der Spieler zu brechen. Die Grafik ist zudem betörend. Die Umgebung, das zerstörte, überwachsene Seattle, eine Augenweide, die Mimik der Figuren so lebensecht, dass sie einem schmerzhaft nahe kommen, und es gibt stille Momente, die bleiben. Das hervorragende Gameplay von Teil eins verfeinerten Naughty Dog derweil zur Perfektion. Das Töten geht so gut von der Hand wie nie. Aber leider bietet Teil zwei auch dem Spieler, der nach einer tiefgehenden Story sucht, zu wenig. Denn im Kern ist »The Last of Us 2« eine Rachegeschichte – und die sind schon im Medium Film, dem die Entwickler sich mit der cinematischen Präsentation und der komplexen Narration eindeutig annähern wollen, vor allem im Schundregal zu finden. Die Essenz, dass Gewalt der falsche Weg ist und nur Gegengewalt erzeugt, dürfte den meisten Spielern bereits früh klar werden. Wer das nicht einsieht, hat längst abgeschaltet. Am Ende quält man sich zum Abspann, abgestumpft ob der ekelerregenden Gewaltdarstellung. Trotz Grafik und Gameplay auf hohem Niveau ist das, was nach 27 Stunden bleibt, einfach zu wenig. Lars Tunçay

Sony

Resident Evil (1996)

Resident Evil (1996)

Der Klassiker

Die Erfolge von George A. Romeros Zombiefilm-Klassikern gingen auch an den Videospielen nicht spurlos vorbei. Seit den frühen achtziger Jahren gibt es die wankenden Gestalten auch auf Konsolen und Arcade-Automaten. Doch erst »Resident Evil« erzeugte bei den Spielern Angst und Schrecken. Schon vier Jahre zuvor hatte »Alone in the Dark« das »Ich-bin-ganz-allein-in einem-Anwesen-und-muss-überleben«-Szenario geprägt. »Resident Evil« orientierte sich mit seinen festen Kamerawinkeln am Vorbild und am eigenen Horrorspiel »Sweet Home«, war wegen der besseren Grafik aber deutlich gruseliger. Und während man entweder als Chris Redfield oder Jill Valentine das alte Herrenhaus erkundete und schreiend den Controller gegen die Wand knallte, weil ein Zombiehund unvermittelt durch die Fensterscheibe sprang und die Munition schon wieder alle war und man panisch floh: Dann war das der klassische Survival-Horror, den »Resident Evil« bis heute immer weiter perfektionierte. Denn die Reihe gibt es anders als »Alone in the Dark« immer noch. Entwickler Capcom hat den zweiten und dritten Teil als Remakes spektakulär wiederveröffentlicht. Fans dürfen sich in einer Umfrage jetzt wünschen, welcher Teil der Reihe neu aufgelegt werden soll. Das erste »Resident Evil« ist dabei längst überfällig. Denis Gießler

Separation

Separation

Ein Ort der Einsamkeit

Publisher: Recluse Industries, Plattform: PSVR, Preis: 15 €

Eine zerklüftete Einöde erstreckt sich bis zum Horizont und darüber hinaus. Von der Natur überwachsene Spuren einer längst vergangenen Zivilisation, eingefallene Tempelbauten – ein gigantischer Koloss aus Stein dominiert die Szenerie. In dieser trostlosen Umgebung fand Martin Wheeler den Halt, der ihm seit dem Tod seines Vaters abhandengekommen war. Vier Jahre schuf er diesen Rückzugsort, allein kämpfte er gegen technische Widrigkeiten, um nun inmitten dieser Welt zu stehen und endlich Frieden zu finden. Es sind persönliche Gründe, die er in einem ehrlichen Brief an die Außenwelt erläutert. Trotzdem hofft er, mit seinem Werk auch anderen, die wie er unter Depression leiden, Halt zu geben. »Separation« ist ein Ambient-Adventure, das sich grundsätzlich durch seine Atmosphäre definiert. Inspiriert von Fumito Uedas »Ico« und der epischen Leere der Gemälde von Caspar David Friedrich kreierte Wheeler einen Ort in der virtual reality – geschaffen, um sich darin zu verlieren. Er möchte der hyper-verbundenen Welt, die uns umgibt, ein Gefühl der Einsamkeit entgegensetzen. Das gelingt. »Separation« ist kein schönes Spiel. Die Schalterrätsel bieten ebenso wenig Erklärung wie die verteilten Fetzen einer größeren Geschichte. Das Bewegen in der surrealistischen Halbwelt erfordert Geduld. Manchmal scheitern die Ansprüche an der Technik. Aber dennoch ist Wheeler etwas Einzigartiges gelungen: ein Ort der Einsamkeit, der uns alle verbindet. Lars Tunçay

Recluse Industries

Maneater

Maneater

Hai-Hype

Entwickler: Tripwire Interactive, Publisher: Deep Silver, Preis: 40 €

Irgendwie hört es sich immer ein bisschen traurig an, wenn man sagt: »Die Idee war doch gut!« Das impliziert, dass etwas viel Besseres und Schöneres möglich gewesen wäre – wenn das vorhandene Potenzial ausgenutzt worden wäre. Dieser Gedankengang passt zu »Maneater«, denn das Setting ist spektakulär. Einen Bullenhai steuert man schließlich nicht alle Tage durch die Weltmeere und -flüsse. Ein Hai muss tun, was ein Hai tun muss. Und das ist vor allem Fressen: andere Fische, Robben, Schildkröten, Alligatoren – und natürlich Menschen. Es ist der Lauf der Dinge und jeden Tag das Gleiche: aufwachen in der Grotte, fressen, wachsen, weiterentwickeln und neue Jagdgebiete finden. Schnell entschlüpft der Hai der Baby-Größe und wird zu einem Teenager und dann zu einem ausgewachsenen Exemplar. Ihn treiben laut Story Rachegelüste an, da ein bärbeißiger Fischer seinen Mama-Hai auf dem Gewissen hat. Was am anderen Ende des Bildschirms ankommt, ist die Aussicht auf das Ausleben ungezügelten Hungers und großer Wut. Das fühlt sich so an, als würde man im Keller mit einem Baseballschläger alle alten, angeschimmelten Möbel zerkloppen. Leider wiederholt sich alles andauernd und wird auch schnell langweilig – aber so ist ein Hai-Leben halt wahrscheinlich. Das Besondere an »Maneater« ist der Eskapismus. Und besser als der Klappentext kann man es nicht treffen: »It sucks being a human in 2020, so be a shark instead.« Marc Bohländer

Deep Silver

Summer in Mara

Summer in Mara

Im Sommerloch

Preis: 22 €

Entschleunigung brauchen wir alle. Natürlich sitzen wir seit Ewigkeiten zu Hause auf unserem Hintern herum, aber wir rennen die Wände hoch, wir schauen zu viel auf Bildschirme, dann auch noch Nachrichten und nun wünschen wir uns vielleicht, wir könnten dieses zivilisatorische Schlagloch auf einer weit abgelegenen Insel aussitzen. Können wir aber nicht, und das ist vielleicht ein Grund, warum genau jetzt »Summer in Mara« erscheint. Es muss wohl dringend gewesen sein, denn es kommt – bei aller Liebe – zu früh. Es spielt sich wie die Vorabversion eines Spiels, das einmal richtig gut werden könnte. Die Menüs sind unübersichtlich, die Steuerung ist steif und das Spiel stockt, es würgt an einem halbzerkauten Brei aus Crafting, Survival und Adventure. Aber dafür ist Mara jetzt da, und wir können damit spielen. Es ist: eine Inselgruppe, weitab von allem, in einem Meer auf einer Fantasywelt. Hier lebt die jugendlich naive Heldin Koa auf einer winzigen Insel in scheinbar großer Freiheit. Aber sie hat eine liebe Oma, die aussieht wie ein Wasser-Alien. Und Omi bringt uns Verantwortung bei. Sie erklärt in öden Tutorials die nicht verhandelbaren Kernmechanismen des Spiels. Die Heldin muss gärtnern, angeln, sammeln, kochen und dabei ihre Vitalzeichen im Blick behalten. Das alles ist einfach, aber auch etwas zu simpel und zu platt, um wirklich Freude zu bereiten. Besser ist die Geschichte. Omi ist plötzlich weg, andere fremdartige Wesen treten auf, und Koa entdeckt schließlich gemeinsam mit den Spielern die weite Welt. Hier trifft sie auf bunte, wirklich gut geschriebene Charaktere voller Marotten und Frechheiten. Alle haben ihre eigenen Pläne und Wünsche, und niemand wartet auf eine hilfsbedürftige fremde Göre. Koa muss sich behaupten, Freunde finden und dann aber immer wieder auch Spielmechanismen bedienen, die keinen Spaß machen. Die platten Such- und Sammelaufgaben in augenscheinlich nicht ganz fertig gebauten Spielwelten stellen Spieler vor eine Geduldsprobe: Ist es das wert? Vielleicht ist es das nicht. Wer nach Mara reist, der sollte kleine Meisterwerke wie »A Short Hike« und moderne Klassiker wie »Stardew Valley« schon durch haben. Und auch im Sommerloch erscheinen heutzutage bessere Spiele. Einige der besten Neuheiten sind allerdings freudlos, handeln von Blutrache gegen Todfeinde, vom Untergang der Menschheit, von brutalen Invasionen. Vielleicht ist es das auch nicht. Den Ansatz und die Stimmung von »Summer in Mara« brauchen mehr Spiele. Schließlich hocken Menschen gelähmt vor dem Bildschirm und warten darauf. Jan Bojaryn

Xcom: Chimera Squad

Xcom: Chimera Squad

All Cops Are Aliens

Entwickler: Firaxis, Plattform: PC, Preis: 20 €

Fortsetzungen leiden häufig an Blähungen, auch die eigentlich starke Xcom-Serie. In dem rundenbasierten Taktikspiel kämpfen Supersöldner gegen eine Alien-Invasion. Teil 1 war packend wie ein früher Schwarzenegger, Teil 2 laut studierter Xcom-Experten noch besser. Aber jedes einzelne Scharmützel dauerte Stunden. Jetzt hat die Serie eine Abzweigung genommen. In »Chimera Squad« verbünden sich Menschen und Aliens, um als Polizei eine Stadt am Siedepunkt zu befrieden. Erzählerisch ist das Ergebnis nicht super, unaufregend wie eine Film-Fortsetzung als Fernsehserie. Aber die Erzählung war in diesen Spielen eher ein Feigenblatt. Es ging darum, kleine Comic-Helden über ein virtuelles Spielbrett zu schieben. In diesem Ableger wird die Geschichte nicht besonders ernst genommen, und das ist genau richtig. Verzweifelte Kämpfe gegen übermächtige Invasionen gibt es in Videospielen schon zu oft – Alien-Smalltalk in der Umkleide dagegen nicht. Die One-Liner sitzen nicht, aber sie laufen gut nebenher, während die gemischtmenschliche Polizei ihre Stärken ausspielt: auf kleineren Karten, in kürzeren Einsätzen mit bunteren Mitteln. Zwischendurch mal einen Terroristen bewusstlos quetschen, einen Kriminellen telepathisch ins Nirwana schicken, das ist leichter, befreiter Spaß. Unterforderte Xcom-Experten dürfen immerhin den Schwierigkeitsgrad hochregeln und sich eine Handvoll taktischer Neuerungen erarbeiten. Win-win!  Jan Bojaryn

Disaster Report 4: Summer Memories

Disaster Report 4: Summer Memories

Katastrophales Timing

Entwickler: Granzella, Preis: 60 €

Im Wörterbuch steht unter dem Eintrag »schlechtes Timing« ein Screenshot von »Disaster Report 4: Summer Memories«. Bereits 2011 war das Spiel nahezu fertiggestellt, als ein Erdbeben und infolge dessen ein Tsunami die Küste von Tōhoku traf. Keine guten Voraussetzungen für den vierten Teil einer langjährigen Serie, die sich mit den Folgen eines verheerenden Bebens in einer Großstadt auseinandersetzt. Also wurde die Entwicklung kurzerhand gestoppt und »Disaster Report 4« verschwand in der Schublade. Drei Jahre vergingen, in denen der Publisher »Irem« seine Spieleabteilung dichtmachte und die Entwickler eine neue Firma gründeten: Granzella als Hommage an den »Master of Disaster«, Godzilla. »Disaster Report 4« spielt sich ein wenig wie eine Visual Novel in 3D, spielerisch wirken sich die Entscheidungen kaum aus. So erblickte das Spiel 2018 doch noch das Licht der japanischen Welt und sollte anderthalb Jahre später auch eine englische Version bekommen. Und die fiel nun mitten rein in die nächste Naturkatastrophe. Sei es drum, Teil vier ist wie seine Vorgänger ein launiges Actionadventure, in dem ihr durch eine von Nachbeben erschütterte Stadt in Trümmern spaziert. Es geht ums eigene Überleben und – wenn man sich dafür entscheidet – auch um das der Mitmenschen. Das Setting ist angenehm ungewöhnlich, die Technik allerdings auf dem Stand von 2011. Das ist keine Katastrophe, sofern man etwas für japanische Soaps übrig hat.  Lars Tunçay

Mount & Blade II: Bannerlord

Mount & Blade II: Bannerlord

Feldherrlich

Entwickler: Taleworlds Entertainment, Plattform: PC, Preis: 50 €

Nach acht Jahren Produktionszeit ist »Mount & Blade II: Bannerlord« des kleinen türkischen Studios Taleworlds noch immer nicht fertig – aber bereits bei Steam kauf- und spielbar. Schon jetzt ist beeindruckend, was die Entwickler geschaffen haben: eine dynamische, fiktive Mittelalterwelt mit Dutzenden Städten, Burgen und Dörfern, in der sich Hunderte Spielfiguren autonom bewegen.  Adelige führen Kriege gegeneinander, Händler reisen von Stadt zu Stadt, Banditengruppen treiben ihr Unwesen. Auf dem Kontinent Calradia kämpfen sechs Nationen um Macht, Einfluss und Land. Das Ganze ist deutlich von der realen Historie beeinflusst. Im Zentrum des Landes herrschte bis vor Kurzem ein mächtiges Imperium, das stark an das Römische Reich erinnert, im Westen sitzen Quasi-Engländer und -Schotten, im Osten die Mongolen, im verschneiten Norden die Wikinger und im Süden ein Wüstenvolk. Der Spieler erstellt in diesem Umbruch einen Charakter, heuert eine Handvoll Männer (dank Mod auch Frauen) an und beginnt kleine Aufträge für Dorfbewohner zu erledigen und Handel zu treiben. Später verdingt er sich als Söldner für eines der Adelshäuser, um irgendwann ein eigenes Königreich zu gründen – und für Nachwuchs zu sorgen, um seinen Clan zur herrschenden Dynastie zu machen. Das Progression-System von »Bannerlord« ist mächtig. Der eigene Charakter sammelt Erfahrung nach dem Learning-by-Doing-Prinzip – es werden die Skills verbessert, die man auch tatsächlich einsetzt. Auch die angeheuerten Soldaten steigen nach Kämpfen im Rang auf und der Clan des Spielers gewinnt im Verlauf einer Kampagne an Ansehen. Irgendwann kontrolliert man mehrere Städte und Burgen – die ebenfalls mit verschiedenen Bauwerken verbessert werden können – und führt Hunderte Soldaten in die Schlacht. Dabei ändert sich das Gameplay entsprechend der Rolle, die man spielt: Wer ein ganzes Königreich zu verwalten hat, wird sich nicht mehr damit abgeben, eine Händlerkarawane quer über die Karte zu eskortieren. Ob auf offenem Feld gekämpft oder eine Burg belagert wird: Kommt es zum Gefecht, wechselt das Spiel von der Karte in die subjektive Kamera. Dann steuert man seine Hauptfigur direkt und gibt seiner Armee in Echtzeit Befehle. Hier glänzt »Bannerlord«, gerade im Vergleich zum grafisch altbackenen Vorgänger. Das Kampfsystem mit Schwert, Lanze, Bogen oder Armbrust funktioniert richtig gut. Und wenn man an der Spitze auf seinem Schlachtross eine Burgmauer stürmt oder mit der Kavallerie im Rücken seiner Infanterie im richtigen Moment das Angriffssignal gibt, dann fühlt sich das ganz feldherrlich an. Alexander Praxl

Doom Eternal

Doom Eternal

Hölle auf Erden

Entwickler: id Software, Publisher: Bethesda, Preis: 50 €

Schon im Intro von »Doom Eternal« läuft es einem kalt den Rücken runter. Von oben wird die blaue Murmel gezeigt, rote Infizierungsfäden ziehen sich über das Land, pulsieren in Zentren, wo einst Menschen lebten und jetzt Dämonen die Welt regieren. In Zeiten von Corona wirkt die Bildsprache hier noch drastischer. »Eternal« verlagert die bekannte Story Mensch versus Dämon auf die Erde und bietet dabei wiederum eine Vielzahl unmenschlicher Schlachten, in denen das Spiel einem in atemraubender Geschwindigkeit die Gegner entgegenschleudert.  Da rast einem schon nach wenigen Minuten der Puls auf 180 und man leidet Höllenqualen (pun intended). Und hier liegt der Reiz sowie das Problem des Spiels. Ein Trend unter Actionspielen ist es, Kampagnen so schwer spielbar anzulegen, dass sich einzig Hardcore-Gamer angezogen fühlen. Und die dürften bei »Doom Eternal« auf ihre Kosten kommen. Das Gemetzel ist unendlich, das Tempo grenzenlos – wem das nicht reicht, der setzt den Schwierigkeitsgrad hoch. Allen anderen bleiben die Frustration beim hundertsten Respawn und die Hilfsfeatures, die das Spiel Anfängern als Feigenblatt zur Verfügung stellt.  So lassen mit der Kettensäge getötete Gegner Munition fallen und mit dem Flammenwerfer versengte Dämonen zerfallen in Rüstungs-Upgrades. Beides hilft aber nicht lange, denn die Myriaden an Dämonen werden auch immer stärker und somit bleibt nur die Erkenntnis: Wir alle fahren zur Hölle.  Lars Schmeink

Bethesda

The Room VR

The Room VR

Die anderen vier Wände

Preis: 30 €

Rauszuwollen, das kennen wir alle. Eine Pointe dazu ist dermaßen abgedroschen, dass auch Steven Spielberg sie schon vor Jahren verwendet hat: In einer trostlosen Welt setzen Menschen sich VR-Brillen auf, um aus der trostlosen Realität zu flüchten. Und wenn wir dann die Brille aufhaben, popelt uns Spielberg mit dem erhobenen Zeigefinger in der Nase. Das ist nämlich gar nicht die richtige Flucht. Das ist doch nur eine Simulation. Das mag stimmen, aber besserwisserisches Herumgewichse bringt uns nicht weiter. Die Wahrheit ist: Fototapeten wirken. Eine schöne Naturdoku ist kein Ausflug in die Natur – aber ihr Anblick ist erholsamer als zum Beispiel der einer Raufasertapete. Und wer eine VR-Brille hat, der kann in die Fototapete einziehen. Vor dem Hintergrund fühlt es sich wie eine besondere Pointe an, dass die virtuelle Realität nach Jahren der Enttäuschungen dann besser wird, wenn wir alle daheim bleiben müssen. Letztes Jahr zielte die Brille Oculus Quest erstmals glaubwürdig auf einen Massenmarkt. Sie ist einfach zu bedienen, sie muss nicht irgendwo angeschlossen werden, auf ihr laufen schöne Spiele und sie ist nicht obszön teuer. Dieses Jahr erschien mit »Half-Life: Alyx« so etwas wie der erste VR-Gassenhauer. »Alyx« ist ein Spiel für teure Highend-Hardware, für eine Nische in der VR-Nische. Aber es ist erstmals ein VR-Spiel, das alle spielen wollen. Ein Spiel, das alle spielen sollten, ist jetzt für fast alle VR-Plattformen erhältlich: das öde betitelte »The Room VR: A Dark Matter«. Das britische Entwicklerstudio Fireproof Games hat mit der Serie »The Room« auf dem IPad Erfolg gehabt. Auf dem Touchscreen inszenierten sie unheimliche Rätselkistchen, die sich wirklich ein bisschen so anfühlten, als könnte man sie durch das Glas hindurch anfassen. Jetzt wächst die Idee zu einem kompletten, betretbaren Escape Room. Sowieso wird alles angefasst. Und waren die Schauerspiele bisher heimelig, wirken sie jetzt beklemmend. Schlimm ist das nicht. Der Besuch im Room ist auch nicht traumatischer als in der Geisterbahn. Und er ist ein Tapetenwechsel.  In dem Spiel geht es darum, die Spuren verschwundener Menschen zu verfolgen, die auf der Suche nach uralten Geheimnissen unmögliche Wege aufgetan haben. Und dann womöglich selbst zu verschwinden. Was auf dem Tablet gemütlich wie eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe war, ist jetzt fesselnd ungemütlich. Und wenn aus einer Rätselkiste plötzlich schwarz glänzende Tentakel rauswachsen, dann freuen sich Spieler auch wieder auf den beruhigenden Anblick der Raufasertapete daheim. Jan Bojaryn

Dreams

Dreams

Luzides Träumen

Entwickler: Media Molecule, Preis: 40 €

Alles an »Dreams« ist traumhaft schön. Die Stimme, die uns mitnimmt in das Traum-Universum, unser kleiner knuffiger Cursor namens Imp, die Welten, die wir kreieren. Oder aber albtraumhaft gruselig – ganz wie es dem Schöpfer beliebt. »Dreams« gibt einem die Werkzeuge in die Hand und sie sind mächtig, aber denkbar einfach zu handhaben.  Der Editor verzichtet auf verschachtelte Menüs, macht das Kopieren einzelner Spielelemente spielend leicht und lässt uns so innerhalb kurzer Zeit ganze Welten schaffen. Wer keine Lust hat, selbst kreativ zu werden, findet in »Dreams« aber auch einen praktisch unendlichen Spielplatz der Kreationen. Die Vielfalt reicht vom wundervollen dreistündigen Jazz-Adventure »Art’s Dream« bis zur herrlichen Godzilla-Zerstörungsorgie »Ruckus«.  Auch wenn nur wenige die Qualität dieser Traumwelten von Media Molecule erreichen, ist »Dreams« abseits dessen auch ein Garten irrsinniger Ideen wie dem »First Person Left Hand Cooking Simulator« oder psychedelischer Stilblüten wie »Synesthesia«. Etliche Ideen sind roh und unfertig. Viele Nutzer probieren sich aus und bauen erst mal Sonic, Mario und GTA nach, kreieren Musikvideos oder Kurzfilme. »Dreams« ist im ständigen Wandel. Das Feedback der Spieler hilft bei der Auswahl, denn das Rückgrat ist die Community. Mit ihr steht und fällt, was »Dreams« kann – und mit dem Support des Herstellers, der für den Sommer ein VR-Update angekündigt hat. Lars Tunçay

Murder by Numbers

Murder by Numbers

Picross ist ihr Hobby

Entwickler: Mediatonic, Plattform: Switch, PC, Preis: 12 €

Wie heißt noch mal diese Fernsehserie aus den neunziger Jahren, in der eine Schauspielerin ständig in Kriminalfälle hineinstolpert? Die sie gemeinsam mit einem fliegenden Serviceroboter löst? Mit einem grummeligen Polizisten, der so eine Art Vaterfigur ist? Auf die Antwort wäre selbst Jessica Fletcher nicht gekommen. Was sich wie altes Fernsehen anfühlt, ist ein nostalgisches Spiel namens »Murder by Numbers« – eine kleine, interaktive Krimiserie in vier Folgen. Die Geschichte spielt im sexistischen, rückständigen, aber irgendwie auch heimeligen Hollywood der Neunziger. Die Amateur-Detektivin Honor und ihr Sidekick-Roboter »Scout« durchqueren Text- und Bildtafeln, führen Dialoge, lösen wendungsreiche Mordfälle und scannen nach Spuren. Der Scanvorgang ist das Fleisch auf den Knochen dieser ansonsten leichten Kost. Wenn Scout Bilder erkennen will, müssen Spieler Nonogramme lösen, bekannt auch als Picross. In dieser Rätselgattung müssen Spieler ein Raster anhand von Zahlentipps in Reihen und Spalten ausfüllen. Nonogramme haben treue Fans, und dieses Spiel ist ein guter Rahmen, sie zu spielen. Es ist dermaßen niederschwellig, die Rätsel entwickeln einen derart großen Sog, dass es in einem Paralleluniversum ein Hit sein müsste. Wer im Büro oder an der Uni oder in der Straßenbahn Zeit verdaddeln will, der findet hier watteweichen Eskapismus bis zur Endhaltestelle. Lars Tunçay

Temtem

Temtem

Pikachu pubertiert

Preis: 31 €

Wir müssen uns Pikachu als ein unglückliches Pokémon vorstellen. Es könnte so vieles aus seinem Leben machen, aber es darf nicht. Über zwei Jahrzehnte steckt es im Hamsterrad: In immer gleichen Spielen kämpft es Runde um Runde gegen immer dieselben Taschenmonster. Ohne den elektrischen Zauberschweif wäre längst alle Spannung verflogen. Die Fans wollen es so. »Pokémon« ist ein noch viel größeres multimediales Phänomen, als viele Menschen in unserem Kulturkreis ahnen. Millionen Kinder sind mit der Serie aufgewachsen. Sie werden Pikachu niemals gehen lassen. Als Entwickler Game Freak es gewagt hat, für das aktuelle »Pokémon«-Spiel auf der Nintendo Switch ein paar alte Zöpfe der Serie abzuschneiden, tobte ein Monate währender Shitstorm. Weil nicht mehr alle Pokémon aller Zeiten im sogenannten Pokédex gesammelt werden konnten, trendete #Dexit auf Twitter. Unter dem Druck sind »Pokémon«-Spiele erstarrt. Sie können und dürfen sich nicht mehr entwickeln. Den möglichen Ausweg hat »Temtem« gefunden. Es ist ein Spiel erwachsener Pokémon-Fans mit anderen niedlichen Monstern; von seinem Vorbild ist »Temtem« dermaßen inspiriert, dass man die beiden übereinanderlegen und gegen das Licht halten muss, um Unterschiede zu erkennen. Spieler schlüpfen in die Schuhe heranwachsender Helden, ziehen in die Welt, fangen und trainieren kleine Monster, duellieren sich, werden berühmt, schlagen gelegentlich ihren alten Rivalen aus Kindheitstagen. Der Titel ist noch nicht fertig, kann aber auch halbfertig gekauft und gespielt werden. »Temtem« ist ein MMO, also ein Online-Rollenspiel, in dem viele Spieler dieselbe Welt bevölkern. Menschen treffen ungefiltert aufeinander, laufen aber interaktionsfrei aneinander vorbei. Bald sollen sie Temtems tauschen und sich duellieren können; Inseln, Monster und Spielmöglichkeiten werden laufend nachgereicht. Was bisher da ist, funktioniert aber sehr gut für Menschen, denen das Original zu simpel geworden ist und die sich nach einem Endgame mit härteren, pubertierenden Monstern sehnen. Statt immer brav mit einem Pokémon auf einmal treten die Trainer hier mit zweien gleichzeitig an. Das steigert die Komplexität um 100 Prozent. Und dann wimmelt es im Spiel von halbwegs starken Gegnern. Wie in anderen Rollenspielen für Erwachsene auch. Ist das also die wahre neue Evolutionsstufe? Gibt es im Spiel Monster mit Brusthaaren? Bisher nicht. Nur »Baboong«, immerhin eine Art Affe mit üppigem Backenbart. Aber vielleicht kommen die noch. Das Spiel ist früh dran. Bisher beweist es nur, dass es als schwierigeres Fauxkémon funktioniert. Jan Bojaryn

Tomb Raider (1996)

Tomb Raider (1996)

Der Klassiker

Ursprünglich sollte die bekannteste Videospielfigur der Welt eigentlich ein Mann werden und später »Cruz« mit Nachnamen heißen. Weil Chef-Designer Toby Guard die weibliche Spielfigur aber bevorzugte, entschied er sich für Lara Croft als Protagonistin des »Tomb Raider«-Franchises. Mit dem ersten Teil nahm das Grabräubern seinen Anfang. Eine weibliche Spielfigur war damals eine absolute Ausnahme. Zwar wäre Lara in der Realität mit spitzen Polygonbrüsten und winziger Taille nicht überlebensfähig gewesen, ermöglichte so aber erst den Diskurs über die Darstellung von Frauen in Games. Durch ihre taffe Art brach sie die Dominanz männlicher Spielfiguren. »Tomb Raider« orientierte sich an Plattformern wie »Prince of Persia« und übertrug sie auf 3-D-Levels. Anders als in 2-D-Welten war das Orientieren hier viel schwieriger. Die Entwickler bauten ihre Welten deshalb aus quadratischen Blöcken, die exakt auf die Sprünge von Lara ausgerichtet waren. Sprungpassagen, Erkunden und Ballern: Das moderne Action-Adventure war geboren. Nach »Tomb Raider« explodierte das Franchise: Lara hatte Auftritte in Musikvideos, 2001 übernahm Angelina Jolie die Rolle der Grabräuberin. Und auch für alle Nachfolger gilt: Nein, es gibt keine geheime Sprungkombination, die Lara entkleidet. Denis Gießler

Death Stranding

Death Stranding

Post-Apokalypse

Preis: 50 €

Regisseur Ken Loach zeigt in seinem neuesten Film, wie hart das Leben eines Paketboten in Großbritannien ist. Sam Porter Bridges kann darüber nur lachen. Immerhin hat der Protagonist von »Sorry we missed you« einen Lieferwagen. Den wünscht man sich bisweilen auch in »Death Stranding«. Stattdessen klettert Sam stundenlang über lebensfeindliches Terrain, wandert über wolkenverhangene Ebenen und ständig regnet es. Dann muss Sam schleunigst ins Trockene, denn diese Art von Regen – »Timefall« genannt – lässt alles altern, was damit in Berührung kommt. Es ist wahrlich keine lebenswerte Welt, die Spieleguru Hideo Kojima da geschaffen hat. Der Alltag eines Postboten in der Postapokalypse ist genau das, wonach es sich anhört: Arbeit. Eine gesunde Affinität zum Leiden muss man dabei ebenso mitbringen wie eine gewisse Frustresistenz, wenn man nach minutenlanger Kletterpartie vor einer Felswand steht, die nicht einmal die stets parate ausfahrbare Leiter überwinden kann. Das Ziel ist vorgegeben. Den Weg dorthin erarbeitet man sich selbst. Warum man das auf sich nimmt? Für ein weiteres Puzzleteil der verquasten Geschichte? Für Likes, Ruhm und Ehre? Keine Ahnung. Sicher ist, dass man auf den langen Gewaltmärschen viel Zeit hat, darüber nachzudenken. Lars Tunçay

Zombie Army 4

Zombie Army 4

Gott des Gemetzels

Preis: 50 €

Niemand erwartet von »Zombie Army 4«, dass es einen Preis für innovatives Storytelling gewinnt. Die Entwickler, die auch für die »Sniper Elite«-Reihe verantwortlich zeichneten, sehen selbst keinen Anlass dazu. Wie schon im Vorgänger »Zombie Army Trilogy« geht es auch in Teil vier um Nazi-Zombies und das große Gemetzel. Da ist Story zu vernachlässigen, auch wenn sie rudimentär für so etwas wie Zusammenhang sorgt. Vielmehr besteht der Reiz des Spiels in seiner Simplizität und dem nicht zu unterschätzenden Trash-Faktor. Wie ein Exploitation-Movie aus den siebziger Jahren liefert man sich vor allem im Multiplayer-Modus mit bis zu vier Spielern wundervoll grotesk überzeichnete Feuergefechte mit unendlichen Zombie-Horden. Das ist so schlecht, dass es wieder gut ist – und es baut Stress ab. Im Gegensatz zum Vorgänger ist »Zombie Army 4« deutlich schöner anzuschauen, mit detailreichen Leveln und neuen Zombies, die einen herausfordern. Auch das Spieldesign hat man verbessert, neue Funktionen, neue Waffen und neue Upgrades eingebaut, so dass man nicht mehr nur dumpf durch lineare Level läuft. Zwar ist »ZA4« sicher am besten gemeinsam zu spielen – auch wenn es bei den riesigen Horden in engen Umgebungen hektisch wird –, doch selbst im Einzelspieler-Modus kann man das Spiel jetzt meistern. Hirn ausschalten und die kinetische Wirkung von Metall auf verrottenden Körpern bewundern. Lars Schmeink

Quake (1996)

Quake (1996)

Der Klassiker

Nachdem id Software mit »Doom« das Genre der Ego-Shooter erfunden hatte, entwickelte das Studio seine Technologie konsequent weiter. 1996 erschien dann »Quake«: Ein Shooter, der zeigte, wie gut 3-D-Grafik aussehen konnte. Neben eigenen Spielen begann id Software dann auch, seine neue Quake-Engine zu lizenzieren. Anders als beim sechs Monate zuvor erschienenen »Duke Nukem 3D«, bei dem die Gegner noch aus zweidimensionalen Sprites bestanden, war in »Quake« alles dreidimensional. Ids technisches Mastermind John Carmack war federführend für die Quake-Engine. Da die Grafik damals noch vom Prozessor und nicht von der Grafikkarte berechnet wurde, renderte »Quake« die Levels nicht am Stück, sondern nur dort, wo sich der Spieler gerade aufhielt. Spielerisch war »Quake« wie »Doom«, die Spielfigur bewegte sich wie auf Schlittschuhen durch verwinkelte Gemäuer, die ohne Story lose miteinander verbunden waren. »Quake« war dann vor allem im Mehrspielermodus beliebt und eines der ersten E-Sport-Spiele. Bei einem Turnier gewann ein Spieler 1997 den Hauptpreis: John Carmacks Ferrari. 1998 veröffentlichte Epic Games dann seinen Ego-Shooter »Unreal«, der ids Engine alt aussehen ließ. Beide Studios lieferten sich daraufhin einen jahrelangen Kampf um die Spitze der Multiplayer-Shooter. Denis Gießler

Wattam

Wattam

Ein Klo vom Himmel

Entwickler: Funomena, Preis: 20 €

»Du bist jetzt ein Käckerchen!«, ruft ein durch die Gegend rennender Riesenmund. Er hat den Bürgermeister verschlungen, der vorher vom Baum zum Brokkoli gemacht wurde. Was klingt wie das Gebrabbel eines Dreijährigen, spielt sich auch so. »Wattam« ist das neueste Werk von »Katamari«-Erfinder Keita Takahashi. In seinen früheren Spielen ging es noch darum, möglichst viele Dinge zu einer riesigen Kugel aufzurollen, diesmal muss die Welt wiederbevölkert werden – von Mündern, Bürgermeistern und Käckerchen eben. In einer Mischung aus dem Buch Genesis, einem Fiebertraum und Dauerschleife Teletubbies spielen wir diese »Dinge«, die sich anfreunden, aufeinanderspringen und sich gegenseitig in die Luft jagen. Peu à peu kommen neue Freunde und Welten hinzu. Oh nein, das Telefon weint, die Sonne hat ihm den Hörer geklaut! Oh ja, die Bowling-Bahn ist wieder da! Wer sich trotz der sehr gewöhnungsbedürftigen Steuerung, der schlimmen Kamera und des sehr düdeligen Soundtracks an dieses Arrangement gewöhnen kann, der fühlt sich auch wieder wie ein wildes Kind, das wirklich alles und jedes faszinierend findet. Dabei sind die eigentlichen Aufgaben des Spiels nicht schwer, aber manchmal fragt man sich doch sehr lange, was jetzt genau von einem erwartet wird. Vielleicht sollte man also den Controller lieber an ein Kind weiterreichen. Denn die Geduld, die man für »Wattam« braucht, ist sicher nicht jedem beschieden. Christian Eichler

Arise: A Simple Story

Arise: A Simple Story

Allergrößte Gefühle

Preis: 20 €

Gefühle sind normal. Die meisten Menschen haben welche. Nur bedingt galt das bisher im Medium Videospiel. »Gamer« werden immer noch gern als pubertierende Jungs gesehen, die sich keine Gefühle wünschen, sondern Sex, Gewalt und dichteres Körperhaar. Hartnäckig erscheinen Spiele für diesen Teil des Publikums. Aber was machen Spielefans, wenn sie das Durchschnittsalter von 36,4 Jahren erreichen? Sie haben das erste von ihren 1,59 Kindern schon bekommen, sie steuern auf den Lebensmittelpunkt zu, und vielleicht ist die Verteilung linkssteil; vielleicht haben sie ihren Zenit schon überschritten. Sie entdecken die Melancholie. Auch dieser Teil des Publikums wird inzwischen bedient: mit traurigen Spazier-, Erkundungs- und Erinnerungsspielen. In der Nische zwischen tiefer Trauer und ehrlichem Kitsch wohnen moderne Klassiker wie »Dear Esther« und »Journey«. Sie sind kurz, sie ignorieren vieles von dem, was traditionell zu einem Spiel gehört, und werden dafür oft angegriffen. Sie füllen aber auch eine echte Lücke und beweisen beim Spielen die besondere Macht des Mediums. Den Weg zur Erinnerung freilegen in »Old Man’s Journey« oder Farben suchen als Trauerarbeit in »Gris«, das funktioniert. Auch platte Metaphern können beim Durchspielen an Bedeutung gewinnen. Das neue Spiel »Arise: A Simple Story« zehrt von dieser Erkenntnis. Es geht in die Vollen. Es ist Emotion pur. Ein alter Mann erwacht nach seinem Tod in einer magisch zugeschneiten Landschaft. Von hier aus kann er chronologisch Kapitel seiner Erinnerung bereisen. Der Clou: Er ist träge und hat Stoppelbeine, aber dafür kann er die Zeit ein bisschen hin und her drehen. Aus dieser Idee werden unzählige Fortbewegungsarten entwickelt, die alle kein Rätsel sind und keine echte Herausforderung bieten. Aber sie werden immer und immer wieder wiederholt. Erinnert sich der Mann, wie er mal an einer Hummel hängend von Blatt zu Blatt getragen wurde, dann muss er sich garantiert noch an 15 weitere Hummeln erinnern, die dasselbe getan haben. Jedes Kapitel findet eine neue, clevere Interaktion, mit der Wege geöffnet werden. Dann wiederholt sich die Interaktion so lange, bis Spieler erleichtert sind, auch dieses Kapitel endlich hinter sich zu bringen. Vielleicht ist ja dieses Gefühl der zunehmenden Bedientheit, des herbeigesehnten Endes im Alter die eigentliche Metapher, mit der uns »Arise: A Simple Story« das Sterben schmackhaft machen will. Etwas weniger zynisch ist es einfach eine spielbare Schlagerplatte: ganz viel Gefühl in Dauerschleife. Jan Bojaryn

Disco Elysium

Disco Elysium

Lesefluss statt Lootspirale

Plattform: PC, Preis: 40 €

Spiele wie »Disco Elysium« dürften eigentlich gar nicht existieren, geschweige denn so erfolgreich sein. Der Titel kommt vom estnischen Indie-Studio Zaum, das 2009 als Künstlerkollektiv gegründet wurde. Der leitende Entwickler Robert Kurvitz macht Musik, schreibt Romane und ist Chef-Autor des Spiels, das auf die für Rollenspiele typische Gameplay-Spirale aus Kämpfen, Beutesammeln und Leveln verzichtet. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf hervorragend geschriebenen Texten – wer keine Lust auf Lesen hat, wird mit dem Spiel, das es nur auf Englisch gibt, nicht viel Freude haben. Man schlüpft in die Rolle eines Polizisten, der in einem Mordfall ermitteln soll, es aber vorzieht, in seinem Motel in der Nähe des Tatorts eine wilde Party zu feiern. Eine epische Party über mehrere Tage, die in einem gigantischen Hangover samt Totalfilmriss endet. Der Detective erwacht nur in Unterhosen und stellt fest, dass er neben seinen Erinnerungen im Drogenrausch auch Dienstmarke und -waffe verloren hat – keine guten Voraussetzungen für die anstehenden Ermittlungen. »Disco Elysium« erinnert an ein Adventure, wenn man den Schauplatz Revachol – dieses Ölgemälde einer Stadt – aus der isometrischen Perspektive erkundet. Die Welt ist unverbraucht und fremdartig, angesiedelt in einer Parallelwelt irgendwo zwischen Fünfzigern und Futurismus. Anhand seiner komplexen Charaktere verhandelt Kurvitz politische und philosophische Themen: Revachol war Schauplatz einer fehlgeschlagenen kommunistischen Revolution und wird nun von einer neoliberalen Besatzungsmacht kontrolliert. Der Stadtteil, in dem wir ermitteln, ist das heruntergekommene Viertel der Metropole, die Slums, in denen wir es mit drogensüchtigen Zwölfjährigen, fetten Gewerkschaftsbossen und rassistischen Bodybuildern zu tun bekommen. Bei ihnen handelt es sich um die ansonsten nicht vorhandenen Monster. Dass »Disco Elysium« als klassisches Rollenspiel funktioniert, liegt nicht zuletzt am großartigen Charaktersystem. Hier gibt es keine Skills wie »Schlösser knacken« oder »Stumpfe Hiebwaffen«. Stattdessen trainiert man Empathie, Logik oder Konzeptualisierung (»Understand creativity. See Art in the world.«) Die Fähigkeiten kommen nicht nur in den Dialogen zum Einsatz, sondern melden sich auch zu Wort, wenn der Protagonist etwa an einer leeren Häuserwand vorbeigeht und beschließt, dass hier Kunst fehlt. Die inneren Mono- beziehungsweise Dialoge, die wir nur mit unseren Fähigkeiten führen, sind ein Highlight dieses Spiels. Es säuft und schimpft und beschreitet im Genre selbstbewusst neue Wege. Alexander Praxl