Jaroslav Rudiš vorzuwerfen, er schreibe schon wieder über Bahn, Bier und Böhmen, wäre so, als werfe man einem Zug Pünktlichkeit vor. Und wir schätzen die pünktlichen
Züge sehr, ja, ja. Denn wir wissen, dass auch auf immergleichenGleisen jede Fahrt anders ist – je nachdem, wo man sitzt (oder steht …), wer einem gegenübersitzt, welche Zeitung man liest oder was der Typ irgendwo da hinten gerade in sein Telefon brüllt. Es ist immer ein bisschen anders, obwohl es immer dasselbe ist. Wir sitzen also mit Rudiš’ schmalem Büchelchen im Zug – und schauen mit ihm aus dem Fenster, wo die Werke des böhmischen Autors und damit auch »the beautiful landscape of battlefields, cemeteries and ruins« vorbeiziehen, das heißt: Europa, genauer Mitteleuropa. Wir sehen die wechselnden Landschaften und sehen die wechselhafte Geschichte, die den Gebäuden und den Ländern ins Gesicht geschrieben steht. »Durch den Nebel« ist in der Reihe der Stefan-Zweig-Poetikvorlesungen erschienen, zu denen jedes Jahr Autorinnen und Autoren nach Salzburg an die Paris-Lodron-Universität eingeladen werden, denen die »Vermittlung zwischen den Kulturen ein zentraler Aspekt ihrer
künstlerischen Arbeit ist«. Bisher waren das zum Beispiel Feridun Zaimoglu, Terézia Mora, Michael Stavaric und Ann Cotten. Nun also Jaroslav Rudiš, dem – wie Stefan
Zweig – »die europäische Idee ein wichtiger Bezugspunkt seines literarischen Schaffens« ist. Das weiß, wer Rudiš’ Werk kennt, und es zeigt sich en miniature vermeintlich unabsichtlich auf S. 94 des neuen Buches. Unter einem Foto, auf dem der Österreich-Ungarn-Reiseführer von Baedeker aus dem Jahr 1913 und der »European
Rail Timetable« von 2021 zu sehen sind, steht dort geschrieben: »›Baedekers Österreich-Ungarn‹ und Kursbuch für die Welt«. Und das ist ganz richtig, denn Europa, das ist Jaroslav Rudiš’ Welt. Übrigens taugt »Durch den Nebel« längst nicht nur für Fans, Experten und Expertinnen von Rudiš’ OEuvre, sondern auch sehr gut als Einstieg in dessen Schaffen. Benjamin Heine