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Rezensionen

Elden Ring

Elden Ring

Entwickler: From Software, Publisher: Bandai Namco, Plattform: Playstation, Xbox, Preis: ab 60 €

Ein Beben dröhnt durch das Medium. Die Gaming-Sessel wippen, die Energy Drinks schaukeln in ihren Dosen, weil der dicke Oschi heranstampft. Schwerer als ein Tyrannosaurus Rex wiegt in diesem Fall »Elden Ring«. Es ist ein schwieriges Action-Rollenspiel und nach Ansicht vieler Videospielfachleute ist es das beste Spiel seit Langem, vielleicht aller Zeiten. Haben sie recht? Vielleicht! Das Spiel ist zugänglich wie »Das Foucaultsche Pendel«, es ist verständlich wie »Mulholland Drive«. Wer es erklären will, wirkt schnell so sympathisch wie Menschen, die auf Partys ungefragt Gespräche über Umberto Eco oder David Lynch starten. Nur die Namen sind anders: George R. R. Martin und Hidetaka Miyazaki. Der eine ist ein gefeierter Fantasy-Autor, der andere macht schwierige Action-Rollenspiele. »Elden Ring« wirft seine Helden mehr oder weniger nackt über einer riesigen, feindseligen Welt ab. Hier müssen sie mächtige, uralte, wahnsinnige Boss-Gegner besiegen. Das Problem: Jeder Fußsoldat kann tödlich sein. Überall lauern geheime Schätze und gemeine Gags. Die Welt ist verschlungen, sie ist eine ergiebige Wundertüte möglicher Death-Metal-Bandnamen wie »Tarnished«, »Dung Eater« und »Deathbed Companion«. Wer sich durch den kompletten Sampler kämpfen will, hat das Jahr eigentlich schon verplant. Ist das ein guter Plan? Vielleicht! Zumindest ist es eine Herausforderung, an der Menschen wachsen können. Jan Bojaryn

Horizon Forbidden West

Horizon Forbidden West

In der weiten, offenen Spielwelt trifft Aloy auf eine alte Bekannte: Talanah lehrte sie einst die Jagd auf die Maschinen. Nun hat sie eine neue Novizin, die sich im Kampf beweisen muss. Aloy hilft ihr dabei und verdient sich Talanahs Respekt und die Ehrerbietung ihrer Schülerin. Eine Szene inmitten der verzweigten Geschichte von »Horizon Forbidden West«, in der deutlich wird, wie wenig männliche Charaktere eine Rolle spielen in der Welt, die der niederländische Entwickler Guerilla Games geschaffen hat. Die schlagkräftigen Helden unzähliger Videospielserien, die uns lehrten, dass nur markige Männer in ihrer Welt bestehen können, sind in der Welt von »Horizon« zu Nebendarstellern degradiert. Die Geschicke drehen sich mehr denn je um Aloy, die Auserwählte, die am Ende von »Horizon Zero Dawn« erkannte, dass die ihr vertraute Welt mit ihren Stämmen und Riten nicht mehr ist als der Überrest einer versunkenen Kultur. Seit ihrer Kindheit hatte sie sich damit abgefunden, die Ausgestoßene zu sein. Nun ist Aloy plötzlich die Heldin, nachdem sie in Teil eins das Land gegen die Maschinen verteidigte, verehrt von den einen, verhasst von anderen. Doch Aloys Wissen ist eine Bürde, die Bedrohung, die ihre Welt auslöschen könnte, ist nicht vorbei. Rote Sporen verteilen sich zunehmend über die Natur. Die KI, die dafür geschaffen wurde, Leben zu ermöglichen, wendet sich gegen den Planeten. Und Aloy ist die Einzige, die davon etwas ahnt. Wieder muss sie losziehen, um das Land zu retten und die Völker zu einen. »Horizon Forbidden West« ist in allen Aspekten mehr, größer, komplexer als der Vorgänger. Zahlreiche Dialoge eröffnen unterschiedliche Perspektiven, die Spielwelt bietet unzählige Möglichkeiten. Das könnte erschlagend wirken auf den Spieler, wäre die Welt nicht so vielfältig und mit so viel Liebe gestaltet, dass man sich einfach gerne in ihr aufhält. Die Ruinen des Westens zeugen entfernt von einer Welt, wie wir sie kennen. Die Postapokalypse war nie schöner. (...) Lars Tunçay

Resident Evil 2 (1998)

Resident Evil 2 (1998)

Im Mai 1998 waren die untoten Mordgesellen endlich auch in Europa angekommen und schlurften über die heimischen Bildschirme. Entwickler Capcom schaffte es mit »Resident Evil 2« endgültig, den Zombie in Videospielen zu etablieren, und legte den Grundstein für moderne Survival-Horror-Games. »Resident Evil 2« glich spielerisch dem Vorgänger: Man löste Rätsel, wich dabei allerlei Zombies aus und versuchte, bloß keinen Herzinfarkt zu kriegen, wenn mal wieder einer kopfüber durchs Fenster purzelte. Diesmal blieb man nicht im berüchtigten Herrenhaus, sondern erkundete die nahe gelegene Stadt Raccoon City. Capcom verbesserte das Spiel an den richtigen Stellen: Wenn die Spielfigur verletzt war, krümmte sie sich und humpelte. Mit den vorgerenderten Hintergründen und der expliziten Gewalt bewegten sich Spieler und Spielerinnen durch einen interaktiven Albtraum. Die Bundesprüfstelle sah die Gewalt nicht gern und indizierte das Horror- Game kurz nach Release. Weitere Versionen für andere Systeme folgten dennoch. Für das 64-MB-Modul der Nintendo 64 mussten die vielen Zwischensequenzen zusammengequetscht werden – vom Studio Rockstar San Diego, das später »Red Dead Redemption 2« mitentwickelte. 2019 folgte ein Remake von »Resident Evil 2«, das die Fans genauso begeisterte wie das Original. Denis Gießler

Inua

Inua

Entwickler: IKO & The Pixel Hunt, Publisher: ARTE, Plattform: PC, Switch, Android, Preis: 5–20 €

Die HMS Terror gibt es wirklich. Das Schiff liegt vor King William Island in 24 Meter Tiefe. Gesunken ist es nach dem August 1845 als Teil der legendär gescheiterten Franklin-Expedition auf der Suche nach der Nordwestpassage. Wiedergefunden und sicher identifiziert wurde das Wrack vor wenigen Jahren. Die Geschichte des Untergangs und der Wiederentdeckung handelt von Hybris und von den Grenzen unseres Wissens. Die genauen Gründe der Katastrophe sind noch unbekannt, aber vielleicht werden sie im Lauf der kommenden Jahre ermittelt; das Wrack liegt frisch gefunden und gut erhalten an einer schwer zugänglichen Stelle. Wer nicht warten will, kann sich von »Inua« ein wildes Seemannsgarn spinnen lassen. Das simple Grafikadventure ist »inspiriert« von historischen Fakten. Mindestens zwei der drei Erzählstränge arbeiten kenntnisreich und originell mit dem Hintergrund. Rätsel gibt es nur nominell, im Wesentlichen wird auf Interaktionspunkte geklickt, und dann geht die Story weiter. Aber die ist überraschend stark. Sie zeigt sich völlig desinteressiert an kriminalistischer Ermittlungsarbeit. Stattdessen geht es auf eine Traumreise mit Bezügen zur Glaubenswelt der Inuit – sie haben das Spiel auch mitentwickelt. Der magische Realismus passt zu einer Geschichte über extreme Situationen und Entscheidungen. »Inua« ist etwas kurz, ziemlich einfach, aber auch einfach gut. Jan Bojaryn

Gran Turismo vs. Grid Legends

Gran Turismo vs. Grid Legends

Entwickler: Polyphony Digital / Codemasters, Publisher: Sony / EA, Plattform: PS4, PS5 / PC, PS4, PS5, XOne, XSX, Preis: 69,99 €, USK 0

Gleich zwei Vertreter traditionsreicher Rennspielserien kämpfen in diesem Frühjahr um die Pole-Position. An der Startlinie: Polyphony Digitals Chromporno »Gran Turismo 7« und der Underdog »Grid Legends«. Der war ursprünglich als Tourenwagen-Grandprix »TOCA« gestartet, hat sich mit dem zehnten Teil aber hin zum Renngemischtwarenladen entwickelt. Ein Konzept, das nun unter Electronic Arts weiter verfolgt wird. Der legitime Nachfolger der »Need For Speed«-Reihe liefert packende Rennsport-Action. Der Simulationsanspruch früherer Serienteile weicht Style und Zugänglichkeit auf allen Ebenen. Vorzeigeobjekt für EA ist da vor allem der Story-Modus, der angelehnt an die Netflix-Doku »Formula 1: Drive to Survive« den Rennalltag dramatisiert. Die Rennereignisse sind ebenso vielfältig wie die Vehikel. Die Präsentation protzt. Der Plot ist aber erwartungsgemäß dünn und der eigene Einfluss auf den Verlauf praktisch nicht vorhanden. Mit solchem Kinderkram hält sich der siebte Teil der »Gran Turismo«-Reihe von Kazunori Yamauchi gar nicht erst auf: Vom minutenlangen Streifzug durch die (westliche) Renngeschichte im Intro über die originalgetreu modellierten Fahrzeuge im Showroom bis hin zum Museum mit Markengeschichten kann hier jeder Autonarr und jede Autonärrin viele Stunden abseits der Fahrbahn verbringen. Das wäre aber schade, schließlich wird »GT 7« auf dem Asphalt seinem Anspruch eines »Real Driving Simulator« mehr als gerecht: Wer den schnellen Adrenalinkick sucht, nimmt dagegen hinterm Steuer von »Grid« Platz. Freude am Fahren bieten beide Boliden. Lars Tunçay

Kirby und das vergessene Land

Kirby und das vergessene Land

Entwickler: HAL Laboratory, Publisher: Nintendo, Plattform: Switch, Preis: 60 €

Unter Nintendos zahlreichen familienfreundlichen Maskottchen ist Kirby das komischste: ein gottähnliches, unerklärliches Wesen vom Planeten Pop, das Widersacher aufsaugt, einen Teil ihres Wesens kopiert und den Rest spurlos verschwinden lässt. Kirby sieht aus wie ein pelziges Kaugummi, kann sich aber beliebig verformen. Er besiegt seit 30 Jahren in zahlreichen Jump’n’Runs quer über alle Nintendo-Konsolen immer neue Widersacher und freundet sich dann mit ihnen an. Kirby lebt in einer übersüßten Idylle, in die regelmäßig namenloser Schrecken aus fremden Dimensionen hereinbricht, den nur der bedingungslos fröhliche Kirby besiegen kann. Am Ende eines trügerisch süßen Kirby-Abenteuers bleiben Erwachsene aufgewühlt zurück. Sie erkennen Anspielungen auf Body-Horror, Kannibalismus, H. P. Lovecraft, die »Alien«-Filme, vielleicht auch die Teletubbies. Kinder tun das nicht. Sie lieben Kirby und freuen sich, dass er alle mitspielen lässt. Sie hinterfragen nicht, wo die gefressenen Gegner bleiben, woher das kosmische Grauen kommt, warum das neue Abenteuer »Kirby und das vergessene Land« in einer menschenleeren Post-Apokalypse spielt. Kinder haben nur unter Umständen Mitleid, wenn sie einen süßen Gegner verschlucken. Wenn Kirby sich einen großen Ring in die Mundhöhle stopft und sich aufgesperrt in die Kamera dreht, fühlen Kinder sich bei dem Anblick noch nicht an die Schrecken fehlgeschlagener Google-Bildersuchen erinnert. Sie finden dann einfach, dass Kirby lustig aussieht. Besonders große Dinge in den Mund zu nehmen, ist tatsächlich der Clou am neuen Kirby-Spiel. Der neue Vollstopfen-Modus bringt den serientypischen Mix aus naivem Humor und Body-Horror auf den Punkt. Verstörender kann Kirby nicht aussehen, lustiger und fantasievoller kann gleichzeitig das Spiel nicht sein; er verschluckt Autos, Hebebühnen und Glühbirnen, um überraschende neue Kräfte zu gewinnen. Das mag wahllos wirken, aber es passt in ein makelloses 3-D-Jump’n’Run (...) Jan Bojaryn

Unreal (1998)

Unreal (1998)

Mitte der Neunziger Jahre schraubte ein junger Mann namens Tim Sweeney an einem Grafikmotor, der alle anderen Spiele wie Pixelbrei aussehen lassen sollte. Mit seinem gegründeten Unternehmen Epic Mega Games entwickelte er das gleichnamige Spiel zur Engine: »Unreal«. Es war eine Kampfansage an die Konkurrenz von id Software. Das Studio befeuerte den Hype und schaltete mehrseitige Anzeigen in Spielezeitschriften. Andere Games zeigten Illustrationen, »Unreal« protzte mit imposanten Screenshots des Planeten Na Pali. Den erkundeten Spieler als Prisoner 849 und staunten: Diese Farben! Dieses Wasser! Und hoppelnde Häschen! Zeit zum Verweilen blieb nicht, da die künstliche Intelligenz ihren Namen verdiente. Spieler konnten sich sicher sein: Die außerirdischen Skaarj finden dich. Das Gameplay von »Unreal« ähnelte frühen Shootern wie »Doom«, versuchte aber auch mit seiner Spielwelt eine Geschichte zu erzählen. Das sechs Monate später erschienene »Half Life« etablierte endgültig den Story-Shooter. Epic Games nahm mit »Unreal« einen anderen Weg und kämpfte mit dem Konkurrenten id Software mehrere Jahre um den Thron im Mehrspielermodus. Die »Unreal«-Engine geht mittlerweile in die fünfte Runde und wird sogar für Filme benutzt. Tim Sweeney ist auch durch »Fortnite« Multimilliardär. Denis Gießler

Moss Book II

Moss Book II

Entwickler/Anbieter: Polyarc, Plattform: Oculus Rift, Oculus Quest, HTC Vive, PSVR, USK: 6,40 €

Quill, die mutige Mäusedame, streckte die bösartige Schlange Sarffog nieder und rettete ihren Onkel Argus. Doch die Welt Moss steckt in den Klauen einer noch viel mächtigeren Gegnerin: Die Eule Tylan macht Jagd auf Quill und ihren Onkel – und auf die fünf Glasrelikte, mit denen ihre Allmachtsfantasien Wirklichkeit werden sollen. Fortan macht sich Quill auf den Weg durch die menschenverlassene Welt, um dem geflügelten Tyrannen zuvorzukommen und die magischen Scherben aufzusammeln. Doch die Gegenspielerin ist gewieft und die Hüter der Scherben verteidigen ihren Schatz gegen jeden Eindringling. Nur gut, dass Quill nicht auf sich allein gestellt ist, denn wir stehen ihr zur Seite, die »Leser und Leserinnen« dieser Geschichte. Mit dem Controller greifen wir in die Geschichte ein, lösen Rätsel und räumen ihr den Weg frei, durch die Welt zerfallener Gebäude und moosüberwachsener Trümmer. Die bemerkenswerte Leistung der US-Entwickler Polyarc besteht darin, die Welt und ihre Bewohner fühlbar zu machen. Das Schicksal der kleinen Maus und ihrer Wegbegleiter berührt auf ganz eigene, intensive Weise durch den Einsatz der virtuellen Dimension. Die Rätsel sind clever, die Welt voll liebenswerter Details und die eigenwillige Heldin der Geschichte lebendig. Das machte schon den ersten Teil vor vier Jahren zu einem der bis heute besten VR-Erlebnisse. Das zweite »Buch« steht dem in nichts nach. Lars Tunçay

Kaiju Wars

Kaiju Wars

Entwickler & Publisher: Foolish Mortals, Plattform: PC (jetzt), Konsolen (später), Preis: 17 €

Kennen Sie Kaiju? Das sind Godzilla und seine Clique aus Riesenmonstern, die uns Demut vor der Natur lehren und die Grenzen militärischer Macht aufzeigen. »Kaiju Wars« ist der gelungene Versuch, die Essenz dieser B-Movie-Parabeln in einem Computerspiel einzufangen. Das Spiel hat viele der Regeln eines Kaiju-Films erkannt und sie pointiert umgesetzt. Es geht nicht darum, Kaiju zu besiegen. Die werden ja auch in den Filmen nicht einfach so besiegt. »Kaiju Wars« ist eine Entdeckung – wie ein VHS-Kassettenset im An- und Verkauf. Wir besetzen das Bürgermeisteramt einer futuristischen Megastadt und müssen das Militär im Kampf gegen plötzlich auftauchende Monster koordinieren. Doch wir haben nichts zu bieten außer ein paar hilfreichen Bonus-Spielkarten und laufend neuem Kanonenfutter. All die Panzer, Geschütze, Kampfflugzeuge und Bomber stürzen sich wie Fliegen auf eine wütende Kuh. Im rundenbasierten Kampf werden immer neue Einheiten rekrutiert, auf Monster zubewegt und verschlissen. Es geht nur darum, Zeit zu gewinnen und die Wissenschaftlerin zu beschützen, damit sie endlich ihr verdammtes Gegenmittel entwickelt. Meistens ist das Spielbrett schon in Grund und Boden gestampft und das Monster noch topfit, wenn endlich der wissenschaftliche Durchbruch gemeldet wird. Aber das fühlt sich umso authentischer an. Godzilla kehrt zurück in die Fluten; über den Ruinen geht die Sonne auf. Abblende. Jan Bojaryn

Body Harvest (1998)

Body Harvest (1998)

Der Klassiker

Während das schottische Studio DMA Design an diesem neuen Spiel namens »Grand Theft Auto« werkelte, hatten die Entwickler noch ein anderes in der Mache. »Body Harvest« brachte die gleichen Grundzutaten mit: Spielerinnen und Spieler konnten sich in einer Welt frei bewegen, ballern und Autos klauen. Doch »Body Harvest« bot noch mehr, man konnte sogar fliegen und Boote steuern – und das alles in 3-D. Für Action-Adventures in 3-D gab es Mitte der Neunziger noch keine Vorbilder und Konventionen. Welche Kameraperspektiven sich für die Alienballerei eigneten, wie man Spieler durch die frei begehbaren Welten etwa in den USA der sechziger Jahre steuern sollte, das war damals alles unklar. Nach DMAs Megahit »Lemmings« Anfang der Neunziger war Nintendo auf das Studio aufmerksam geworden, die Schotten durften deshalb Spiele für die mächtige N64 entwickeln. DMA überarbeitete »Body Harvest« mehrfach, aber Nintendo blieb unzufrieden und beendete die Zusammenarbeit. Schließlich fanden sich andere Publisher und veröffentlichten das Spiel. Ausgerechnet die Grafik bemängelten viele Kritiker. Ein Jahr nach Release wurde DMA von US-Publisher Take-Two aufgekauft. »Body Harvest« geriet in Vergessenheit, war aber eine wichtige Blaupause für das nächste 3-D-Game der Entwickler: »Grand Theft Auto 3«. Denis Gießler

Citizen Sleeper

Citizen Sleeper

Entwickler: Jump Over the Age, Publisher: Fellow Traveller, Plattform: PC/Mac, Switch, Xbox (Gamepass), Preis: 17–20 €

Sich eine beschissene Zukunft auszumalen, ist gar nicht so schwer. In der Beziehung fühlt sich Science-Fiction gelegentlich wie ein Überbietungswettbewerb an. »Citizen Sleeper« geht einen Schritt weiter: Es entwirft eine Dystopie, und dann lernen wir aber, uns darin wohlzufühlen. Bevor Wärme und Menschlichkeit siegen können, herrscht ganz kalter Kapitalismus: Als »Sleeper« werden menschliche Persönlichkeiten bezeichnet, die ihren biologischen Körper verkauft haben und jetzt in einem künstlichen leben. Auch der neue Körper gehört allerdings weiter der Herstellerfirma. Wer frei sein will, muss das Restleben riskieren und fliehen. Als gefrorener Flüchtling stranden wir auf einer Raumstation, auf der dann aber nicht alle Menschen böse sind. Wir freunden uns an, helfen anderen und schöpfen Hoffnung. Soziale Interaktionen sind in Videospielen meist platt umgesetzt – wenn überhaupt. »Citizen Sleeper« löst das Problem mit Text. Hier wird vor allem gelesen, aber das Spiel ist kein verkapptes Buch; lebendig wird die Geschichte mit fantastisch gezeichneten Charakteren, der brütenden Raumstation als Bildhintergrund und mit zahllosen Entscheidungen irgendwo zwischen Würfeln, Rollenspiel und Abenteuerspielbuch. Über die Tage und Wochen hinweg entwickeln sich Freundschaften, wir helfen anderen, wir gehen Risiken ein. Das gibt Hoffnung. Auch eine furchtbare Zukunft kann lebenswert sein.   Jan Bojaryn

Anno 1602 (1998)

Anno 1602 (1998)

Der Klassiker

»Wir machen jetzt was mit Schiffen und mit Städten«, sagte Wilfried Reiter in einem Gespräch mit dem Magazin Vice. Mitte der Neunziger schraubte der Österreicher mit drei Kolleginnen und Kollegen als Max Design an diesem neuen Aufbau-Strategiespiel namens »Anno 1602«. Für das Szenario musste das Team nur aus dem Fenster schauen: Es arbeitete im ältesten Haus Schladmings, einer österreichischen Kleinstadt mit dicken Stadtmauern. Ein Schiff und eine Handvoll Ressourcen, mehr besaßen Spieler und Spielerinnen in »Anno 1602« nicht, um unbewohnte Inseln zu besiedeln. In der Wirtschaftssimulation »Der Patrizier« wälzte man noch dröge Statistiken, in »Anno« war der Fortschritt in der Spielgrafik zu sehen: Wenn Warenkreisläufe ineinandergriffen, wurden die Häuser auf der Insel immer schmucker. Dabei bediente sich »Anno 1602« einer Zuckerbäckeridylle. Kontroverse Themen wie Kolonialismus und Sklavenhandel fehlten komplett – was ein Zerrbild der Frühen Neuzeit zeichnete. Vermutlich auch deshalb war »Anno 1602« ein großer Erfolg. In Rekordzeit wurden 450.000 Exemplare verkauft, bis 2022 sogar rund vier Millionen, und das nicht nur im aufbauverrückten Deutschland. Erfolgreich ist die Serie noch immer – doch das aktuelle »Anno 1800« wurde für seinen beschönigenden Blick auf die Geschichte auch kritisiert. Denis Gießler

Old World

Old World

Durchregieren ist in Strategiespielen wie »Civilization« der Normalfall. Der oder die göttlich Erwählte klickt auf ein Sechseck, und dann entsteht da unhinterfragt eine neue Stadt, oder es stürzt sich eine Armee eilfertig in den Tod. Je nach Befehl. Wie wenig das mit der historischen Realität zu tun hat, ist offensichtlich auch Soren Johnson aufgefallen. Der Game-Designer hat früher die »Civilization«-Serie mitgestaltet. Heute führt er mit seiner Co-Chefin, Creative-Directorin und Ehefrau Leyla Johnson ein kleines Studio und hat gemeinsam mit ihr die alte Spielidee weiterentwickelt: »Old World« geht näher an den Stoff heran, damit wir mehr sehen können. In »Civilization« lenkt die göttliche Hand an der Computermaus alle Geschicke. Gespielt wird von der Steinzeit bis ins Weltraumalter. In »Old World« geht es dagegen nur um die Antike. Statt Göttern werden Menschen gespielt. Sie sitzen auf einem wackligen Thron, müssen die monarchische Erbfolge organisieren und politisch heikle Entscheidungen treffen. Vorbei ist die Partie, wenn das Zeitalter endet – oder die eigene Dynastie. Das kann ganz schnell passieren, denn laufend werden am Hof neue Widersacher geboren, alte Freundinnen fühlen sich beim Postenschachern übergangen, und in der Stadt brodelt die Unzufriedenheit wegen der Sache mit der Sklaverei. So wird die Geschichte ungemütlich, aber auch aufregend und neu. Jan Bojaryn

Golf Gang

Golf Gang

»Das Runde muss ins Runde«, fasst unser ehemaliger, schmerzlich vermisster Spiel-Redakteur Marc Bohländer nach 18 Löchern zusammen. Damit trifft er den Golfschläger auf den Kopf. »Golf Gang« ist ein dermaßen einfaches und selbsterklärendes Spiel, dass die Länge einer Rezension auch genutzt werden könnte, um zweifelhafte Golf-Wortspiele zum Thema anzubringen. Die Spielidee: Minigolf, unter Zeitdruck, auf komplizierten Kursen, am besten online mit Freunden. Der Ball wird mit der Maus geschnippt und am besten schon wieder weitergeschlagen, bevor er still liegenbleibt. So hektisch und lebendig waren die Partien nie, wenn es früher mit dem Vater zur Minigolfbahn ging. Damals durfte auch der Ball des großen Bruders nicht einfach von der Bahn geschubst werden – alle haben ordentlich nacheinander gespielt. Und wer dem Ball lustige Wackelaugen und Mützchen angeklebt hätte, der wäre dafür sicher vom Vater getadelt worden. Mit »Golf Gang« lassen sich Freundschaften pflegen und Traumata verarbeiten. Es ist hemmungslos albern, aber wirklich gut. Die Spielidee ist überraschend tief: Wer schnell und gefühlvoll spielt, sammelt Bestnoten, kassiert dafür Punkte und kann sich dann noch mehr lustige Wackelaugen und Mützchen für den eigenen Ball holen. Auch Kurse und Modifikatoren werden freigeschaltet. So bleibt »Golf Gang« eine runde Sache für Menschen mit PC und Internet-Freundeskreis – ein echter Hole-in-one! Jan Bojaryn

Gothic (2001)

Gothic (2001)

Der Klassiker

Diesen Monat gibt es hier beim Klassiker eine wichtige Neuerung. Bislang haben wir uns chronologisch durch die Jahre gehangelt. Nachdem der neue Ressortleiter Jan diese Regel achselzuckend abschaffte, widmen wir uns ab sofort allen Spielen zu allen Zeiten. Den Auftakt macht der große Klassiker aus Deutschland: »Gothic«. Im Jahr 2001 tüftelt das Entwicklerteam Piranha Bytes aus dem Ruhrpott an einer digitalen Strafkolonie, die von einer magischen Barriere umgeben ist. Die Darstellung glaubwürdiger 3-D-Welten ist damals noch eine hohe technische Hürde. Innerhalb jener nach außen undurchdringlichen Barriere landet der Spieler als namenloser Held, der anfangs sein rostiges Schwert nur mit Mühe hält, über die Zeit aber immer stärker wird. »Gothic« erschafft  durch den Tag-Nacht-Wechsel und die lebendigen Bewohner eine dreckig-düstere Fantasyatmosphäre. Wer in fremde Hütten stolpert, bekommt schnell eins auf die Fresse. Es ist eine unbarmherzige Gegend, die Welt von »Gothic«. 2001 setzte Piranha Bytes mit seiner kompakten Open-World auch international Maßstäbe für 3-D-Rollenspiele, heute hinkt die Technik den Standards in manchen Bereichen hinterher. Doch das Studio bleibt seiner Idee treu. Auch im neuen Rollenspiel »Elex 2« atmet der Geist von »Gothic« weiter. Denis Gießler

Gigapocalypse

Gigapocalypse

Manchmal verrinnt die Zeit zwischen den Fingern. Manchmal aber ist auch so viel von ihr da, dass man verschwenderisch wird. In den letzten Monaten habe ich über 120 Stunden »Assassins Creed: Valhalla« gespielt. Das hört sich nicht nur ein bisschen eklig an, das ist es auch. Vor allem weil es sich um kein besonders gutes Spiel handelt – und auch nach gefühlten Äonen immer noch nicht das Ende in Sicht ist. Das Spiel ist einfach viel zu lang, mit sich immer wiederholenden Aufgaben und blasierten Dialogen vollgestopft. Wie ein frischer Windhauch auf dem Gesicht fühlt sich dagegen das knackig-kurze »Gigapocalypse« an. Es ist zwar auch kein Meilenstein der Videospielgeschichte, aber ein Durchlauf geht wenigstens schön fix. Terror trifft hier auf Tamagotchi: Mit einem gigantischen Monster verwüste ich pixelige Städte und Siedlungen, so wie früher im Videospielklassiker »Rampage« oder wie es einst in den Filmen um King Kong oder Godzilla zu sehen war.Mein »Giga« (so heißen die Kaiju-Riesenmonster in dem Titel) umsorge ich zwischen den Amokläufen mit Futter, Hygiene und Zuwendung. Dann ist es wieder bereit für große Akte der Zerstörung. Das alles ist aber immer innerhalb von ein paar Minuten erledigt. Bevor ich mich langweilen kann, ist der Spuk auch schon wieder vorbei. Das fühlt sich gut an, so wie ein Espresso oder ein kleiner Schnaps: belebend, flüchtig und ohne Verpflichtungen. Marc Bohländer

Forza Horizon 5: Hot Wheels

Forza Horizon 5: Hot Wheels

Besonders schön an der »Forza Horizon 5: Hot Wheels«-Erweiterung sind die leuchtorangen Kunststoffbahnen. Sie sehen aus, als hätte sich Werbung über die mexikanische Natur ergossen und alles aufgefressen. In einem früheren Leben, zum Produktstart vor einem knappen Jahr, hat »Horizon 5« noch mit seiner unglaublich realistischen Naturdarstellung geworben. Das Spiel kommt dem Fotorealismus wirklich nahe, seine Dschungel, Sanddünen und Kakteen sind zum Stehenbleiben schön. Natürlich gibt es einen Fotomodus. Im eigentlichen Spiel aber geht es eher nicht um Stehenbleiben und Schauen: Renn- und Rase-Events sind auf einer weitläufigen Straßenkarte verteilt. Wer unterwegs einen Kaktus umfährt, kriegt dafür noch zusätzliche Trickpunkte. Das war schon immer der Witz an »Forza Horizon« – die Spiele sehen realistisch aus, aber dann fahren die Autos alles um und platt. Sie gehen nie kaputt. Sie sind wie Autoscooter. So gesehen leuchtet auch der neue Plastik-Parcours mit riesigen Spielzeugautos ein. Die Erweiterung »Hot Wheels« bläst die Aufziehautos und Steck-Straßen vom Maßstab 1:64 auf Realgröße auf. Die Hot-Wheels fahren hier wie ganz normale Autos (oder eben Scooter). Das neue Streckennetz bietet endlos gewundene Kilometer voller Loopings und Korkenzieher. Die Missionen beginnen leicht und flott, steigern Geschwindigkeit und Schwierigkeit im Verlauf aber deutlich. Die Paarung »Mexiko und Aufziehautos« ergibt vielleicht nur in der Marketingabteilung Sinn. Doch gerade deswegen passt sie in die Zeit. Denn in Games wird gnadenlos alles verheiratet, was ein Werbebudget hat. Videospiele sind in einer Zeit angekommen, in der Fans jeden Tag ein neues Crossover mehr oder weniger ironisch feiern. »Fortnite« macht seit Jahren vor, dass immer neue Werbepartnerschaften mit teuer verkauften Kostümen üppigen Gewinn bringen und das Spiel im Gespräch halten. Marvel-Helden, Wrestler und Indiana Jones sind längst schon drin, jetzt endlich auch Darth Vader. (...) Jan Bojaryn

Betrayal At Club Low

Betrayal At Club Low

Begegnungen fungieren im Rollenspiel »Betrayal At Club Low« als Barrieren. Sie werden überwunden mit der Kraft des Würfels und der höheren Augenzahl, Boni und/oder Malusse mit eingerechnet. Für jede Interaktion gibt es Geld, mit dem man seine Würfel verbessern kann. Das hört sich staubtrocken an, ist es aber nicht. Denn die Dialoge sind stark geschrieben und das Spiel fühlt sich auch wegen der besonderen Ästhetik samt funky Atmosphäre eher wie eine bizarre Kunstausstellung an. Als Undercover-Agent in Verkleidung eines Pizzaboten mische ich mich in die Schlange vor einem angesagten Nachtclub, um dort mein Zielobjekt zu treffen. Ganz anders als im Inneren sucht man hier in der verregneten Gasse Endorphine und Euphorie vergeblich – die Türpolitik ist eine harte. Ich setze Attribute wie Charme, Witz und Physis ein, um den Bouncer zu belabern und in die heiligen Hallen des Müßiggangs zu gelangen. Aber die Würfel sind mir nicht hold, der Eingang bleibt vernagelt – so wie das Berghain für Elon Musk. Mein Charakter ist allerdings nicht mit einem großen Ego gesegnet. Sein Nervenkostüm-Wert sinkt angesichts der Misserfolge auf null und er flüchtet sich frustriert in eine Ohnmacht. Für mich bedeutet das einen Neustart, aber das macht nichts. Denn »Betrayal At Club Low« hat Substanz und Style, arbeitet mit verschiedenen Ansätzen und Enden. Das schraubt Nerdig- und Dördichkeit in ungeahnte Höhen. Marc Bohländer

A Plague Tale: Requiem

A Plague Tale: Requiem

Die Unschuld ist verloren. In »Plague Tale: Innocence« begleiteten wir das Mädchen Amicia und ihren kleinen Bruder Hugo durch ein mittelalterliches Schauerkabinett auf der Flucht vor todbringenden Ratten und den Häschern der Inquisition. Nach einer Höllenfahrt durch die Finsternis, bei der Hugo seine Fähigkeiten entdeckte, die Heerscharen der Ratten zu kontrollieren, daran aber fast zugrunde ging, schienen die Geschwister in einer Burg Zuflucht gefunden zu haben. Doch die übertriebene Idylle der ersten Spielminuten des Nachfolgers weicht bald einer Talfahrt in noch tiefere Abgründe. Hugo hat einen Rückfall, die Seuche wird seiner erneut habhaft und seine Angst materialisiert sich in Rattenschwärmen, die alles Leben unter sich begraben. Mit einem recht hilflosen Lucas an ihrer Seite schwärmt Amicia aus, um ihren Bruder zu retten. Dabei schleichen sie entweder möglichst unentdeckt an den Wachen vorbei, die marodierend durch die mittelalterlichen Gassen ziehen, oder, wenn kein Ausweg bleibt – und das ist zunehmend der Fall –, erlegt Amicia sie mit einem gezielten Wurf ihrer Schlinge. »Requiem« – die Totenmesse – ist deutlich martialischer als der vergleichsweise unschuldige Erstling. Hinzu kommt eine durchgehend düstere, zutiefst bedrückende Atmosphäre mit wenigen Momenten des Lichts. Die sind grafisch beeindruckend umgesetzt. Insbesondere die steife Mimik der Charaktere bleibt aber weit hinter den Vorzeigetiteln des Genres zurück und steht in Diskrepanz zu der mitreißenden Vertonung des Abenteuers. Lars Tunçay

The Wandering Village

The Wandering Village

Die Partnerschaft in diesem Computerspiel ist keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Onbus sind mystische, riesige Kreaturen, irgendwo zwischen Weltschildkröte und Riesendinosaurier. Wir wohnen auf seinem Rücken und hoffen, dass das Tier keine gigantische Kuhbürste findet, an der es sich schubbern könnte. Noch besser: Wir lernen, uns um das Onbu zu kümmern. »The Wandering Village«, gerade als Vorabversion erschienen, ist ein Aufbauspiel. Es folgt Titeln wie »Die Siedler« oder »Civilization«, aber es stellt das Spielbrett auf eine neue Metapher. Die Welt leidet in diesem Spiel unter giftigen Sporen. Menschen und Pflanzen sind gleichermaßen bedroht. Da ergibt es Sinn, auf dem Rücken eines Riesentieres ein Dorf zu errichten. Wer das Onbu gut pflegt, kann es auch heilen und dazu bringen, neuen Gefahren auszuweichen. Und hoch auf dem Rücken des Onbu ist die Vergiftungsgefahr deutlich geringer als unten. Besonders groß ist aber auch der Rücken eines Onbu nicht. Auf der glatten Fläche wachsen Bäume und Sträucher, am Rand geht es steil bergab. Mehr als ein Dorf passt hier gar nicht hin. Auch die Zeit behält ihren kleinen Maßstab. Tage vergehen einzeln. Sehr oft geht es um Effzienz und Umverteilung. Wenn neue Giftsporen auf dem Rücken heranwehen, dann muss die Dorfarztstelle wieder besetzt werden. Also wird der Pilzzüchter zurückbeordert und lernt schnell um, bis alle wieder gesund sind. Wenn es gut läuft, wird die Siedlung wuseliger. Regelmäßig klopfen neue Bodenmenschen an die Knöchel und fragen, ob sie raufdürfen. Neue Arbeitskraft ist willkommen, aber dafür werden die Ressourcen knapp. Wie schnell etwas auf dem Onbu-Rücken nachwächst, hängt davon ab, durch welche Klimazone es spaziert. Und ob genug Menschen auf dem Bauernhof arbeiten. Ob genug Windbrunnen in der Nähe stehen. So steigert sich die Komplexität. Wer das Onbu eher als Nutztier begreift, erntet Galle und Blut. Wer es eher verehrt, streichelt und heilt das Tier. (...) Jan Bojaryn