Vor 30 Jahren starb der schwule französische Autor, Fotograf, Filmemacher und Kritiker Hervé Guibert; er war an AIDS erkrankt und nahm sich das Leben, bevor die Krankheit ihm ein Ende setzte. Vier seiner Werke wurden nun neu aufgelegt beziehungsweise erstmals auf Deutsch übersetzt. Die beiden aufeinander Bezug nehmenden Erzählungen »Verrückt nach Vincent« und »Reise nach Marokko«, übersetzt von JJ Schlegel, erschienen in einem Band im Albino Verlag. Dass dieser auf ein Vor- oder Nachwort verzichtet hat, ist schade, denn gerade diesen Werken, in denen mit einer auf Kinder und Jugendliche gerichteten Sexualität kokettiert wird, Grenzen mäßig konsensuell überschritten und, teils mit rassistischem Vokabular, Orient-Projektionen aufgerufen (und dekonstruiert) werden, hätte eine Form der Einordnung gutgetan. Zum Einstieg in Guiberts Werk, das zu lesen sich definitiv lohnt, empfehlen sich eher die Veröffentlichungen des August Verlags, die lakonisch, dringlich, zärtlich die Themen AIDS und Freundschaft, Tod und Krankenhausrealität verhandeln (und dabei mit einem von Wildtieren stammenden Virus, der Angst, die Geliebten anzustecken, und der Hoffnung auf einen Impfstoff beim Lesen eine Art Déjà-vu produzieren); und auch das bereits 2017 bei Diaphanes erschienene, von Katrin Thomaneck übersetzte Buch »Meine Eltern« soll hier genannt sein. In all diesen autofiktionalen, teils tagebuchhaften Werken Guiberts
sind es seine Sprachgewandtheit (und die seiner Übersetzer:innen), seine traurige, komische Selbstironie und verzweifelte Übertreibung (eine »astronomische Menge Blut« wird abgezapft, einem »fanatischen Zitronenkonsum« sich hingegeben) sowie die Bereitschaft zur Offenlegung seiner selbst, die ihren literarischen Reiz ausmachen, Rausch und Nähe provozieren. Dass
Guibert sein eigenes Leben und Sterben so schonungslos als Material für seine Werke nutzt, hat allerdings die Kehrseite, dass auch die der anderen mitverarbeitet werden. (...) Anna Kow